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Kapitel 50



Sabina wachte mit einem Stöhnen auf. Das war ein unglaublicher Alptraum gewesen. Und ihr Kopf tat weh, wie nach einer Nacht mit dem üblen Cola-Rotwein-Gemisch ihrer Jugend. Oh Gott!

Sie bekam gerade noch rechtzeitig ihren Kopf hoch, um aus dem Bett zu kotzen.

Es war ihr peinlich. Aber nicht so sehr. Sie fühlte sich zu schlecht. Sie fühlte eine Hand auf ihrer Stirn, eine kühle Hand. Eine andere hielt ihren Kopf. Es war nicht die richtige Hand, keine von ihnen. Eine Stimme sprach zu ihr, sanft, beruhigend. Es war nicht die richtige Stimme. Sabina öffnete den Mund, eine bitter schmeckende Flüssigkeit wurde ihr eingeflößt, sie schlief wieder ein.

Sie war zwischen Wachen und Traum. So viele Bilder. Voldemort. Lucius. Kutten. Masken. Harry Potter am Boden -tot? Severus. SEVERUS? SEVERUS! Sie hörte Schritte. Es waren nicht die richtigen. Wieder die sanfte Hand, die sanfte Stimme. Das bittere Getränk. Das Niedersinken. Das Vergessen.

Sie war hungrig. Und durstig. Wasser, oh bitte Wasser. Und ein halbes Schwein auf Toast, bitte. Ob die Zauberer das wohl kannten? Zauberer? Wo war sie eigentlich?

Sie öffnete die Augen. Und schloss sie wieder.

Durch einen Schleier, den sie nach einigem Zögern nicht als Augenleiden, sondern als Bettvorhang identifizieren konnte, sah sie weiße Wände, weiße Betten, unangenehme Gerätschaften. Krankenhaus. Ihr liebster Aufenthaltsort. Naja, dunkle Kerker kamen auf der Liste ihrer bevorzugten Orte auch nicht gerade hoch oben vor. Jetzt erst recht nicht mehr.

Sie öffnete die Augen wieder. Ihr Kopf tat weh und alle Knochen auch. Aber nicht mehr so schlimm. Was immer das bittere Zeug gewesen war, es war guter Stoff. Sie konnte den Kopf bewegen. Na gut, die Augen. Immerhin. War sie gelähmt? Der Gedanke erschien ihr gar nicht so schlimm, im Moment. Wenn sie anständig versorgt würde, mit ihren liebsten Getränken und Essen, hätte sie nichts dagegen, hier bequem liegenzubleiben. Eine sehr lange Zeit. Vielleicht den Rest ihres Lebens.

Leben? Sie lebte? Verdammt, sie lebte. Warum war sie nicht tot?

Ihre letzte Erinnerung vor dem langen dunklen Loch, das irgendwie so schön beruhigend gewesen war, verschwamm. Sie war auf Lucius Malfoy zugesprungen. Nachdem sie Severus und den Jungen auf dem Boden liegen gesehen hatte. Sie hatte nicht überlegt. Sie war einfach gesprungen. Verdammt noch mal. Sie musste den Verstand verloren haben. Also falls sie jemals welchen besessen hatte.

Und während des Sprungs war etwas geschehen. Sie hatte einen Zuwachs an Kraft gespürt. Sie war nicht mehr sie selbst gewesen. Sie hatte eine Blutlust verspürt, einen unbezwingbaren Drang, diesem blonden Teufel in die Kehle zu beißen, einen Zwang, der mit nicht zu vergleichen gewesen war, was sie je erlebt hatte. Nein, nicht mal mit dem Wunsch, Severus in den Hals zu beißen.

Severus. SEVERUS! SEVERUS?

- Ja verdammt. Schrei nicht so. -

Sabina drückte ihre Tränen zurück. Es machte keinen Sinn zu heulen. Noch nicht. - Wo bist du? -

- In deinem Kopf? Was meinst du, wo ich bin? -

Vergiss das mit dem Heulen. Sie würde gleich schreien. Und zwar laut. Sehr laut.

- Was machst du da? -

- Antworte dir? Was sonst. Hatte ich je eine Chance, den Gang des Gesprächs zu bestimmen? Irgendwas zu bestimmen? -

Es war Severus. Und er war in ihrem Kopf. Kein Zweifel möglich.

- Wie kommst du da rein? In meinen Kopf, meine ich? -

Ein Schnauben. - Keine Ahnung. Magie? -

Jetzt war es an Sabina zu schnauben. - Ich dachte, du seist der Experte dafür. Und ich nur eine kleine Idi- Muggelin. -

- Als hättest du das je geglaubt. -

- Hm. Lenk nicht ab. Wieso ist das möglich? Wieso kannst du aus dem Jenseits, was auch immer das ist, mit mir sprechen? -

Schweigen. In ihrem Kopf und auch sonst. Eine ganze Weile.

- Ich sollte Versäumtes nachholen. Mein Muggelstudienlehrer scheint noch schlechter gewesen zu sein als der jetzige. -

- Was? -

- Sehr ausdrucksvoll, wirklich, Frau Selpent. Ich frage mich, was es bedeutet, wenn Muggel das Wort jenseits benutzen. Ich dachte, es stecke ein irgendwie größeres Konzept dahinter. Wieso du das auf diesen Fall anwendest, ist mir allerdings ein Rätsel. -

- Wie soll ich es denn sonst nennen? Vielleicht habt ihr ja einen anderen Ausdruck dafür? Wir haben noch einige. Aber sie sind alle sehr blumig, oder sehr unappetitlich, und ich mag mir dich weder bei deinen Ahnen, die kenne ich nicht, noch verwest vorstellen. Verwest du schon, Severus? -

Wieder Schweigen.

- Ich glaube nicht. Aber du kannst ja mal nachschauen. -

Jetzt war es an Sabina zu schweigen. Und zu denken. Sehr viel und sehr schnell.

- Severus, es tut mir leid. Aber ich scheine ja aus Gründen, die mir nicht ganz klar sind, überlebt zu haben. Ich glaube nicht, dass es im Sinne des Universums ist, wenn ich mich jetzt umbringe, um zu schauen, ob du schon verwest. Da behalte ich dich lieber in meinem Kopf und in guter Erinnerung, auch wenn ich den Rest von dir vermissen werde. Aber mit einem verwesten Körper kann ich nichts anfangen. Glaube ich. -

Noch längeres Schweigen. Jetzt war er bestimmt beleidigt.

- Ich habe nie angenommen, eine Ahnung davon zu haben, was das Universum will. Aber ich meine immer noch, du solltest dir einfach meinen Körper angucken. Vielleicht kannst du ja doch noch was damit anfangen. -

- Du bist ja pervers. -

- Sei nicht alberner als du unbedingt musst. Was ich versuche dir mitzuteilen, wobei ich leider immer wieder an deiner überreifen Phantasie scheitere ist, dass sich Jenseits in meinem Fall ziemlich einfach definieren lässt. Wie wäre es mit: jenseits dieses Vorhangs? Jenseits des Ganges? -

„Was?“, schrie Sabina. „Du liegst hier noch rum? Die Lebenden und die Toten in einem Raum? Wie pervers seid ihr eigentlich?“ Sie versuchte, sich aufzurichten, aber ihr wurde schwindelig. Sie sank wieder auf das Kissen. Wütend, aber geschlagen. Selbst aus dem Jenseits war der Mann noch schlecht für ihre Gesundheit. Und jetzt würde sie nie mehr ihre Wut an ihm auslassen können, dafür, dass er sie in diese Geschichte hereingezogen und sie dann allein gelassen hatte. Nicht körperlich jedenfalls. Eine körperlose Stimme in ihrem Kopf anzubrüllen, machte nicht so wahnsinnig viel Sinn. Selbst in ihren Augen nicht.

Ein ungeduldiges und irgendwie erschöpftes Grunzen. Eine zitternde weiße Hand zog den Vorhang um ihr Bett zurück. Hinter der Hand erschien die zitternde Gestalt von Severus Snape, in einem weißen Krankenhausnachthemd, dem die schwarzen Haare so wild ums Gesicht fielen, wie in den angeregtesten Momenten seines Leben. Seine kohlschwarzen Augen sahen sie verächtlich, ungeduldig und noch irgendwie an. Ganz wie im Leben.

Sabina reagierte wie die blonde Heldin. Sie zog zitternd die Decke an sich und konnte die Augen nicht von ihm lösen. Er sah nicht sehr angewest aus. Nur sehr blass. Aber noch nicht so durchsichtig wie die Geister der Schule. Er schien sich noch in einem Zwischenstadium zu befinden.

Schwarze Augen starrten in graue. Sie schienen auf etwas zu warten. Als Sabina sich nicht rührte, zog sich eine schwarze Augenbraue verächtlich hoch, ein Mundwinkel zuckte. Dann kam Severus im Nachthemd näher auf die zitternde Sabina zu. Langsam erst, dann schwankte er und fiel auf sie. Er fühlte sich nicht sehr körperlos an.

„Aua“, schrie Sabina empört, als ein nicht unbeträchtliches Gewicht auf ihren durch das lange Liegen nicht besser gewordenen, malträtierten Knochen landete. Schwarze, leicht fettige Haare kitzelten ihr Gesicht. Die schwarzen Augen öffneten sich und sahen sie herausfordernd an. Sabina schluckte. Ihre Hand erhob sich zitternd wie von selbst von der krampfhaft gehaltenen Bettdecke und fasste in die schwarzen Strähnen. Tasteten das weiße Gesicht ab. „Du lebst“, flüsterte sie. „Du lebst, du lebst, du lebst“. Ihre Stimme brach und sie wandte ihr Gesicht ab.

„Das versuche ich seit Stunden, dir mitzuteilen.“ Severus‘ Stimme klang gelangweilt. „Aber du willst ja nicht von deinen lächerlichen vorgefassten Meinungen abweichen.“

Sabina schluckte den riesigen Kloß in ihrer Kehle. Severus lebte, er lebte, er lebte.

Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und sie schlug auf ihn ein. „Wie kommst du dazu? Wie kannst du nur? Warum lebst du?“ Sie wurde von Gefühlen geschüttelt. Der Kloß kam wieder hoch und schien aus ihren Augen, der Nase und dem Mund herauszuwollen. Sie nahm nichts mehr war, außer dem festen warmen Körper über ihr. Ihr Gehirn sang. Er lebt er lebt er lebt!

Hände legten sich um ihre Schultern. Beruhigend. Ein Kopf näherte sich ihrem. Ein Mund legte sich an ihr Ohr. „Ähm, das Universum? Die Vorsehung? Und der ganze Rest?“

Warme Lippen liebkosten ihr Ohr. Ihre Wange. Ihr Kinn. Landeten auf ihrem Mund. Öffneten ihre Lippen. Die sich nicht lange zierten. Und sie dachte erst mal gar nichts mehr.

Nach ihrer Wiedergeburt, als sie wieder Atem holen konnte, musste, und die Gedanken wieder langsam zu laufen anfingen, wollte sie mit ihm sprechen. Ihm erzählen, was sie erlebt hatte. Ihn fragen, was er erlebt hatte. Warum er lebte. Ob sie gesiegt hatten. Für immer. Oder wie immer nur vorläufig. Dann sah sie ihn an. Seine schwarzen Augen glühten wie im Fieber. Sein einer Mundwinkel hob sich in dieser Art, die ihr Herz dazu brachte schneller zu schlagen. Der Rest ihres Körpers hatte auch nichts von seiner bedauerlichen Beeinflussbarkeit eingebüßt, stellte sie fest. Sie merkte, wie sich ihre Mundwinkel in einer Antwort hoben.

Severus‘ zynischer Mund verzog sich zu so etwas wie einem Lächeln. Seine eine Hand lag auf ihrem Schlüsselbein, seine andere an ihrer Hüfte. Die lächerlichen Nachthemden waren kein Hindernis.

„Ach verdammt“, sagte Sabina. „Was spielt es schon für eine Rolle. Wir beide leben.“

Keiner von beiden bekam es mit, dass eine weißhaarige Gestalt leise kicherte und „Offensichtlich“ sagte. Auch dass die Vorhänge um sie geschlossen wurden, interessierte sie nicht weiter. Für den Leisezauber waren sie dankbar, als sie ihn viel später bemerkten. Doch. Aber sehr viel später.


Kapitel 49

Epilog

 

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