Kapitel 62: Und am Schluss bleibt...
Und dann geschahen einige Dinge fast gleichzeitig. Harry sah das grüne Licht auf sich zukommen, unfähig seine Augen vor dem Unvermeidlichen zu verschliessen. Wie aus dem Nichts wuchs ein Schatten vor ihm aus dem Boden und er hörte eine quiekende Stimme rufen:
"Finite Incatatem!"
Augenblicklich fiel die Starre von Harry ab. Er blinzelte automatisch und dann sah er, wie Wurmschwanz tot auf dem Boden lag.
"Wurmschwanz, du Idiot!" dröhnte Voldemort.
Harry war völlig verblüfft über diese unerwartete Wendung. Peter Pettigrew, der Verräter seiner Eltern, hatte ihm soeben das Leben gerettet und dabei, sei es durch einen Unfall oder Willen, sein eigenes Leben verloren. Aber er überwand seine Verblüffung scheinbar schneller als Voldemort, weil dieser noch immer vor Wut zu kochen schien. Noch während er sich aufrappelte, schrie er: "Stupor!"
Voldemort wurde vom Fluch mitten in den Magen getroffen, flog einige Meter zurück und blieb benommen liegen.
"AVADA..."
"NEIN!!!"
Die beiden fast simultanen Ausrufe und ein lautes Krachen ließen Harry herumfahren. Malfoy lag bewegungslos neben einem umgeworfenen, schweren Eichentisch. Zwischen ihm und Harry stand Dobby. Er war seinem früheren Herrn zugewandt und hatte die Arme abweisend geöffnet. "Master Malfoy hat keine Macht mehr über Dobby. Harry Potter hat Dobby befreit. Dobby lässt es nicht zu, dass ihr Harry Potter etwas antut. Dobby kann jetzt zurückschlagen. Master Malfoy wird seine Hauselfen nie mehr herumkommandieren."
Harry lächelte den Hauselfen, der nun zu ihm herüber sah, erleichtert an. "Danke Dobby."
"Glaubst du wirklich, dass mich deine Kinderzaubersprüche besiegen werden, Potter? Du bist nicht mächtig genug, um es mit Lord Voldemort aufnehmen zu können", höhnte Voldemorts Stimme von seiner Ecke her. Harry sah, wie der dunkle Magier wieder auf die Beine kam und einen wütenden Blick in Richtung des gefallenen Malfoys lenkte. Voldemort sah zu Harrys Entsetzen kaum beeinträchtigt aus und grinste ihn böse und selbstsicher an. "Du hast mich überrascht, das muss ich zugeben. Nun aber bin ich gewarnt. Noch einmal schaffst du das nicht."
Entschlossen stellte sich Harry wieder dem Kampf, doch so langsam wurde er nervös. Er hatte seine ganze magische Macht in den Stupor gelegt und hatte Voldemort noch nicht einmal angekratzt. Wieder fragte er sich, warum er ohne Verstärkung dem mächtigsten dunklen Zauberer der Welt gefolgt war. Snape hatte sich immer lautstark darüber aufgeregt, dass er sich in gefährliche Dinge stürzte, ohne darüber nachzudenken. Doch diesmal war es anders gewesen. Snape selbst hatte ihn dazu verleitet Voldemort zu folgen. Wahrscheinlich blind in seinem Wunsch nach Rache. Und nun? Harry bezwang den Drang, zu dem noch immer am Boden kauernden Zauberer zu sehen.
"Ich bin nicht so einfach zu besiegen, Voldemort. Das wirst du noch gleich merken." Harry gab sich alle Mühe zuversichtlicher zu klingen als er sich fühlte. Wenn er Voldemort lange genug aufhielt, dann konnte er eventuell den anderen ausreichend Zeit geben, um ihnen zu Hilfe zu kommen.
Voldemort lachte schrill und zischend. "Falls du auf die Prophezeiung anspielst; ich habe lange mit Malfoy darüber geredet. Sie ist nicht wichtig. Ich werde dich töten und dann hat sich das ganze erledigt."
"Prophezeiung? Was für eine Prophezeiung?" fragte Harry perplex.
Voldemort lachte nur noch lauter. "Der alte Narr hat dir nicht davon erzählt? Das ist ja so köstlich. Wollte dich wohl wieder einmal vor der schrecklichen Wahrheit beschützen."
Harry fühlte die Wut in sich hoch lodern wie eine Fackel im Wind. Scheinbar wusste Voldemort etwas, was er nicht wusste. Etwas Wichtiges, das ihm mal wieder vorenthalten wurde.
"Wovon redest du?"
Voldemort sah ihn sehr arrogant und zugleich amüsiert an. "Da gab es eine Prophezeiung über dich und mich, weißt du? Ich kannte nur einen Teil davon, doch bevor ich alles in Erfahrung bringen konnte, musste ich erkennen, dass der alte Narr den einzigen Abdruck davon im Ministerium abgeholt und zerstört hat. Er will dich immer beschützen, aber es klappt einfach nicht. Nicht wahr Harry? Dafür bist du zu sehr ein Gryffindor und stürzt dich nur zu gerne in das offene Feuer. Albus kann dich nicht schützen, genauso wenig wie deine Eltern. Weißt du, warum ich sie getötet habe, Harry? Es ging nicht um sie, sondern um dich."
Harry sog scharf den Atem ein und ballte die Faust fest um seinen Zauberstab, doch Voldemort sprach unbeirrt weiter.
"In der Prophezeiung ging es darum, dass ein Kind, auf dessen Beschreibung du genau passtest, mir eines Tages Schwierigkeiten machen könnte. Deshalb wollte ich dich damals töten. Deine Eltern standen mir im Weg. Also siehst du? Alles war deine Schuld. Deinetwegen starben deine Eltern. Wärst du nicht gewesen, würden sie noch leben."
Die Flamme der Wut war nun zur gleißenden Feuersbrunst geworden. Voldemort log. Er war der einzige, der Schuld war am Tod seiner Eltern. Dieses Monster. Dennoch hallten die letzten Worte des dunklen Magiers immer wieder in seinem Kopf herum. Wärst du nicht gewesen, würden sie noch leben.
"Du lügst. Es ist nicht meine Schuld!" schrie er aus. "Avada Kedavra!"
Ein schwächlicher, blassgrüner Funke sprang aus Harrys Zauberstab und verpuffte im Nichts. Wieder lachte Voldemort höhnisch. "Aber, aber, Harry. Man muss töten wollen, damit der Fluch Erfolg hat. Das kannst du nicht, nicht wahr, mein Junge? Schau mal. Ich zeige dir, wie es geht." Und damit lenkte der dunkle Magier seinen eigenen Zauberstab auf Harry.
"Avada Kedavra!"
Harry war wütend, aber auch verwirrt. Wie sollte er diesen mächtigen Zauberer besiegen, wenn seinetwegen sogar seine Eltern sterben mussten. Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit sah er, wie der grüne Strahl von Voldemorts Todesfluch seinen Zauberstab verließ und auf ihn zukam. Harry wusste, dass er sich ducken sollte, doch seltsamerweise gehorchten seine Beine diesem Instinkt nicht. Er konnte es doch nicht zulassen, dass der Tod seiner Eltern umsonst gewesen war. Seinetwegen war Voldemort in Godrics Hollow aufgetaucht. Weil sie ihn verteidigt hatten, waren sie tot. Er musste sich ihrem Opfer, ihrer bedingungslosen Liebe würdig erweisen.
Die Luft um ihn schien wärmer zu werden und er hatte das Gefühl, als würden sanfte, liebevolle Hände aus warmer Luft seine Hand mit dem Zauberstab vor seine Brust halten, während etwas in einer zärtlichen Stimme lautlose Worte in seinen Geist flüsterte. Aus den Augenwinkeln glaubte er Rons roten Schopf und Hermines buschige Haare zu sehen, doch es war nicht mehr als das Spiegelbild eines Traums und verblasste sofort wieder in seinem Geist. Alle Kälte und Angst wich von ihm und ein allumfassendes Gefühl von Wärme und Geborgenheit raubte ihm fast den Atem.
Er bekam nur wie aus weiter Ferne mit, wie der grüne Lichtstrahl die Spitze seines Zauberstabes traf, so als würde er von dort angezogen und absorbiert. Die Zeit schien stillzustehen und alles wurde ganz weiß und ruhig, mit Ausnahme seines wild schlagenden Herzens und dem überlauten Rauschen seines Blutes in seinen Ohren.
Und dann gab es einen furchtbaren Knall und ein Funken speiender Strahl zuckte wie ein wilder, gepeinigter Drache zurück zu Voldemort.
Die Augen des dunklen Magiers weiteten sich in Überraschung, bevor er von dem Blitz eingefangen wurde. Ein markerschütternder Schrei erfüllte den Salon und ließ die Fenster beben, kurz bevor Voldemort, eingehüllt in das grüne Licht, in einem zischenden Feuerball explodierte.
Die Wucht der Explosion riss Harry von den Füßen und er landete hart auf seinem Rücken. Der Zauberstab in seinen Händen entflammte sich in einer einzigen Stichflamme und Harry ließ ihn mit einem Schmerzensschrei fallen.
Er klapperte auf den blankpolierten Boden und Harry sah zu, wie sein Zauberstab innerhalb weniger Sekunden zu einem schwarzen Häufchen Asche verbrannte. Danach herrschte gespenstische Stille.
Harrys ganzer Körper tat weh und er fühlte sich über alle Massen erschöpft. Schwer atmend liess er seinen Kopf auf den Boden sinken und schloss die Augen. Nur eine Sekunde ausruhen.
Und dann war da wieder die sanfte Berührung warmer Luft, die ihn umhüllte und zu streicheln schien. Sich in seine Knochen einnistete und einen Teil seiner Schmerzen und Erschöpfung vertrieb.
‚Das hast du gut gemacht, mein Sohn.'
Sofort fuhr Harry hoch. "Was, wer?" Aber da war niemand. Er hätte allerdings schwören können, dass er eine hauchzarte, weibliche Stimme gehört hatte. War es Einbildung? Oder war es etwa... Er erinnerte sich an das Gefühl der Geborgenheit, beinahe als wenn er gehalten würde, von... "Mom", flüsterte er fast unhörbar, doch er bekam keine Antwort. Mit einem letzten, tröstenden Streicheln verschwand die warme Luft langsam wieder und dann war es vorbei. Er saß auf dem kalten Marmorboden von Malfoys Salon, alle seine Knochen taten weh, so als ob er soeben einen Marathon gelaufen wäre, und Voldemort...
Voldemort war verschwunden. Nur ein paar Fetzen verbrannten Stoffs und ein verstreutes Häufchen Asche waren dort zu sehen, wo einst der mächtigste dunkle Zauberer der Welt gestanden hatte. Konnte es wirklich wahr sein? War Voldemort tot? Unwillkürlich fasste er sich an seine Narbe. Kein Stechen oder Brennen mehr? Keine Visionen durch die verfluchte alten Wunde? Im Moment fühlte er auf jeden Fall nur das normale, leicht geknitterte Gewebe einer gewöhnlichen Narbe.
Aber wenn es wirklich vorbei war, warum freute er sich dann nicht? Warum fühlte er nur Melancholie in seinem Herzen und das Gefühl von Verlust? Doch in demselben Augenblick, in dem er sich die Frage gestellt hatte, wusste er auch die Antwort. Der Preis war zu hoch gewesen. Er war sich sicher, dass es seine Eltern gewesen waren, die ihm geholfen hatten, Voldemort zu besiegen. Das hatten sie nur tun können, weil sie tot waren.
Und welchen Preis hatte Snape bezahlen müssen? Harry war sich sicher, dass ihn das Bild des gebrochenen Mannes für den Rest seines Lebens verfolgen würde. Er war sich auf einmal bewusst wie viel Mist er gebaut hatte. Solch großen Mist, dass er einem Mann schlimmeres angetan hatte als den Tod. Er hätte es nie für möglich gehalten so zu denken, aber im Moment glaubte er wirklich, dass es besser für Snape gewesen wäre, wenn er die durchschnittene Kehle nicht überlebt hätte. Wie sollte er nur jemals wieder dem Zaubertränkemeister entgegentreten und in die Augen sehen können?
Mit einem mutholenden, tiefen Atemzug, drehte er sich zu dem Mann um. Zuerst sollte er wohl besser mal schauen wie sich der Zaubertränkemeister verhielt.
Eigentlich hatte Harry gehofft, dass sein früherer Lehrer von selbst aus seiner Starre erwachen würde, nun da Voldemort tot war. Und dass er ihn nicht eigenhändig vom Boden hochklauben musste. Sein Wunsch wurde ihm jedoch nur teilweise erfüllt. Snape war tatsächlich wieder auf den Füßen, doch war er weit davon entfernt aus seiner horrorerfüllten Starre erwacht zu sein. Obwohl er sich langsam etwas zu sammeln schien und wieder so etwas wie ein Bewusstsein in die schwarzen Augen schlich, war es offensichtlich, dass er sich weiterhin nicht wehren konnte. Malfoys psychische Fesseln über ihn waren zu stark.
Auch war er nur darum auf den Füßen, weil er von niemand anderem als Lucius Malfoy aufrecht gehalten wurde.
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