Mondschein-Sonate

 

 

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Kapitel 4: Duo



Mirela war innerlich sehr kalt, als sie an diesem Abend an der Kerkertür anklopfte. Nur nicht zuviel nachdenken oder Gefühle zulassen, das würde ihren Plan nur behindern. Wenn man beschlossen hatte, eine Sache durchzuziehen, durfte man keinen anderen Gedanken haben, bis sie vollendet war. Sie hatte sich vorgenommen, Hogwarts von dieser "Krankheit" hier unten zu "heilen", damit Schüler wie Bobby ohne Angst leben konnten und eine Chance hatten, ihre Prüfung zu bestehen. Das Bild mit der "Krankheit" hatte sie von Rick. Er konnte so brillant mit Sprache umgehen, man merkte es an all seinen Aufsätzen. Ein bewundernswerter Junge. Er hatte ihr soviel Mut gemacht, bevor sie heute Abend hier herunter ging. Ihm lag soviel an seinem Freund Bobby und am Wohl der Schule, und er hatte in allem Recht. Sie musste es sich nur oft genug sagen. Die Schule heilen, den Freunden helfen, es ist richtig... richtig... richtig... Sei kalt wie eine echte Veela! Du schaffst es! Du bist schön, du bist unwiderstehlich, und ER wird das lernen oder leiden! Nun, letzteres so oder so...

Snapes Augen wirkten ausdruckslos, als er die Tür öffnete und sie wortlos hereinwinkte. Doch die Augen der Veela waren noch leerer und kälter als seine. Er bemerkte es nicht, sein Blick klebte an seinem Schreibtisch, wo ein dampfender Kessel stand. Offenbar hatte er einen Trank angesetzt, den er nicht aus den Augen lassen durfte. Ein leises Rauschen erfüllte die Luft, als Poe, der Rabe, aus dem Nebenzimmer angeflattert kam. Er flog ganz nah an Mirela vorbei, und er, oh ja, er sah ihr in die Augen. Ganz nah, ganz tief. "Blaue Eisberrrrrge!", schnarrte er.
Mirela scheuchte ihn weg, und er flog zurück ins Schlafzimmer. Snape schien die Bemerkung seines Raben überhört zu haben, er beugte sich konzentriert über den Trank. "Gehen Sie schon hinüber", sagte er, ohne aufzublicken, "und üben Sie! Ich komme später nach." Besser konnte es nicht kommen. Alles lief wie am Schnürchen, und das war sicher ein Zeichen, dass es richtig war, was sie hier tat. Gott oder das Glück oder wer-auch-immer ist mit denen, die das Richtige tun. Mirela durchquerte eilig das Schlafzimmer, betrat den Musikraum und schloss die Tür hinter sich. Hastig zog sie die kleine, funkelnde Glaskugel aus ihrer Umhang-Innentasche. Sie kletterte an einem Bücherregal empor, wie an einer Leiter, und hängte die Kugel in eine dunkle Zimmerecke, wo sie zwar nahezu unsichtbar war, aber den ganzen Raum überblicken konnte. Sie musste sie nicht befestigen. Die Kugel blieb in der Luft schweben, wo sie sie hingedrückt hatte. Mirela kletterte wieder hinunter und setzte sich kurz auf einen der schwarzen Ledersessel. Sie war stolz auf sich, sie war kühl wie eine Veela gewesen und hatte ein Ziel erreicht, nun war es an der Zeit, reizvoll wie eine Veela zu sein und ihr zweites Ziel zu erreichen. Ein nie gekanntes Gefühl von Macht ergriff sie. Nie war ihr so bewusst gewesen, dass Menschen ihr Spielzeug sein konnten, wenn sie es wünschte. Ja, sie würde spielen, planvoll und berechnend, spielen, zu ihrem Vergnügen, und sie würde gewinnen.
Bilder flackerten vor ihrem geistigen Auge auf, Szenen aus ihrer Kindheit, wie sie gespielt hatte, mit ihren kleinen Figürchen. Es hatte Spaß gemacht: Sie allein bestimmte, was die Püppchen tun mussten. Oh, einmal war eines zerbrochen, erinnerte sie sich, und sie hatte geweint. Aber das war lange vorbei, sie war groß und stark und klug geworden und würde nicht mehr weinen, um ein zerbrochenes Spielzeug. Mit einem Grinsen auf den heute leicht bemalten Lippen, legte Mirela den Umhang ab und öffnete die obersten vier Knöpfe ihrer dünnen Bluse. Es war nicht gerade die geeignetste Kleidung für die kühlen Kerkerräume, auch der kurze Rock nicht, aber sie würde eine Erkältung in Kauf nehmen, um Hogwarts von einer Krankheit zu heilen.

Mirela spielte auf ihrer Geige, bis sie die Kälte vertrieben hatte und sogar ins Schwitzen geriet. Erst als sie erschöpft eine Pause einlegte, sah sie, dass sie inzwischen einen Zuhörer hatte. Snape hatte auf seinem Sessel Platz genommen und still zugehört. "Bravo!" sagte er anerkennend, "Sie sind eine wahre Teufelsgeigerin. Aber ziehen Sie bitte Ihren Umhang an! Es ist kalt hier unten, und Sie haben geschwitzt. Das ist gefährlich. Ich habe gerade genug zu tun mit diesem neuen Trank da draußen, und habe wenig Zeit oder Lust, zwischendurch einen Heiltrank gegen Lungenentzündung brauen zu müssen."
Oh, dieser Kerl! Konnte er nicht schlicht und einfach sagen, dass er sich um jemanden sorgte? Natürlich nicht. Aber immerhin tat er es... "Mir ist nicht kalt", behauptete Mirela.
"Ah ja", entgegnete Snape spöttisch, "und warum zittern Sie dann? Oh, natürlich, aus Angst vor mir. Ich löse solche Reaktionen bei Schülern aus, wie konnte ich das vergessen. Trotzdem, ziehen Sie bitte Ihren Umhang an!"
"Er... er ist verhext", log sie verzweifelt, um ihre männermordende Verkleidung nicht aufs Spiel zu setzen, "die Jungs haben ihn mit Juckpulver aus Zonkos Scherzartikelladen eingerieben. Ich muss ihn den Hauselfen in die Wäsche geben."
Um Snapes Mundwinkel zuckte es belustigt, doch er hatte sich gleich wieder im Griff. "Wie beruhigend, dass ich nicht das einzige Ziel gemeiner Schülerstreiche bin", meinte er, "aber der Schaden trifft am Ende doch wieder mich, weil ich Ihnen nun meinen Umhang geben muss. Ich könnte es natürlich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, eine Schülerin sich den Tod holen zu lassen. Zumal man mir sicherlich unterstellen würde, Sie vergiftet zu haben, wenn Sie krank aus meinem Kerker zurückkehren." Er zog seinen weiten, schwarzen Umhang aus und hielt ihn ihr hin. Sie zögerte. Nein, sie wollte sich nichts überziehen, egal wie kalt ihr war, sonst war doch der ganze Effekt dahin! Der Professor deutete ihr Zögern anders und drängte: "Nun nehmen Sie schon! Ich bin die Kälte gewöhnt."
Da kam ihr eine geniale Idee. Plan B! Sie würde ihr Ziel auf andere Weise erreichen und müsste dafür nicht einmal mehr frieren. Mit einem treuherzigen Augenaufschlag (oh, sie hätte in lautes Lachen ausbrechen können, darüber, wie gut ihr das gelang!) schlug sie ihm vor: "Dann lassen Sie uns teilen! Der Sessel ist breit genug, der Umhang auch. Es ist nicht nötig, dass einer von uns sich erkältet. Ich könnte es natürlich auch nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, wenn ein Lehrer meinetwegen krank würde."
Nun war es an Snape, zu zögern. Doch da sie anders wohl nicht zu bewegen war, sich etwas überzuziehen, und dies sehr schnell geschehen musste, damit sie nicht wirklich ernsthaft erkrankte, rückte er seufzend auf eine Seite seines Sessels. Mit einer katzenhaften Bewegung glitt Mirela neben ihn und ließ sich eine Hälfte des schwarzen Umhangs um die Schultern legen. Sie musste sich eingestehen, dass es wahnsinnig gut tat, endlich wieder Wärme zu spüren, und dass es sich angenehm anfühlte, unter diesem schützend umhüllenden Mantel zu stecken, wie ein Küken unter den Flügeln der Henne. Außerdem roch Snape gut, musste sie zugeben, nach irgendwelchen würzigen Zaubertrank-Zutaten. Unwillkürlich kuschelte sie sich dichter an den warmen Körper neben ihr. Dieser schien bei der Berührung zu erstarren, konnte jedoch nicht ausweichen, weil ihn die Armlehne auf der anderen Seite daran hinderte. Einen Moment lang blickte Snape ziemlich hilflos um sich, dann zog er mit einer energischen Handbewegung den Umhang fester um das noch immer zitternde Mädchen und starrte geradeaus in die Luft. Er verfluchte sich dafür, dass er zwar wegschauen, aber nicht weg-fühlen konnte und schon gar nicht weg-riechen. Seine große und geübte Zaubertränkemeister-Nase sog viel zu begierig den Duft ein, der von diesem Wesen ausströmte. Snape rettete sich in eine wissenschaftliche Analyse des Veela-Parfums, um einen kühlen Kopf zu bewahren. Eine Kopfnote aus unschuldigen Mandarinen konnte nicht über das viel weniger kindliche Herz des Duftes hinwegtäuschen: Er erschnupperte Jasmin, Ylang-Ylang und eine ihm unbekannte, betörende Blüte. Dann ein warmer, dunkler Fond aus Sandelholz und Ambra und, heimlich noch darunter versteckt, aber dem Tränkemeister nicht entgehend, der schwere Duft von Vetiverwurzeln aus den schwarzen Tiefen der Erde. Alles vereinte sich miteinander und mit dem Eigenduft ihrer Haut zu einem perfekt harmonischen Ganzen, das... nun, um auch die Wirkung des Gemischs wissenschaftlich zu analysieren: Es war sehr... berauschend. Und leider hatte er keinen Gegentrank in seinen Vorräten.

Mirela dachte darüber nach, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte. Dieser Mann saß nun schon eine Weile so eng mit ihr zusammen und machte keinerlei Anstalten, ihr noch näher zu kommen, sie irgendwie anzufassen oder so was. Sie wusste ja selbst nicht so genau, was sie von ihm erwartete. Sie hatte nicht viel Erfahrung in solchen Dingen. Aber soviel wusste sie: Männer, die die Gelegenheit bekamen, versuchten manchmal, sie mehr oder weniger unauffällig zu begrabschen. Und sie hasste es. Aber andererseits war es doch heute Teil ihres Plans, und sie hasste es genauso, dass der nicht aufging.

Snape räusperte sich kurz und unterbrach das unbehagliche Schweigen: "Und jetzt? Ich halte es für das Beste, wenn Sie in den Gryffindor-Turm zurückkehren. Es ist schon spät..."
"Noch nicht zehn Uhr", widersprach sie, doch er fuhr fort: "Sie können ohnehin nicht Geige üben, wenn Sie hier neben mir sitzen."
Mirela dachte kurz nach, dann gab sie zu: "Das ist wahr. Aber ich könnte singen! Auch das sollte ich dringend wieder einmal üben." Snape zog etwas erstaunt die Augenbrauen hoch. "Sie dachten wohl nicht, dass ich außer Geigespielen noch irgendetwas anderes kann?", fragte Mirela etwas spitz. "Das haben Sie gesagt", erwiderte Snape nur. 'Na warte', dachte Mirela, 'du wirst schon noch merken, wie Veela singen können. Schön. Verhängnisvoll schön. Kein Wunder, dass sie dir nie den Posten für Verteidigung gegen die dunklen Künste geben, wenn du das nicht weißt.'

Mirela legte ihre ganze Ausdruckskraft in das uralte Veela-Lied. Sie sang leise, denn ihr Zuhörer saß ja direkt neben ihr. Aber gerade dieses leise Perlen ihrer Stimme wirkte geheimnisvoll und lockend. Snape konnte den alt-rumänischen Text nicht verstehen, aber die Melodie sprach für sich: so süß, so sehnsuchtsvoll... Mirela beobachtete die Reaktion des Mannes aus dem Augenwinkel. Sein Blick schien auf irgendetwas in weiter Ferne gerichtet zu sein, was sie nicht sehen konnte, und in seinen Augen lag so etwas wie eine hilflose Trauer. Schimmerten tatsächlich Tränen in ihnen, oder war es nur das altbekannte Glitzern seiner schwarzen Augen im Kerzenschein?
Als das Lied verklungen war, blieb er noch kurz in dieser Haltung sitzen, dann wandte er ihr langsam den Kopf zu. "Ein bezauberndes Lied", sagte er sehr leise, "wovon handelt es?"
"Von 'dor'."
"Dor?"
"Ja, das ist eine Art rumänisches Lebensgefühl. Man kann es nicht in andere Sprachen übersetzen. 'Sehnsucht', am ehesten. Die Sehnsucht, die wehtut und entzückt. Die Sehnsucht, nach der man sich sehnt", erklärte sie.
Snape nickte langsam. Er wirkte immer noch wie in Trance. Das sollte er auch, nach einem Veela-Lied. Aber er sollte auf sie schauen, nicht ins Nichts! Und von ihr sollte er entzückt sein, nicht von ihrem Lied! War sie nicht Veela genug, dass er so reagierte, wie er sollte? Es machte sie rasend. Andererseits war es eine interessante neue Erfahrung, einmal nicht für das gelobt und bewundert zu werden, was die Natur ihr mitgegeben hatte, ihre äußerliche Schönheit, sondern für das, was sie konnte: ihre Musik, ihre "inneren Werte". Snape war wirklich sehr anders als alle anderen. Seltsamer Kauz.

Aber sie wollte es jetzt genau wissen. "Das Lied hat Ihnen also gefallen?" hakte sie nach, "und was ist mit der Sängerin?"
Snape blickte ihr ins Gesicht, leicht irritiert, dann lächelte er. Es lag gar kein Spott in seinem Lächeln und keine Kälte, wie sie es kannte. Dieses Lächeln war warm und... schüchtern?? "Sie haben eine wundervolle Stimme", sagte er, "Sie singen wie Salome."
Wer war denn das nun wieder? Salome? Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein, sie, die Veela (na gut, Halbveela), mit irgendeiner anderen Frau zu vergleichen? Schwer vorstellbar, dass es überhaupt eine Frau in seinem Leben gab oder gegeben hatte. "Salome?" fragte Mirela.
"Kennen Sie Salome nicht?" staunte Snape.
"Sollte ich?", fauchte Mirela beleidigt.
Wieder lächelte er, diesmal aber war die typische Spur von Spott in seinem Gesicht. "Ja, sollten Sie", meinte er, "ein bisschen Allgemeinbildung kann nicht schaden."
"Allgemeinbildung?" fragte Mirela misstrauisch.
Snape lehnte sich im Sessel zurück, lachte leise und begann zu erzählen: "Es ist eine uralte biblische Geschichte. Ich liebe uralte Geschichten. Diese hier wurde später sogar als Oper vertont, von Richard Strauss, daher wundert es mich etwas, dass Sie sie nicht kennen. Aber zu der Geschichte selbst: Salome war eine Prinzessin, ein bezauberndes junges Mädchen, nicht älter als Sie. Alle Männer, selbst der König, waren ihr verfallen. Denn sie war nicht nur schön, sie konnte singen und tanzen wie keine andere. Daher mein Vergleich vorhin, Sie verzeihen. Aber ein Mann hat ihre Musik teuer bezahlt."
"Warum?"
"Nun, sie wünschte sich als Lohn seinen Kopf, auf einem silbernen Tablett."
Mirela zuckte kurz zusammen. Nicht nur, weil die Geschichte so ein grausiges Ende nahm. Sie fühlte sich ertappt. Ahnte er irgendetwas? Oder warum erzählte er ihr das? Doch sein Gesicht war entspannt, er wirkte völlig arglos. Mirela schalt sich selbst, dass sie weniger schreckhaft sein sollte. "Warum hat sie das getan?", fragte sie.
"Oh, sie war noch ein dummes Kind", sagte Snape, "und jemand hatte ihr eingeredet, sie sollte es tun. Jemand, dem dieser Mann unbequem war. Er war wirklich ein ziemlich unbequemer Zeitgenosse." Mirela schluckte.

Sie zog es vor, das Thema zu wechseln. Auch wenn er es ohne Hintergedanken angeschnitten hatte, so war es ihr doch unbehaglich. "Und wie klingt Ihre Stimme, Professor Snape?" fragte sie herausfordernd.
Snape war ehrlich überrumpelt und erschrocken. "Meine Stimme?", fragte er vorsichtig, "aber die kennen sie doch zur Genüge aus sechs Jahren Unterricht! Sie ist leise, schneidend und gefährlich. Schon vergessen?"
"Sie singen wohl kaum leise, schneidend und gefährlich, oder?"
Er starrte sie ungläubig an und klammerte sich mit letzter Kraft an die Hoffnung, sich verhört zu haben: "Singen?"
"Ja, singen", beharrte sie ungerührt, "erzählen Sie mir nicht, dass Sie das nie tun! Alle Klavierspieler singen von Zeit zu Zeit und begleiten sich selbst auf den Tasten."
Sie hatte ihn ertappt, denn er gestand: "Nun, ab und zu tue ich das, ja. Aber nur, wenn ich allein bin."
"Tun Sie es für mich!" verlangte Mirela.
"Aber..."
"Kein Aber!" Sie zog ihm den Umhang von den Schultern und wickelte sich darin ein. "Den Moment kommen Sie auch ohne aus. Danach bekommen Sie ihn wieder, und ich gehe dann auch." Mit diesen Worten versuchte sie ihn aus dem Sessel hochzuschieben. Ein klein wenig staunte sie darüber, wie sie hier gerade mit ihrem Lehrer umsprang, und vor allem darüber, dass er es sich gefallen ließ, wie ein kleines Kind.
"Sie gehen dann?" fragte er, "hm, das ist ein Angebot. Versprochen?"
"Versprochen."
Er zögerte noch einen letzten Moment: "Und Sie erzählen niemandem davon?"
"Wie könnte ich!" Sie warf einen kurzen, etwas schuldbewussten Blick auf die Glaskugel in der dunklen Ecke. Dann hatte sie sich wieder gefangen und lächelte liebenswürdig: "Ich warte..."

Snape ließ sich auf den Klavierhocker sinken und schlug ein Notenheft auf, das auf dem Flügel stand.
"Beethoven?" fragte Mirela.
"Nein, etwas Zeitgenössisches. Ich habe es in den Ferien in einem Muggel-Laden aufgetrieben."
Mirela musste lachen: "Sie haben´s aber wirklich mit der Muggel-Musik! Ich dachte immer, Slytherins würden Muggel verachten?"
Snape ließ diese Bemerkung unkommentiert. Er sammelte sich kurz, versuchte die Anwesenheit einer anderen Person im Raum zu vergessen und legte seine langen, schlanken Finger auf die Tasten. Nach einem kurzen Klavier-Vorspiel begann er zu singen: "Come and hold my hand, I wanna contact the living, not sure I understand this role I´ve been given..." Danach bekam Mirela vom Text nicht mehr viel mit, weil sie viel zu sehr auf den Klang seiner Stimme achtete. Erst jetzt wurde ihr richtig klar, was für eine außergewöhnlich schöne Stimme er hatte. Wenn sie jetzt so überlegte, war sie auch beim Sprechen sehr klangvoll und melodisch. Aber das fiel ihr erst richtig auf, als er sang. Seine Stimme war tief und voll, beschwörerisch, dunkel und weich wie schwarzer Samt. Mirela erschrak über sich selbst, als sie solche blumigen Vergleiche zog. He, das hier war immer noch Professor Snape, der Lehrer ihrer Alpträume! Sie versuchte wieder dem Text zu folgen und hörte ihn singen:
"I don´t want to die, but I´m not keen on living either." Irgendwie berührte sie das Lied. Es klang, als wüsste er, wovon er da sang. Sie ließ sich wieder in den Klang seiner Stimme versinken, bis das Lied zu Ende war. Er erhob sich, ließ aber den Kopf gesenkt, als hinge er noch über den Tasten. Dadurch fiel ihm ein Vorhang aus schwarzen Haaren vor´s Gesicht, so dass man es nicht sehen konnte, und vermutlich war das auch der Sinn der Sache.
"Das war wirklich schön", sagte Mirela und meinte es vollkommen ehrlich, "Sie haben eine tolle Stimme."
Er schien sich unter ihrem Lob geradezu zu winden. Kam wohl nicht oft vor, was? Nach einem kurzen, verlegenen Blick auf sie, ließ er seine Augen hastig zur Uhr wandern und stellte erleichtert fest: "Schon zehn Uhr! Sie müssen gehen!" Und das tat sie, denn auch ihr wurde die Situation irgendwie unheimlich.

***



In den folgenden Wochen verging kaum ein Abend, an dem Mirela nicht in Snapes Musikzimmer übte. Das ist das Grundprinzip des Übens: gnadenlos weitermachen, immer weiter, immer weiter, so lange, bis sich der gewünschte Erfolg einstellt. Doch Mirelas Ehrgeiz lag diesmal weniger auf musikalischem Gebiet. Und sie war noch lange nicht zufrieden. Ja, es hatte ein paar Erfolgserlebnisse gegeben: Den Abend, an dem er ihr "der Einfachheit halber" angeboten hatte, ihn 'Severus' zu nennen - aber nur innerhalb dieses einen Raumes, nicht vor anderen Leuten und natürlich nicht im Unterricht! Oder den Abend, an dem er ihr ein noch erstaunlicheres Angebot machte. Eines, dass großes Vertrauen erforderte und ihn sichtliche Überwindung kostete, obwohl er versuchte, es leichthin zwischen Tür und Angel zu sagen, als sie ging: "Ach, Mirela... hier, nehmen Sie das mit! Es ist ein magischer Schlüssel, damit können Sie in meine Räume, wenn ich nicht da bin. Ich werde in nächster Zeit wahrscheinlich öfter... verhindert sein. Und sollten Sie es wagen, irgendetwas in meinen anderen Räumen anzufassen oder jemanden mit herein zu bringen, dann sind Sie des Todes, das ist Ihnen hoffentlich klar. Übrigens funktioniert Ihr magischer Schlüssel nur, wenn ich mich außerhalb von Hogwarts befinde. Gute Nacht."

Und dann war da noch ein Abend gewesen... Sie hatten nach einem gemeinsamen Konzert (Mondschein-Sonate, Geige und Klavier) noch kurz zusammen gesessen und ein paar musikalische Feinheiten besprochen. Sie waren sich dabei sehr nahe gekommen, nun ja, wörtlich gemeint, indem sie dicht beieinander saßen. Und auch inhaltlich natürlich, in ihrem Fachgespräch. Irgendwann, mitten in der Unterhaltung, merkten sie beide gleichzeitig, dass ihre Gesichter sich aus nächster Nähe gegenüber standen. Sie schauten sich erschrocken in die Augen. Beide versuchten, einen klaren Kopf zu behalten. Snape, weil sie eine Schülerin war und das alles sowieso lächerlich war und ihm außerdem Angst machte. Mirela, weil sie ihren Plan im Auge behalten musste. Aber in den passte es ja perfekt hinein. Wenn dies hier nicht die Wirklichkeit wäre, sondern eine Filmszene, dann müssten sich jetzt gleich ihre Lippen berühren, dachte sie. Dann hätte Rick endlich seine Kuss-Szene im Kasten und würde Ruhe geben. Vielleicht klappte es ja... Mirela öffnete leicht ihre Lippen und kam noch näher an ihn heran, wobei sie versuchte, so verlangend zu gucken, wie die Schauspielerinnen in den Muggel-Filmen. Snape schaute sie verwirrt an. Na? Naaa??? Ein dunkler Schatten kam auf sie zugerast. Ein Luftzug berührte ihre Gesichter, dann streifte ein schwarzer Flügel Snapes große Nase und der andere Mirelas kleines Näschen. Poe stürzte zwischen ihnen hindurch wie ein verunglückter Tiefflieger und kreischte: "Alaaaarrrrrrrrm! Feuerrrr in Hogwarrrrrrrrts!"
Erschrocken fuhren die beiden auseinander. Mirela sprang auf, Entsetzen trat in ihr Gesicht: "Feuer? Oh nein, wenn es uns hier unten einschließt!"
Doch Snape blieb völlig unbeeindruckt. "Es war nur einer von Poes schlechten Scherzen", knurrte er und warf dem Raben einen vernichtenden Blick zu, während dieser ein paar missglückte Schleifen in der Luft drehte. "Elender Geier", zischte Snape ihm zu, erhob sich dann brüsk und sagte: "Oh, schon wieder so spät? Hinaus mit Ihnen, in den Gryffindor-Turm!"

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