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Kapitel 9



Sie sah zu ihm auf. Irgendwie waren sie in einem Bett gelandet. „Wirst du es jetzt tun?“, fragte sie den Mann, dessen Gesicht auf sie herabschaute. Er schnaubte verächtlich, ohne sich besondere Mühe dabei zu geben. Vielleicht war er auch einfach nur erschöpft. Sie erlaubte sich ein Lächeln. Sie war es jedenfalls. Sehr. Er rollte von ihr runter, drehte sich auf die Seite und lehnte sich auf einen Ellbogen, so dass er sie ansehen konnte. Was für ihn schon eine erstaunliche Leistung war, dachte sie. Es hätte sie auch nicht gewundert, wenn er sich umgedreht und sie nie wieder angeguckt hätte. Weil sie ihn - so - gesehen hatte. Und gehört. Sie lächelte wieder. Es war wunderbar gewesen - jedes Mal. Aber sie wollte sich nicht mehr lange mit der Erinnerung aufhalten.

„Das wäre ja wohl idiotisch“, sagte er. „Wie sollte ich dir erklären, warum du nackt mit mir im Bett liegst?“ Nicht dass er es verstand. Nicht wie es dazu gekommen war, nicht warum und wer es gewollt hatte. Irgendwie war eins zum anderen gekommen. Er lächelte grimmig. Sei nicht so ein Idiot, Severus. Du hast es gewollt. Du hast es nicht glauben wollen, dass es tatsächlich passiert, aber drück dich nicht vor der Verantwortung. Du hast es gewollt. Und, sagte eine Stimme in seinem Kopf, du würdest es wieder wollen. Nicht gerade jetzt, aber - irgendwann. Aber das war jenseits jeder Realität. Die nun leider wieder da war. Er seufzte. Sehr leise.

Er hatte tatsächlich geseufzt. Es schien ihm nicht leicht zu fallen. „Wie wird es sein?“, fragte sie. „Werde ich gar nichts mehr wissen? Wird da nur - ein Loch sein?“

Seine Miene verfinsterte sich. „Du wirst nicht wissen, dass da ein Loch ist.“

Hm, das war eine erschöpfende Auskunft. Sie wollte es jetzt hinter sich bringen. Sie beugte sich vor, küsste ihn auf die Schulter und stand auf. „Dann sollte ich zur Spurenvernichtung vielleicht besser das Bad aufsuchen“, sagte sie. „Nicht, dass es an den Kleinigkeiten scheitert.“ Der Weg zum Bad kam ihr sehr lang vor. Sie sah nicht zurück.

Götter, sie sah immer noch gut aus. Noch besser eigentlich. Bewegte sich wunderbar, obwohl sie es jetzt nicht mehr darauf anlegte. Eine Stimme in seinem Kopf schlug ihm vor, die Sache zu verschieben. Stattdessen zu ihr unter die Dusche zu gehen und noch etwas anderes auszuprobieren. Eine Stimme in seinem Körper war mit diesem Vorschlag sofort einverstanden und schaute schon mal voraus. Aber Severus folgte nicht. Nein, verlängere die Tortur nicht. So würde es schlimm genug sein. Er hatte sogar mit ihr geredet. Hatte ihr Dinge erzählt. Es war zu peinlich, wie er wie ein Schwamm die erste menschliche Nähe seit Jahren aufgesogen hatte. Beinahe zu schnell, am Anfang. Aber es war dann besser geworden. Eigentlich sogar sehr gut. Schluss jetzt damit. Er stand auf und zog sich an. Duschen konnte er später. Wenn es vorbei war. Er konnte kein Risiko mehr eingehen. Nicht das Risiko zu ihr unter die Dusche zu klettern und seine Meinung zu ändern. Nicht das Risiko, sie allein zu lassen.

Er war angezogen. Sie schluckte. Irgendwas in ihr hatte immer noch gehofft, dass er seine Meinung ändern würde. Sie hätte es besser wissen müssen. Er war so offen gewesen, hatte ihr soviel erzählt. Und nur, weil er wusste, sie würde sich nicht mehr daran erinnern. An einiges von dem, was er ihr erzählt hatte, würde sie sich auch nicht gern erinnern. Ihr schwirrte der Kopf von dem ganzen Zeug. Zauberer und Krieg und Tod. Na danke schön. Sie mochte keine Horrorfilme. Aber einige der Erlebnisse dieser Nacht hätten gute Erzählungen für die Enkel abgegeben. Und einige hätte sie gerne selber behalten. Sie biss die Zähne zusammen und senkte den Kopf. Eine Hand berührte ihre nackte Schulter. Gerade mal so eben, als habe sie Angst.

„Zieh dich an.“ Er hielt seine Stimme ganz ruhig. Wenn sie jetzt anfing zu weinen, dann würde es richtig scheußlich werden. Er konnte mit heulenden Frauen nicht umgehen. Noch nie. Ihre Schultern bewegten sich heftig, als würde sie versuchen, ihre Atmung unter Kontrolle zu bringen. Er gab ihr ein paar Bonuspunkte für Tapferkeit, und noch ein paar für ihre wunderbare Figur. ‚Und was nützt ihr das?’, fragte die höhnische Stimme in seinem Kopf. ‚Du wirst es ihr trotzdem antun, trotz ihrer Tapferkeit und ihres Aussehens. Du bist eine Ratte, Snape.’ Jetzt richtete sie ihre wunderbaren Augen auf ihn, die nur ein wenig dunkler als gewöhnlich waren. Aber das waren sie in den letzten Stunden auch gewesen. Diese Verrückte brachte es sogar fertig zu grinsen. „Vorhin hast du was anderes gesagt.“ Gott, wie gern hätte er sie unter anderen Umständen mitgenommen, nach Hogwarts oder sonst wohin, an einen sicheren Ort. Er hätte jemand gehabt, mit dem er reden konnte, eine Vertraute, ja das und - mehr. Viel mehr. Beinahe hätte er aufgeseufzt. Er war lächerlich. Für sie war es sicherlich nichts so Besonderes gewesen. Vielleicht war es objektiv betrachtet auch nichts Besonderes gewesen. Aber er war nicht objektiv gewesen. Alles andere als das. Es war das erste Mal seit 20 Jahren gewesen, das erste Mal zumindest, bei dem beide Partner anwesend und bewusst waren. Für ihn war es - mehr als gut gewesen. Er spürte den alten Schmerz, die alte Verzweiflung, die alte Einsamkeit und schob sie bewusst zurück. Jahrelange Übung. Es gab keinen sicheren Ort auf dieser Welt. Nie. Nicht solange Voldemort lebte und frei war. Und deshalb konnte es nicht sein.

Sie hielt in der Bewegung inne, als sie eine Welle von Schmerz fühlte, die von ihm ausging. Unterwäsche, Hosen und T-Shirt hatte sie an, sie erstarrte mit dem Pullover über dem Kopf. Er überlegte, ob es wirklich nötig wäre. Gab es eine andere Möglichkeit? Nach dem, was er ihr erzählt hatte, machte es einen Unterschied, ob sie der Feind nur als Opfer oder als Verräter betrachtete. Opfer war sie sowieso, Verräter würde sie, wenn sie von ihm wusste. Verraten könnte sie, was sie gesehen hatte. Verraten könnte sie - ihn. Und sie hatte sie gespürt. So wie sie jetzt seine Entscheidung spürte. Nein, es gab keine andere Möglichkeit. Sie akzeptierte es. Jetzt. Aber es durfte nicht mehr lange dauern. Sie zog den Pullover über den Kopf und die Schuhe an. Dann sah sie ihn an. „Wie wirst du es machen? Mit diesem Ding?“

Gott, sie war unglaublich. Gerade eben noch so voller Leben, voll da, und nun drängte sie ihn beinahe, es zu Ende zu bringen. Es konnte für sie nichts Besonderes gewesen sein. Nur die Reaktion auf den Schock. Wie damals - in der Schule. Er schüttelte den Kopf um diese besonderen Geister zu vertreiben. Nicht jetzt, nicht hier. Ihm reichte sein schlechtes Gewissen wegen dieser neuen Missetat, er brauchte jetzt nicht noch aufgewärmte Schuld. Was hatte sie gefragt? Ihre Bewegungen, als sie sich in den Pullover kämpfte, hatten ihn abgelenkt. „Ja, mit diesem Ding. Was anderes habe ich jetzt nicht da. Und kann es nicht so schnell beschaffen.“ Er sah den Zauberstab verächtlich an. „Ich hoffe, dass es klappt, und nichts schief geht.“ Er musste komplett verrückt sein. Jetzt erzählte er seinem Opfer auch noch von den Sorgen des Henkers.

Sie grunzte. „Wie kann es denn schief gehen? Nein, erzähl es mir bitte nicht. Ich werde es ja eh nicht mehr lange wissen.“ Bedauern und Wut wollten sie überwältigen. Gott, da hatte sie nun diese nahezu unglaubliche Nacht hinter sich, und bald würde sie davon nichts mehr wissen. Es war ungerecht, es war nicht fair, es war ... „Du wirst morgen wieder genau der widerliche Kerl sein wie vorher, richtig?“, versuchte sie die Stimmung zu heben und logisch zu denken. Wie er so dastand, mit dem wirren schwarzen Haar, den schwarzen Augen, in den schwarzen Klamotten, wahrscheinlich noch mit ihrem Geruch auf dem ... Körper, fiel es ihr nicht leicht, logisch zu denken. Überhaupt zu denken. Es war nicht fair. „Es ist nicht fair“, sagte sie. Ihre Stimme bebte. Ein wenig.

„Oh verdammt“, sagte er und ließ den Stab wieder sinken. Gryffindor, definitiv Gryffindor. Er ging auf sie zu und legte den Arm um ihre Schulter. Nach einem Moment gab sie nach und lehnte sich an ihn. Er atmete tief ihren Geruch ein. Das letzte Mal. Sie sah zu ihm auf und er musste es einfach tun. Er küsste sie so hungrig als sei er nicht noch vor kurzer Zeit ganz satt gewesen. Und sie erwiderte den Kuss wie eine Ertrinkende. Die Möglichkeiten, oh die Möglichkeiten. Er ließ sie abrupt los. „Falsch“, sagte er mit klirrender Kälte in der Stimme, die ihn noch nie so viel gekostet hatte. „Ich war nie etwas anderes als der widerliche Kerl. Und Fairness ist nur eine Idee. Eine ziemlich alberne Idee, wenn ich das mal so sagen darf.“

„Ich denke nicht, dass ich dich daran hindern könnte“, sagte sie und sah ihn noch einmal prüfend an. „Und du hast unrecht, so leid es mir tut. Auch wenn du es leugnest, bist du nicht nur der widerliche Kerl. Auch wenn du die Spuren verwischst und jeden sonst wohin beförderst, der etwas anderes sagt.“ Sie sah vor sich auf den Boden und wieder zu ihm auf. Sie wollte noch etwas zu dem anderen Thema sagen, machte dann aber eine wegwerfende Geste. Sich mit ihm in dieser Lage über Fairness zu unterhalten, war schon etwas albern. Statt dessen sah sie ihn noch einmal an. Gott, wie schnell sie sich an dieses Gesicht gewöhnt hatte. Sie würde es vermissen. Ach nein, würde sie ja nicht. „Sind deine Augen eigentlich braun oder schwarz?“, fragte sie.

Er stöhnte auf. Irgendwie fühlte er sich im falschen Film, wie die eine Assistentin immer sagte. Immer wenn er bereit war, fiel ihr noch etwas anderes ein. So würden sie noch am Morgen da stehen. Korrektur, es war bereits Morgen, und zwar lange, es war nur noch nicht ganz hell. „Mal so, mal so“, sagte er. „Nicht dass ich sehen könnte, wieso das in deiner Lage irgendwie interessant sein könnte.“

Ihre Augen blitzten „Das lass mal meine Sorge sein, was mich interessiert. Auch wenn du mir gleich meine Erinnerung nehmen wirst, was ich denke, bestimme immer noch ich.“ Ihre Augen wurden groß. „Oder?“

Er konnte nicht anders, er musste lächeln. „Wie weit du das bestimmst, weiss ich nicht. Ich habe nie angenommen, dass unsere Gedanken nur unsere eigenen sind. Aber nein, du wirst in gleichem Maße deine eigenen Gedanken haben wie bisher.“ Wenn alles gut geht, dachte er düster. „Nur diese Nacht wird nicht dir gehören.“ Er zwang sich, ihrem Blick standzuhalten.

Sie sah ihn an und zwang sich, nicht auf ihn loszugehen. Sie riss sich zusammen. Sie könnte noch stundenlang so weiter machen, mit ihm über Gerechtigkeit debattieren und ihn ausfragen - das Ergebnis würde früher oder später doch dasselbe sein. Nichts. Sie ging auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Schulter. Sie sah ihm in die Augen. Er wich erst aus, dann hob er die Schultern und blickte sie an. Schwarze Seen. „Nur noch eine Frage, ich verspreche es“. „Ja?“ „Du wirst die Erinnerung behalten?“ Schwarze Seen, tiefe schwarze Seen. „Ja“. Auf deren Grund sich etwas bewegte. Sie nickte. Und ließ ihn los. „Gut, das geschieht dir recht“, sagte sie. „Das ist Buße genug.“ Sie sah ihn bohrend, beschwörend an. „Tu’s jetzt“.

Und er tat es. Er richtete den Zauberstab auf sie und sagte beinahe zärtlich: „Obliviate.“


Kapitel 8

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