Kapitel 14: Einsamkeit
Albus hatte Hermine gesehen, wie sie mit gepackten Koffern das Gelände verliess. Niemand außer ihm wusste, dass sie nicht wieder kommen würde. Es war nicht leicht, es ihren Freunden und vor allen Dingen Minerva klar zu machen. Er wollte nicht zu viel sagen, und als Draco vier Tage nach ihr ging, sagte er gar nichts mehr.
Severus nahm seinen Unterricht wieder auf, kalt und grausam wie eh und je. Nur dass man ihn noch seltener zu den Mahlzeiten sah. Er redete nur, wenn er ausdrücklich aufgefordert wurde... und manchmal nicht mal dann. Es war ein Schleier der Trauer um ihn gewebt, der jeden abschrecken sollte. Er war wieder alleine, und Albus fürchtete, er würde daran verzweifeln.
Regelmäßig schickte der Direktor Eulen zu Miss Granger. Unterrichtete sie über die Themen der Prüfungen und über die neuesten Geschehnisse. Nur einen Namen erwähnte er nicht - Severus Snape. Er wusste nicht, was in der letzten Nacht ihres Aufenthaltes noch geschehen war. Er hatte seinen Zögling in ihren Räumen gefunden. Schweigend. Dann war Severus aufgestanden und hatte sich für seine Stunden fertig gemacht.
***
Severus funktionierte wie eine Maschine. Er versuchte immer wieder den altbekannten Hass auflodern zu lassen. Doch es ging nicht. Es war ihm, als hätte man ihm jedes Gefühl ausgemerzt. Und wie eine leblose Puppe verrichtete er seine Aufgaben.
Es tat weh. An sie zu denken, jeden Tag, jede Stunde. Sich zu erinnern an ihre gemeinsamen Projekte, die er nun wieder alleine erledigte. Manchmal glaubte er ihre Stimme im Gewirr der Schüler zu hören, aber sie war es nie. Er überstand die Stunden des Tages nur durch eiserne Disziplin. Dafür waren die Nächte umso grausamer. Er schrieb ihre lange Briefe - und schickte sie nie ab. Betrank sich sinnlos und landete so manches Mal in den Betten der Huren. Es war doch sowieso alles egal.
Manchmal war der Schmerz so klar, dass er nur ein Ende von all dem wollte. Nie zuvor hatte er eine solche Einsamkeit gekannt, obwohl er immer schon alleine war. Sie fehlte ihm, ihre Gegenwart hatte sein Leben erfüllt. Und er verfluchte sie, weil sie ihn zu diesem Leiden verdammt hatte.
'Liebe! Liebe ist etwas Furchtbares!'
***
Als er nach drei Monaten ihre Abschlussprüfung in den Händen hielt, erschien es ihm wie bitterer Hohn. Ausgerechnet ihm hatte man die Aufgabe gegeben, ihre Leistungen zu beurteilen. Ihm, der noch immer jede Nacht voller Sehnsucht auf sie wartete. Als würde sie jemals wiederkehren...
Er spielte mit dem Gedanken, sie durchfallen zu lassen. Nur damit sie kommen würde, um zu streiten, um sie einfach noch einmal zu sehen. Aber das hatte sie nicht verdient. Ihre Arbeit war erstklassig, wohldurchdacht und ein Zeuge ihrer Klugheit.
Ja. Letztlich war sie ihm wirklich ebenbürtig geworden.
Er dachte daran, sie zu besuchen. Und sofort ertönte seine innere Stimme.
'Dich wird sie als letztes sehen wollen!'
Stattdessen schickte er ihr einen kurzen Brief, voller Belanglosigkeiten, durchtränkt von Bitterkeit. So unpersönlich und zwischen den Zeilen reiner Schmerz.
Sie war zu seinem Leben geworden, auch wenn sie es nicht mit ihm teilte.
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Die Prüfungen waren vorbei, und sie hatte sehr gut abgeschlossen. Niemand hatte etwas anderes erwartet. Die Glückwünsche waren zahlreich und sie hätte sich freuen müssen. Doch noch immer fühlte sie sich leer.
Sie hatte ihren Eltern niemals erzählt, warum sie nach Hause kam. Warum sie eines Morgen einfach wieder vor ihrer Tür stand. Sie hatten gefragt, doch keine Antwort erhalten. Hermine zog sich noch mehr vor den Menschen zurück. Sie hatte Angst in der Dunkelheit, konnte fast keine Nacht richtig schlafen. Und sie wusste, es lag nicht nur an der Tat. Es ging um etwas anderes, doch immer wenn sie es fast greifen konnte, verschwand es wieder.
Die Eulen Dumbledore´s brachten einen kleinen Lichtblick in ihr Leben. Er schrieb von Missgeschicken und Unternehmungen, von Kinderlachen und Sonnenschein. Wie konnte er auch wissen, dass ihre Sonne nicht mehr aufgegangen war, seit sie Hogwarts verlassen hatte?
Woran es lag, dass sie selbst jetzt noch litt? Hermine fühlte eine brennende Einsamkeit, eine Isolierung, wie sie es schon sehr lange nicht mehr gekannt hatte. Natürlich schrieben ihr ihre Freunde regelmäßig, und sie besuchten einander auch. Aber irgendetwas hatte sich geändert, und es quälte sie.
Manchmal wünschte sie sich, dass sie dem Ganzen ein Ende setzen könnte. Ein Schlussstrich ziehen, vergessen was gewesen war. Doch es blieb ein Teil ihrer Seele. Ein wunder Punkt.
Sie lächelte, als sein Brief sie erreichte. Es war ein trauriges Lächeln, voller süßer Vorfreude und schmerzlicher Tiefe. Die dichten Worte, in seiner so unvergleichlichen Handschrift. Es tat gut zu wissen, dass er noch da war. Immer da sein würde.
Die Zeit in seinem Unterricht zählte zu den glücklichsten ihres Lebens. Die Streitereien, die Gemeinschaft, sogar die Strafpredigten - es war so einfach und rein gewesen. Manchmal wünschte sie sich, ihm einfach schreiben zu können. Ihm zu erzählen, wie es ihr ging. Zu erfahren, wie er seine Zeit verbrachte. Doch sie scheute davor zurück. Sie hatte seine Worte nie vergessen, den Ausdruck in seinen Augen.
Er hatte nichts von ihr gefordert, aber soviel erhofft. Sie hatte ihn enttäuscht, und das nicht nur in einer Hinsicht. - Sein anderer Brief lag noch immer in ihrem Tagebuch, abgegriffen vom häufigen Lesen, ein paar Tränenspuren darauf.
Ihre Unschuld, die er so hoch gepriesen hatte, war vergangen. Wie könnte sie ihm jemals wieder in die Augen sehen? Sie würde nie vergessen, wie er sie danach angesehen hatte... so voller Abscheu. Aber dennoch wusste sie, dass ihre Zurückweisung ihn verletzte. Sie konnte ihm nicht Dinge sagen, die sie nicht empfand. Lügen hätten das letzte bisschen Freundschaft zwischen ihnen verraten.
Und so blieb sie lieber in der Sicherheit der Vergangenheit. Las seinen Brief, wenn sie sich einsam fühlte, erinnerte sich an seine Worte, wenn sie ihr Leben kaum mehr ertrug.
Seltsam, wie man vermissen kann, was man nie richtig zu schätzen wusste.
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