Kapitel 44: Ihr wollt WAS?
Es dauerte über eine Dreiviertelstunde, bis Poppy mit müdem Gesicht in das Wohnzimmer trat. Sofort war Albus auf den Füssen, hielt aber seine drängenden Fragen zurück, als die Krankenschwester sich unelegant in einen der Sessel fallen liess.
"Sirius, wärst du so gut und würdest Madame Pomfrey einen Tee holen?" fragte er leise und der Animagus nickte und verschwand in der Küche. Dumbledore blieb stehen und studierte sie eindringlich, ihren müden und traurigen Blick bemerkend. Müde, aber nicht hoffnungslos, schloss er ein wenig erleichtert. Er wartete bis Sirius wieder seinen Platz neben Harry auf dem Sofa eingenommen hatte. Der ehemalige Herumtreiber würde auch informiert werden müssen und Poppy sollte sich nicht wiederholen müssen. Nachdem sie einen Schluck Tee genippt hatte und zufrieden seufzte, den Geschmack und die entspannende Wirkung des heissen Getränkes geniessend, sah sie zu ihm auf und lächelte schwach. "Er wird es überleben, Albus."
Albus schloss kurz die Augen, als sich ein tonnenschweres Gewicht von seinem Herzen zu lösen schien, und so seine unbewussten Ängste beruhigt wurden. Ein geflüstertes "Gott sei Dank" von Harry zeigte ihm, dass es dem Jungen nicht anders ging. Harry lächelte schief, die Erleichterung war klar in seinen Augen zu lesen und Sirius legte ihm aufmunternd den Arm um die Schulter.
"Siehst du, Harry. Snape ist ein Überlebenskünstler. Den bringt so schnell nichts unter die Erde", beruhigte er grinsend seinen Patensohn, welcher glücklich nickte.
Albus, dessen Stimmung nun plötzlich wieder unbeschwerter war, konnte nicht den Schalk verhindern, der nun sicherlich wieder in seinen Augen zu lesen war, als er daran dachte, dass Sirius bald das Grinsen vergehen würde.
Doch als er Poppy erneut ansah, wurde er wieder schlagartig ernst, die momentane Euphorie der Erleichterung war wie weggewischt. Severus würde leben, doch nachdem was er gesehen hatte, wusste Albus, dass der Weg der Heilung lang und schmerzhaft sein würde. "Wie steht es um ihn, Poppy?"
Die Krankenschwester seufzte wieder und setzte ihre Tasse auf den Clubtisch vor ihr. "Er ist sehr schwach und wie Sirius schon gesagt hat stark dehydriert und unterernährt. Man hat ihm scheinbar gerade einen Tropfen zuviel Flüssigkeit gegeben um ihn nicht verdursten zu lassen. Die Wunden an seinem Körper sind zwar schlimm aber nicht lebensbedrohlich. Was mich am meisten beunruhigt hat, waren seine Nieren. Durch den Flüssigkeitsmangel war das Risiko einer Schädigung sehr stark und ich musste ihm einen schwachen Zaubertrank verabreichen." Sie sah zu Albus auf, einen stumme Entschuldigung in ihren Augen. "Ich weiss, dass ich keine Magie benutzen sollte, aber der Trank wurde von mir stark verdünnt und muss ihm für die nächsten Tage in kleinen Mengen weiter verabreicht werden, bis er die gesamte Dosis bekommen hat."
Albus erkannte ihren bedauernden Tonfall. "Und?" hakte er nach.
"Was auch immer sie mit ihm gemacht haben, war effizient. Der Trank war in der Dosis absolut nicht stark, aber Severus' Körper hat sofort reagiert. Sein Kreislauf ist förmlich explodiert und ich brauchte eine Weile, ihn wieder zu stabilisieren. Dennoch musste ich es ihm geben. Ohne Magie kann ich den Zustand seiner Nieren nicht richtig einschätzen und ein Versagen dieser Organe wäre tödlich für ihn."
Sie schwieg eine Weile, bevor sie fortfuhr. "Für seine anderen Wunden habe ich Muggelmedizin gebraucht. Seine Füsse und Unterschenkel haben zweit- und drittgradige Verbrennungen und er wird wohl für eine Weile nicht laufen können, vielleicht für sehr lange, wenn wir nie mehr Magie an ihm anwenden können. Er ist sehr schmerzempfindlich an seinen Schultergelenken, doch ich konnte dort keine Verletzung feststellen. Er wird mir da hoffentlich mehr Informationen geben können, wenn er erst einmal wach ist. Die Peitschwunden an seinem Rücken waren teils entzündet und werden wohl auch Narben hinterlassen.
Das alles wäre so einfach spurlos mit einem Zauberspruch zu heilen", seufzte sie.
Dumbledore nickte bestätigend. Er hoffte inständig, dass sie einen Gegenfluch finden würden. Severus' Körper würde auch so heilen, doch wenn er nie mehr in der Nähe von Magie existieren konnte, geschweige denn selber Magie auszuüben, dann würde dieses Überleben wohl kaum noch etwas bedeuten. So verkrüppelt konnte ein Mann wie Severus Snape nicht existieren. "Was ist mit seinen Händen?" fragte er Poppy.
"Das ist eine andere Geschichte. Erst mal wurden ihm die Fingernägel ausgerissen, aber das sollte unproblematisch nachwachsen. Was mir mehr Sorgen macht, sind die Handteller. Die wurden magisch durchbohrt und selbst mit Magie wäre ich nicht sicher, ob ich sie heilen könnte. Muskeln, Nerven, Sehnen und sogar ein Teil des Knochens haben sich komplett aufgelöst. Die wichtigen Blutgefässe sind in Ordnung, so muss ich sie nicht amputieren, doch die Löcher werden auch nicht zuwachsen. Seine einzige Chance die Hände jemals wieder gebrauchen zu können ist, wenn wir einen Gegenfluch finden und Magie anwenden können."
Albus senkte betroffen den Kopf. Egal was es brauchte und wie viel dunkle Magie er eventuell selber anwenden musste, er würde einen Gegenfluch finden, schwor er sich. Ein Leben ohne Magie und ohne den Gebrauch seiner Hände wäre für Severus undenkbar und Albus würde nicht zulassen, dass es soweit kam.
Sirius suchte sich diesen Moment aus um sich zu erheben. "Ich bin mir sicher, dass ihr das irgendwie schafft. Aber da nun klar ist, dass Snape überlebt und Harrys Sorgen sich gelegt haben, würde ich gerne verschwinden. Wenn ich schon einmal hier bin, kann ich ruhig etwas von der Abgeschiedenheit profitieren und mir ein wenig die Beine vertreten, bevor ich nach Hogwarts zurückkehre."
War da ein Funke eines Verdachts in Sirius, dass er so schnell weg wollte, fragte sich Albus, doch es spielte keine Rolle. Also, auf in den Kampf.
"Ich fürchte, das wird nicht möglich sein, lieber Junge."
Sirius' Augen verengten sich misstrauisch. "Und warum nicht?"
"Poppy muss dir noch zeigen, auf was du achten musst, wenn du dich weiterhin um Severus kümmerst." Albus konnte sich, trotz der Ernsthaftigkeit der momentanen Situation, ein leichtes Lächeln nicht ganz verkneifen, als er auf die Explosion wartete.
Er wartete nicht lange.
"IHR WOLLT WAS!!???? ICH SOLL MICH....VERGISS DAS ABER MAL GANZ SCHNELL, ALBUS!!!!!
"Beruhige dich, Sirius. Du musst ihm helfen."
"NEIN!"
"Sie sind der einzige, der Hogwarts auf längere Zeit verlassen kann", warf nun auch Madame Pomfrey ein.
"NEIN!"
Albus beeindruckte Sirius' verbohrte Weigerung nicht sonderlich, sie amüsierte ihn höchstens. Er wusste, dass der Animagus schlussendlich einwilligen würde. Sein Ehrgefühl würde es ihm gebieten. Ein Seitenblick auf den wiederum sehr besorgt und irgendwie bedrückt aussehenden Harry und Dumbledore wusste, das der Kampf vielleicht doch nicht so schwer sein würde.
"Seien Sie bitte vernünftig, Mr. Black", sagte Madame Pomfrey nun mit mehr Nachdruck. "Ich kann nicht länger als einige Momente am Tag hier sein, genau wie der Direktor oder Remus Lupin. Severus ist nicht in der Lage für sich selber zu sorgen. Er braucht Überwachung, und das rund um die Uhr. Selbst wenn wir uns abwechseln und es schaffen, nicht die Aufmerksamkeit der Auroren auf uns zu lenken, dann wird Severus für Stunden am Stück alleine sein."
"Das ist mir egal. Ich habe Snape von einem Haufen Leichen geholt, habe meinen Umhang seinetwegen ruiniert und habe ihn sogar gebadet. Wenn ich noch länger um ihn sein muss und an seinem Bett Händchenhalten soll, dann raste ich nach spätestens einem Tag aus und drücke ihm ein Kissen aufs Gesicht, das schwöre ich."
"Wie können Sie nur so unsensibel sein?" fuhr ihn Poppy nun an. "Haben Sie nicht gesehen, was man mit ihm gemacht hat?"
Sirius' Wut schien sich ein wenig zu legen und Albus fühlte Bedauern mit dem Animagus. Sirius wusste wahrscheinlich mehr von Folter und Leid, als all die anderen Personen hier im Raum. Und wäre es nicht Snape gewesen, der das Opfer war, dann würde Sirius wahrscheinlich auch mehr Anteilnahme zeigen. Nur hatte der Hass und das Misstrauen, das seit Jahrzehnten von Beiden geschürt wurde, ihre Sicht getrübt, bis der jeweils andere kein menschliches Wesen mehr war, sondern nur noch ein Abbild all dessen, was sie in dieser Welt verachteten. Auch darum dachte Dumbledore, würde es Sirius gut tun, Snape als verletzlichen und vor allem hilfebedürftigen Menschen zu erleben. Genauso wie es Severus gut tun würde, für einmal eigene Verletzlichkeit zuzugeben und Hilfe zu akzeptieren. Zu sehen, dass Sirius mehr war als nur jemand der darauf aus war, ihn zu verletzen. Natürlich konnte das nach hinten losgehen, aber wer wusste schon. Vielleicht passierten doch noch Wunder...
"Ihr könnt mich nicht zwingen", trotzte Sirius, auch wenn seine Stimme nun leicht gequält klang.
"Er hat recht, Poppy", fiel Albus endlich ein und erntete sich dafür einen ungläubigen Blick der drei Personen im Raum. "Es wird schon irgendwie gehen. Wir wechseln uns einfach ab und bleiben, solange wie es geht. Wenn Severus' Zustand im Moment stabil ist, dann wird er schon einige Stunden am Tage alleine überleben."
"Bist du wahnsinnig?" rief die Krankenschwester daraufhin aus. "Stabil heisst nicht unbedingt über den Berg. Er ist sehr geschwächt. Was, wenn er erwacht und alleine ist? Und was, wenn er versucht aufzustehen? Er wird verwirrt sein und kennt diesen Ort nicht. Und was, wenn die Infusion leer ist und gewechselt werden muss? Er muss umgelagert werden oder die Schwierigkeiten fangen erst an, wenn er sich wund liegt. Und wenn er die nächste Dosis seiner Medizin erhält muss er für einige Stunden überwacht werden. Er könnte einen Kreislaufkollaps erleiden."
Albus strich sich gemächlich über seinen Bart und beäugte die Personen im Raum ruhig. Er hatte schon vor Jahren erkannt, wie man vor allem junge Menschen dazu brachte, ihre Fassaden fallen zu lassen und ein durchdringender Blick, ein unangebrachtes Lächeln oder eben eine in die Länge gezogene Pause, wenn alle etwas von ihm erwarteten, hatte schon immer sehr gut funktioniert.
"So wie es aussieht, müssen wir das Risiko eingehen. Keiner von uns kann Hogwarts ohne glaubhafte Erklärung für eine längere Zeit verlassen und die anderen Mitglieder des Ordens sind mit ihren anderen Aufträgen beschäftigt. Es wird schon gut gehen."
"Eben", nickte Sirius enthusiastisch, während Poppy ihrem Vorgesetzten einen entrüsteten Blick zuwarf und Harry so aussah, als würde er gleich verzweifeln. Albus war bereit für den entscheidenden Schlag.
"Severus wird schon überleben. Er hat in letzter Zeit so viel Pech gehabt, dass er nun bestimmt etwas Glück haben wird." Er hatte absichtlich einen leichtfertigen Tonfall aufgelegt und griff nun in seine Robe und holte ein kleines Säckchen heraus. "Will jemand ein Zitronenbonbon?"
Niemand antwortete ihm und Poppys Augen waren so weit aufgerissen in ihrer Entrüstung, dass es so aussah, als drohten sie gleich aus den Augenhöhlen herauszufallen.
"Aber Sir...", sagte nun Harry, seine Stimme bebend. "Sie können doch nicht von Glück ausgehen. Was, wenn er stirbt? Es ist mein Fehler, dass er überhaupt in dem Zustand ist und wenn es sein muss, dann bleibe ich bei ihm. Bitte, Direktor. Ich kann schon für ihn sorgen."
"Aber Harry", warf Albus mit gespielter Sorge ein. "Wenn du einfach vom Unterricht wegbleibst werden das die Auroren erfahren und dann auch das Ministerium. Und ohne guten Grund, warum du weggelaufen bist, werden sie mich zwingen, dich von der Schule zu verweisen."
Harry zögerte nur eine Sekunde im Zweifel, bevor sich sein Gesicht entschlossen verhärtete und er hitzig antwortete. "Das ist mir egal! Ich werde alles tun, um meine Schuld zu tilgen. Und wenn ich dabei von der Schule fliege, dann ist mir das verdammt egal, aber ich kann mich dann zumindest noch im Spiegel ansehen." Nach einem Moment nach seinem Ausbruch fügte er noch ein entschuldigendes "Sir," hinzu.
"Das kannst du nicht machen!" fuhr nun Sirius dazwischen und baute sich vor seinem Patensohn auf. Albus lächelte leicht. Alles verlief genau nach Plan.
"Ich kann Snape nicht sterben lassen, Sirius, nachdem ich ihn hier hingeritten habe", entschuldigte sich Harry und sah seinem Paten dabei unbeweglich in die Augen.
Nach einer Minute stummen Starrens, in der beide versuchten ihre Absicht durchzusetzen, warf Sirius schliesslich die Hände in der Luft.
"In Ordnung. Ich werde verdammt noch mal hier bleiben und mich um den fettigen Bastard kümmern, aber erwartet nicht von mir, dass ich ihn freundlich behandeln werde."
"Das ist schon in Ordnung, solange du dich um seine Wunden und seine körperliche Pflege kümmerst", lächelte Albus und Sirius drehte sich zu ihm um. Als er das amüsierte Lächeln sah, weiteten sich jedoch seine Augen und Albus konnte förmlich sehen, wie es in Sirius' Kopf arbeitete und er zur Erkenntnis gelangte, dass Albus ihn genau dorthin manipuliert hatte, wo er ihn haben wollte. Der Animagus war nicht dumm und hatte ihn schneller durchschaut als Poppy oder Harry und sein Gesicht zeigte erneut beleidigte Wut, doch Albus wusste, dass er nun nicht mehr von seinem Wort zurücktreten würde.
"Merlin sein Dank", seufzte Poppy nun. "Wie konntest du nur in Betracht ziehen, Severus in seinem Zustand alleine zu lassen, Albus", schalt sie. Sie hatte nicht erkannt, dass Albus den jungen Slytherin nie im Leben alleine gelassen hätte. Der Junge hatte zuviel durchgemacht und war zu oft alleingelassen worden in seinem Leben.
"Na dann kommen Sie mal mit, Mr. Black. Ich werde Ihnen alles zeigen. Ich will sowieso noch einmal nach Severus sehen. Sein Kreislauf muss im Moment streng überwacht werden." Mit diesen Worten wandte sie sich um und Sirius folgte ihr, mit einem letzten wütenden Blick auf Albus und der Direktor dachte ein gemurmeltes "Manipulierender Bastard" aus seiner Richtung zu hören.
Noch immer schmunzelnd ging er zu Harry und legte ihm den Arm um die Schultern, den beiden anderen mit dem Schüler im Schlepptau folgend.
Als sie das Zimmer ein wenig nach Poppy und Sirius erreichten, erklärte die Medi-Hexe, beim kleinen Schreibtisch stehend, dem Animagus gerade, wie er mit Stethoskop und der Manschette zum Blutdruckmessen umzugehen hatte. Sirius sah aus, als würde er seine eigene Hinrichtung erklärt bekommen und noch während Poppy ihm auf ein Stück Pergament einige Instruktionen und Richtlinien hinschrieb, setzte sich Albus an Severus' Bettkante, sorgsam dem Schlauch ausweichend, der von einem durchsichtigen Beutel mit einer klaren Flüssigkeit, befestigt an einem der hohen Bettpfosten, zu Severus' Ellenbogenbeuge reichte um dort unter einem Verband zu verschwinden. Der verletzte Mann lag nun, durch einige Kissen im Rücken gestützt, in einer sanften Neigung auf seiner Seite und Albus studierte mit schwerem Herzen das eingefallene Gesicht des Zauberers. Väterlich sanft strich er mit seiner Hand über die Wange des Mannes, der sich noch immer nicht regte. "Du schaffst das schon, mein Freund. Wir werden dir helfen." Er senkte seinen Blick erneut auf die jetzt professionell verbundenen Hände und nahm sie sachte in seine eigenen. ,Und du wirst dein Leben auch nicht als körperlicher und magischer Krüppel beenden müssen, wenn ich es irgendwie verhindern kann', fügte er in Gedanken hinzu.
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