Die nicht gerade kleine Gruppe von Zauberern und Hexen zog unangenehm viele Blicke auf sich, während sie am Hamburger Bahnhof auf den Zug Richtung Nürnberg wartete. Nicht nur, dass es sich hier um immerhin über sechzig Schüler handelte; ihr Interesse an den einfachsten Dingen, wie den Essensständen oder Elektrogeräten, ließ in den anderen Leuten die am Bahnsteig warteten den Gedanken aufkommen, es handelte sich wohl um so etwas wie Waisenkinder, die einen Ausflug machten.
Hermine, Harry und die anderen muggelbewanderten Mitschüler verbrachten den größten Teil ihrer Wartezeit - was davon noch übrig war nach ihrem ‚Ausflug' - damit, ihren Kameraden alles zu erklären, was es zu erklären gab. Einiges stellte sich jedoch auch für sie als neues Terrain heraus.
Besondere Aufmerksamkeit jedoch fiel den ‚Aufsichtpersonen' der Sechst- und Siebtklässler von Hogwarts zu. Mittlerweile waren McGonagall und Hooch zu dem Ergebnis gekommen, dass sie mit ihrer Gucci- Kleidung noch auffälliger waren, als ohnehin schon und hatten sich andere Kleidung zugelegt, sahen aber noch immer zu altertümlich aus.
"Warum schütteln die so mit dem Kopf, haben die irgendeine Krankheit?!", knurrte der Zaubertränkemeister düster.
Severus Snape hatte nach den Ereignissen dieses Tages nicht die beste Stimmung und die Zahl armer Muggel, die er heute schon mit seinem Blick ‚getötet' hatte, belief sich mittlerweile auf Hundert!
… Hundertundeins… hundertundzwei…
Remus Lupin gab es auf, weiterzuzählen. Nicht einmal seine Werwolfsform schien im Moment so furchterregend zu sein, wie ein von starrenden Muggeln genervter Snape.
Gemeinsam mit Minerva machte sich der Professor für Verteidigung gegen die Dunklen Künste noch einmal daran, zu überprüfen, ob auch wirklich alle Schützlinge den Weg zum Bahnhof gefunden hatten.
Nachdem er Neville Longbottom aus der Toilette hatte befreien können (wie schaffte es dieser Junge nur immer wieder, sich selbst in Teufelsküche zu hexen?!), schienen sie diesmal glücklicherweise komplett zu sein. Aber hatte Draco Malfoy nicht ein paar Koffer mehr bei sich gehabt?
Endlich kam Professor Malfoy mit den Fahrkarten und die Schüler wurden gebeten, einzusteigen. Hätte der Zug nicht so viel Verspätung gehabt, hätten sie es wohl nicht mehr rechtzeitig geschafft.
"Die Deutsche Bahn kommt immer zu spät", hatte Malfoy nur gelacht. "Das ist auch das Einzige, worauf man sich bei der verlassen kann." Und ich dachte immer, die Deutschen wären so pünktlich und diszipliniert!? dachte Hermine, während sie die Fahrkarten, die sie mit Draco unter den Schülern verteilen sollte, von ihrem Muggelkundeprofessor entgegennahm und hinter den letzten Schülern den Zug bestieg.
***
Endlich hatte Hermine Granger ihre Fahrkarten verteilt und konnte sich auf die Suche nach ihren besten Freunden begeben, die sich irgendwo in den hinteren Abteilen befinden mussten.
Harry und Ron hatten sich am Bahnhof noch schnell ein paar ‚Vorräte' für die lange Reise besorgt und die Schulsprecherin war sich sicher, dass Ron bereits dabei war, dafür zu sorgen, dass sie nicht ‚schlecht wurden'.
Vom Herumwandern im leicht schwankenden Zug war Hermine mittlerweile ganz mulmig im Magen, und sie wollte sich so schnell wie möglich hinsetzen…
"Was denn, Granger, noch nicht alle Karten verteilt?" Draco Malfoy trat aus einem der Abteile heraus, in dem eine Gruppe Hufflepuffmädchen gerade tuschelnd die Köpfe zusammensteckte, und zeigte mit einem spöttischen Grinsen auf die drei Fahrkarten in Hermines Hand.
Hermine grinste zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. "Eine ist für mich selbst und die anderen beiden sind für Harry und Ron. Wie es scheint, waren sie auf deiner Strecke und ich bezweifle, dass du ihnen ihre Fahrkarten hast zukommen lassen, oder?"
Draco tat so als wüsste er nicht, was sie meinte, aber Hermine konnte er nicht reinlegen.
"Die letzten beiden, denen ich noch Karten geben wollte, hatten seltsamerweise schon welche, ergo musstest du ihnen schon welche gegeben haben, Malfoy." Schade. Draco hatte gehofft, Potter und Weasley in Schwierigkeiten bringen zu können. Aber statt enttäuscht zu sein, grinste er noch breiter. "Ich wusste, du würdest so etwas von mir denken. Ich wollte deine Weltanschauung ja nicht zerstören."
Der Anblick von Potter und Wiesel, als er ihnen mit gespielter Untröstlichkeit gesagt hatte, dass er keine Fahrscheine mehr für die beiden habe, hatte Draco vollkommen gereicht. Er hatte einfach nicht widerstehen können, die beiden zu ärgern. Männer! Hermine rollte innerlich mit den Augen und seufzte. "Ihr solltet langsam das Kriegsbeil begraben, schließlich sind wir schon im siebten Jahr und keine Kinder mehr."
Damit wollte sich Hermine wieder auf den Weg zu ihren Freunden machen, als der Zug plötzlich mit einem lauten Quietschen eine Vollbremsung hinlegte.
Überrascht durch den unerwarteten Halt des Zuges verlor Draco das Gleichgewicht und wurde gegen Hermine gedrückt, bevor sie beide durch die Schwerkraft hart auf dem Boden landeten.
Als die schwarzen Punkte vor Hermines Augen langsam verschwanden und sie wieder deutlich sehen konnte, schaute sie in die klaren grauen Augen von Draco Malfoy, der sich auf die Hände gestemmt hatte und nun etwas unschlüssig über ihr hing. Keine Kinder mehr…
Als Draco nach einer Weile erkannte, dass er sich noch immer nicht bewegt hatte und Hermine ihm direkt in die Augen sah, lief sein Gesicht rot an und er stand hastig auf.
"Äh… A-Alles in Ordnung?"
Hermine nickte nur. Verdammt! Warum hab ich das jetzt gefragt?! Draco hatte schon wieder die Kontrolle verloren. Dabei war die Devise der Malfoys klar: 'Zeige nie Schwächen!' Schon gar nicht vor Schlammblütlern.
Sein Gesichtsausdruck wurde wieder kalt wie Eis. "Gut. Dann benötigst du meine Hilfe ja nicht." Und ohne sie weiter zu beachten verließ er den Wagon und schloss die Trenntür hinter sich. Irgendwie fühlte er sich mies.
Nachdem Malfoy verschwunden war, stand Hermine langsam auf. Sie spürte überall blaue Flecken. Wundervoll! Erst auf mich drauf fallen und dann einfach abhauen!
Aber einen kurzen Augenblick meinte sie, einen Hauch Sorge in Malfoys Augen gesehen zu haben. In seinen stahlgrauen Augen…
Hermines Herz war noch immer am pochen.
Gedankenverloren machte sie sich wieder auf den Weg, Harry und Ron zu finden.
***
"Achtung! Achtung! Es folgt eine Durchsage:
Auf Grund eines Notstopps bedingt durch eine Person auf der Fahrstrecke müssen Sie mit einer Verspätung von ca. 20 Minuten rechnen.
Wir bitten um Ihr Verständnis.
Danke."
Ein Mann mit wallendem blonden Haar und strahlend blauen Augen sah mit einem ebenso strahlend weißen, frohlockenden Lächeln den Mitarbeiter der Deutschen Bahn an.
Dieser war sich mittlerweile sicher, dass der ihn angrinsende Mann aus einer Irrenanstalt entkommen sein musste.
"Also… Sie wissen nichts außer Ihrem Namen, weil Sie durch einen ‚Memorial Charm' Ihr Gedächtnis verloren haben, aber Sie sollen eine Berühmtheit in der Zauberwelt sein, hab ich das richtig verstanden?"
"Oh, man sagte mir, es sei ein Memory Charm gewesen, aber ja, sonst stimmt alles, guter Mann." Grins. "Und es ist mir eine Ehre Ihnen ein Autogramm zu schreiben! Wo Sie sich doch extra die Mühe gemacht haben, allein zu diesem Zweck mit diesem…Ding… so weit zu fahren!" Und dabei plusterte er sich noch mehr auf und gab dem Mann sein bezaubernstes Augenzwinkern. Bildete es sich der Bahnmitarbeiter nur ein, oder blitzten seine Zähne wirklich?
Der Zugfahrer schaute genervt aus dem Zug heraus. "Was ist denn nun, kann ich bald mal weiterfahren?"
Der ebenso genervte Mitarbeiter wandte sich dem Fahrer zu, während der Verrückte die Wagen sehr interessiert begutachtete und so etwas wie ‚Interessant, wie läuft dieses Ding nur ohne Magie?' vor sich hermurmelte.
"Ein Irrer. Redet nur auf Englisch und bildet sich ein, ein Zauberer oder so zu sein. Müssen mal sehen, aus welcher Irrenanstalt der entkommen ist. Wir nehmen ihn bis zur nächsten Haltestelle mit und überlassen ihn da der Polizei, würd ich sagen."
Damit wandte der Mitarbeiter sich wieder zu dem blonden Mann um. Aber der war mit einem Mal nirgendwo mehr zu sehen. Der Bahnangestellte sah sich um, konnte aber den Mann einfach nicht mehr finden. "Komisch. Na, soll mir nur Recht sein, dann kann sich ein anderer mit ihm rumschlagen", und er gab das Zeichen zur Abfahrt.
Der Zug setzte sich wieder schwerfällig in Bewegung Richtung Hannover, wo seine Endstation lag.
***
Die Leute am Bahnhof Hannover wussten nicht, wie ihnen geschah, als eine seltsame Horde von über sechzig Jugendlichen und vier noch seltsamer aussehenden Erwachsenen über sie kam und hinter einem gut gekleideten, vornehm aussehenden Mann hinterher jagten, dass man meinen könnte, sie wollten diesen lynchen und ausrauben.
Severus Snape hätte Julius Malfoy nur zu gern umgebracht. Warum zum Irrwicht mussten sie auch auf Muggelweise reisen? Erst dieses verdammte Flugzeug, dann die Straßenbahn und jetzt dieser Zug, der Verspätung hat. Durch den Zwischenfall mit der Person auf den Schienen hatten sie nur noch fünf Minuten bis zu ihrer Anschlussbahn Zeit.
Gerade noch rechtzeitig erreichten die Zauberer und Hexen von Hogwarts ihren Zug und ließen sich schnaufend und schwitzend auf ihren Plätzen nieder.
***
Erleichtert, keine weiteren Zwischenfälle gehabt zu haben und froh, endlich am Ziel angekommen zu sein, sprangen die Schüler aus dem Zug und folgten mit ihren Lehrern ihrem Muggelkundeprofessor, der ihnen unterwegs begeistert von Nürnberg erzählte.
Nach einem ewig erscheinenden Wegmarsch durch Nürnberg erreichten sie endlich den Reichstag mit seinem großen Platz. Nach dem zweiten Weltkrieg, von dem die Sechst- und Siebtklässler schon ihm Unterricht gehört hatten, hatte man hier das deutsche Zaubereiministerium eingerichtet.
Für Muggel sah das Gebäudeinnere wie eine Baustelle aus, aber als Professor Malfoy sie in den hinteren Teil zu einem ‚Museumswächter' führte und seinen Stab vorzeigte, wies man sie durch eine verzauberte Wand wie die beim Hogwarts Express in einen großen Raum, der sich als Eingangshalle zum Zaubereiministerium herausstellte.
Staunend durchschritten die Schüler von Hogwarts die hohe imposante Halle und mussten an einem riesigen Schalter nach der Reihe ihre Zauberstäbe und Personalien registrieren lassen, während der Muggelkundeprofessor die lange Zeit nutzte, die restlichen Angelegenheiten zu regeln.
Endlich war auch der letzte Schüler von Hogwarts registriert und Julius Malfoy wandte sich freudestrahlend an die von der Reise erschöpfte Gruppe.
"So, Kinder, jetzt geht es mit dem Zug weiter Richtung Norden nach Münster, wo die Zauberschule von Hohenburg steht." Seine Schüler starrten ihn ungläubig an.
"WAAAAS?!", rief die Gruppe wie aus einem Mund, und die Stimmen hallten in der großen Halle, dass das gesamte Gebäude bebte und sich die Leute die Ohren zuhielten.
Am nächsten Morgen stand in der Nürnberger Zeitung, dass es im Reichstag spuke.
***
Hermine konnte ihr ‚Glück' kaum fassen. Neville Longbottom hatte es geschafft, sich selbst mit einem Erstarrungszauber zu belegen und so lag er nun auf zwei Sitzen Harry und Ron gegenüber. Ron hatte Hermine zwar angeboten, seinen Platz abzutreten, aber Hermine hatte abgelehnt. Wenn Harry und Ron nicht zusammen waren, fühlte sich die Schulsprecherin nicht wohl mit einem der beiden allein.
Und so war sie gerade auf der Suche nach einem neuen Sitzplatz, als ihr Draco entgegenkam.
"Wo hast du deine beiden ach so treuen Freunde gelassen, Granger?"
"Neville Longbottom hat sich starr gezaubert und liegt jetzt auf meinem Platz. Ich bin auf der Suche nach einem neuen."
Draco setzte einen abfälligen Gesichtsausdruck auf. "Typisch Gryffindor. Bringen sich immer selbst in Schwierigkeiten."
"Wenigstens verkriechen wir uns nicht sofort, wenn es Schwierigkeiten gibt."
"Slytherins sind nicht feige!"
Sowohl Hermine als auch Draco merkten in diesem Moment, dass sie wieder kurz davor standen, sich zu streiten. Eine unangenehme Stille setzte ein und die Gedanken der beiden gingen zurück zum peinlichen Erlebnis des Zugunglücks, als sie eine bekannte Stimme hörten.
"Draco, mein Junge, was stehst du da so im Gang herum? Suchst du einen Platz?"
Julius Malfoy stand mit ein paar Sachen zum Essen im Arm hinter ihnen im Gang und lächelte sie an.
"Komm doch zu uns, wir haben noch Plätze. Du kannst dich auch gerne dazu setzen, Hermine. Dann bringen Hermine und ich dir Kartenspiele bei, ne Hermine?" Dabei schlug er Hermine kurz auf die Schulter.
Noch bevor die beiden etwas einwenden konnten, schob ihr Muggelkundelehrer sie den Gang hinunter in ein kleines abgetrenntes Abteil mit fünf Sitzen und einem Tisch.
"Ah, Hermine, Draco." Professor Lupin begrüßte sie herzlich.
Hermine blickte verwundert auf die Person, die dunkel neben Lupin am Fenster saß und ihnen nur kurz zunickte, bevor sie sich wieder abwandte. Professor Snape war wirklich gut darin, jedem, den er ansah, das Gefühl zu vermitteln, er sei Schuld an seinen Problemen.
Severus Snape wünschte, die Zugfahrt wäre endlich vorbei.
Bei Minerva war kein Platz mehr gewesen und bei den Schülern hatte der Zaubertränkemeister unmöglich sitzen können, also war ihm nur noch Malfoy übriggeblieben.
Und um nicht mit Malfoy allein zu sein, hatte er auch noch Lupin mit ins Abteil geschleppt.
Draco und Hermine setzten sich, Draco neben Professor Lupin, Hermine neben Professor Malfoy. Die Welt spielt verrückt, dachte Hermine mit einem Blick in die Runde. Snape sitzt freiwillig neben Lupin, und Draco lieber neben Lupin als neben seinem eigenen Onkel.
"Hier, Remus, die hab ich aus Versehen gekauft, obwohl ich die gar nicht mag. Aber du magst die, glaub ich, ganz gern, oder?" Julius streckte dem Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste eine Tafel Schokolade hin.
Remus starrte auf die Schokolade in der Hand des Muggelkundeprofessors. "Ja, schon… Bist du dir sicher, dass du sie nicht willst?"
Professor Malfoy nickte ihm aufmunternd zu.
Remus Lupin nahm die Schokolade zögernd an. Alle Augen waren auf ihn und Malfoy gerichtet. "Äh… Danke… Julius."
Gedanken erfüllten den Raum. Warum starren die alle so?
Geht es noch auffälliger!!?
Remus Lupin? Ist das sein Ernst?!
Ein Malfoy der so nett ist, macht mir Angst.
Operation Lieblingsschokolade: Voller Erfolg!
Lupin betrachtete noch einmal misstrauisch die Schokolade und öffnete sie dann, um ein Stück zu probieren. Wow! Die schmeckte wirklich gut. Mit einem Lächeln wandte er sich an die anderen, ein weiteres Stück im Mund.
"Schokolade?"