Prolog
Erzählt von Albus Dumbledore
Der Winterwind peitschte den eisigen Regen gegen die Fenster meines Büros. Seit Severus Beerdigung waren nun fünf Tage vergangen und das Wetter hatte sich nicht gebessert. Ein Wintersturm jagte den nächsten.
Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken und versuchte meine verspannten Schultern ein wenig zu lockern. Die letzten paar Tage hatte ich fast ununterbrochen an meinem Schreibtisch gesessen.
"Verdammte Ignoranten!" fluchte ich leise, als ich den nächsten Beschwerdebrief überflog. Was ging es die Eltern der Schüler an, wer auf dem kleinen Friedhof am Waldrand begraben lag. Tote konnten doch keinem mehr etwas tun. Warum nur, konnte die ‚feine Gesellschaft' nicht endlich Ruhe geben?
Ja, ich fühlte mich allein. Auch wenn Severus kein sehr geselliger Mensch gewesen war, so hatte er mir doch ab und zu zugehört und mir den einen oder anderen Rat gegeben, wenn mich etwas bedrückte... Gut, es waren viele im Schloss, zu denen ich hätte gehen können, die mir auch sehr gerne helfen würden, aber es war nicht dasselbe. Zwischen Severus und mir war etwas spezielles gewesen. Auch wenn ich es nie genau hatte definieren können. Es war etwas gewesen, was nur wir beide teilten.
Mit fahrigen Bewegungen legte ich die Brille ab, presste meine brennenden Augen zusammen und rieb meine Nasenwurzel. Einen Moment verweilte ich, versuchte an nichts zu denken...
KLATSCH!
Ich schreckte hoch. Mein Herz hämmerte wie wild und ich blickte mich keuchend um.
Da! Etwas Schwarzes war in meine Fensterscheibe geflogen. Rasch griff ich nach meiner Brille, setzte sie auf und ging mit weichen Knien hinüber zum Fenster. Vorsichtig öffnete ich es und hob das Tierchen hoch.
"O-oh... was ist denn dir passiert...", flüsterte ich, schloss das Fenster und kniete mich vor den Kamin. Dort legte ich das Tier vorsichtig ab.
"Ein Rabe... wie seltsam..."
Langsam zog ich den Zauberstab und liess ihn über den kleinen durchnässten Körper gleiten. Er lebte noch. "Gott sei Dank!" stiess ich erleichtert hervor.
Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Minerva hatte mich schon immer einen ‚abergläubischen alten Kauz' genannt. Und wenn sie mich jetzt so erwischt hätte, dann hätte sie wieder mal einige Munition für unsere kleinen Hänseleien gehabt.
Der Rabe bewegte sich ein wenig. Er schüttelte erst den Kopf, dann rappelte er sich auf und spreizte seine Flügel.
"Na mein Kleiner? Noch unter den Lebenden?"
Eine weisse Feder! Mein Herz setzte kurz aus.
Der Rabe hatte tatsächlich eine weisse Feder in seinem rechten Flügel.
"Black Moon?" fragte ich heiser. Ich hatte mir nie Gedanken darum gemacht, wo Severus' Rabe abgeblieben war und jetzt, ausgerechnet heute knallte er gegen mein Turmfenster. "Grundgütiger..."
Black Moon schüttelte sich nochmals, legte den Kopf schief und beobachtete mich mit seinen schwarzen Knopfaugen. Vorwurfsvoll krächzte er und hielt mir sein Bein hin.
Ich verengte die Augen. Post? Er brachte mir Post? Von wem? Da sein Besitzer nicht mehr unter den Lebenden weilte, wurde ich vorsichtig. Mit einem Zauber löste ich das aufgeweichte Pergament von Black Moons Bein und überprüfte den Brief auf dunkle, bösartige Zauber, doch.... nichts.... Er war sauber.
Mit spitzen Fingern entfaltete ich das Pergament und erstarrte als ich die geschwungene Handschrift erkannte. Auch wenn die Tinte ein wenig zerlaufen war, konnte man doch noch deutlich die Zeilen entziffern:
Mein lieber alter Freund,
ich hoffe, Sie verzeihen mir meine kleine Täuschung...
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich weiterlas. Das konnte doch nicht sein. Nicht wirklich....
Meine Hände zitterten und ich spürte wie mir Tränen der Erleichterung in die Augen schossen.
Immer und immer wieder überflog ich die Zeilen im PS. Er hatte es tatsächlich geschafft. Was ich nie zu hoffen gewagt hatte war gelungen. Er war diesem Teufelskreis entkommen. Eigentlich hätte ich erleichtert sein müssen, doch ich spürte wie der Ärger in mir aufwallte. Hätte er diesen Brief nicht eher schicken können? Weiss der Geier wie viel Zeit ich aufgewendet und wie manches nervraubendes Gespräch ich mit dem Minister für Zauberei geführt hatte, nur um Severus' Leiche frei zu bekommen. Ich hatte mir stundenlang, tagelang Vorwürfe gemacht und um ihn getrauert. Ich hatte alles daran gesetzt, dass ich ihn wenigstens hier in Hogwarts beerdigen konnte und nun? Nun war alles für nichts gewesen...
Doch auf einmal lachte ich laut auf und schüttelte den Kopf. Was war ich doch für ein alter Narr - ärgerte mich darüber, dass Severus die Frechheit besass, am Leben zu sein. Nach und nach begriff ich: Er hatte es wirklich geschafft! Alle hatten den Tod von Severus Snape geglaubt. Nicht nur wir hier. Alle! Auf den Papieren war er tot. Es gab keinen Severus Snape mehr. Jedoch einen nun endlich freien jungen Mann, der sein Leben noch vor sich hatte. Ein Leben, dass bis vor kurzem nichts weiter als ein flüchtiger Traum gewesen war.
Ich erhob mich und streute Black Moon eine Handvoll Körner hin, die er gierig aufpickte und lächelnd lehnte ich mich gegen den Kaminsims Ein letztes Mal las ich Severus Zeilen, dann segelte das Papier langsam hinunter in die gierig züngelnden Flammen. Bald war nichts mehr davon übrig, als ein dunkles Häufchen Asche und das war gut so. Niemand sollte davon erfahren, das Severus noch lebte. Dies war ich ihm schuldig.
Später, als ich gemütlich in meinem Sessel sass und dem Rauschen des Regens lauschte, hob ich mein wohlverdientes Glas Cognac und flüsterte: "Machs gut, mein Junge. Ich wünsche Dir alles Glück dieser Welt!"
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