Der nächste Morgen - Severus Snape war mit Remus Lupin, der immer noch als Schutzschild gegen Julius genutzt wurde, auf dem Weg zum Frühstück. Noch am selben Vormittag wollte ihnen die Direktorin die Schule, sowie das gesamte Gelände zeigen. Die Nacht verlief nicht gerade so, wie er erhofft hatte, denn das Dunkle Mal schmerzte durchgehend, so als hätte es gewollt, dass er seinen erholsamen Schlaf nicht bekommen sollte.
Remus, der ebenfalls - aufgrund der bevorstehenden Vollmondnacht - erschöpft neben Severus herging, beobachtete seinen Kollegen besorgt. Sie waren vielleicht nicht die besten Freunde - glatte Untertreibung, sie waren die schlimmsten Feinde - aber Remus wusste sehr wohl, was in Severus´ Kopf vor sich ging. Trotzdem versuchte er nicht, den mürrischen Zaubertränkemeister in ein Gespräch zu eben diesem Thema zu verwickeln, da es eh resultatlos ausgehen würde.
Auf dem Weg zur Großen Halle begegneten ihnen mehrere Schüler, woran eigentlich nichts besonderes war, zumindest dachte das Remus. Aber als ihm die seltsamen Blicke, die sowohl Severus als auch ihm selbst zugeworfen wurden, bemerkte, machte er sich schon ein wenig Sorgen. Was hatten sie denn so besonderes an sich? Vielleicht war es ein Fehler mitzufahren. Die haben wahrscheinlich Angst vor mir, dem gefährlichen Werwolf, dachte Remus leicht geknickt.
Wenige Meter vor der Halle wurden sie durch zwei neugierige Schülerinnen aufgehalten.
"Entschuldigen Sie bitte", fragte das Mädchen mit den blonden Haaren.
"Ja, was können wir für dich tun?", fragte Remus freundlich, während er einen warnenden Blick Richtung Grummel Grießgram schickte.
"Sind Sie wirklich Professor Lupin, der Werwolf Remus Lupin?"
Remus zuckte kurz zusammen und zögerte mit seiner Antwort. Ihm war die Frage nach seinem Werwolf-Dasein immer noch ziemlich unangenehm, aber dennoch wahrte er seine Fassung. Doch bevor er antworten konnte, ergriff Severus neben ihm urplötzlich das Wort.
"Gibt es noch einen anderen britischen Zauberer, der Remus Lupin genannt wird und dazu noch in Hogwarts unterrichtet?" Severus war sichtlich gereizt. Diese nervigen Schüler.
Doch seine sarkastische Art brachte in den Schülerinnen nicht die gewünschte Reaktion hervor. Anstatt ihn verschreckt anzustarren, oder eine Entschuldigung zu stammeln, fingen die beiden Mädchen an zu kichern.
"Sie sind es wirklich, genau wie Hermine gesagt hat", flüsterte sie und richtete sich dann wieder an die beiden Professoren: "Könnten Sie uns ein Autogramm geben?" Hab ich mich gerade verhört? Hat dieses Mädchen gerade wirklich nach Autogrammen gefragt? Severus war sich sicher noch zu träumen.
Remus war durch diese Frage ebenfalls überrumpelt. Das war das Letzte, was er erwartet hatte. Normalerweise gingen ihm die Leute, besonders junge Menschen, aus dem Weg, wenn sie erfuhren was er war. Aber wie sollte er jetzt reagieren? Er zuckte mit den Schultern und sagte einfach: "Sicher doch, wir geben dir gern ein Autogramm, nicht wahr Severus?" Doch damit erntete er nur einen ich-töte-dich-Blick von seinem Kollegen.
"Für wen soll es denn sein?" Remus zückte einen Stift und lächelte.
***
Wenige Meter entfernt standen Hermine Granger und Ginny Weasley, die das ganze aus sicherer Entfernung beobachteten. DAS hätten sie nicht einmal von Ursula und Marie erwartet, obwohl diese sie am Vorabend noch über Snape und Lupin ausgefragt und erklärt hatten, dass sie die beiden Lehrer umwerfend süß fanden, auch wenn sie sie nur von Fotos her kannten. Sie waren total begeistert von der Tatsache, dass Lupin ein Werwolf war und Snape ein Zaubertränkemeister, der nebenbei bemerkt in der deutschen Zaubererpresse in den höchsten Tönen gelobt wurde. Hermine und Ginny hatten sich ziemlich zusammenreißen müssen, um nicht vor Schock tot umzufallen, als sie gewahr wurden, dass Snape in Deutschland eine Berühmtheit war und dass sie die Meinung der beiden über eben jenen nicht ändern konnten, trotz der Schauergeschichten über den Zaubertränkeunterricht.
"Ich glaub nicht, was ich da grad sehe", flüsterte Ginny entsetzt, als sogar Gewitterwolke Snape den beiden Mädchen sein Autogramm gab, mehr auf Drängen seines Kollegen. Aber nicht nur sie war starr vor Schreck. Hermine sah sich außerstande auch nur einen Muskel zu bewegen und gaffte mit offenem Mund und ungläubigen Augen auf die Szene, die sich nur wenige Meter vor ihnen abspielte.
***
"Hey, Vorsicht, es ist nicht gerade gesund, hier runterzufallen." Ein großer dunkelblonder Junge mit blauen Augen zog Draco zurück, der gefährlich strauchelte, als er die Treppe Richtung Große Halle hinunterging. Das glaub ich jetzt nicht. Träum ich noch? Draco blickte ungläubig auf die beiden Lehrer vor der Großen Halle und merkte dementsprechend nicht, wie dieser Junge ihn wieder in die reale Welt zurückzuholen versuchte.
"Halloooo! Jemand zu Hause?" Ein Fingerschnippen brachte den nötigen Erfolg.
"Was?"
"Hast du das öfter? Dir ist schon klar, dass Tagträumen nicht unbedingt förderlich für die Gesundheit ist, oder?"
"Ja ja." Draco war nicht wirklich bei der Sache. Er hatte so einiges zu verdauen. Zum einen hatte er erfahren, dass seine Mitbewohner - bis auf Erich - ‚Schlammblütler' waren. Zum anderen spielte sich grade eine Szene vor ihm ab, die die gängigen Theorien die um seinen Hauslehrer kursierten zu bestätigen schienen.
"Anscheinend haben die Briten nichts von Höflichkeit gehört. Nicht unbedingt ein guter erster Eindruck, meinst du nicht?"
"Bitte?" Draco kannte diesen Jungen. Er hieß Maximilian irgendwas und war einer der Schulsprecher der Schule, die gestern alle Schüler in ihre Unterkünfte gewiesen hatten.
"Draco Malfoy, nicht wahr? Ich hab schon viel von deiner Familie gehört. Ich bin Maximilian von Hohenzollern, Schulsprecher. Wie ich, zu meinem Bedauern muss ich sagen, feststellte, hat man dich wohl in das falsche Zimmer verfrachtet."
Draco brauchte nicht lange, um eins und eins zusammenzusetzen. Er wusste ganz genau, was Maximilian andeutete, dementsprechend erwiderte er: "Ja, wie es scheint hat man das." Mit einem überheblichen Lächeln streckte er seinem Gegenüber die Hand entgegen. "Freut mich dich kennenzulernen, Maximilian. Es lag nicht in meiner Absicht, dich in irgendeiner Hinsicht zu beleidigen. Ich war lediglich mit den Gedanken woanders."
Maximilian lächelte kalt und lud Draco ein, ihn zum Frühstück zu begleiten, um seine Freunde kennenzulernen. Nach einer kurzen Höflichkeitsphase begaben sie sich lachend - auch wenn dieses Lachen von kalter Natur war - zur Großen Halle und äußerten sich lautstark über ‚Schlammblütler, die es nicht wert sind, zu existieren' und andere kulturelle Unterschiede.
Seine drei Zimmerkollegen schauten ihn ein wenig perplex an, als Draco die Halle mit ihrem ‚schlimmsten Feind' betrat, offensichtlich gut gelaunt und befreundet. Sie hatten am Vorabend eigentlich nicht so einen Eindruck von ihrem englischen Austauschschüler erhalten.
Draco hingegen konnte spüren, wie Hermine auf seinen Rücken starrte. Er hatte sie erst bemerkt, als Maximilian und er die Halle schon betreten und er schon längst in seinen hochnäsigen Reinblütler-Modus gewechselt hatte. Shit! Für einen kurzen Moment überkam ihn ein Gefühl der Reue, dass er aber gleich wieder verdrängte. Idiot, was machst du dir darüber überhaupt Gedanken. Kann dir doch egal sein.
Trotzdem konnte er ihren verletzten Blick nicht vergessen…
***
Hermine hatte es gewusst. Draco hatte sich nicht verändert, seine Arroganz war immer noch dieselbe wie früher. Aber was hatte sie schon erwartet, dass ein paar nette Gesten die Anwandlungen des ich-bin-besser-als-du-Schlammblut Malfoy ändern würden? Holzkopf.
Sie schaute ihm noch einen Moment lang nach, bevor sie von Ursula zurück in die Realität geholt wurde.
"Hey, Hermine, wer ist das? Etwa dein Freund?"
"Was! Bist du noch zu retten? Nie im Leben. Wohl eher mein schlimmster Alptraum!"
"Wenn du das sagst… Aber er sieht irgendwie Julius Malfoy ähnlich, oder nicht?"
"Natürlich, ist ja auch schließlich sein Onkel."
"Ist nicht wahr…"
Sie wurden unterbrochen, als Marie und Ginny sie zu einem der Tische schoben. Sie mussten nicht lange warten bis Harry und Ron sich zu der Gruppe gesellten.
"Guten Morgen alle miteinander."
"Guten Morgen, du bist bestimmt Ron, nicht wahr?", fragte Marie und schaute dabei auf Rons rote Haare und dann auf Ginny.
"Ähm, ja, aber woher weißt du das?" Ron war sichtlich überrascht.
"Nun, Ginny hat uns so einiges über dich erzählt. Und du bist Harry, oder?"
Harry nickte und zog Ginny in eine liebevolle Umarmung, denn einen Kuss am Morgen wollte sich seine Freundin anscheinend nicht entgehen lassen. "Darf ich fragen, wer ihr beide seid?"
"Stimmt ja, hätte ich beinah vergessen."
"Ha, und mir was von Manieren erzählen wollen?", beschwerte sich Ursula lautstark.
"Hi, ich bin Ursula, und die da ist Marie Therese. Nennt sie einfach Marie. Wir sind die Zimmerkollegen von Ginny und Hermine."
Die Gruppe verfiel schnell in eine angeregte Unterhaltung, denn Ron und Harry wohnten nicht mit deutschen Schülern in einem Zimmer und mussten daher von den vier Mädchen auf den neusten Stand gebracht werden.
***
Severus Snape saß neben seinen Kollegen am Lehrertisch und musste sich zum x-ten Mal daran erinnern, warum er überhaupt mit nach Deutschland gekommen war. Wieder etwas, wofür ich Albus danken sollte.
Julius Malfoy war glücklicherweise an diesem Morgen außerhalb der Schule beschäftigt, daher musste er sich nur mit den anderen Lehrern abgeben, die er - wie er nun mal war - sofort für inkompetent hielt.
Mit seinem skeptischen Blick beäugte Severus die Schüler an den Tischen und stellte erneut fest, dass ihn die deutschen Mädchen immer wieder anschauten. Er war es nicht gewohnt, beobachtet zu werden, da er in Hogwarts jedem, der so etwas auch nur in Erwägung zog, seinen ‚tödlichen' Blick spüren ließ. Daher irritierten ihn die Blicke der Mädchen besonders, denn sie waren nicht, wie gewohnt, von Hass oder Furcht durchdrungen, sondern von… ihm fehlte die nötige Beschreibung… Wie hieß das noch gleich? Bewunderung?… Nicht ganz, aber das kam dem schon sehr nahe.
Als die Direktorin ihre Willkommensrede hielt, hörte er nur halbherzig zu. Vielmehr ließ er wieder einmal seinen Gedanken freien Lauf, bis Remus ihn wieder ‚aufweckte', als das Frühstück beendet war, und der Rundgang durch die Schule starten sollte.
Den Hogwartsschülern fielen die zahlreichen Blicke der deutschen Schüler - insbesondere die der Mädchen - auf, als Professor Lupin und Professor Snape vorgestellt wurden. Die Gryffindors fielen fast vom Stuhl als sie Marie und Ursula und ein paar andere Schülerinnen von Snape schwärmen hörten, und den kompletten Nachmittag lang vergeblich versuchten, die allgemeine Meinung über Snape zu korrigieren.
***
Den Nachmittag verbrachte der Großteil der deutschen Schüler damit, ihren neuen Freunden die Schule und das Gelände zu zeigen, während einige sich sogar dazu überreden ließen, Quidditch zu spielen. Kurz vor dem Abendessen, bei dem die Stundenpläne verteilt werden sollten, fingen die ersten Schüler an, sich Sorgen über die Wahl der Fächer zu machen. Vielleicht hatten sie doch die falsche Wahl getroffen. Doch die Fragen, die sie ihren deutschen Kollegen stellten, wurden nicht immer so beantwortet, wie sie erhofft hatten. Der Unterricht sollte - und würde - eine Überraschung werden.