Kapitel 17: Das Ende der Ferien
Harry lehnte sich gemütlich im Gras zurück und beobachtete mit hinter dem Kopf verschränkten Armen die Wolken über seinem Kopf, als sie sich gemächlich über den dunkelblauen Himmel schoben.
"Das war ein Superrennen Harry", bemerkte Ron, der in identischer Pose neben ihm im Gras lag, seine Worte leicht undeutlich wegen dem Grashalm, auf dem er wie auf einer Zigarre herumkaute.
"Ein Rennen, das ich gewonnen habe, Ron", antwortete Harry belustigt.
"Spielt keine Rolle. Heute Abend werde ich dich dafür haushoch im Schach besiegen."
War es möglich ein Schulterzucken in einer Stimme zu hören? Denn obwohl Harry seinen Blick noch immer auf den Himmel über ihn gerichtet hatte, war er sicher, dass Ron diese Gestik soeben vollführt hatte. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er seinen Freund so gut kannte, dachte Harry verwerfend. Er lächelte dankbar. Über drei Monate waren inzwischen vergangen, seit sein Pate tot war und obwohl er es zunächst nicht geglaubt hatte, hatte Harry seine Lebensfreude wiedergefunden. Natürlich, der Gedanke an Sirius und die Tatsache, dass er ihn nie mehr wiedersehen würde, schmerzte noch immer. Vor allem die ersten vier Wochen bei den Dursleys hatten ihn seinen Paten sehr vermissen lassen.
In der ersten Zeit nach dem Mord in Hogwarts hatten ihn die Abschlussprüfungen abgelenkt, und die gemeinsamen Beleidigungen gegen die Slytherins von allen Gryffindors hatten geholfen den Schmerz zu verarbeiten. Mit Snapes Verhaftung und seiner Verurteilung hatten sie perfekte Munition, die sie auf das verfeindete Haus abschießen konnten, und Dumbledore hatte zwei Wochen vor den Prüfungen, als wieder zwei Schüler nach einem Kampf vor der Zaubertrankstunde im Krankenflügel gelandet waren, resigniert entschieden, dass die beiden Häuser keine Klassen mehr teilen sollten.
Die ersten beide Tage nach der Verhandlung waren Ron und Harry oft in laute Tiraden verfallen, über das, in ihren Augen milde Urteil. Doch dann hatten sie angefangen Dampf abzulassen, mit Vorstellungen, was Snape in Askaban alles angetan werden konnte. Von ununterbrochenen Überwachungen der Dementoren, die den Mann idiotisch geifernd in einer Ecke hocken ließen, während er vollends den Verstand verlor, bis zu allen möglichen Foltermethoden, die sie Abends im Bett erfanden.
Solche Spiele taten Wunder, um den Schmerz zu besänftigen. Rons Präsens tat Harry gut in dieser Zeit, weil dessen Hass auf den Zaubertränkemeister fast genauso groß zu sein schien wie sein eigener. Hermine war zwar nach wie vor ihre Freundin, aber sie konnten solche Sachen nicht mit ihr teilen. Sie würde nur wütend werden, und so hielten sie ihre Ideen vor ihr geheim.
Harry verjagte diese Gedanken für den Moment und drehte sich auf den Bauch, die Ellbogen aufgestützt, um auf seinen Freund herunterzusehen, der mit geschlossenen Augen die warme Sonne zu genießen schien.
"Ich erinnere mich nicht, dass ich einem Schachspiel zugestimmt habe."
Ron öffnete die Augen nicht, aber er lächelte ein wenig. "Hast du auch nicht. Aber wenn du dich mit mir nicht auf meinem Spezialgebiet triffst, dann stelle ich meinen Besen für den Rest der Ferien in den Schrank."
"Das würdest du nicht wagen. Wenn ich nicht trainiere, dann gewinnen wir den Pokal im nächsten Jahr nicht."
"Laß es doch drauf ankommen."
"Das ist Erpressung!"
Wieder dieses Ron-typische Schulterzucken.
"Na gut", knurrte Harry schlussendlich.
Ron öffnete nun die Augen, grinste ihn an, sprang auf die Füße und hob seinen Besen vom Rasen auf. "Komm, lass uns nach Hause gehen. Mom sucht uns sicher schon. Du weißt ja, wie versessen sie ist, dich aufzupäppeln."
Harry konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Rons Mutter war eine sehr liebevolle Frau. Fast zu liebevoll in Harrys Augen. Die Frau schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, ihn für all die Jahre fehlende Bemutterung zu entschädigen. "Man sollte meinen, dass sie nach sieben Kindern nicht mehr so gluckenhaft ist", jammerte er, als er auch aufstand.
"Das wird mit jedem Kind nur noch schlimmer, glaube ich. Als sie mich zum Ferienanfang vom Bahnhof abgeholt hat, wollte sie doch gleich mit ihrem Taschentuch in meinem Gesicht herumfummeln, weil ich etwas Dreck an der Wang hatte. Kannst du dir die Katastrophe vorstellen, wenn Malfoy das gesehen hätte?"
Harry zuckte theatralisch zusammen. "Autsch!"
"Genau", bestätigte Ron.
***
"Da seit ihr ja endlich. Ich hätte schon fast Ginny losgeschickt, um euch zu suchen."
"Wir waren mit den Besen draußen, Mom. Wir gehen schon nicht verloren", sagte Ron und verdrehte die Augen.
"Dann setzt euch mal hin, Jungs. Das Essen ist gleich auf dem Tisch. Ich hoffe ihr habt euch die Hände gewaschen."
"Ja Mom", seufzte Ron ergeben.
Harry verkniff sich ein Kichern. All diese kleinen Dinge, die Ron an seiner Familie nervten, waren Dinge, wie sie in jeder Familie vorkamen und die Harry selber nie erfahren hatte, bis er die Weasleys kennen gelernt hatte. Gott sei Dank hatten die Dursleys aufgegeben, ihn davon abzuhalten, die letzten Wochen seiner Ferien bei Rons Familie zu verbringen. Harry vermutete, dass sie froh waren ihn früher loszuwerden und ihm war es nur recht so. Er hing auch nicht besonders an der Zeit, die er im Dursleyhaus verbringen musste.
"Ich frage mich, wo Percy und Arthur bleiben. Die arbeiten doch sonst nie so lang." Molly Weasleys Blick war auf die magische Küchenuhr geheftet und Harry folgte ihrem Blick. Die Zeiger von Percy und von Mr. Weasley waren nach wie vor auf ‚Arbeit' festgefahren.
"Vielleicht gabs wieder Ärger mit du-weißt-schon-wem, schlug Fred, der lässig zwischen Ginny und seinem Zwillingsbruder schon am Tisch saß, vor und sofort legte sich Mrs. Weasleys Stirn in eine steile Sorgenfalte. "Meinst du? Ich hoffe nicht. Die Übergriffe auf Muggel und Zauberer sind in letzter Zeit immer zahlreicher geworden."
"Und dieser Vollidiot Fudge behauptet noch immer, dass der alte der-dessen-Name-sich-anhört-wie-eine-Crackersorte, nicht wieder da ist", sagte George gleichmütig.
"George Weasley. Ich dulde keine solche Sprache an meinem Tisch."
Ron und Harry glucksten beide ob der neuen Umschreibung Voldemorts, und ignorierten Mrs. Weasleys entrüstetes Gesicht.
"Aber Mom, der hört sich wirklich so an", sagte George unschuldig dreinblickend.
"Ich meinte nicht das, George, aber wie du den Minister genannt hast."
"Wieso? Der heißt doch Fudge, oder nicht?" erwiderte Fred mit genauso unschuldigem Blick wie sein Bruder.
Diesmal kicherte auch Ginny laut. Nur Fred und George sahen beide völlig ernst und ungerührt drein.
Mrs. Weasley schüttelte resignierend den Kopf. "Ich gebe es auf mit euch beiden."
Sie begann die verschiedensten Töpfe aufzutischen und sagte, sie sollen mit dem Essen schon beginnen, da nicht abzusehen war, wsnn Percy und ihr Mann endlich auftauchen würden.
Sie waren auch schon fast mit essen fertig, als die Haustür knarrend aufging und die Stimmen von Percy und Mr. Weasley in die Küche drangen.
"Diese Kimmkorn ist eine echte Plage. Ich frage mich, wie stark sie diese Sache wieder aus den Proportionen schlagen wird."
"Vater, egal, was sie schreibt. Sie KANN es gar nicht schlimmer darstellen, als es ist. Es ist eine wahre Katastrophe. Dies ist nun schon das zweite Mal, dass so etwas passiert. Das Ministerium wird inkompetent dastehen. Ganz zu schweigen von dem Vertrauen, das man in uns setzen wird im Kampf gegen die dunkle Seite."
"Sei jetzt ruhig Percy. Es ist nicht nötig, dass die anderen, vor allem Harry es erfahren sollten, indem sie uns hören."
Unbewusst setzte sich Harry in seinem Stuhl auf. Von was sprachen die beiden und was hatte das mit ihm zu tun?
Percy und Mr. Weasley traten nun durch die Küchentür und als sie die gespannt-erwartungsvollen Gesichter sahen, die ausnahmslos auf sie gerichtet waren, spannte sich Percys Gesicht an, während sich Mr. Weasleys leicht überschattete. Harry entging nicht der flüchtige Seitenblick, den ihm Rons Vater zuwarf und eine gigantische Hand schien sich um seine Brust zu krallen und zuzudrücken, als Harrys sechster Sinn anschlug. Etwas war nicht in Ordnung, und es hatte in irgend einer Weise mit ihm zu tun.
"Ihr habt uns gehört." Es war keine Frage, die Mr. Weasley an seine Frau richtete.
"Was ist passiert Schatz?" fragte Molly Weasley nervös. "Sind weitere Menschen getötet worden?"
Mr. Weasley schüttelte den Kopf, und er und Percy ließen sich auf zwei Stühle am Tisch sinken. "Nein, das nicht. Niemand wurde verletzt aber es hat sich etwas ereignet, was sich als noch schlimmer herausstellen könnte, wenn auch vielleicht nicht direkt."
"Was ist passiert?" hakte Ron nach, und er schien sehr interessiert zu sein.
"Es gab einen weiteren Ausbruch aus Askaban", antwortete Percy düster. "Das erste Mal war schon schlimm genug, doch ein zweites Mal in so kurzer Zeit wird die Sicherheit des Gefängnisses erheblich in Frage stellen."
Die Hand um Harrys Brust schien den Druck noch zu verstärken und plötzlich machte der Seitenblick Mr. Weasleys Sinn. Die Antwort auf seine nächste Frage, kannte er schon, aber dennoch hörte er sich fragen: "Wer ist ausgebrochen?"
Mr. Weasley sah ihn an und zwang sich zu einem Lächeln, das unglaublich sauer herauskam. "Severus Snape."
***
"Verdammte Scheiße!"
Eine kleine Fontäne aus staubiger Erde wurde hochgewirbelt, als der Stein, den Harry in Wut weggeschleudert hatte, auf dem Boden auftraf.
"Harry, bitte beruhige dich."
"Ich will mich nicht beruhigen, Ron. Dieser Hurensohn ist raus. Sirius' Mörder ist wieder frei." Harry war stinksauer und er wollte es auch sein. Er war gleich nach Mr. Weasleys Verkündung nach draußen gestürmt, weil er sich selber nicht traute, aus Wut auf den Haushalt der Weasleys loszugehen. So begnügte er sich, mit Steinen nach Grasbüscheln und anderen ähnlich offensiven Sachen zu werfen. Snape war seiner Strafe entkommen. Gerade jetzt, wo Harry sich mit dem Gedanken angefreundet hatte, dass Snape in Askaban schlimmer bestraft wäre als durch den Kuss.
"Snape ist nicht frei. Jeder Auror in England wird ihn suchen. Er wird immer auf der Flucht sein und kann nirgends hin. Sie werden ihn schneller wieder geschnappt haben, als du denkst."
Harry fuhr wütend zu Ron herum. "Du meinst genauso schnell wie Sirius?"
Ron verzog das Gesicht. Daran hatte er offensichtlich nicht gedacht.
"Und was wenn Snape zu Voldemort zurückkehrt? Er kennt zu viele Geheimnisse des Ordens."
"Ich fürchte, dass keine Zweifel über diese Möglichkeit besteht", sagte eine neue Stimme hinter ihnen.
Mr. Weasley war ihnen aus dem Haus gefolgt und stand nun einige Meter weiter hinten am schiefen Gartenzaun des Fuchsbaus. Sein Gesicht zeigte den selben Ausdruck wie ihn ein Mensch hatte, der jemand anderem eine schlechte Nachricht überbringen musste, die er lieber für sich selber behalten würde.
"Lucius Malfoy, der wie ihr wisst, dem Ministerium öfters mal hilft, ist mit einem Pergament in Askaban erschienen. Es war eine Überstellungsurkunde, nach der Snape zu weiteren Verhören in das Ministerium nach London hätte überführt werden sollen. Unterschrieben war das Ganze von Fudge selber. Nur ist Snape nie im Ministerium angelangt. Und natürlich wusste Fudge auch nichts von einem Verhör."
"Malfoy ist selber einer von Voldemorts Männern. Warum haben ihm die Wachen geglaubt?" schrie Harry fast.
"Malfoy hat ausgesagt, dass er das Pergament mit einer Eule und der Bitte, die Sache zu übernehmen, bekommen hat, und Snape ein paar Auroren übergab, die ihn in London erwartet haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass er solche Post erhalten würde, hatte er gesagt. Sein Name wäre schon des öfteren behilflich gewesen, um heikle Aktionen schnell und ohne Aufsehen über die Bühne zu bringen. Er hatte, nach eigener Aussage, bloß gedacht, dass er gebeten worden ist, um die Presse, die zurzeit ihre Ohren überall im Ministerium hat, nicht aufmerksam zu machen."
Rons abfälliges Schnauben zeigte deutlich, was er von dieser Entschuldigung hielt.
"Natürlich erinnerte Malfoy sich nicht mehr an die Namen der Auroren, die ihm Snape abgenommen haben", knurrte auch Mr. Weasley.
"Voldemort hat Snape aus Askaban geholt", legte Harry fest.
"Aber warum sollte er das?" fragte Ron. "Er hat sich zuvor nie um Todesser gekümmert, die in Askaban saßen, und der fettige Idiot war ihm noch nicht einmal loyal. Voldemort hat sicherlich inzwischen mitbekommen, dass Snape für Dumbledore spioniert hat."
"Vielleicht, vielleicht auch nicht - überraschen würde es mich auf jeden Fall nicht, vor allem, da Malfoy ja auch im Gericht war, aber Snape kennt Geheimnisse über Dumbledore und den Orden. Das schon allein ist Grund genug ihn zu befreien, um an dieses Wissen zu gelangen. Außerdem scheint Snape Dumbledore, dafür dass er ihn dem Ministerium ausgeliefert hat, nun fast genauso fest zu hassen, wie Voldemort es tut. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass er dieses Wissen ausplaudern wird."
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