Kapitel 8
Sie starrte ihn mit großen Augen an. Eben waren sie noch im Wald gewesen und nun, in einer Wohnung? Seiner Wohnung? Sie begann wieder zu atmen. Langsam, vorsichtig. Atmen und nicht verrückt werden, Sabina, sagte sie zu sich. Oder einfacher: Atmen. Ein aus, ein aus. Siehst du, geht doch. So lange das noch funktioniert, ist nicht alles verloren. Auch wenn du so verrückt wie ein Märzhase bist. Egal. Du lebst, du atmest. Alles andere ist heilbar - hoffentlich. Und irgendwie war das spannender gewesen als alles, was sie in den letzten Jahren erlebt hatte. Als sie in ihrem ganzen Leben erlebt hatte. Plötzlich spürte sie, wie alle Kraft ihre Beine verließ. Sie sank zu Boden und lehnte gegen die Wand. Sie sah ihn an. Seine schwarzen Augen starrten sie an. Sie konnte den Ausdruck in ihnen nicht deuten. Ihr war schwindlig, sehr schwindlig. Und sie gab einen kleinen Laut von sich, als er anfing, sein Hemd zu öffnen. Ein - Winseln. Sie hätte nie gedacht, dass sie solche Laute in sich hatte. Ihre Augen wurden immer größer und sie war nicht nur mehr schwach, sondern nahezu starr vor Entsetzen. Sie öffnete den Mund um zu schreien. Sein Mund verzog sich und mit einer seiner blitzschnellen Bewegungen zog er etwas aus seinen Kleidern und richtete es auf sie. Wieder - dieses Ding. Sie starrte es noch an, da sprach er ein paar gemurmelte Worte und packte es wieder weg. Sie konnte nicht schreien. Noch ein tiefer verächtlicher Blick aus schwarzen Augen und er öffnete weiter seine Kleidung. Sie konnte nur entsetzt zusehen .
Na wunderbar, dachte Snape. Nun muss ich es in ihrer Gegenwart tun. Eigentlich wollte er ins Badezimmer gehen, um sich um seine Wunden zu kümmern, aber er konnte sie nicht allein lassen. Gut, er konnte sie fesseln und so weiter, aber solange er nicht wusste, was er hinterher mit ihr machen wollte, konnte er nicht verschiedene Zauber gleichzeitig bei ihr anwenden. Zu gefährlich, verdammt. Er schaute grimmig. Und bei dieser Frau reichte einer sicher nicht. Sie merkte jetzt die Nachwirkungen des Schocks, das sollte sie genügend außer Gefecht setzen, dass sie nicht weglief, aber für wie lange? Und er konnte nicht das Risiko eingehen, dass sie das Haus zusammenbrüllte. Er hatte seine Wohnung mit verschiedenen Zaubern geschützt aber es war eine diffizile Angelegenheit. Zauberei war ja gut und schön, aber es zu tun, ohne dass es sichtbar, riechbar, spürbar für andere Zauberer war, das war eine ganz anderer Sache.
Vielleicht hatte er Malfoy jetzt erst auf seien Spur gebracht, mit dem Apparieren. Aber es war nicht anders gegangen. Wenn Dinge mit Zaubertränken zu machen waren, war das etwas anderes. Das klappte einfach. Aber all dieses esoterische Gewedel mit Zauberstäben und dieses alberne lateinische Gemurmel - nie konnte man genau wissen, was dabei rauskam. Zu viele Unbekannte in der Gleichung. Severus Snape hasste Unbekannte. Er hasste halbe Sachen und war doch ständig gezwungen, sie zu tun. Sein ganzes Leben war so eine halbe Sache. Er selber -aber er hatte sich wieder davontragen lassen. Die Anwesenheit dieser Frau, mit all ihren Unterströmungen von Gefühlen und Gedanken, hatte einen schlechten Einfluss auf ihn. Er musste sie so schnell wie möglich loswerden. Er brummte, sah sie zufriedenstellend ruhig und demütig auf dem Boden liegend und wandte sich seiner Bauchverletzung zu. Schlimm, aber nicht zu schlimm. Er hatte schon schlimmere gehabt. Viel schlimmere.
Glücklicherweise konnte sie noch schlucken, wenn sie schon nicht mehr reden konnte. Konnte sie sich bewegen? Kam langsam die Kraft in ihre Beine zurück? Sie konnte doch hier nicht einfach so liegen bleiben. Er hatte jetzt schon seine Brust enthüllt, die unerwartet glatt und muskulös war, wie ein Teil ihres Hirns feststellte, der nicht vor Angst erstarrt, sondern mit vollständig unangemessenen Gedanken beschäftigt war. Eigentlich - sehr nett sogar, diese Brust. Er musste irgendeinen Sport treiben, außer diesem Gewedel mit diesem Ding. Ja, so eine Schlange war ja ziemlich beweglich, dachte der gleiche uralte Teil ihres Hirns noch, während sie schon scharf die Luft einsog, als ihre Augen die Bauchwunde sahen. Seine Augen sahen sie wütend an, um dann wieder auf seinen Bauch zu schauen. Das sah wirklich eklig aus. Wie konnte das passiert sein? Wer hatte das einer Schlange antun können? Und wieso? Hieß das, sie hatten ihn entdeckt? Wussten, wer er war? Wussten - wo er war? Jetzt? ‚Keine Panik, Sabina!’, sagte sie sich. Wenn er meinte, dass es hier sicher sei, wieso sollte sie sich darum jetzt Gedanken machen? Warum überhaupt sich Gedanken machen? Warum nicht lieber was tun?
Er überlegte, wie er das heilen sollte. Standard? Muggelmedizin oder Zauberei? Eine Mischung aus beidem? Mit seiner kaputten Hand würde es schwierig sein, einen Heiltrank korrekt anzurühren. Also erst mal die Wunden säubern und schließen. Er erstarrte als er plötzlich eine Hand auf seinen Bauchmuskeln spürte. Nicht seine eigene. Er sah auf. Sie. Natürlich. Einen Moment hatte er nicht auf sie geachtet. Und das hatte sie ausgenutzt. Allerdings nicht um wegzulaufen. Sondern - um ihm zu helfen. Lächerlich. Theatralisch. Albern. Idiotisch. Pathetisch. Überflüssig. Aber irgendwie - rührend.
„Lassen Sie mich mal gucken.“
Er grunzte verächtlich. „Machen Sie sich nicht lächerlich.“
Ihre grauen Augen bohrten sich in seine schwarzen. „Stellen Sie sich nicht so an. Sie können ja nicht mal richtig sehen, was los ist.“
Er richtete die Augen gen Himmel. „Wenn Sie mir im Weg sind, kann ich allerdings nichts sehen. Oder machen“, sagte er in seiner seidenweichsten Stimme. Neville Longbottom wäre weinend weggelaufen und sogar Granger hätte gezittert. Nicht diese Frau. Sie warf ihm einen verächtlichen Blick mit trotzig aufgestülpten Lippen zu.
„Mein Gott, wir sind aber ein ganz Harter, was?“, sagte sie. „Oder haben Sie nur Angst?“
Er zog zischend Luft ein. „Angst? Natürlich habe ich Angst. Es ist dumm, nicht Angst zu haben, in so einer Situation. Aber nicht wegen so einer Wunde.“
„Sieht eklig genug aus“, sagte sie und er konnte ihren angewiderten Gesichtsausdruck erkennen. Ganz sicher war sie nicht zur Krankenschwester geboren. Was machte sie dann hier? Sich nützlich? Eine der idiotischsten Bestrebungen des Menschengeschlechts. Sich nützlich machen, so ein Blödsinn. Und wieso konnte sie überhaupt sprechen? Seine Zauberstabtechnik ließ wirklich zu wünschen übrig.
Sie sank auf die Knie, um sich nicht herabbeugen zu müssen. Mit einer Hand hielt sie sich an seinem Oberschenkel fest, wobei ein Teil ihres Hirns feststellte, dass der sich erstaunlich gut anfühlte. Überraschend - aber zufriedenstellend muskulös und stark. Mit der anderen Hand machte sie die restlichen Knöpfe seines schwarzen Hemdes auf. Als sie die Wunde so direkt vor sich sah, sog sie scharf die Luft ein. Freiwillig hatte sie sich noch nie so etwas genähert und gezwungen war sie dazu auch noch nie worden. Sie wusste nicht, warum sie es jetzt tat. Musste wohl eine Überreaktion auf das Erlebte sein. Sie legte die bewegliche Hand an den Rand der Wunde, bewegte sie prüfend hin und her. Wieder kam ein scharfer Atemzug von oben.
„Und Schwester? Was meinen Sie? Ist mein Leben noch zu retten?“
Die Stimme war leise, zynisch, aber von Schmerz erfüllt. Viel Schmerz. Und nicht nur körperlicher. Woher war jetzt dieser Gedanke wieder gekommen? Und was wollte er hier? „Keine Ahnung“, sagte sie. „Aber solange Sie so bösartig sind, leben Sie noch. Mehr kann ich eigentlich nicht dazu sagen.“
Er knurrte. „Und was machen Sie dann da? Bewundern meine Muskeln?“
Sie erhob sich ruckartig. „Sie sind wirklich der bösartigste, arroganteste, widerlichste...“ Und dann hörte sie auf zu reden, als ihre Augen auf der Höhe seiner Augen waren. Und sie in diesen schwarzen Tiefen ertrank. Er sie mitnahm in die Unterwelt, in das Verborgene, in seinen Schmerz. Sie merkte nicht, dass ihre eine Hand sich schmerzhaft in seinen Rücken krallte, die andere in seine Schulter.
Verdammt, verdammt, verdammt. Das fehlte noch. Das konnte er jetzt gerade noch brauchen. In diesem miesen körperlichen Zustand und dann - das. Kaum fähig, auf den eigenen Beinen zu stehen, aber ein anderer Körperteil erwachte zum Leben. Schmerzhaft. Gut, er war Schmerz gewohnt. Aber das - das war schon so lange her, das gehörte zu einem anderen Leben. Und das bei dieser Frau. Die er- verabscheute. Die ihm das Leben zur Hölle machte. Die ihn davon abhielt zu tun, was er tun musste. Es war das Bücken gewesen, er war sicher. Dieses Bücken erinnerte Teile von ihm an jemand anderen, der sich vor ihm gebückt hatte. In einer völlig anderen Situation. Um etwas völlig anderes zu tun. Das war ihm klar, dem bewussten Teil von ihm. Gedächtnis! Er hatte sich immer viel auf sein Gedächtnis zugute gehalten. War stolz darauf gewesen. Jetzt hätte er gerne einen Teil davon eingetauscht. Gegen - irgendwas. Irgendwas was ihn aus dieser Situation herausbrachte. Ihm die Bilder abnahm, die vor seinen Augen gaukelten. Die ihn in diesen grauen Augen direkt vor ihm Dinge sehen ließen, Dinge von unaussprechlichem Vergnügen. Dinge, die der Situation so völlig unangemessen waren, dass er es nicht glauben konnte. Nicht glauben konnte, dass das sein Hirn war, in dem solche Dinge vorgingen. Aber es konnte doch auch sicherlich nicht ihres sein? In dem, was sie ihr Hirn nannte, konnten doch sicherlich nicht solche - Dinge- passieren? Nicht nach dem, was sie mit ihm erlebt hatte? Das war so vollständig unweiblich, das war unmöglich, das war außerhalb jeder Vorstellungskraft, das war - lächerlich.
Er bewegte sich und versuchte, sich auf die Wunde zu konzentrieren. Darauf und auf nichts anderes. Auf die Wunde, die er nicht sehen konnte, weil wieder ihr Kopf darüber gebeugt war. Und ihre Hand, mit langen schlanken Fingern, da herum schlich. Er hätte gern verächtlich geprustet. Aber es kam irgendwie kein Ton aus seiner Kehle. Er musste doch mehr unter den Ereignissen gelitten haben, als er gedacht hatte. Du wirst alt, Severus, dachte er mit bitterem Vergnügen. Das auch noch. Aber er fühlte sich überhaupt nicht alt. Ganz und gar nicht alt. So - jung - hatte er sich nicht mehr gefühlt, seit seiner Jugend. Zumindest Teile von ihm. Junge aufstrebende Teile. Die irgendwie von diesen grauen Augen angesprochen wurden. Und von diesen Fingern, die knapp über dem Hosenbund entlang strichen, auf seiner nackten Haut. Er sog scharf die Luft ein, als sie ihn an einer besonders empfindlichen Stelle berührte. Seine Arme hingen wie mit einem Fluch belastet einfach herunter. Er konnte sie nicht bewegen, um sie wegzustoßen. Wie er es tun sollte. Schon längst hätte tun sollen. Sie konnte nichts für ihn tun. Nicht für die Wunde. Und sonst - nichts. Weil er es nicht wollte. Nicht zuließ. Nicht konnte. Ohne es zu wollen stöhnte er und schloß die Augen.
Meine Güte, war dieser Mann angespannt. Man konnte beinahe glauben, er sei in seinem Leben noch nie berührt worden. Möglicherweise war das ja wahr, sie hätte selbst noch vor wenigen Minuten nicht gedacht, dass sie ihn je anfassen wollte. Aber irgendwas in der Art, wie er da stand, so allein, und mit sich selbst beschäftigt, so - verletzt, hatte an irgendeine weiche Stelle in ihrem Hirn, nein in ihrer Seele angeknüpft. Auch seine Verteidigungshaltung, als er sie so wütend angebrummt und angestarrt hatte, dass sie sich total verkrampft und an ihn gekrallt hatte, störte sie jetzt nicht mehr. Nach ihrem wütenden Ausbruch machte er sich seltsamerweise nicht lustig über sie. Noch nicht. Konnte nicht mehr lange dauern. Aber wahrscheinlich hatte er Schmerzen. Und sagte nichts, um das nicht zu zeigen. Das würde ihm ähnlich sehen. Jedes andere menschliche Wesen würde schreien mit den Wunden. Sie würde es sicherlich tun. Er nicht. Aber vielleicht war er ja gar kein menschliches Wesen? Sie wusste nicht, was er war. Auf jeden Fall verletzt. Sie strich an der Wunde entlang. Nein, sie konnte da nicht viel machen. Außer ihre Hand auflegen und Wärme geben. Kraft. Durch Berührung. Seine Haut fühlte sich schon wärmer an. Da wo sie nicht verletzt war, fühlte sie sich gut an. Ziemlich gut. Seidenweich. Zart. Gar nicht so, wie man sie sich bei diesem Typ vorstellen würde. Wenn man sie sich vorstellen würde, wofür man schon einen besonders ausgeprägten perversen Geschmack haben müsste. Irgendwas zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Eine Bewegung. Die sie nur aus dem Augenwinkel wahrnahm. Sie guckte genauer hin.
Verdammt, verdammt, verdammt. Was machte sie denn jetzt? Hörte sie etwa auf? Mühsam öffnete er ein Auge, um zu sehen, was da unterhalb seiner Augenhöhe abging. Er musste seinen Hals verdrehen, um an ihrem Kopf vorbeizuschauen. Er musste zugeben, das hatte er nicht erwartet. Hätte er ihr nicht zugetraut. Vielleicht musste er seine Meinung über die Heilkräfte von Muggeln revidieren. Er fühlte sich wirklich besser. Seltsam schwach auf den Beinen, aber definitiv besser. Ihre Berührung hatte beinahe die gleiche Wirkung auf den verletzten Bauch gehabt wie einer der feineren Zauber. Von anderen Wirkungen jetzt mal zu schweigen.
Sie nahm jetzt seine Hand in ihre. Die verletzte. Er zuckte zusammen. Das war wie ein Stromstoß gewesen. Durch den ganzen Körper. Auch in Körperteile, die er bisher als nicht direkt mit seiner Hand verbunden betrachtet hatte. Offensichtlich war es ein Irrtum gewesen. Sehr offensichtlich. Das konnte nachgerade peinlich werden. Ohne Zweifel spannend, faszinierend aber eben auch - beschämend. Mühsam unterdrückte er ein Aufstöhnen. Vielleicht sollte er sich selber verhexen, damit er nicht laut aufschrie bei ihren Berührungen? Snape, du bist peinlich, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Der erste Mensch, der dich seit Jahren berührt, nur flüchtig, und du - reagierst drauf. Wie nötig hast du es denn? Darauf gab es eine Antwort. Eine ehrliche. Aber die gefiel ihm nicht.
Diese Hand sah nicht sehr viel besser aus als der Bauch. Das musste wirklich scheußlich weh tun. Wieso schrie der nicht? Er war wirklich ein Unmensch. Nichtsdestotrotz: Jemand der so schwer verletzt war und keinen Mucks von sich gab, verdiente ihre Bewunderung. Nicht dass er sie wollte. Im Leben nicht. Er hätte sie sicher nur verächtlich angeguckt und den Mund verzogen, in dieser besonderen Art. Dieser abscheulichen Art. Die sich in ihre optische Linse eingebrannt zu haben schien, obwohl sie ihn erst zwei Tage kannte. Sie sah dieses gekräuselten Lippen vor sich, auch wenn sie sie nicht sah. Jetzt zum Beispiel. Und diese schwarzen Augen. Wie Teiche. Unergründlich, schwarz und tief. Aber irgendwo vermutete man doch Leben darin. Ganz tief unten. Auch wenn es keine Anzeichen dafür gab.
Sie schüttelte ungeduldig den Kopf über sich. Wenn das hier vorbei war, sollte sie vielleicht doch mal einen guten Psychiater aufsuchen und sich generalüberholen lassen. All diese unerwünschten Bilder im Kopf mussten doch irgendwie wegzukriegen sein. Und der heutige Tag hatte den bisherigen noch eine ganze Reihe hinzugefügt. Wie er sich in die Schlange verwandelt hatte und weggekrochen war. Uahh! Ihre Nackenhaare stellten sich noch in der Erinnerung hoch. Schlangen! Was für eine Wahl, wenn man sich schon verwandeln konnte. Wie auch immer das ging. Warum nicht in etwas kuscheligeres? Sie musste grinsen. Nein, kuschelig war er nun wirklich nicht. Die Wahl des Tieres war schon richtig. Angemessen. Auch seine Finger erinnerten daran. Glatt, schlank, lang, stark. Sie kniete sich wieder hin, um sie genauer anzusehen. Den Mann, der an dieser Hand hing, hatte sie für einen Moment vergessen. Ohne nachzudenken, nahm sie einen der blutenden Finger in den Mund. Diesmal bemerkte auch sie den Stromstoß. Er ging durch ihren Mund in den ganzen Körper. Sie schluckte. Und hob wie in Trance den Kopf, um ihn anzuschauen. Ihm in die Augen zu schauen.
Snapes Augen öffneten sich mit einem Ruck. Dieser Stromstoß war noch stärker gewesen als der vorherige. Von seinen Fingern ausgehend überall hin. Seltsamer Zauber. Er fand ihre Augen auf sich gerichtet, groß, erstaunt, und schaffte es gerade noch, seine übliche Miene aufzusetzen. Verächtlich. Lippen zusammengepresst. Augen so dunkel, dass alle anderen Gefühle darin verschwanden. „Was soll das werden?“, fragte er mit seiner seidenweichsten, gefährlichsten Stimme. „Wiederbelebung?“
Ihre Augenbraue ging hoch. Sie lernte schnell. Das war sein Markenzeichen. Dann verzog sich ihr Mund auch noch. Sie war wirklich gelehrig. Er wünschte sich für einen Moment, er hätte solche Schüler in Hogwarts gehabt. Aber er hatte sie gehabt. Granger - und andere waren nicht schlecht darin gewesen, ihn nachzuahmen. Natürlich nicht vor seinen Augen, so wie diese hier. Wo diese Muggel ihren Mut hernahmen - es hörte nie auf, ihn zu verwundern. So hilflos, so schwach, und doch, der Mut, ohne dass es ihnen bewusst war, was sie riskierten. Natürlich nicht die Art Mut die wichtig war, diejenige derjenigen, die wussten, was sie riskierten. Aber dennoch. Nicht übel. Gar nicht übel für eine Muggelin. Er fühlte fast so etwas wie Zuneigung für sie, ihre Gelehrigkeit, auch wenn er sich das Wort Zuneigung natürlich nie eingestanden hätte, nie dieses Gefühl hätte benennen können, das ihn erfüllte. Gut, für das, was hauptsächlich hervorstechende Körperteile von ihm erfüllte, wie er sich sagte, hatte er Ausdrücke. Keine Ausdrücke, die er in gemischter Gesellschaft, oder überhaupt in irgendeiner, seit langvergangenen Zeiten benutzt hätte. Aber immerhin. Das könnte er benennen, wenn er es wollte. Diese Art Hunger war in seiner Zeit bei ihm, der nicht genannt werden sollte, geweckt worden. Nein, bedient worden. Geweckt, das war wohl eine Sache der Natur, selbst bei ihm, wie er sich eingestand. Es gab Dinge, gegen die konnte selbst ein Doppelspion und ehemaliger Diener Voldemorts nichts ausrichten. Einer, der sich in stetiger Gefahr befunden und sich daran gewöhnt hatte. Irgendwie. Aber dieses Gefühl, dieses, das die Berührung dieser Frau in ihm auslöste, das hatte er schon lange nicht mehr gekannt. In Ausübung seiner „Pflichten“ hatte er diesem Gefühl nachgegeben, immer wieder. Scham und Schande drohte ihn zu überwältigen.
Wie dunkel seine Augen waren. Bodenlos. Sie war plötzlich von allen möglichen Gefühlen erfüllt. Beinahe überwältigt. Ihre Reaktion auf den Stromstoß war immer noch ein Summen des ganzen Körpers und eine gewisse Benommenheit. Wie nach Drogen oder Schlafentzug, möglicherweise beidem. Sie fühlte Angst. Und - Schuld. Wieso, wusste sie nicht, aber auch dieses Gefühl summte durch ihren Körper und trug zu ihrer allgemeinen Verfassung bei. Die irgendwie nicht gut war. Nicht hier. Nicht mit ihm. Das sollte so nicht sein. Sie war verwirrt. Ein Teil ihres Hirns beharrte darauf, dass das eine simple Reaktion auf die überstandene Todesgefahr war. Aber war die Gefahr wirklich überstanden? Nicht die Gefahr, zu ertrinken. Nicht die Gefahr, Dinge zu tun, die sie morgen bereuen würde. Sicherlich. Ganz gewiss.
Sie wandte ihre Augen von seinen ab und richtete sie auf die Hand, deren einer Finger noch in ihrem Mund war. Das machte es nicht besser. Diese Finger waren - schön. Geradezu verführerisch. Geradezu - Gedanken evozierend. Gefühle. Sie schluckte. Nein, nein nein. Das war falsch. Ganz falsch. Das war ihr neuer Chef, und der war widerlich. Ganz davon zu schweigen, dass es keinerlei Anzeichen gab, dass er das selbe fühlte. Oder irgendwas so -geartetes. Wenn er das Wort Fühlen überhaupt kannte. Benutzen tat er es sicherlich nicht. Aber diese Augen, diese Stimme, diese Hände, ... Korrektur. Es gab Anzeichen. Doch. Sehr wohl. Sie fühlte wie sie rot wurde. Und senkte ihren Kopf noch mehr. Sie empfand so etwas wie Scham. Und Spannung. Und Triumph. Für dieses Gefühl schämte sie sich gleich wieder. Sabina, du bist aber auch wirklich tief gesunken. Fühlst dich gut, nur weil du bei - männlichen Wesen - natürliche Reaktionen hervorrufst. Peinlich, das. Aber sie konnte sich nicht erinnern, wann das letzte Mal ein solches Wesen solche Gefühle in ihr hervorgerufen hatte. Doch, es musste die überstandene Gefahr sein. Und das irgendwie Verbotene. Das - beinahe Perverse - an der Situation. Das war ihr Chef, den sie nach zwei Tagen hasste wie niemand sonst, und sie kniete vor ihm und hatte seinen Finger im Mund, und ihre Hand auf seinem nackten Bauch und er - reagierte darauf. Das war sicher Grund genug für - Aufregung. Plötzlich wurde sie nach oben gerissen, rücksichtslos, an den Haaren.
Verfluchtes Weib. Er schäumte. Wie konnte sie so was tun? Und wie konnte er darauf reagieren? Er hatte gedacht, dieser Teil von ihm sei tot. Er hatte hart daran gearbeitet. All der Zauber, das Verstecken, die harte kalte Verachtung, die er der Welt zeigte. Umsonst. In diesem Moment. Nein, das ging nicht. Nicht so. Er öffnete mit Anstrengung die Augen und stabilisierte seinen Stand. Nein, er würde das hier nicht weitergehen lassen. Jeden Moment konnte sie seinen Zustand erkennen, und das konnte sie nicht wollen. Und dann würde sie über ihn lachen, hämisch und verächtlich. Davon hatte er in seiner Jugend genug gehabt. Die Gelegenheit würde er ihr nicht geben. Nicht ihr, niemandem.
Ihr Mund war gefährlich nahe am Ort des Geschehens, und er kämpfte mit sich. Hart. Jahrelanges Training in Selbstbeherrschung, Selbstverleugnung machte sich bezahlt. Er griff in ihr leuchtendes weiches Haar und zog sie hoch. Nur weg aus dieser gefährlichen Situation. Ihre Augen waren weit geöffnet vor Schmerz direkt vor ihm. Auch nicht einfach, aber besser. Bei weitem besser. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Sie haben mir nicht geantwortet“, ließ er seine gefährliche seidenweiche Stimme ertönen. „Was glauben Sie, was Sie da tun?“ Er sah, wie es in ihren Augen blitzte. Kampfeslust. Wut. Zorn. Gut. Das war gut. Damit konnte er umgehen. Er machte sich schon zu einer zynischen Entgegnung auf ihre sicherlich lächerlich pathetische Anklage bereit, da sah er, wie sich ihre weichen Lippen zu einem Grinsen verzogen, und sie ihm noch näher kam. Seine Augen wurden groß, und er schluckte. Beinahe.
„Was wollen Sie denn, das ich da tue?“ Sie konnte nicht glauben, dass sie das wirklich gesagt hatte. Sie war so wütend auf ihn gewesen, weil er ihr weh getan hatte. Mit seiner Hand und mit seinen Worten. Sie hatte schon eine vernichtende - nun gut, jeden anderen hätte sie vernichtet, ihn hätte es nur zu einer höhnischen Erwiderung mit dieser göttlichen Stimme veranlasst - Entgegnung auf den Lippen gehabt, da erkannte sie hinter der Maske einen verängstigten Teenager. Nur eine Sekunde lang, aber das genügte. Mit Teenagern hatte sie Erfahrung. Ihr waren all die hoffnungslosen Fälle hinterhergelaufen. Die mit den Hundeaugen, die sich immer in die Klassenschönheit verliebten, die sie nicht bemerkte. Die sich dann eine harte Schale zulegten. Die unter der Schale immer noch hofften, hofften, hofften. Dass eines Tages... Die die Schale immer mehr perfektionierten. Immer undurchdringlicher wurden. Niemand an sich heranließen. Böse wurden. Und doch. Und doch. Nur auf die Prinzessin oder den Prinzen warteten, der sie erlöste. Der sie so sein ließ, wie sie waren. Und sie liebte, so wie sie waren. In deren Abwesenheit hatten sie sich ihr zugewandt, ihr und ihrem Mutterkomplex. Und sie hatte sich gekümmert, hatte den Tiraden zugehört, den Weltverbesserungsphantasien, den Hassausbrüchen, den Zusammenbrüchen. Sie war eine von ihnen gewesen. Irgendwie. Und jetzt eben, in diesem Moment, hatte sie in dem Mann gegenüber das gleiche gesehen und versucht, die Schale zu knacken. Ohne darüber nachzudenken. Aus lang vergangener aber nie vergessener Übung. Und dann erschrak sie beinahe zu Tode. Als sie sah, wie sich sein Gesicht verhärtete. Wie die dunklen Augen wie Kohlen glühten. Wie sein Mund zu einem Strich wurde. Sein Griff auf ihrer Schulter schmerzhaft.
Sabina, du Vollidiotin, dachte sie und merkte, dass ihre Knie weich wurden vor Angst. Das da ist kein Teenager, kein Kind, das du trösten kannst. Das ist ein dir ziemlich unbekannter Mann, der Jahre älter ist als du, und diverse Fähigkeiten hat, die du nur erahnen kannst und wahrscheinlich nicht mal das. Der gefährliche Geheimnisse hat. Der bewiesen hat, dass er stärker ist als du, viel stärker. Und du forderst ihn heraus. Prima Idee. Wirklich. Sie schluckte und starrte in seine schwarzen Augen, in der Hoffnung, da etwas von dem wiederzufinden, was sie gesehen zu haben glaubte.
Er merkte, wie seine Augen glühten. Und ganz ohne dass er sie dazu bringen musste. Dies Weib war ja komplett verrückt. Mutig, auch wenn sie jetzt Angst vor der eigenen Courage zu haben schien. Ihre Augen hatten erst vor Vergnügen und Spaß an der Herausforderung geblitzt, jetzt waren sie groß und dunkel. Man könnte sich beinahe darin verlieren, Mann könnte ... Er blinzelte und riss sich zusammen. Sein Zustand hatte sich nicht verändert, er war eher noch schlimmer geworden. So würde das nichts werden, so nicht. Er musste nachdenken, nachdenken und mit jemand beraten, wenn es möglich war. Und vorher musste er die Wunden heilen und die Frau loswerden. Und ihre Erinnerung. Verdammt, verdammt, verdammt. Er musste doch mehr verweichlicht sein, durch die ereignislose Zeit bei den Muggeln, als er gedacht hätte. Allein daran zu denken, in so einer Situation, war unverzeihlich. Er musste Dumbledore sprechen, er musste. Er merkte nicht, dass er die Frau fester packte, fester und fester.
Aua, das tat weh. Sie öffnete den Mund um zu protestieren, erkannte aber, dass das nutzlos war. Er war nicht hier. Nicht wirklich. Schatten huschten durch die schwarzen Augen. Sie waren gar nicht leblos, wie sie vorher gedacht hatte. Es passierte alles mögliche darin, sie empfand Zweifel, Verzweiflung, Hass, und alle möglichen anderen Gefühle darunter, nicht greifbar, fassbar, wie der Teenager in dem Mann, wie eine andere Farbe unter dem schwarz. Sie schluckte und wankte unter dem Ansturm der Gefühle. Und klammerte sich fester an ihn.
Er sah sie plötzlich wieder. Direkt vor ihm. Mit tiefen Augen, die seine widerspiegelten. Er konnte sich darin erkennen. Wenn auch - auf lächerliche Weise verdreht. Verzerrt. Was sah sie? Was bemerkte sie? Sie konnte doch sicherlich nicht merken, wie er sich fühlte? Das wusste er doch selber nicht. Außerdem ging es nicht ums Fühlen. Darum ging es nie. Es ging ums Handeln. Jetzt und hier. Sofort. Verdammt. Er stieß sie fort von sich und griff zu seinem Zauberstab. Genug von dieser lächerlich haltlosen Atmosphäre. Handeln. Zielbewusst. Jetzt.
Sie starrte ihn an. Eben war sie noch gekränkt von seiner plötzlichen abweisenden Haltung gewesen, ganz zu schweigen von dem körperlichen Schmerz, von ihm getrennt zu sein, den sie nicht erwartet hatte, und der ihr beinahe den Atem nahm, was sie wiederum wütend machte, und nun war sie fasziniert von dem, was er tat. Er richtete dieses Ding auf seine Hand, es sah ein wenig unbeholfen aus, als würde er sonst seine andere Hand benutzen, murmelte irgendwas, was sie nicht verstand, und ein blaues Licht schoss aus dem Ding, das ihr Verstand sich noch weigerte, als Zauberstab zu bezeichnen. Zauberstäbe waren Dinge für die Küche oder fürs Bett, solche Zauberstäbe, wie er ihn hatte, gab es nur im Märchen, in der Kindheit, aber doch nicht hier und jetzt! Sie war atemlos und starrte starrte starrte.
Er sah sie nicht an, aber sie konnte seine Verbitterung darüber spüren, dass sie da war und das sah. Das, was auch immer. Er wechselte den -was auch immer - in seine behandelte Hand, und warf ihr nun doch einen Blick unter den Wimpern zu, schwarzes Feuer, Verachtung, Wut. Sie schrak zurück, ließ sich aber nicht abhalten zu gucken. Er richtete den Stab auf seinen Bauch und murmelte wieder. Wieder schoss blaues Licht heraus und verbarg die scheußlichen Wunden. E schloss die Augen und öffnete sie wieder. In diesem Moment machte irgendwas in ihr klick, auch wenn sie sich später nicht mehr daran erinnern sollte. Eine Ahnung von den Schmerzen, eine Ahnung von dem, was er war, und was er erlebte, durchlebte, erfahren hatte. Und ein eigenartig warmes Gefühl breitete sich in ihr aus, das sie aus Mangel einer anderen logischen Bezeichnung Mitgefühl genannt hätte, wenn sie es bemerkt hätte. Wenn sie nicht so mit Schauen beschäftigt gewesen wäre. Das Licht versiegte, er stolperte und fiel mit geschlossenen Augen gegen die Wand. Er atmete heftig.
So, mehr konnte er nicht machen. Poppy hätte natürlich mehr machen können, aber alles was jetzt noch fehlte war Ruhe, und die hatte er nicht. Nicht die Zeit dafür. Und dann diese Frau. Sie war immer noch hier. Er wünschte, sie würde sich einfach auflösen. In Luft oder was immer. Aber das tat sie natürlich nicht. Im Gegenteil. Er biss die Zähne zusammen. Wenn etwas Muggel auszeichnete, ach Quatsch, wenn etwas weibliche Wesen auszeichnete, war es Neugier. Er hätte darauf gewettet, wenn er wetten würde. Und jemand dagegen gesetzt hätte. Hier war sie wieder. Und guckte mit ihren verflucht großen Augen auf die Überreste seiner Verletzungen. Hielt seine Hand in ihrer, inspizierte sie. Fuhr mit ihren verdammten seidenweichen Fingern über seinen Bauch. Rief die gleiche Situation in seinem Körper hervor wie vorher auch. Merlins Bart! Es war jetzt nicht die Zeit und der Ort und überhaupt! Er knurrte tief in der Kehle und öffnete seine Augen. Ließ sie über ihr Gesicht gleiten. Mit aller Verachtung, deren er fähig war. „Sie sind völlig verrückt, oder? Wie können Sie sich jemand nähern, der einen Zauberstab in der Hand hat? Wissen Sie nicht, wie gefährlich das ist? Nein, natürlich nicht.“ Woher sollte sie auch, Severus. Du musst müder sein, als du dachtest. So müde, Und trotzdem. Muss Dumbledore sprechen. Sofort.
Die Wunden waren noch sichtbar, doch. Aber so weit - verheilt - dass sie in wenigen Tagen, vielleicht schon morgen, nicht mehr sichtbar sein würden. Es war völlig unfassbar. Aber in dieser unwirklichen Atmosphäre, die diese Nacht umgab, irgendwie - logisch. Folgerichtig. Dieses Ding, das er in der Hand hatte. Sie streckte ihre Hand danach aus, langsam, zweifelnd. Er riss es weg, und murmelte Verwünschungen. Doch sie hatte schon gemerkt, dass eine Kraft von ihm ausging. Es - summte irgendwie. Strömte. Vibrierte. Er sah sie an wie etwas was kroch. Aber daran war sie mittlerweile gewöhnt. Doch, der Teenager war da. Allerdings. Und auch er vibrierte unter der Maske. Sie lächelte. Lächelte ihn strahlend an. Und wurde mit einem Ausdruck von Verwirrung belohnt. Gut. Sie konnte ihn verwirren. Das war gut. „Verwandlungen und Zauberstäbe“, murmelte sie. „Meinen Sie nicht, dass Sie mir etwas mehr erzählen sollten?“
Er schloss die Augen schnell wieder. Und öffnete sie. Mit so viel Verachtung wie er in seinem Zustand aufbringen konnte - ja, er war müde, und ja, die Art, wie sie warm in sein Ohr atmete, und wie sich ihre Brust vor seinen Augen hob und senkte, trug nichts zur Besserung bei, auch wenn er das, was sie in ihm hervorrief, nicht exakt als Müdigkeit bezeichnen würde, er war ja vieles, aber sich selbst belog Snape nicht - sah er sie an: „Das können doch nicht mal Sie wirklich glauben, oder? Im Gegenteil sollte es doch sogar einer Idiotin wie Ihnen, die ihre Nase in Dinge steckt, die sie nichts angehen, absolut klar sein, dass ich Sie so nicht weiterleben lassen kann. Nicht mit diesem Wissen.“ Er würde es nicht gerne tun. Und es würde nicht leicht sein. Aber er musste es tun, und bald, damit er mit dem weitermachen konnte, was er tun musste.
Sie sah ihn an. Was sollte das jetzt bedeuten? Wollte er sie töten? Doch? Jetzt noch? Warum? Das hätte er doch einfacher haben können. Und früher. Warum hatte er sie dann überhaupt noch aus dem Wald hierher gebracht? Das ergab doch keinen Sinn.
Er seufzte. „Nein, ich werde Sie nicht töten“, sagte er müde. „Auch wenn ich versucht wäre, das zu tun. Es ist - einfacher. Mit genügend Kraft kann das jeder Idiot. Nein, das was ich vorhabe, ist schwieriger, und ich weiß nicht, ob es klappen wird. Ich habe nicht das richtige Material da.“
Warum erzählte er ihr das? Er musste wirklich sehr angegriffen sein. Voldemort würde sich über seinen ehemaligen Diener - nein, kein guter Gedanke, gar kein guter Gedanke. Er wollte jetzt nicht an die Berge von Toten denken. Ja es war einfach. Viel zu einfach. Das Schwere war - zu widerstehen. Immer wieder. Genau wie es einfacher war zu sterben als zu leben. Aber einfach - er wurde nachgerade morbid hier. Pathetisch. Lächerlich. Der Situation unangemessen. Er fasste seinen Zauberstab fester und sah ihr in die Augen. Jetzt. Jetzt gleich.
Töten wollte er sie also nicht. Aber was immer er mit ihr machen würde, sie hatte das Gefühl, dass diese Situation noch nicht zu Ende war. Nicht für sie. Wenn er schon - irgendwas - mit ihr machen wollte, dann wollte sie vorher noch was fragen. Sie hob ihre Hand, als er dieses Ding auf sie richtete.
Er richtete die Augen gen Himmel. Aber eine letzte Frage konnte er ihr wohl nicht verwehren. Mit übertrieben angestrengter Höflichkeit sah er sie an. „Ja?“
„Wenn Sie solche Dinge tun können“, sie fuhr mit ihrem Zeigefinger über seine beinahe wieder unverletzten Bauchmuskeln und bemerkte sehr wohl das Zucken in ihnen und in seinen Augen, „warum arbeiten Sie dann bei einer langweiligen Behörde?“
Mit allem hätte er gerechnet, selbst mit Betteln. Aber zumindest doch mit Fragen, was er mit ihr tun würde. Aber das - das war - unglaublich. Er merkte, wie sich gegen seinen Willen ein Laut in seiner Kehle bildete. Ein Laut, der da so ungewohnt war, dass er ihn nur als Knurren empfinden konnte. Ein Knurren mit beinahe gehobenen Mundwinkeln.
Sie sah ihn an. War das ein Lachen gewesen? Sie war nicht sicher. Sie wurde plötzlich wütend. So eine Verschwendung. Der ganze Mann. Maske, nichts als Maske, begraben in dieser Behörde. „Sie könnten der Welt helfen, mit diesen Dingen. Als Arzt. Oder - was weiß ich. Die Welt braucht solche Dinge. Und was machen Sie? Begraben sich in diesem Loch und spielen nachts Räuber und Gendarm.“ Sie durchbohrte ihn mit den Augen. Er starrte sie an. Und ließ plötzlich den Stab sinken. Und schüttelte sich. Sie war - versteinert. Lachte er? Lachte er wirklich? Sein ganzes Gesicht sah anders aus. Beinahe - attraktiv. Voll von Dingen, die sein könnten. Leben. Lachen. Liebe? Sie zwang sich, bei der Sache zu bleiben. Was war noch mal die Sache gewesen? „Genau. Kinderspiele in der Nacht statt zu helfen.“ Er beruhigte sich wieder und sah sie an. Sah sie nur an. Ihr wurde kalt. Und heiß. Dann kam er näher. „Vielleicht lohnt sich die Mühe mit Ihnen doch nicht. Sie haben wirklich keine Ahnung, wie gefährlich das heute Nacht war, oder?“
Ihre Augen wurden groß. Vielleicht war sie wirklich eine Idiotin. Sie hatte doch gemerkt, dass er diese Männer kannte. Dass er wusste, was sie taten, was sie vorhatten. Sie hatte gefühlt, wie gefährlich sie waren. Sie hatte seine Verletzungen gesehen. Wie konnte sie auch nur eine Sekunde annehmen ... „Es ist eine Tarnung“, sagte sie schwach. „Diese kacklangweilige Behörde ist eine Tarnung.“ Sie sank zu Boden.
Er hob die Augen gen Himmel. Würde das heute noch mal was werden hier? „Sehr aufmerksam, Frau Selpent. Man könnte beinahe annehmen, dass Sie nicht völlig verblödet sind.“ Er lächelte sie auf eine Weise an, die diverse Schüler in die Krankenstation gebracht hatte. Mit Alpträumen. Sie guckte nur. Mit ihren verdammten großen grauen Augen. Wie Nebel, der sich heilend um einen legt, verbergend, dämpfend, zärtlich. Er riss sich zusammen und hob wieder den Stab. „Sind Sie bereit? Wollen Sie dabei sitzen?“ Sie hob eine Augenbraue. Severus du Idiot. Lass dich nicht ablenken.
„Macht das einen Unterschied?“, fragte sie.
Er zuckte nur mit den Achseln. Sein Haar fiel ihm ins Gesicht.
Irgendwas in ihr zuckte. Nein, sie würde ihn jetzt nicht so einfach mit ihr Schluss machen lassen. Verdammt. So nicht. Nicht so. So - unvollendet. So unwissend. Von irgendwoher bekam sie die Kraft aufzustehen. Sie hielt sich an seinen Augen fest. Groß. Schwarz. Glühend. Sie versenkte ihre darin und sah, wie er mit einer Hand an seinem Kragen herumfummelt. Als wäre der zu eng. Obwohl das Hemd doch immer noch offen war. Sie verkniff sich ein Grinsen, ließ nur ihren Mundwinkel sich ein wenig heben. Ganz wenig. Ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Ging langsam auf ihn zu. Näher. Immer näher. Fühlte, wie er die Maske verstärkte. Die Kälte von ihm ausströmte. Die Verachtung in den Augen wie Watte hervorquoll. Es beeindruckte sie nicht. Nicht mehr. Nicht auf die Art wie - vorher. Sie fühlte sich wie eine Tigerin. Eine Tigerin, die auf eine Schlange zuschlich. Sie erlaubte sich ein Lächeln. Und sah, wie ein Muskel in seiner Wange zuckte.
Diese Frau war wirklich nicht zu retten. Severus wurde es eng in der Kehle. Die Art, wie sie sich bewegte. Als ob sie - ihn verführen wollte. Das war doch lächerlich. Das konnte doch nicht sein. Seine eigenen Empfindungen mussten ihm einen Streich spielen. Er konnte nicht verhindern, dass seine Augen wie gebannt an ihr hingen. Und er schluckte. Wie weit würde sie gehen? Wie weit, um sich zu retten? Vor etwas, was sie nicht kannte? Wie weit würde sie sich vor ihm, den sie hasste, hassen musste, demütigen? Das - konnte - interessant - werden. Wenn er die Oberhand behielt. Aber nein, das ging nicht. Er hatte Dinge zu tun. Lucius Malfoy war hier. Und wer weiß wer noch. Er musste berichten. Er setzte seine Maske ein, die auch viele Kollegen auf Hogwarts gewarnt hätte, von ihm fernzubleiben. Sie kam näher. Was sollte er tun? Er verspürte beinahe so etwas wie Panik. Sollte er jetzt? Einfach so? Zuschlagen? Wie sie sich bewegte. Wie konnte Frauen das nur tun? Diese Frau? Einfach ein Bein vor das andere setzen und es so - obszön - aussehen lassen?
Er war nicht weggelaufen. Und hatte auch noch nicht den Stab eingesetzt. Sie war gewillt, dass als Zeichen zu werten. Sie brachte die letzten Zentimeter bis zu ihm noch langsamer hinter sich. Geschmeidig. Sie konnte sich beinahe von außen zugucken. Es sah - gut aus. Sie blieb stehen, direkt vor dem Zauberstab. So direkt, dass er in ihre Brust piekte. Er vibrierte. Von ihm ging etwas aus. Sie hob die Augen zu dem Mann vor ihr. Sie hatte nichts zu verlieren. Gleichzeitig hoben sie die Augenbrauen.
Beinahe hätte es ihn zurück gegen die Wand geschleudert. Die Berührung ihrer - Brust - an seinem Zauberstab war beinahe intim. Sie sandte Wellen in seinen ganzen Körper. Er widerstand der Versuchung, die Augen zu schließen, und die Wellen zu genießen. Nein. Er hob drohend die Augenbrauen. „Und was, bitte schön, soll jetzt das werden? Ein Versuch, den Henker zu verführen?“ Seine Stimme tropfte von Sarkasmus. Aber sich selber überzeugte er nicht. Sie auch nicht, wie ihre sich kräuselnden Mundwinkel bezeugten. Sie lehnte sich leicht in den Zauberstab, sah ihm noch tiefer in die Augen. Wellen, Wellen, Wellen. Er merkte, wie ihm Schweiß auf die Stirn trat. Es war lächerlich.
„Ich dachte, Sie sagten, Sie würden mich nicht umbringen. Also ist Henker vielleicht nicht der richtige Ausdruck - Severus“. Diese Indiskretion brachte seine Augen zum Verengen, aber er kam nicht auf das naheliegende Thema zurück. Sie gestattete sich ein Lächeln, das nur knapp den Mund erreichte. Sie wollte ihn ja nicht erschrecken. Nicht zu sehr. Sie lehnte sich noch mehr in dieses Ding hinein. Das war wirklich ein gutes Gefühl. Erstaunlich. Sie hatte Mühe, nicht einfach mit dem Spiel aufzuhören und ... Nein, so ging das nicht. „Ich bin jetzt doch neugierig.“ Sie hatte gar nicht gewusst, dass ihre Stimme so - rau - sein konnte. Klang irgendwie interessant. Schien er auch zu finden. Zumindest sah er sie sehr - interessiert an. Der Zauberstab vibrierte stärker. Sie hielt die Augen offen und zwang sich weiterzusprechen. „Was genau wollen Sie mit mir machen?“
Ihre Augen waren direkt vor ihm. Ihre Brust, ihre Nähe brachte den auf ihn geeichten Stab dazu Dinge zu tun, die ihn sehr ablenkten. Er war wütend. Diese - Hexe. Nein, Severus, sagte eine spöttische Stimme in seinem Kopf. Genau das ist sie nicht. Zumindest nicht eine, die nach den Zauberregeln spielt. Jedenfalls nicht nach welchen, die du kennst. Verdammt. Er ließ den Zauberstab sinken, was nicht so einfach war, weil diese - Person - daran lehnte. Er atmete unauffällig auf, als er es geschafft hatte. Nun da die unmittelbare Berührung erst einmal gebannt war, konnte es weiter gehen. Nach seinen Regeln. Er griff ihr Handgelenk. Fest. Und zog sie näher zu sich ran. „Sind Sie sicher, dass Sie wissen, was Sie tun?“, fragte er mit seiner tödlichsten Stimme. „Sind Sie sicher, dass Sie klarkommen, mit dem was Sie - provozieren?“
Sie sah ihn mit unschuldigen Augen, sehr unschuldigen Augen an. Als wäre sie 12. Was sie eindeutig nicht wahr. Keine Zwölfjährige war so entwickelt. Keine schaute so. Bewegte sich so. Merlin sei Dank. Sonst wäre seine Lehrtätigkeit noch unerträglicher gewesen, als sie es eh schon gewesen war. Aus anderen Gründen.
Sie schloss die Augen. Nur für einen Moment. Der Druck seiner Hand, sein Körper, der ihren fast berührte, der Mund, der in ihr Ohr atmete. Zu viel. Beinahe zu viel. Sie konzentrierte sich. Was war es noch mal gewesen, was sie wissen wollte? Sie öffnete die Augen. „Provozieren?“ Unschuldig, aber nicht übertrieben. „Ich wollte wissen, was Sie mit mir vorhaben. Ist das - Provokation?“ Verächtliches Grinsen auf seiner Seite. Schnauben. Ja ja, das kannte sie jetzt schon. Sie war mehr daran interessiert, was er mit diesem Mund sonst noch machen konnte.
„Ich werde Sie diese Nacht vergessen lassen. Das was geschehen ist“, sagte er. Wieso sollte er nicht? Sie würde es ja vergessen. Wenn alles klappte. Sie sah ihn an und verzog spöttisch den Mund. Und lehnte sich an ihn. Beinahe. Er atmete schwer. Was hatte er denn nun gesagt? Er würde Muggel nie verstehen. Halb erschreckt, halb fasziniert, sah er, wie ihr Mund, ihre Lippen, weiche, rosige, geschwungene Lippen, sich näherten. Er versuchte, angeekelt auszusehen. Aber er konnte selbst nicht mehr beurteilen, wie es ihm gelang. Nicht sehr gut, wenn er danach ging, wie diese Frau reagierte. Gar nicht. Kam näher und näher. Ihr Atem in seinem Ohr. An seiner Nase. An seinem Mund. Weg, weg, weg. Severus, weich aus. Guck böse. Tu irgendwas. Ihre Augen guckten spöttisch und noch irgendwie. Sie waren direkt vor seinen. Ihre Hände waren an seinem Hals. Er wollte sich lösen, wollte weg, aber es ging nicht. Auch wenn sie ihn nicht sehr fest hielt. Eher wie ein Hauch. Streichelzart. Es ging nicht. „Frau Selpent“, krächzte er und schwieg geschockt. War das seine Stimme gewesen?
„Ja, Severus“, sagte sie. Nur ein Hauch. In ihr war Triumph. Beinahe. Beinahe. Seine Hände waren schon an ihrem Rücken, ohne dass er es merkte. Seine Lippen bewegten sich, auch wenn er noch kämpfte. Es fühlte sich gut an. Sehr gut. Wen kümmerte es, was morgen war. Sie nicht. Jetzt lebte sie noch. Und es fühlte sich gut an. Mit ihm. Erstaunen wallte in ihr auf. Ein letztes Mal. Das hätte sie nun wirklich nicht erwartet. Manchmal überraschte einen das Leben doch an den unwahrscheinlichsten Orten. Sie lächelte. Weich, ganz weich. Eine Hand fand seinen Haaransatz und streichelte. Ihr Mund entfernte sich von seinem, der so verführerisch nah war und zitterte, und streichelte sein Ohr mit einem Ausatmen. „Lass mich vergessen. Ich bin gespannt.“
Oh, verdammt. Er griff zu, fest. Er bäumte sich auf und sagte mit dem allerletzten verbliebenen Rest seiner Willenskraft: „Ich habe Sie gewarnt. Sie sind selber verantwortlich.“ Eine Hand in ihren Haaren, die andere an ihrem Rücken, presste er ihren Körper an seinen. Gut, so gut. Aber nicht genug. Lange nicht genug. Bevor er seinen Mund ihren Hals erobern ließ, hörte er noch ihre lächelnde Stimme: „Ja, das hast du. Aber ich werde morgen ja nichts mehr wissen.“ Dann wusste er nichts mehr.
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