Mondschein-Sonate

 

 

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Kapitel 5: Arpeggio



Mirela fühlte sich wieder einmal ein bisschen wie bei einem Verhör, als sie auf der Couch im Gemeinschaftsraum saß, neben ihr Bobby, vor ihr, unruhig auf und ab schreitend, Rick. Wie jeden Tag, hatte sie einen gründlichen Bericht über den vergangenen Abend in den Kerkern abgeliefert. Aber wieder einmal schien Rick nicht ganz zufrieden zu sein. Genau genommen, wirkte er heute besonders verärgert. "So, du hattest ihn also fast so weit, dich zu küssen, ja?"
Mirela nickte: "Ja, ich denke schon."
"Aber nur fast!", ereiferte er sich, "von 'fast' kann ich mir nichts kaufen! Ich brauch den Kuss in meiner Kugel, verstehst du?" Sie nickte leicht. "Alles wegen diesem blöden Vieh!" regte Rick sich auf, "wer braucht schon schwarze Unglücksraben? Ausmerzen sollte man so was!"
Mirela nickte diesmal nicht. Eigentlich fand sie Poe ganz niedlich... Aber Moment mal! Mirela sprang vom Sofa auf. "Hey!", rief sie aus, "woher weißt du überhaupt von dem Raben?" Sie hatte nämlich gar nicht erzählt, woran der Kussversuch gescheitert war! "Warst du in Snapes Zimmer?", schrie sie. Im ersten Moment dachte sie, er hätte sich mit dem magischen Schlüssel Zutritt verschafft. Aber dann fiel ihr ein, dass sie ihm den auch verschwiegen hatte. Sie wollte nicht riskieren, dass er selbst hineinging und sie nachher heftigen Ärger dafür kriegte. Er war der Boss bei diesem Plan, aber die Durchführung war ihr Projekt, sie allein führte es durch.
Rick war kurz zusammengezuckt, als sie ihn ertappt hatte; das passierte ihm selten. "Nein, ich war nicht in Snapes Zimmer, wie denn?", brauste er auf, "ich habe es durch meine zweite Kugel gesehen." Ups, das war ein weiterer Fehler! Rick biss sich auf die Lippe.
Mirela starrte ihn fassungslos an und versuchte zu verdauen, was sie eben gehört hatte. "Du hast eine... eine zweite Kugel?", stammelte sie, "also könntest du jederzeit alles veröffentlichen, ohne mich vorher zu fragen?" Plötzlich war das sichere Gefühl weg, dass sie es immer noch in der Hand hatte, ob und wann sie ihm den Observator geben würde.
"Nein", winkte er ab, "so einfach geht das nicht. Ich kann durch meine Kugel sehen, was gerade abgeht, aber ich kann es nicht speichern. Das geht nur mit der Kugel in Snapes Musikzimmer."
Mirela atmete auf. Aber gleich darauf beunruhigte sie ein anderer Gedanke: Dann hatte er auch gesehen, dass Snape ihr den magischen Schlüssel gegeben hatte? Den würde er sicher von ihr fordern. Aber halt,... das war ja am Ausgang des Unterrichts-Kerkers gewesen, nicht im Musikzimmer. Also außer Sichtweite des Observators. Puh! Das war noch mal gut gegangen. Sie musste sich nur mit der Vorstellung abfinden, dass Rick alles, was im Musikzimmer vor sich ging, live mit ansah. Irgendwie gefiel ihr das nicht, aber im Grunde machte es wenig Unterschied. Irgendwann hätte er sich die Aufnahmen ohnehin angesehen.
Rick schien ihre Gedanken zu erahnen. Er trat zu ihr und legte fürsorglich seine Hände auf ihre Schultern: "Ja, ich hab dich die ganze Zeit beobachtet, war vielleicht nicht ganz nett, sorry. Aber lass uns bitte nicht streiten. Wir haben doch ein gemeinsames Ziel: Snape muss weg. Rechtzeitig, bevor es für Bobby und einige andere zu spät ist. Das willst du doch, oder?"
Mirela schluckte. "Ja, natürlich will ich meinen Freunden helfen", sagte sie leise. Rick zwinkerte ihr zu: "Das weiß ich. Also, weiter vollen Einsatz! Du schaffst ihn."

***



Einige Tage später klopfte Mirela abends vergeblich an die Kerkertür. Niemand öffnete. Ihr fiel ein, den magischen Schlüssel auszuprobieren. Wenn Snape nicht auf dem Gelände von Hogwarts war, würde der Schlüssel funktionieren. Andernfalls konnte er nicht weit sein, und sie würde einfach hier auf ihn warten. Sie ging von letzterem aus. Doch der Schlüssel drehte sich reibungslos im Schloss, und die Tür sprang auf. Wo mochte Professor Snape denn sein, abends noch außerhalb von Hogwarts, und morgen gab er zur ersten Stunde Zaubertrank-Unterricht? Ihr fiel ein, was er gesagt hatte, als er ihr den Schlüssel gegeben hatte: Er würde in nächster Zeit möglicherweise öfter verhindert sein. Was konnte er nur damit gemeint haben? Komisch. Sie trat ein und rief unsinnigerweise: "Severus? Sind Sie da?"
"Kein Severrrrus!", schnarrte es aus dem Schlafzimmer. Mirela ging hinüber zu dem Raben. "Na, Poe", begrüßte sie ihn, "ganz allein?" Der Rabe blieb auf seiner Stange sitzen, legte den Kopf schief und schaute sie aus schwarzglitzernden Knopfaugen traurig an. "Kein Severrrrus", wiederholte er leise. Mirela nahm das den Vogel behutsam in beide Hände und fragte: "Was ist denn mit Severus?" Der Rabe drückte sich eng an sie und krächzte traurig: "Arrrrmerrrr Severrrrrus!"
"Du machst mir ja richtig Angst", flüsterte Mirela, "was ist denn passiert?" "Lorrrrrrd", krächzte Poe und sah dabei furchtsam aus. "Lord?" fragte Mirela verständnislos. Doch aus Poe war nichts weiter herauszukriegen. Er flatterte zurück auf seine Stange und steckte den Kopf unter einen Flügel. Mirela wartete noch kurz ab, und als sich bei ihm nichts mehr regte, ging sie hinüber ins Musikzimmer und packte ihre Geige aus.

Mirela schreckte hoch. Wie lange mochte sie geschlafen haben? Sie hatte das Gefühl, es müsse schon spät in der Nacht sein. Severus würde nicht erfreut sein, wenn er heim kam (und das musste er ja irgendwann, morgen früh war Schule) und sie nach dem "Zapfenstreich" (22 Uhr) noch außerhalb des Gryffindor-Turms vorfand. Damit nahm er es ja immer sehr genau. Die Fackeln im Musikraum waren fast heruntergebrannt, die Kerzen schon lange erloschen. Sie musste sich den Weg zum Schlafzimmer teilweise ertasten. Dort drinnen war es völlig dunkel, nur ein schwacher Lichtschein vom Musikzimmer drang noch herüber. Sie drückte sich an der Wand entlang, um den Weg bis zum Unterrichtsraum zu finden. Auf halbem Weg hielt sie inne, weil sie ein Geräusch hörte. Poe? Aber seit wann konnten Raben stöhnen? Sprechen, ja, aber... Da war das Geräusch wieder. Mirela erschauderte. Nein, das war nicht Poe. Konnte es einer der Schul-Geister sein? Oder... Mirela strengte sich an, in der Dunkelheit etwas zu sehen. Auf dem Bett schien etwas, oder jemand, zu liegen. "Severus?" fragte Mirela mit zitternder Stimme.
"Mirela?", kam ein schwaches Stöhnen vom Bett zurück. Sie stürzte hin. "Severus! Was ist denn um Himmels willen passiert?" Er gab keine Antwort. Vielleicht konnte er nicht. Viel war sie bei dieser Beleuchtung zwar nicht zu erkennen, aber doch soviel, dass er unnatürlich zusammengekrümmt dalag. Und sie konnte hören, dass sein Atem rasselte und er ab und zu leise wimmerte, wie unter starken Schmerzen. "Severus!" flüsterte sie, "soll ich Madam Pomfrey..."
"Nein!" Er musste seine ganze verbliebene Kraft in dieses energische "Nein" gelegt haben. Nach einer kurzen Erholungspause sprach er mit leiser Stimme stockend weiter: "Nein... bitte nicht... keiner darf wissen... ich... kann es Ihnen nicht sagen... aber alles in Ordnung... habe einen Trank genommen... morgen alles wieder gut... zum Unterricht... muss jetzt schlafen... so müde..." Seine Augen fielen zu, und er sank tiefer in das Kissen ein. Doch dann wurde er noch einmal wach. Sein Blick wirkte wirr und gehetzt. "Alles gut", wisperte er, "heute, ja. Aber wer weiß, wie lange noch. Ich kann nicht mehr. Nicht mehr oft. Wenn es vorbei ist... Mirela? Bitte..."
Sie verstand den Sinn seiner Worte nicht. Sein ganzer Zustand machte ihr Angst, und nun noch dieses wirre Gerede. "Ja?" fragte sie.
"Spielen Sie ein Lied auf meiner Beerdigung, ja? Tun Sie das? Es wird niemand kommen, außer Ihnen. Doch, Albus. Er wird dafür sorgen, dass man mich nicht irgendwo verscharrt. Tun Sie es? Ja? Bitte!"
Mirela waren Tränen in die Augen getreten. "Ja", versprach sie und ergriff eine seiner Hände, "ja, das tu ich. Aber Sie werden doch nicht sterben. Das ist alles Unsinn!" Die Panik ergriff immer mehr von ihr Besitz. Doch er gab keine Antwort mehr. Seiner ruhigen Atmung nach zu urteilen, war er eingeschlafen. Er musste einen starken Schlaftrunk genommen haben. Mirela taumelte aus den Kerkern hinaus und gelangte, sie wusste selbst nicht recht wie, bis in den Gryffindor-Schlafsaal. Wie ein Stein fiel sie in ihr Bett und merkte erst jetzt, wie müde sie selbst war. Aber hätte sie nicht bei ihm bleiben müssen? Sie hatte es nicht ausgehalten, hatte nur noch wegrennen wollen. Und jetzt hatte sie weder die Kraft, zurückzugehen, noch weiter darüber nachzudenken. Sie fiel in einen Schlaf voll unruhiger Träume.

Kapitel 4

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