Kapitel 6: Attaca
Der Zaubertrank-Unterricht fand am nächsten Morgen planmäßig zur ersten Stunde statt, Professor Snape war pünktlich wie immer. Mirela musterte ihn sehr genau, doch sie konnte nichts Außergewöhnliches feststellen. Gut, er war sehr blass und sehr dünn und übelst gelaunt, aber das war alles nichts Besonderes bei ihm. Was war nur gestern Nacht mit ihm los gewesen, und wie hatte er es geschafft, sich in der kurzen Zeit so völlig wiederherzustellen? Mirela hatte die ganze Nacht Alpträume gehabt, und heute früh hatte sie Angst davor gehabt, bei Tageslicht zu sehen, wie Severus Snape wohl aussah, falls er überhaupt zum Unterricht erschien. Vielleicht war ja alles gar nicht so schlimm gewesen, wie es in der Dunkelheit ausgesehen hatte? Vielleicht war er einfach nur betrunken aus Hogsmeade zurückgekehrt, und daher das wirre Gerede? Aber tief in ihr sagte ihr eine unbequeme Stimme, dass es nicht so war. Wo auch immer er an diesem Abend gewesen war, musste ihm etwas Schreckliches zugestoßen sein. Ihr fielen seine Worte ein: "Ich kann nicht mehr. Nicht mehr lange." Und der Satz, als er ihr den Schlüssel gegeben hatte: "Ich werde in nächster Zeit öfter... verhindert sein." Öfter? Nicht mehr lange? Hieß das, dass was-auch-immer gestern Abend passiert war, kein Einzelfall war? Aber das war ja schrecklich, unvorstellbar! Wenn er es aber schaffte, am nächsten Morgen zum Unterricht zu erscheinen, als wäre nichts gewesen - vielleicht war dies dann gar nicht das erste Mal? Wie oft mochte er schon an jenen Ort gegangen sein, nachts, nachdem sie weg war? War er deshalb so versessen darauf, dass sie pünktlich um 22 Uhr verschwand? Sie hatte es immer nur seiner Pedanterie zugeschrieben. Aber was wäre, wenn...
Plötzlich stand Snape vor ihr. Drohend hatte er sich vor der Schülerin aufgebaut und schaute spöttisch aus seiner Höhe auf sie herunter. "Ich weiß nicht, was Sie letzte Nacht getrieben haben, statt sich auszuschlafen, aber hier ist nicht der richtige Ort, um es nachzuholen. Kommen Sie nach vorn und rühren Sie die Zutaten in den Trank ein, damit Sie wach bleiben! Achten Sie auf die richtige Reihenfolge! Es erfordert volle Konzentration!" Es schien, als wüsste Snape sehr genau, worüber sie nachdachte und wollte genau dies verhindern. "Ja, Se... Snape! Professor Snape!" stammelte Mirela und eilte mit hochrotem Kopf nach vorn. Einige Schüler kicherten.
Es wurde keine sehr angenehme Unterrichtsstunde. Snape war übellaunig, er verteilte so viele bissige Kommentare, wie er Punkte abzog. Mirela war die ganze Zeit mit dem hochkomplizierten Trank beschäftigt. Und zu guter Letzt bekamen sie noch einen Test zurück, dessen Ergebnis für die meisten Schüler niederschmetternd war. Es war ein ziemlich frustrierter Haufen, der am Ende den Kerker verließ. Einige waren ganz still, andere schimpften, Bobby heulte laut und vernehmlich.
"Das wirst du teuer bezahlen, Snape!", zischte Rick, als sie außer Hörweite des Lehrers und der anderen Schüler waren.
Mirela fühlte, wie ihr schlecht wurde. "Du, hör mal..." druckste sie herum.
"Was?" Ricks Blick und Tonfall waren scharf, als er zu ihr herumwirbelte. Sie machte sich ganz klein und versuchte, ihren Mut zusammenzunehmen. "Ich... ich weiß nicht, ob es richtig ist, was wir tun, Rick."
Er starrte sie ungläubig an. "Kalte Füße gekriegt, Kleine? Angst vor der eigenen Courage? Hey, ich hätte dich nicht für einen Feigling gehalten, Mirela. Du wirst uns doch jetzt nicht hängen lassen? Sieh dir Bobby an! Dieser Mistkerl hat ihn schon wieder zum Heulen gebracht! Noch ein paar solche Noten, und Bobby braucht sich zur Abschlussprüfung erst gar nicht anzumelden. Es eilt, kapito?"
Mirela starrte auf ihre Schuhspitzen: "Ich weiß ja... du hast ja recht... Snape muss weg, er ist kein guter Lehrer. Aber du willst nicht nur, dass er gehen muss, hab ich recht? Du willst ihn vorher noch quälen. Wie hast du gesagt? Demütigen. Vor allen Schülern und Lehrern. Und das... das gefällt mir nicht. Kannst du ihm das nicht ersparen? Er... er tut mir irgendwie leid."
Rick schnaubte verächtlich. "Ich werde darüber nachdenken", sagte er unwillig, "ehe du mir wegen so etwas abspringst. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du so eine Mimose bist, tse! Mitleid mit Snape, ausgerechnet, ich fass es nicht! Als ob der überhaupt wüsste, was Mitleid ist! Aber okay, behalten wir unser Hauptziel im Auge: Snape muss gehen, auf die eine oder andere Weise. Von mir aus auch, ohne vorher ordentlich bestraft zu werden, aber verdient hätte er es allemal!"
Mirela dachte an das, was vergangene Nacht mit Snape los gewesen war und hatte den Eindruck, er sei "gestraft" genug, wofür auch immer. Aber von dieser Sache wollte sie Rick nichts erzählen. Er war ihr aber bereits auf der Spur: "Was war eigentlich letzte Nacht los?" fragte er verärgert, "ich hab die halbe Nacht wachgelegen und immer wieder in die Kugel gestarrt, weil du stundenlang da rumgehangen hast! Und wo war Snape?"
"Er... er war nicht da."
"Das hab ich gesehen", fauchte Rick, "ich habe gefragt, wo er war! Irgendwann muss er ja offensichtlich zurückgekommen sein."
Mirela hatte nicht genug Zeit, um sich eine sinnvolle Antwort zu überlegen, also log sie schnell: "Er war in Hogsmeade und kam irgendwann betrunken zurück. Ich, äh, hab ihn im Schlafzimmer gefunden und bin dann gegangen." Ricks Augen verengten sich zu Schlitzen, als er zischte: "Im Schlafzimmer, ja? Hochinteressant! Liebe Mirela, wenn ihr euer Haupt-Betätigungsfeld jetzt ins Schlafzimmer verlegt habt, dann solltest du die Kugel dort anbringen! Ich wette, da gibt es handfestere Dinge zu sehen, als im Musikraum!"
Sie starrte ihn ungläubig an. Dann schlug sie sich mit der Hand vor die Stirn und lief ihm mit großen Schritten davon. Rick eilte ihr nach, und Bobby trottete ratlos hinterher. "Hey, krieg dich wieder ein!" rief Rick und hielt sie von hinten fest, "du wirst doch noch Spaß verstehen! Und es hätte ja sein können..."
"Du bist so ein Idiot!", schluchzte Mirela.
"Tut mir leid", murmelte er kleinlaut. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und drehte es so, dass sie ihm in die Augen sehen musste. Sein Blick war weich und zärtlich, und er sprach leise und besänftigend auf sie ein: "Hey, Mirela, ist ja gut. Es war dumm von mir, hörst du? Es tut mir leid. Na komm, ich dräng dich auch nicht mehr, was Snape angeht. Lass dir Zeit. Irgendwann krieg ich schon die Szenen in die Kugel, die ich brauche. Ach ja, du könntest mir einen kleinen Gefallen tun."
"Welchen?" fragte Mirela, die schon wieder versöhnt war, durch seine liebenswerte Art.
"Ach, nichts Wichtiges. Aber wenn du mal wieder allein im Musikraum bist, nimm dir doch mal ein paar von diesen alten Büchern und halt sie vor die Kugel, ja?"
"Wozu soll das denn gut sein?", wunderte sich Mirela.
"Ach", winkte Rick ab, "bloß ein paar Tests. Ich will sehen, ob man durch die Kugel die Schrift auf den Buchdeckeln entziffern kann. Ich muss die Beleuchtung und die Schärfe des Observators besser einstellen, weißt du. Sonst mühst du dich am Ende ab, bis du endlich einen Kuss von ihm kriegst, und nachher ist in der Aufzeichnung gar nichts zu erkennen. Das wäre doch schade."
"Ach so, ja. Verstehe. An was du alles denkst." Er lächelte geschmeichelt. "Ich mach das bei Gelegenheit", versprach sie.
"Das wär lieb von dir", sagte Rick freundlich, "ach ja, und nimm am besten diese Alchemie- und Magiebücher, okay? Die sind älter als die Notenbücher, also sind die Buchstaben schwerer zu erkennen. Verblichener und außerdem so schnörkelig wahrscheinlich. Das ist dann sozusagen der Härtetest für den Observator." Er zwinkerte ihr zu.
Sie nickte: "Mach ich." Es war ihr ganz recht, dass sie erst einmal nichts Entscheidendes tun musste, in Sachen Snape. Nur ein paar "technische" Tests.
***
An den nächsten Tagen gab es keine besonderen Vorfälle. Snape war jeden Morgen im Unterricht grantig und fies und jeden Abend im Musikzimmer freundlich und zuvorkommend. Sie unterhielten sich viel über Musik, aber dem Thema, was in jener Nacht mit ihm los gewesen war, wich er hartnäckig aus. Das Leben ging seinen Gang, als wäre nie etwas passiert.
Eines Abends entschuldigte sich Snape mit den Worten: "Ich muss Sie für ein Stündchen hier allein lassen, Sie brauchen mich ja nicht zum Üben. Heute ist Lehrerkonferenz."
"Kein Problem", erwiderte Mirela, "ich komm ganz gut allein klar. Außerdem hab ich ja Gesellschaft. Stimmt´s, Poe?" Der Rabe krächzte leise und flatterte auf ihre Schulter.
Snape zog die Augenbrauen hoch und blickte spöttisch zwischen dem Mädchen und dem Vogel hin und her. "In der Tat", sagte er, "Sie werden nichts vermissen. Ich habe nichts, was Poe Ihnen nicht auch bieten könnte: einen finsteren Gesellen, funkelnde Blicke aus schwarzen Augen, einen übergroßen Zinken mitten im Gesicht und überflüssige, sarkastische Bemerkungen. Na, dann wünsche ich den beiden Herrschaften viel Vergnügen." Er warf sich seinen Umhang um die Schultern und rauschte hinaus.
Mirela streichelte zärtlich Poes schwarzes Gefieder. Der Vogel schmiegte sich in ihre Hand und gurrte genüsslich. "So, Poe, jetzt sind wir unter uns", sagte Mirela, "erzähl doch mal: Was war denn neulich Nacht mit Severus los, hm?"
Der Rabe legte den Kopf schief und gluckste traurig: "Aua!"
Mirela nickte: "Ja, ich weiß, Poe. Aber warum hatte er Schmerzen? Was war denn nur los?"
Poe schlug nervös mit den Flügeln und krächzte dunkel: "Crrrrrrrucio!"
Das Mädchen glaubte sich verhört zu haben. Meinte er wirklich den Unverzeihlichen Fluch? Aber wer würde denn... "Poe?" Doch der Rabe schien der Meinung zu sein, er habe schon zuviel gesagt. Er flatterte zurück auf seine Stange und steckte den Kopf unter den Flügel, und sie wusste, dass dann stundenlang nicht mehr mit ihm zu reden war. Seufzend ging sie hinüber ins Musikzimmer und schloss die Zwischentür.
Nun war sie allein im Musikraum, und ihr fielen die Tests mit dem Observator ein, heute war der ideale Tag dafür. Eines nach dem anderen, nahm Mirela die alten Magie- und Alchemie-Bücher aus dem Regal und hielt ihre Buchrücken und Titelblätter dicht vor die Kugel. Dann stellte sie jedes wieder an seinen Platz zurück. Nun würde Rick wenigstens einmal zufrieden sein, und sie hatte dafür nichts Zweifelhaftes tun müssen. Danach übte sie Geige, und als Snape zurück kam, spielte sie ihm noch kurz etwas vor. Er brauchte das, so sagte er, zur Entspannung, denn er hasste Lehrerkonferenzen. Pünktlich um 22 Uhr ging sie, wie immer.
***
Ja, Rick war zufrieden. Äußerst zufrieden. Genau genommen hatte Mirela nie ein so zufriedenes Grinsen auf seinem Gesicht gesehen, wie jetzt. "Dann waren die Buchstaben also gut zu lesen, ja?" fragte sie erfreut.
"Überdeutlich!", bestätigte Rick, "es ist glasklar zu erkennen, wo du diese Bücher hergenommen und auch wieder hingestellt hast und welche Titel sie tragen."
"Na fein", sagte Mirela lächelnd, "dann wird es ja keine Probleme mit der Sehschärfe geben, falls ich Snape je wirklich in eine verfängliche Situation bringen kann."
In Ricks Augen blitzte ein verschlagener Zug auf. "Das wird nicht mehr nötig sein", verkündete er seelenruhig. Mirela traute ihren Ohren nicht. Wollte er jetzt etwa alles abblasen, jetzt, nachdem sie soviel Zeit und Mühe in dieses Projekt investiert hatte, und ausgerechnet jetzt, wo die Tests so positiv verlaufen waren? Eigentlich war sie gar nicht böse drum, wenn sie diesen Wahnsinns-Plan aufgaben. Aber hätte ihm das nicht früher einfallen können? "Du willst Snape nicht mehr von der Schule ekeln?", fragte sie mit einer Mischung aus Ärger und Erleichterung.
"Oh doch!", rief Rick aus, und sein Grinsen wirkte jetzt triumphierend, "aber ich brauche dich dafür nicht mehr. Du hast deine Aufgabe bestens erfüllt. Vielen Dank."
Mirela schüttelte ungläubig den Kopf. "Ach was", winkte sie ab, "mit den paar Szenen, wo ich einfach nur neben ihm sitze und mit ihm rede, kannst du doch nichts anfangen. Dafür setzt man keinen auf die Straße. Er hat bisher überhaupt nichts Unsittliches oder Unrechtes getan. Wir haben nichts Handfestes gegen Snape in der Hand."
Rick lachte leise auf. "Oh doch", versicherte er böse grinsend, "das haben wir! Wir brauchen nur keine albernen Küsschen-Spiele mehr, verstehst du? So ist es dir sicher viel lieber, und mir auch. Wir werden ihn auf die ganz saubere Tour los. Und ich werde ihn auch nicht mit den Aufzeichnungen vor Schülern oder Lehrern bloßstellen, keine Sorge. Das habe ich dir ja versprochen. Es wird Leuten außerhalb der Schule vorbehalten bleiben, diese Aufzeichnungen zu sehen."
Mirela schüttelte den Kopf, sie verstand überhaupt nichts mehr. "Was hast du vor?" fragte sie, "was für Aufzeichnungen? Welche Leute?"
"Das Ministerium!", sagte Rick in einem gespielt sanften Tonfall, wie wenn er einem kleinen Kind etwas erklären wollte, "das Ministerium wird sich brennend für die Aufzeichnungen von Snapes Büchern interessieren!"
"Was?"
"Oooooh, Mirela", machte Rick im gleichen falsch-freundlichen Tonfall, "was bist du nur für eine Hexe, dass du so schlecht Latein kannst? Snapes Buchtitel sind sehr aufschlussreich, weißt du? 'Index Venenorum', die Liste der verbotenen Gifte. 'Codex Artium Obscurorum et Sinistrorum', oh ja, da findest du alles, wirklich alles über die 'Dunklen und Finsteren Künste'. 'Anathemae Prohibitae': 'Verbotene Flüche'. Ja, seine Bücher sind wirklich sehr interessant - und sehr verboten! Tse, tse." Er schüttelte mit gespieltem Entsetzen den Kopf.
Mirela begann zu begreifen. Das waren also Ricks "harmlose Tests" gewesen! Er hatte das von Anfang an geplant! Wie dumm von ihr, zu glauben, sie hätte seinen ganzen Plan gekannt. Sie war nur ein Rädchen in einem viel größeren Plan, als der lächerlichen Falle, die sie Snape stellen sollte. Die war von Anfang an nur eine von mehreren Alternativen gewesen, wie ihr nun schien. "Ich verstehe", seufzte Mirela, "die Bücher, die er da unten versteckt, sind illegal. Dafür fliegt man von der Schule, hab ich Recht?"
"Aber nein", sagte Rick genüsslich, "dafür kommt man nach Askaban."
Mirela starrte Rick seit Minuten nur mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen an. "Hat es dir die Sprache verschlagen, mein Engel?" fragte Rick zuckersüß.
Mirela schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. "Askaban?" hauchte sie tonlos.
"Askaban", bestätigte Rick kühl und gleichmütig.
"Aber Askaban ist die Hölle!" versuchte sie ihm begreiflich zu machen, "sie quälen die Leute dort, bis sie verrückt werden oder sterben. Das weiß jeder. Das... das willst du doch nicht, Rick! Oder?" Sie sah ihn bittend an, als erwartete sie, dass er jeden Moment rufen würde: "April, April!" Aber das tat er nicht. Mirela ließ den Kopf hängen. "Wie lange kommt man für den Besitz von verbotenen Büchern nach Askaban?" fragte sie leise, "sicher nicht allzu lange, oder?"
"Normalerweise nicht", sagte Rick bedeutungsvoll.
"Wie, normalerweise?"
Er lächelte wissend und erklärte: "Für den bloßen Besitz solcher Bücher kriegt man höchstens ein Jahr, schätze ich. Wenn man sich sonst nichts zuschulden kommen lässt. Anders als z.B. für Todesserei, darauf steht lebenslänglich, wenn nicht gar der Kuss der Dementoren."
"Aha", machte Mirela.
"Ah, du denkst, das hat nichts mit unserem Fall zu tun, wie?", fragte Rick süßlich lächelnd, "aber das hat es! Wie schade, dass du nie soweit gekommen bist, den lieben Snape nackt zu sehen. Wenigstens seinen linken Unterarm. Er hat da ein hübsches Tattoo, weißt du?"
Mirela fiel es wie Schuppen von den Augen. Ein Mal am linken Unterarm? Das Todesser-Zeichen! Poes Anspielungen: "Lorrrrrd! Crrrrrrrucio!" Plötzlich passte alles! Aber Severus, ein Todesser? Sie wehrte sich dagegen, das zu glauben.
Rick schien ihre Gedanken zu lesen. "Ach, das kannst du wohl gar nicht glauben?" fragte er hämisch, "du naives, kleines Ding. Ja, Severus Snape war schon einmal angeklagt wegen Todesserei."
"Woher weißt du das?", fuhr ihm Mirela dazwischen.
"Das kann man in den Gerichtsakten nachlesen", gab er hochnäsig zurück, "und mein Vater ist Auror, schon vergessen? Ich werde auch Auror, wenn ich die Schule hinter mir habe. Ich übe bereits. Vielleicht verkürzen sie meine Ausbildungszeit, wenn ich ihnen jetzt schon so eine fette Beute liefern kann."
Mirela stöhnte auf. War das sein Ziel gewesen, von Anfang an? Jemanden hinter Gitter zu bringen, um sich vor seinem Vater und dessen Kollegen zu beweisen? Vielleicht hasste er Snape nicht einmal, sondern der Professor war nichts als ein Mittel zum Zweck. Wobei es Rick unübersehbar zusätzlich Spaß machte, seinem Opfer wehzutun, sei es, weil es Snape war, oder ganz allgemein. Was für ein Auror würde er wohl werden, wenn ihm das solches Vergnügen bereitete? Ob wohl noch andere so waren? "Und was bedeutet das jetzt für Snape?" fragte sie mutlos.
Rick antwortete mit sichtlicher Freude: "Nichts Gutes, Mirela. Wie gesagt, auf den Besitz der Bücher allein stünde keine allzu lange Haftstrafe. Aber Snape wurde damals nur auf Bewährung freigelassen. Sie mussten es tun, weil Dumbledore persönlich sich für ihn verbürgt hat. Aber hundertprozentig überzeugt waren sie nie von Snapes Unschuld. Er war immerhin wirklich ein Todesser, aber Dumbledore behauptete, er habe die Seiten gewechselt und sei sein Spion. Wenn du mich fragst, Todesser bleibt Todesser, nicht umsonst geht so ein Mal nicht mehr ab. Jeder, der so ein Ding auf dem Arm hat, gehört aus dem Verkehr gezogen, für immer. Und glaub mir, ich bin nicht der einzige, der so denkt. Nun gut, die erwiesene Tatsache, dass er noch immer solche Bücher hortet, weist ihn eindeutig als Schwarzmagier aus, und somit kann er seine Bewährung vergessen. Ihn trifft die volle Strafe, der er sich damals entzogen hat. Zu dumm von ihm, da versteckt er seine Bücher schon in einem Zimmer, das keiner kennt und gibt sich fünfzehn oder wie viele Jahre lang, das müsste ich nachschauen, soviel Mühe, sich zu bewähren. Und dann verrät er sich, aus Schwäche für eine eine hübsche, kleine Veela oder für die Musik!"
Mirela fühlte sich, als hätte ihr jemand mit einem schweren Hammer auf den Kopf geschlagen. Severus würde für immer in der Finsternis von Askaban verschwinden. Ihretwegen! Weil er ihr vertraut hatte, weil er ein kleines bisschen von ihrer Musik, ihrem Licht abhaben wollte. Er hatte ihr nie etwas getan. Er wurde in die Hölle von Askaban geschickt, nicht weil er als junger Mann einen Fehler gemacht hatte und ein Todesser geworden war. Sondern weil er ein paar Schüler geärgert hatte, und weil ein Junge eine glänzende Karriere als Auror anstrebte. Das alles hatte mit ihr, Mirela, nichts zu tun, aber sie hatte ihn in die Hände seiner Feinde geliefert. Halt! Noch nicht! Noch waren die Aufzeichnungen des Observators nicht in Ricks Hand! Und er brauchte sie, Mirela, um die Kugel wiederzubekommen.
Ein gutes Gefühl durchlief sie bei dieser Erkenntnis. Es war nicht zu spät, die Sache war ihr nicht aus der Hand geglitten. Im ersten Moment wollte sie sagen: "Ich mach da nicht mit. Du bist krank, Rick!" Aber dann besann sie sich eines Besseren. Sie würde sich kooperativ geben. Und bei nächster Gelegenheit würde sie den Observator holen und verstecken, vernichten, was auch immer. Rick sollte ihn niemals bekommen. "Ich habe mich im ersten Moment erschreckt, Rick", sagte sie, "es waren so viele schockierende Neuigkeiten. Aber du hast vollkommen Recht: Ein Todesser gehört nicht an eine Schule, sondern nach Askaban."
Rick nickte zufrieden.
"Ich bin stolz, an seiner Überführung mitwirken zu können", fuhr Mirela fort und erschrak über sich selbst, wie falsch sie sein konnte, erst zu Severus, nun zu Rick. "Bei nächster Gelegenheit hole ich die Kugel und bringe sie dir."
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