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Kapitel 6: Die Autofahrt Teil 1
Am Samstag machte sich Severin bereits gegen 13.40 Uhr an seinem Wagen zu schaffen, um zu überprüfen, dass nicht wieder irgend welches Viehzeug dort sein Quartier aufgeschlagen hatte. Aber diesmal musste er nur eine der Hogwarts-Katzen unter der Motorhaube hervorzerren, die sich dort zum Schlafen eingerichtet hatte und nicht einsah, warum sie diesen kuscheligen Platz verlassen sollte. Sie hatte ihre Krallen in irgend etwas unter der Motorhabe geschlagen und fauchte protestierend. Dann hatte Severin den Stubentiger endlich heraus, welcher mit hoch aufgerichtetem Schwanz beleidigt davon stolzierte, und der Wagen war einsatzbereit. Er stieg ein und ließ gerade den Motor anspringen, als die Eingangstür des Schlosses aufflog, laut an die Mauer krachte und Harry, Ron und Hermine herausgesprungen kamen. Anscheinend hatten sie den Anschluss nach Hogsmeade verpasst und beeilten sich nun, ihren Kameraden hinterherzukommen. Als sie allerdings bemerkten, dass der Pontiac sich gerade anschickte, vom Gelände zu rollen, blieben alle Drei abrupt stehen, um zuzusehen.
Severin hielt neben ihnen an. "Nach Hogsmeade?", fragte er und setzte sich die Sonnenbrille auf.
Die drei Kinder nickten.
"Dann hüpft rein, ich bring euch schnell hin."
Das ließen sich die Drei nicht zweimal sagen und kletterten geschwind in den Wagen.
An einem der oberen Fenster stand derweil Severus Snape und beobachtete die Vorgänge vor dem Schloß. 'Was soll das denn?', fragte er sich unwirsch. 'Hat der vergessen, dass wir verabredet sind? Oder will er diese Gören etwa mitnehmen?' Der Gedanke daran, den Nachmittag auch noch mit dreien seiner "Lieblingsschüler" zu verbringen, trug nicht dazu bei, seine Laune zu heben.
Mit gerunzelter Stirn sah er zu, wie der schwarze Wagen mit den juchzenden Kindern von dannen brauste. Enttäuscht wandte er sich ab. War ja klar, dass man ihn vergessen würde. War ja klar, dass die Verabredung mit ihm nicht so wichtig war, dass man sie auch einhalten musste. Wieso sollte sein neuer Bruder da eine Ausnahme machen.
Andererseits hatte er sich nun schon seit Tagen darauf eingestimmt, heute seine Zeit außerhalb der Mauern Hogwarts zu verbringen. Also würde er jetzt zumindest spazieren gehen. Einfach so. Ohne Ziel.
Ron, Hermine und Harry hatten einen Mordsspaß auf der Fahrt nach Hogsmeade. Durch das offene Verdeck und die hohe Geschwindigkeit, war es fast ein bisschen wie Besen-Fliegen, nur viel bequemer. Am Ortseingang kam der Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen und die drei Kinder stiegen aus.
"Wow, war das cool", freute sich Ron lautstark. "Können wir das nicht öfter machen?"
"Mal sehen", lächelte Severin, winkte ihnen noch einmal zu, wendete den Wagen und fuhr zurück, um sich mit seinem Bruder zu treffen.
Severus verließ das Schloß und wanderte in Richtung Haupttor. Er trug seine übliche schwarze Kleidung und seine schwarze Robe - und war damit definitiv zu warm angezogen. Am Haupttor angekommen entdeckte er - zu seiner Verblüffung - den schwarzen Sportwagen. Daneben stand Severin, lässig an das Auto gelehnt und schaute Severus lächelnd entgegen.
Snape war recht überrascht, was er sich natürlich nicht anmerken lassen wollte. "Ach, da bist du ja wieder. Ist dir unsere Verabredung wieder eingefallen?", fragte er stattdessen sarkastisch.
Severin blinzelte verwundert. "Wieso sollte ich denn nicht kommen?"
"Ich habe dich zufällig mit den Gryffindor-Kindern wegfahren sehen."
"Ich hab sie nur nach Hogsmeade gebracht. Zu Fuß wären sie fast eine halbe Stunde unterwegs gewesen. Mit dem Wagen war das in 5 Minuten erledigt." Severin ging um das Auto herum und ließ sich in den Fahrersitz sinken.
Severus war überrascht. Angenehm überrascht. Er war also doch nicht vergessen worden. Das war eine völlig neue Erfahrung für ihn. Hmm, vielleicht war sein Bruder doch anders, bestimmt aber nur, weil er einfach sein Bruder war. Machte das Sinn? Er schämte sich in Gedanken, dass er Severin mit allen anderen über einen Kamm geschoren hatte, obwohl er ihn eigentlich kaum kannte. Severin hatte ihn bisher nicht angelogen und ihm schien wirklich etwas an seiner, Severus', Gesellschaft zu liegen. Severus war es nicht gewohnt, dass irgendjemand wirklich etwas mit ihm zu tun haben wollte.
Er blieb stehen und betrachtete das Muggelauto jetzt zum ersten Mal richtig. Es sah aus der Nähe betrachtet wirklich nicht schlecht aus. Das Gleiche konnte man ohne Weiteres auch von Severin behaupten, musste Severus sich eingestehen. Den Gedanken behielt er jedoch tunlichst für sich. "Na schön", sagte er gelassen zu Severin und versuchte seiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben, als würde er weder den Wagen noch Severin im Stillen bewundern. Und vor allem wollte er verbergen, dass er sich jetzt doch freute. "Und wo fahren wir jetzt hin?", fragte er und es gelang ihm, ein wenig seines üblichen spöttischen Untertons in die Stimme zu bekommen.
"Keine Ahnung", antwortete Severin und kramte im Handschuhfach herum. "Ein bisschen die Landschaft ansehen?"
"Ein bisschen die Landschaft ansehen? Na gut, meinetwegen", entgegnete Severus und machte sich am Wagen zu schaffen. Aber er wusste einfach nicht, wie er die Tür aufbekommen sollte. "Was ist denn das für ein verdammter Muggelkram?", schimpfte er vor sich hin. Das ging ja gut los.
Severin grinste, beugte sich hinüber und drückte die Tür auf.
'Ah, so funktioniert das also', dachte Severus überrascht. Laut sagte er in abwertendem Tonfall: "Hat sicher eben geklemmt. Typischer Muggelkram." Er setzte sich auf den Beifahrersitz, verstaute umständlich seine langen Beine und sämtliche Stoffbahnen seiner voluminösen Kleidung und schlug anschließend die Tür zu.
"Klar, die klemmt öfter mal", grinste Severin. ‚Vor allem wenn man am Türrahmen, statt an der Türklinke herumzerrt', fügte er in Gedanken amüsiert hinzu. Er reichte seinem Bruder eine dunkle Sonnenbrille herüber. "Hier, damit die Sonne nicht so blendet", meinte er.
Dankbar nahm Severus sie entgegen. Selbst hatte er keine, weil er selten rauskam und so eine Brille sowieso wieder Muggelkram war. Aber heute schien die Sonne doch recht heftig und blendete ihn.
"Darf ich vorstellen", grinste Severin nun und zeigte zwischen dem TransAm und Severus hin und her, "Severus - Sid, Sid - Severus."
"Das Auto hat einen Namen?", fragte Severus und konnte die Überraschung in seiner Stimme jetzt doch nicht mehr unterdrücken.
"Ja, er bestand darauf", meinte Severin und startete den Motor. Um Severus nicht gleich zu überfordern, ließ Severin den Wagen erst mal langsam anrollen und fuhr dann mit gemütlichen 30 km/h die Landstraße entlang. Der Motor war kaum zu hören und es war, als ob der super-gefederte Wagen über die Straße schweben würde.
Severus war beeindruckt, wie bequem und angenehm man mit diesem Muggelding reisen konnte, auch wenn er das natürlich ebenfalls nicht zugeben würde. Er war - im Gegenteil - sehr darum bemüht, seinem Gesicht ein gleichmütiges Aussehen zu geben. Das war allerdings recht schwierig, weil er gleichzeitig damit beschäftigt war, das Cockpit des Wagens aufmerksam zu betrachten, mit all den Anzeigen, Knöpfen, Schaltern und was es sonst noch alles zu sehen gab. Er hätte zu gerne gewusst, wozu das alles gut war. Aber er versuchte so zu tun, als ob er sich genau auskennen würde. "Hmmm ... ich frage mich wie es kommt, dass dieses Ding aus der Ferne betrachtet so viel schneller aussieht als es in Wirklichkeit fährt. Naja, typisch Muggelkram halt. Hier drin finde ich es eher ziemlich lahm, besonders im Vergleich zu einem Feuerblitz, findest du nicht auch?" Er sah Severin herausfordernd von der Seite an. "Ich wundere mich, wie die Muggel es schaffen, damit pünktlich irgendwo anzukommen. Oder wie sie überhaupt ankommen. Da muss man ja Tage vorher losfahren," bemerkte er schließlich, um das Gespräch in Gang zu bringen. Und Sarkasmus lag ihm nun mal am meisten.
Severin warf ihm einen Seitenblick zu und ein teuflisches Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Ein Grinsen, das Severus gewarnt hätte, wenn er sich selbst öfter in manchen Situationen im Spiegel hätte betrachten können.
Severus sah das Grinsen von Severin. Er konnte es jedoch nicht richtig deuten und wunderte sich darüber. Es beschlich ihn eine dunkle Vorahnung, dass es sicher nichts Gutes verhieß.
"Würdest du dich bitte anschnallen?", fragte Severin katzenfreundlich.
Severus wurde ein wenig heiß, was allerdings nicht an seiner warmen Kleidung lag, sondern daran, dass er keine Ahnung hatte, was Severin gerade von ihm verlangte bzw. erwartete. Er wollte aber immer noch nicht zugeben, dass er von Muggelautos Null Ahnung hatte. Also versuchte er logisch zu denken. Es könnte bedeuten, dass er sich irgendwie an seinem Sitz befestigen sollte. Aber wie? Ah ganz einfach, mit Magie natürlich. Er zog seinen Zauberstab, murmelte etwas und schon schoss ein dünnes Seil aus dessen Spitze, das sich mehrmals um Severus' Hüfte und den Sitz schlang und dann von selbst verknotete.
Severus war ausgesprochen stolz auf seinen Einfall und versuchte, unauffällig zu Severin zu schauen, um zu prüfen, ob der das genauso sah.
Severin konnte seinen Lachanfall nun nicht mehr zurückhalten, nein, jetzt nicht mehr. Er mußte so lachen, dass er Mühe hatte, den Wagen ruhig auf der Straße zu halten Also lenkte er ihn an den Straßenrand und hielt an, während er kichernd auf dem Lenkrad lag und versuchte, sich wieder zu beruhigen. "So geht es natürlich auch", japste er atemlos.
Severus fragte sich, was zum Henker denn so komisch sei. "Was amüsiert dich denn so? Hab ich irgendwas verpasst?", fragte er etwas distinguiert und ärgerlich zugleich.
"Nein, laß mal", meinte Severin kichernd, winkte nun mit seinem eigenen Zauberstab und befreite Severus von seinen Fesseln. Dann beugte er sich über ihn hinweg und zog den Gurt der Beifahrerseite über den Zaubertränkemeister und ließ ihn einrasten. "So geht es besser", meinte er dann grinsend. "Ist sicher auch bequemer." Nun schnallte er sich selbst auch endlich an.
Severus hätte sich ohrfeigen können. Wie begriffsstutzig und weltfremd war er eigentlich? Das war ein Muggelauto. MUGGEL! Die müssen natürlich einen Ersatz für Magie haben. "Na schön, fährt's denn damit jetzt schneller?", fragte er leicht genervt, um die peinliche Situation zu überspielen.
"Klar", meinte Severin trocken, lenkte das Auto zurück auf die Straße und brachte den Wagen fast aus dem Stand innerhalb von 7 Sekunden auf 170 km/h.
Die Beschleunigung des Wagen drückte Severus in den Sitz und verschlug ihm kurz den Atem. Aus tiefstem Herzen entfuhr ihm ein ehrliches und beeindrucktes "WOW!"
Severin warf ihm einen amüsierten Blick von der Seite zu. Diesen Kommentar war er gewohnt - egal ob er von einem Zauberer oder von einem Muggel kam. "Ist fast wie Feuerblitz-fliegen, was? Nur bequemer. Also ich weiß ja nicht wie du es siehst, aber ich liebe das. Könnte den ganzen Tag so in der Gegend herumfahren", plauderte er, während er die Kurven schnitt, um nicht die Geschwindigkeit drosseln zu müssen. "Schade, dass hier keine Autobahn in der Nähe ist, sonst könnte ich noch locker Einiges mehr an Geschwindigkeit rausholen. Aber bei den Kurven hier ist das zu gefährlich."
Severus wurde ein wenig mulmig zumute. Gut, mit einem Besen konnte man auch schnell fliegen, aber man hatte immerhin selbst die Kontrolle darüber. Hier war er völlig machtlos. Ein schwummeriges Gefühl bemächtigte sich seines Magens. "Fährt ja wirklich verdammt schnell. Hätte ich nicht gedacht." Er versuchte herablassend zu klingen. Allerdings war er bereits um die Nase noch blasser als das bei ihm sowieso der Fall war. "Wie sieht's denn mit den Bremsen aus?", fragte er, um elegant einen Weg zu finden, seinen Bruder zu langsamerer Fahrt zu bewegen. Sollte das nicht gelingen, musste er ihn um seines Magens Willen in den nächsten Minuten bitten, ganz anzuhalten
Severin beobachtete seinen Bruder aus dem Augenwinkel und registrierte sehr wohl die typischen Anzeichen, wenn jemand von seinem Fahrstil überfordert wurde. Also drosselte er den Wagen auf gemütliche 80 Km/h, da er sich ja eigentlich auch nicht mit der Muggelpolizei anlegen wollte. "Hat gute Bremsen, der Wagen", meinte er beiläufig.
Severus war seinem Bruder sehr dankbar. Auch wenn er das nicht zu zeigen vermochte. Er genoss eine Weile nur die Fahrt, legte die Hände in den Schoß und schloss hinter der Sonnenbrille kurz die Augen. Der nun angenehme Fahrtwind trug dazu bei, dass er sich wieder etwas besser fühlte. Er öffnete die Augen wieder und betrachtete erneut neugierig das Armaturenbrett und die Mittelkonsole zwischen den beiden vorderen Plätzen. Er konnte nicht anders, er musste sie einfach berühren. Also streckte er neugierig die Hand aus. Das bereute er augenblicklich, denn er hatte wohl irgendeine Taste gedrückt und aus der Mittelkonsole kam eine flache silberne Scheibe herausgeflogen, die Severus geistesgegenwärtig auffing. "Was ist denn das wieder für ein Schund?", fragte er sich halblaut.
"Das ist Musik", meinte Severin trocken. "Muß ich mal reparieren lassen. Die CD kommt doch etwas schnell heraus."
"Musik?" Severus sah aus wie ein lebendes Fragezeichen. "Seit wann ist so was bitte Musik? Ich würde eher sagen, dein Auto fällt auseinander." Er versuchte die Silberscheibe wieder dahin zurückzustopfen, wo sie hergekommen war, aber das gelang ihm natürlich auch nicht.
Severin nahm ihm schnell die CD aus der Hand, bevor Severus ihm damit noch den Player endgültig zerwürgte, dann schob er sie sachte richtig herum wieder hinein und nach einigen Sekunden dröhnte Kylie Minogues "Can't Get You Out Of My Head" aus den Boxen.
Severus war nun endgültig platt. Da kam tatsächlich Musik heraus. Mit welcher Magie hatte Severin denn das jetzt geschafft? "Sag mal, warum beschäftigst du dich eigentlich soviel mit solchen Muggeldingen?"
Severin drehte die Musik etwas leiser. "Weil sie Spaß machen und weil sie doch oft das Leben ungemein erleichtern. Man kann mit Magie 'ne Menge machen, aber eben nicht alles. Und für den Rest haben die Muggel in den letzten hundert Jahren tolle Erfindungen gemacht, wodurch man oft Magie gar nicht braucht, selbst wenn es dafür welche gibt."
Severus machte ein Gesicht, das nur allzu offensichtlich zeigte, dass er trotz allem nichts von den Muggelerfindungen halten wollte. Die waren seiner Meinung nach bestenfalls ganz amüsant, aber Magie konnten die garantiert nicht ersetzen. "Aber wir sind Zauberer! Wir brauchen doch so ein Zeug gar nicht. Magie kann von Muggelsachen niemals ersetzt werden. Sieh dir doch nur mal dieses Auto an." Er machte eine abfällige Handbewegung über die ganzen Armaturen und Knöpfe. "Viel zuviel Schnickschnack. Das braucht doch kein Mensch. Es weiß doch sicher keiner wozu das alles gut ist." Im nächsten Augenblick hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. "Also, nicht dass du denkst, dass ich keine Ahnung davon hätte. Ich weiß das natürlich", fügte er deshalb schnell hinzu und hoffte inständig, dass er sich nicht noch mal so blamierte, wie mit dem Anschnallen. Er wollte nur einfach nicht hinter Severin zurückstehen. Es wurmte ihn ungemein, dass so ein Wicht, der auch noch so aussah wie er, Severus, mehr Ahnung von etwas hatte. "Und außerdem ist dein tolles Anschnalldings kaputt", setzte er noch hintendran.
"Wieso ist es kaputt?", fragte Severin irritiert.
"Schau mal." Severus zog an dem Gurt und konnte ihn natürlich problemlos von sich wegdrücken. "Der hält nicht. Da waren mir meine Zauberseile doch sicherer. Die waren wenigstens nicht lose."
Severin grinste und machte eine Vollbremsung.
Severus wurde schlagartig nach vorne in den Gurt gedrückt, der mit einem Mal überhaupt nicht mehr nachgiebig war, sondern keinen Millimeter nachgab und Severus fest an die Rückenlehne presste.
"Was hast du denn? Funktioniert doch", kommentierte Severin und erhöhte wieder die Geschwindigkeit.
"Was ist denn das wieder für eine komische Muggel-Erfindung?" grummelte Severus nach Luft japsend vor sich hin und zu Severin gewandt sagte er: "Und woher weiß das Anschnalldings, wann es locker sein kann und wann es wichtig ist, dass es straff bleibt? Du kannst mir doch nicht erzählen, dass das keine Magie ist. Gib zu, du hast den Wagen verzaubert."
Severin wollte gerade antworten, als die Musik plötzlich von alleine aus ging und stattdessen eine seltsame Melodie zu spielen anfing.
"Was ist jetzt los?", fragte Severus misstrauisch. Dieses Auto wurde ihm langsam unheimlich. Er hoffte, dass er hier wieder heil herauskam. Er fühlte sich extrem den Launen dieses Autos und zu allem Überfluss auch noch denen seines Bruders ausgeliefert. War das am Ende der Grund, warum er doch ein wenig mehr über all das lernen wollte?
"Telefon", brummte Severin, drückte auf einen der vielen Knöpfe und fragte dann laut: "Hallo, Snape hier?"
Severus wollte ihm gerade mitteilen, dass er wüsste, dass Severin sich auch Snape nenne, als plötzlich eine weibliche Stimme von irgendwoher erklang: "Hi Sevvie, hier ist Kathryn. Du weißt schon, letzte Woche in der Disco.... Du hast mir deine Telefonnummer gegeben."
Severin schien einen Moment nachzudenken. "Oh, ja.... Kathryn.... Kathy, wie geht's denn?"
"Gut. Wo bist du gerade?"
"Ich fahre grad durch Schottland", antwortete Severin und grinste verschmitzt zu Severus hinüber.
"Mit deinem tollen schwarzen Ami-Schlitten?"
"Ja, genau mit dem."
"Ich wollte nur fragen, ob wir uns mal wiedersehen könnten", fragte Kathy nun.
"Klar können wir. Was hältst du von.... ähm.... nächsten Samstag um Zehn vor der Disco?"
"Ja, klasse. Ich freu mich. Tschühüß."
Die Verbindung wurde unterbrochen und Severin grinste seinen Bruder an. "Und das ist noch ein Grund, weshalb ich mit diesem Muggelauto statt auf 'nem Besen unterwegs bin: Er hilft unheimlich dabei, Sahneschnitten aufzureißen."
"Sahne.....schnitten.... aufreißen???" Severus verstand kein Wort.
"Mädchen beeindrucken", erklärte Severin amüsiert. "Ich meine, es klingt doch irgendwie besser, wenn ich sage ‚hey, ich hab nen TransAm', als wenn ich sagen würde ‚hey, ich hab nen Besen', findest du nicht auch? Und auch das Telefon ist eine coole Erfindung. Ich meine, mit Eulen hätte das eben viel zu lange gedauert und man hätte erst was schreiben müssen, sich die passenden Worte ausdenken und so weiter und so fort, und ein Kamin, um sich direkt zu unterhalten, ist im Moment auch nicht in der Nähe. Aber mit einem Handy kann man ganz spontan, wann und wo immer man will oder gerade ist, mit jemandem sprechen oder innerhalb von ein paar Sekunden eine Nachricht abschicken. Also ich weiß ja nicht wie du das siehst, aber ich finde das toll."
Severus brummte irgendetwas Unverständliches vor sich hin. Irgendetwas Seltsames ging in ihm vor und das machte ihm Angst. Er hatte niemals in seinem ganzen Leben Interesse an irgendwelchen Muggelsachen gehabt. Aber jetzt, da er in einem Muggelauto saß und Muggelmusik hörte, da fand er das alles gar nicht mehr so verachtenswert wie bisher. Er sah auf die Landschaft. "Mädchen beeindrucken.....", murmelte er vor sich hin. Frauen hatten sich für ihn bisher nie interessiert. Manchmal störte ihn das, denn bisweilen hätte er gerne jemanden mit dem er sein Leben teilen könnte. Aber mittlerweile war er so an die Einsamkeit gewöhnt, dass es wahrscheinlich eher schwierig wäre, wenn plötzlich jemand da wäre. Er betrachtete Severin aus dem Augenwinkel. "Wann hast du eigentlich vor erwachsen zu werden?", grummelte er vor sich hin.
"Hey, ich bin erst 35", lachte Severin daraufhin. "Und du auch, wenn ich mich recht entsinne. Das ganze Leben liegt noch vor uns und das mit dem Erwachsenwerden hat auch noch Zeit - mindestens die nächsten 30 Jahre schätze ich mal."
Severus dachte nach. 30 Jahre wollte Severin sich mit dem Erwachsenwerden noch Zeit lassen. Er selber hatte mit 17 Jahren erwachsen werden müssen - als er den größten Fehler seines Lebens beging.
"Schön, dass du dir das leisten kannst. Nicht jeder kann das", bemerkte er bissig. "Zudem sehe ich auch keinen Sinn darin."
"Du siehst in vielen Dingen keinen Sinn", meinte Severin trocken. "Dummerweise genau in den Dingen, die das Leben lebenswert machen. Versuch doch mal ein bisschen lockerer zu werden..."
Das zerrte jetzt gewaltig an Severus' Nerven. Also schaute er einige Minuten nur schweigend zur anderen Seite über die vorbeiziehende Landschaft. "Müsste nicht irgendwo am Auto ein Fuchsschwanz hängen?", fragte er nach einer Weile. Er hatte das irgendwann mal bei den Schülern aufgeschnappt.
"Hatte ich mal", grinste Severin. "Hat Sid aber abgeschüttelt?"
"Wieso?"
"Ist ein stolzer Wagen."
"Aha...."
"Aber er mag Eulen."
"Äh...... ??"
"Wo ich vorher war, haben die ihn in die Eulerei eingeladen", erklärte Severin grinsend. "Hat er natürlich angenommen, ist hochgeflogen und hat, um sich durchzuzwängen, die halbe Wand der Eulerei eingerissen. Filch war stinksauer.
"Filch? Unser Filch?"
"Äh, Flint meinte ich. Der Hausmeister dort hieß Flint. Na jedenfalls, die blöden Viecher haben Nester in ihm gebaut - in dem Wagen, nicht in Flint -..... und mir sämtliche Radiosender verstellt."
"Radiosender?"
"Ja, ich hasse Countrymusic."
"Was ist das?"
"Ach, nur eine komische Musik, auf die Muggelbauern in Amiland abfahren. Hast du schon mal Eulen Square Dance tanzen sehen? Kein schöner Anblick sag ich dir."
Severus schüttelte nur verständnislos den Kopf. Okay, er war in Muggelsachen ein herumwandelnder Narr, das hatte er jetzt bereits zwei Mal eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Er fragte sich, ob es noch schlimmer kommen konnte. Dass Severin wieder etwas schneller fuhr, machte ihm wieder Angst. Während er über eine Antwort nachgrübelte, suchte er nach etwas zum Festhalten. Erleichtert fand er zwischen den Sitzen eine kleine Stange, die dafür prima geeignet schien. Er packte sie, wobei sie ein Stück nach oben nachgab. Im nächsten Augenblick fing der Wagen an zu schlingern, komische Geräusche zu machen und es stank extrem nach verbranntem Gummi.
Der erschrockene Severin hatte alle Hände voll zu tun, den schockierten Wagen unter Kontrolle zu bringen. Zum Glück war er ein versierter Fahrer und es gab keine Straßenbäume, so dass es nichts ausmachte, dass er zwei - drei Mal über den Fahrbahnrand hinwegschlidderte, bis der Wagen endlich stand. Anschließend ließ er die Hände in den Schoß sinken und starrte für einige Momente nur geradeaus. Dann tätschelte er den unruhig vor sich hin blubbernden Wagen. "Ist ja schon gut, Sid. Reg dich wieder ab. Kriegst nachher einen Satz neuer Reifen."
Das wirkte. Der Wagen schien wirklich ruhiger zu werden. Jedenfalls klang das leise Motorengeräusch des im Leerlauf laufenden Autos jetzt wieder viel gleichmäßiger.
Severus schaute nun wirklich betreten aus der Wäsche. "Tut mir leid", murmelte er. Aber er brachte es einfach nicht übers Herz Severin mal einfach offen und ehrlich über das Auto auszufragen.
Dieser hatte sich nun wieder gefangen und drehte sich langsam zu Severus um. "Okay, nachdem du jetzt herausgefunden hast, wo die Handbremse ist und was passiert, wenn man sie bei voller Fahrt benutzt, erkläre ich dir jetzt den Rest. Also..." Er zeigte auf das Armaturenbrett und erläuterte Severus geduldig sämtliche Anzeigen, Lichter, Knöpfe, Hebel und was es sonst noch gab. Dann drückte er auf einen Knopf und ein kleiner Bildschirm klappte sich aus der Mittelkonsole heraus. "Und hier kommen wir jetzt zum Navigationssystem. Siehst du den kleinen blinkenden Punkt dort? Das sind wir. Ich könnte jetzt nach dem Weg nach... öhm.... Inverness oder so fragen und das System zeigt den direkten Weg dorthin. Aber da wir ja nur herumfahren, brauchen wir den Navigator nicht. Sollten wir uns wirklich verfahren, können wir ihn immer noch nehmen, oder einfach zurückfliegen. Von oben kann man Hogwarts bestimmt sehen.
"Ja, fliegen wäre zur Abwechslung mal gar nicht schlecht." Dieser Satz kam aus Severus' tiefster Seele. Aber auch ansonsten zeigte er sich sehr beeindruckt und fragte Severin schüchtern nach der einen oder andern Kleinigkeit. Als Severin fertig war, fuhr er wieder an und ließ den Wagen gemütlich die Landstraße entlanggleiten. Sie unterhielten sich ungezwungen und fuhren eine Weile einfach nur so herum.
Dann bremste Severin plötzlich den Wagen ab und lenkte ihn rechts von der Straße auf einen schmalen Weg. "Hey, schau mal, sieht das nicht absolut toll aus?", fragte er und zeigte nach vorne. Vor ihnen lag ein Bergsee, der von teils sanften Hügeln, teils schroffen Bergen umgeben war, die sich in ihre Richtung öffneten.
Severus konnte nicht leugnen, dass es ihm hier ebenfalls gefiel. Abgelegen, einsam und wunderschöne Natur. "Ja, das ist wirklich herrlich", antwortete er ehrlich begeistert.
Severin lenkte den Wagen langsam bis dicht ans Ufer und hielt dann an. Er öffnete die Wagentür und stieg aus. Kaum hatte er den Rücken gedreht suchte Severus fieberhaft nach einer Möglichkeit diesen Gurt (oder Anschnaller) loszuwerden. Wenigstens diesen kleinen Triumph wollte er behalten. Aber er gab entnervt auf, als Severin sich nach ein paar Schritten Richtung See wieder zum Wagen umdrehte und auf ihn zukam. Er öffnete Severus' Tür, beugte sich über ihn und tat so, als ob er etwas in der Mittelkonsole suchen wurde. Dabei löste er nebenbei Severus' Gurt, der gehorsam in sein Gehäuse zurückrollte. "Ich habe was im Kofferraum, einen Picknickkorb. Wenn du willst, können wir hier eine Weile bleiben und den schönen Sommertag genießen.
"Ja, warum nicht?", gab Severus zur Antwort und war froh erst einmal aus dem Wagen herauszukommen. Er streckte seine Beine. Jetzt, ohne den Fahrtwind, merkte er erst wie warm es war. Doch noch wollte er sich seiner Robe nicht entledigen. Im Stillen freute er sich unheimlich an so einem herrlichen Ort zu sein. Severin hatte derweil den Picknickkorb aus dem Kofferraum geholt und Severus half ihm sogar die Decke am Ufer auszubreiten. Dann ließen sich beide darauf nieder.
Severin zog allerlei Leckereien aus dem Picknick-Korb: Obst, kalten Braten, Hühnchen, eine Flasche Wein, etwas Kuchen, Wasser und noch einiges mehr.
Nachdem sich beide bedient hatten, schaute er seinen Bruder aufmerksam an. "Hast du Lust, mir etwas über dich zu erzählen?", fragte er möglichst freundlich, da er ja inzwischen schon gelernt hatte, wie schnell sein Doppelgänger unwirsch wurde oder sogar jähzornig.
Severus glaubte sich verhört zu haben - und rein gewohnheitsmäßig schrillten seine sämtlichen Alarmglocken los. "Wie.... ich soll dir was von mir erzählen? Warum denn das? Wir kennen uns doch überhaupt nicht!" zischte er.
"Genau. Das ist ja der springende Punkt. Wir sind Brüder und kennen uns überhaupt nicht." Severin schaute seinem Bruder offen in die Augen.
Der Typ wollte doch glatt in seine Privatsphäre eindringen. 'Na, dann drehen wir den Spieß mal um', dachte sich Severus. "Was würdest du denn sagen, wenn ich dich das gleiche frage? Würdest du mir denn irgendwas über dich erzählen wollen?", fragte er mit einem spöttischen Grinsen.
Severin zuckte gleichmütig mit den Schultern und angelte sich ein Hühnerbein. "Was immer du willst - sofern ich es dir nicht schon am ersten Abend in der Großen Halle erzählt habe."
Severus überlegte. Ja, er erinnerte sich noch dunkel an das Gespräch am ersten Abend. Vor allem daran, wie sehr es ihm auf die Nerven gegangen war, dass Severin ihm in einem Rutsch ohne Punkt und Komma seine ganze Lebensgeschichte aufgedrückt hatte. Ohne Rücksicht darauf, dass er die gar nicht hören wollte. Er interessierte sich zwar noch immer nicht übermäßig für seinen neuen Bruder, aber er konnte ihn ja trotzdem etwas ausfragen. "Wo hast du denn all das mit den Muggelsachen gelernt?" Das interessierte ihn allerdings mehr, als er zugeben wollte.
"Nun... na ja, ich treibe mich ständig in der Weltgeschichte herum und - sind wir doch mal ehrlich - der größte Teil der Welt ist von Muggeln bewohnt. Also kommt man da zwangsläufig mit ihnen in Berührung. Außerdem hatten meine Eltern auch keinerlei Berührungsängste wenn es um Muggel und deren Lebensweise ging. So bin ich damit aufgewachsen und deshalb ist der Umgang damit für mich etwas ganz natürliches. Ich liebe die Verbindung von Magie und Muggeltechnik. Okay, das hiesige Ministerium steht dem etwas - nun ja - kritisch gegenüber. Ist mir aber herzlichst egal. Mein Wagen braucht kein teures Benzin sondern läuft mit Magie, genau wie mein Handy, der Computer und alles andere. So spart man eine Menge Kosten." Severin grinste.
"Was ist ein Computer?" fragte Severus vorsichtig, in der Hoffnung, sich nicht schon wieder eine Blöße zu geben. Und ärgerte sich anschließend wieder, dass er heute ständig schneller drauflos plapperte als er dachte.
Severin schien sich aber nichts dabei zu denken. Er schaute nachdenklich über den See. "Ähm, Computer, ja das ist jetzt nicht so leicht zu erklären. Jedenfalls nicht mit ein paar einfachen Worten. Er ist eine Art Informationsspeicher, Arbeitserleichterung und - mit dem richtigen Zubehör - ein Tor zur Welt. Aber ich glaube es ist besser, wenn ich es dir bei Gelegenheit einfach zeige." Severin schaute seinen Bruder neugierig an. "Und jetzt würde ich gerne was von dir wissen."
"Und was willst du nun von mir wissen?" erkundigte sich Severus, denn er hatte echt keine Ahnung was er von sich erzählen sollte. Das meiste würde er eh nicht preisgeben. Aber vielleicht fragte Severin ja nur was unverfängliches.
Severin dachte nach. Es gab eine Menge, das er über Severus gerne wissen wollte. Aber ihm war auch klar, dass dieser sicher nicht viel über sich erzählen würde. "Ich weiß nicht. Erzähl einfach...", sagte er dann. "Irgend etwas. Ich weiß ja gar nichts über dich. Da ist alles für mich interessant."
Severus sah ihn erstaunt und immer ungläubiger an. "Interessant.... für dich...." echote er etwas hilflos. Bisher hatte sich noch nie ein Mensch wirklich für ihn interessiert.
Doch Severin lächelte nur und nickte ihm auffordernd zu.
"Na ja," begann er, "ich habe halt fast mein ganzes Leben in Hogwarts verbracht. Ich bin da zur Schule gegangen, habe meinen Abschluss gemacht und dann bin ich da Lehrer geworden. Also nichts interessantes."
Severin lächelte ihm aufmunternd zu. "Doch ist es. Hogwarts scheint mir ein schöner Ort zu sein. Ich kann mir vorstellen, dass du gerne hier bist. Wie war deine Kindheit hier?" Neugierig sah er seinen Bruder an.
Severus grinste ein wenig, weil Severin sich tatsächlich für sein banales, ihm selbst oft wertlos erscheinendes Leben interessierte. Er überlegte, was er nun antworten könnte. Sollte er ihm wirklich erzählen, dass seine Kindheit hier keinesfalls schön gewesen war. Er war meist ein Außenseiter gewesen. Richtig gemocht hatte ihn kaum jemand, außer sein damaliger bester Freund Lucius Malfoy.
"Na ja", begann er schließlich zögerlich, "es war schon ganz nett hier..." Ihm war nun eindeutig zu heiß und er zog seine Robe aus. Dabei passte er allerdings nicht auf und schon war der linke Ärmel seines Hemdes hochgerutscht und gab den Blick auf das Dunkle Mal frei. Severus verstummte augenblicklich.
Severin hatte das Dunkle Mal kurz gemustert, und sich dann wieder dem See zugewandt, während Severus schnell seinen Ärmel wieder herunterzog und sich in Gedanken für seine Unaufmerksamkeit verfluchte. Soweit er wusste war Severin ein Auror und Severus fiel auf, dass er keine Ahnung hatte, ob sein Bruder eingeweiht war, oder nicht.
Nach einigen Minuten brach Severin das Schweigen. "Sag mal, warum ist dein Leben eigentlich so aus dem Ruder gelaufen? Ich meine, an welcher Stelle fing dein Leben an, in die falschen Bahnen abzudriften?" Severin schaute seinen Bruder freundlich und offen an. In seinem Blick war nur Interesse zu erkennen und keinerlei Hauch von Wertung und Verurteilung. "Du musst natürlich nicht darauf antworten.
Severus fühlte sich hilflos und vor allem etwas überrumpelt. Er hatte eine Menge Reaktionen erwartet, von Abscheu über offen gezeigten Ekel, totale Ablehnung bis zur sofortigen Verhaftung, falls Severin nicht eingeweiht war, aber dass Severin ihn freundlich ansah und einfach nur fragte, was denn in seinem Leben falsch gelaufen war, verunsicherte ihn total. Meinte er es ehrlich, oder wollte er ihn jetzt nur ausfragen und dann seiner Pflicht als Auror nachkommen? Severus wusste es nicht.
"Was weißt du über mich.....ich meine, hat Professor Dumbledore dir je etwas über mich erzählt?", fragte er schließlich schüchtern.
Severin nickte leicht. "Ja, hat er. Er meinte, es wäre wichtig, dass ich Bescheid wüsste, bevor ich hier her käme. Ich hatte es nur wieder vergessen, bis ich eben dein Mal sah. Ich muss dir dazu erklären, dass ich mich bisher in völlig anderen Teilen der Welt aufgehalten habe und deshalb diese ganze Voldemort-Sache für mich viel zu abstrakt ist, als dass ich mir dazu ein Urteil erlauben kann. Wie ich bei unserem ersten Gespräch schon erwähnte, hatten wir in China einige Jahre lang Stress mit einem Schwarzmagier. Ich kann allerdings nicht beurteilen, ob man ihn mit eurem Voldemort vergleichen kann. Ich fragte auch nur, weil ich neugierig bin und gerne mal aus erster Hand erfahren möchte, wie man an so jemanden gerät. Ich habe das schon oft gesehen beziehungsweise davon gehört. Bei den Muggeln passiert so etwas auch häufiger, als man annehmen sollte, dass irgend so ein Sektenguru den Leuten den Himmel auf Erden, ein privilegiertes Leben nach dem Tod oder sonst irgend einen Quatsch verspricht, oder ihnen einredet, etwas besonderes und besseres als andere zu sein, aber nur, wenn sie ihm folgen, und die Menschen strömen diesen Typen in Scharen zu. Ich vermute mal, dass es da durchaus Parallelen zu diesem Voldemort gibt. Mich würde einfach nur interessieren, was es bei dir war. Du erscheinst mir eigentlich wie jemand, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen steht und sich nicht so schnell für dumm verkaufen lässt. Was war es bei dir?" Severin schaute seinen Bruder mit unverhohlenem Interesse an.
Severus blickte betreten zu Boden. Dann nahm er einen Schluck Wein und starrte in den Himmel. Aber weder auf dem Boden noch am Himmel erschien plötzlich eine Leuchtschrift, die ihm erklärte was er sagen sollte. Schließlich setzte er zögerlich zum Sprechen an.
"Na ja, ich habe eben ein wenig gelogen..... meine Kindheit in Hogwarts war nicht wirklich schön....." Er zögerte und fuhr mit trauriger Stimme fort: "Weißt du eigentlich wie es ist, keine Freunde zu haben? Immer allein zu sein und von niemandem gemocht zu werden, egal was man tut?"
Severin schaute betreten zu Boden. Nein, er konnte sich das wirklich nicht vorstellen. Seine eigene Kindheit war glücklich gewesen. Er hatte Freunde gehabt, mit denen er eine Menge Blödsinn angestellt und massenhaft Spaß gehabt hatte.
Mit gesenktem Kopf sprach Severus leise weiter. "Na ja, und irgendwann konnte ich nicht mehr, ich war es so leid, immer nur jedermanns Blödmann zu sein. Es gab da einen Jungen mit dem ich doch etwas besser auskam, als mit den anderen. Er hieß Lucius...... wir haben uns tatsächlich angefreundet. Er war der Kopf einer ganzen Clique von Jungs, die immer zusammenhielten und mit denen sich nie einer anlegte. Mir wurde viel zu spät klar, dass es Lucius nie um mich persönlich ging. Er war nicht so gut in der Schule und nutzte mich nur aus. Ich machte seine Hausaufgaben mit, dafür hielt er die anderen davon ab, mich ständig zu ärgern oder zu verprügeln. Irgendwann reichte ihm das nicht mehr. Um richtig zu ihnen zu gehören sollte ich den letzten Schritt machen und mich ihrem Lord anschließen. Dann würde ich nie wieder Probleme aber eine Menge Freunde haben." Severus blickte zu Boden und zupfte an einem kleinen Faden an seiner Hose herum.
"Severus, du warst damals ein Kind", suchte Severin bedrückt nach Worten. "Kinder sind leicht zu beeinflussen, vor allem dann, wenn die Aussicht auf Freunde und Anerkennung lockt."
"Es hätte mir damals klar sein müssen, dass es nie richtige Freunde sein würden. Lucius' Clique war zwar untereinander schon sehr befreundet, aber eben auch nur untereinander. Ich habe damals nicht begriffen, dass da für mich nie ein Platz war. Aber ich war so froh, endlich mal irgendwo dazuzugehören und einen tollen Freund zu haben....... einen Freund, der mich dann dazu zwang mit 17 Jahren einen irrsinnigen Fehler zu begehen." Severus' Stimme wurde immer leiser.
Severin war etwas näher gerückt und strich seinem Bruder tröstend über den Rücken. Er wußte nicht, ob dieser die Berührung zulassen würde, aber das würde er schon früh genug merken, wenn Severus ihn fortstieß. Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Was hätte er auch sagen sollen? Er konnte sich ja nicht einmal richtig in Severus hineinversetzen, weil seine eigene Jugend so völlig anders und entgegengesetzt verlaufen war. "Aber du hast aus eigener Kraft den Weg zurück gefunden und das ist die Hauptsache", sagte er leise. "Und mit dem was du jetzt tust, diese Spionagesache, damit beweist du einen unglaublichen Mut. Ehrlich, ich weiß nicht, ob ich diesen Mut aufbringen würde."
Severus blickte starr auf den See. Wenn man genau hingesehen hätte, hätte man sehen können, dass sich in seinem linken Auge eine Träne gebildet hatte. Er hatte die Berührung von Severin genossen. Doch dann schüttelte er den Kopf und sagte: "Das ist freundlich von dir. Aber was ich getan habe, kann man nicht einfach mit ein paar Worten wegwischen. Egal. Ich muss damit leben und will nicht andere damit belästigen." Seine letzten Worte klangen trotzig und in seine Stimme war wieder der abweisende Ton eingezogen, den Severin von ihm kannte.
"Du belästigst mich nicht", erwiderte Severin und begann damit, das Geschirr und die Reste des Picknicks in den Korb zurück zu sortieren. "Ich will das was du getan hast auch nicht mit ein paar Worten wegwischen. Es ist geschehen und du wirst damit leben müssen. Aber es ist Vergangenheit und du hast, wie ich hörte, inzwischen schon eine Menge getan, um es wieder gut zu machen. Du solltest aufhören, dieser Vergangenheit nachzuhängen und einen Neuanfang versuchen. Ich würde dir gerne dabei helfen..."
Severus sah ihn dankbar an. Zum ersten Mal sah er ihn überhaupt direkt an und schaute ihm offen in die Augen. "Du stellst dir das etwas zu einfach vor. Für mich gibt es sicher nicht noch mal eine Chance auf einen Neuanfang." Er half Severin die Sachen zusammenzupacken. "Aber... ob du's glaubst oder nicht... du bist der erste, der mir überhaupt eine geben will. Mal abgesehen von Dumbledore, der immer an mich geglaubt hat. Gott weiß warum."
Severin lächelte seinem Bruder zu. "Dumbledore wird schon wissen, warum. Er kennt dich wahrscheinlich besser, als du dich selbst."
Severus dachte nach. Dass Dumbledore ihn besser kannte als er sich selbst konnte er sich zwar kaum vorstellen, da er sich oft selbst nicht kannte, aber ganz ausgeschlossen erschien es ihm nicht. Ein seltsames Gefühl überkam ihn plötzlich. Es war eine Woge der Dankbarkeit für Dumbledore.