Kapitel 49
Severus Snape atmete tief und ruhig ein und aus, um nicht in Panik zu geraten. Nein, Panik war natürlich nicht das richtige Wort. Wut wäre besser. Sehr viel besser. Atemberaubende Wut auf sich selbst. Wie hatte er nur so dumm sein können?
Wer sollte schon diesen Irrwicht geschickt haben? Und warum wohl? An wem im Haus konnte irgendwer oder wer auch immer wohl interessiert sein?
Na eben.
Der Jemand lag jetzt neben ihm auf dem Boden und er konnte keinerlei Lebenszeichen an ihm entdecken. Nicht dass er dafür viel Zeit gehabt hätte. Er war damit beschäftigt, den Cruciatus seines alten Freundes Lucius und dessen Kumpane zu ertragen.
Er hoffte nur, dass Potter, der verdammt Potter, wieder einmal seinem Ruf alle Ehre machte. Und überlebte. Wie er es immer getan hatte. Sonst würde die Geschichte zu Ende sein. Und was würde dann aus der Welt?
Nicht dass er, Severus Snape, das noch erleben würde. Soviel war sicher. Er war entbehrlich. Er hatte Potter gebracht. Er hatte Potters Hilfe gebraucht. Und ihn in diese Lage gebracht. Potter, dessen idiotischer Gryffindorstolz es natürlich nicht zugelassen hatte, abzulehnen. Natürlich nicht.
Und so hatte er es doch noch geschafft. Severus Snape hatte Harry Potter getötet. Nach langen Jahren.
Von Sabina mal ganz abgesehen. Ein heißer Schmerz durchfuhr ihn, als Lucius seine Kräfte verstärkte. Der elendige Bastard! Er hätte ihn töten sollen, als er die Gelegenheit hatte. Aber nein. Er war ja auf der Seite der Guten. Und was hatte ihm das gebracht?
Potter -tot.
Sabina - so gut wie tot.
Er selber - auch so gut wie.
Und die Todesesser in Hogwarts.
Und die anderen wussten nichts. Nichts Genaues. Warteten darauf, dass Severus und Harry siegten. Wie immer.
Die Wut, die Severus spürte, ließ ihn sich aufbäumen. Nein, noch war er nicht tot. Noch nicht. Verdammt noch mal. Er konnte Sabina nicht so sterben lassen. Sie würde ihn bestimmt verfolgen, wenn sie beide tot waren. Und dann hätte er nie wieder eine ruhige Minute. Da konnte er genau so gut leben bleiben.
Er schaffte es. Er würde es schaffen. Er sah schon Lucius‘ Fratze vor sich. Näher und näher. Entsetzt, verzerrt, angestrengt. Ja. Cruciatus war gar nicht so einfach. Nicht gegen einen ausgebildeten Zauberer. Nicht, wenn man nicht Voldemort hieß. Oder dessen Kräfte hatte. Und die hatte Lucius nicht.
War da nicht eine Regung am Boden gewesen? Hatten diese albernen schwarzen Haare sich nicht bewegt? Er konnte es nicht wissen. Aber lächerlicherweise gab ihm das neue Kraft. Er stemmte sich weiter gegen den Cruciatus, obwohl seine Beine unter ihm nachzugeben drohten. Er wollte nicht fallen. Würde nicht fallen. Gerade hatte er sich noch über Sabina lustig gemacht, die unter einer optischen Täuschung gelitten hatte. Cruciatus durch einen Irrwicht. Etwas Lächerlicheres hatte er ja noch nie erlebt. Nun, lächerlich war nicht gerade das Wort, das ihm zur Beschreibung seiner Lage eingefallen wäre.
Er sah seinen ehemaligen Freund an. Sollte er ihm in die Augen sehen, wenn er ihn tötete. Lucius litt. Er war es nicht gewöhnt, bis an das Äußerste seiner Kräfte gefordert zu werden. Lucius war immer verwöhnt gewesen, hatte es nicht nötig gehabt, sich anzustrengen. Nun sollte er es verdammt noch mal tun. Wenigstens jetzt.
Severus‘ Beine knickten ein. Er merkte es nur am Rande. Seine Augen waren ohne zu blinzeln auf das verzerrte Gesicht vor ihm gerichtet. Und doch sah er ein ganz anderes Gesicht. Ein Gesicht, das ihm sicher bald in der Welt hinter dieser Welt begegnen würde.
Verdammt. Er hätte wirklich gerne mit ihr gelebt. Mit Sabina.
Wirklich typisch für sein Glück. Das merkte er natürlich erst jetzt. Dass er sie - nun ja doch -irgendwie liebte.
Er schickte ihr einen Gedanken. Das hatte ja schon mal geklappt. Er verbarg nichts in dem Gedanken. Das hätte er gar nicht mehr gekonnt. Seine Kraft reichte gerade für einen Gedanken zur Zeit. Weich und zärtlich. Weil er schon so schwach war. Dem Tode näher als dem Leben.
Er war dem Tod schon öfter nahe gewesen. Sehr nahe. Aber so wie jetzt war es noch nie gewesen. So hoffnungslos. Obwohl nicht einmal Voldemort selber da war. Er hatte keinen Zweifel, dass er hinter dieser Sache steckte. Irgendwie. Hinter der ganzen Sache. Angefangen in diesem römischen Theater. Wie erleichtert musste Lucius gewesen sein, als er ihn endlich gefunden hatte.
Und das alles wegen Harry Potter? Der in seinem Leben als Auror zu gut geschützt war, um an ihn ranzukommen? Deswegen das Ganze?
Oder war das viel zu kompliziert? Viel zu kompliziert gedacht für Voldemort?
Hatte der Mistkerl einfach nur Glück gehabt?
Machte das einen Unterschied? Sie würden alle sterben. Die Guten. Und die Bösen gewinnen. Alles war umsonst gewesen.
Alles? Umsonst? Er hörte einen Aufschrei der Empörung. Nie im Leben ist alles umsonst gewesen. Nichts ist jemals umsonst. Alles hat einen Sinn. Irgendwie. Verdammt noch mal.
Mit seinem letzten Blick sah er etwas, das er für eine Halluzination hielt, die ihn zum Lächeln brachte. Eine weiße Tigerin sprang auf Lucius und riss ihn um. Severus Snape hatte ein Lächeln auf dem Gesicht, als man ihn fand.
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