Geheimnisse

 

 

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Kapitel 23: Normalität?



Wenn das Wasser sich nicht bewegt, wird es klar.

Aus Tibet


Snape kämpfte sich mühsam aus dem Wust an Alptraumüberresten und Gesprächsfetzen, an die er sich zu erinnern glaubte, hervor. Müde blinzelte er in die Dämmerung. Etwas bewegte sich an seinem Bett, erschrocken zuckte er zurück.
„Ruhig.“
Severus ließ sich tiefer in das Bett sinken, Pomfrey, nicht Black. Seine Schutzgeister waren ihm hold. Aber war da nicht Black gewesen?
„Was ist passiert?“ raunte er.
„Das wollte ich Sie fragen. Sirius berichtete, dass Sie zwischen totaler Erschöpfung und vollster Energie sprühten.“ Pomfrey klang keineswegs anklagend, sondern eher leicht belustigend.
Seine Schutzgeister waren ihm doch nicht gesonnen gewesen, sein Geist hatte ihn nicht getrübt, Sirius Black war da gewesen. Noch während er sich den Kopf zermarterte was er zu Black gesagt haben könnte, reichte ihm Pomfrey einen weiteren Kelch mit Medizin. Ohne zu klagen oder zu murren schluckte er den Trank. Seine Nase und Gaumen verrieten ihm, dass es sich um einen Stärkungstrank der leichteren Sorte handelte. Kurz rebellierte sein Magen, doch mit purer Willenskraft zwang er seinen Körper den Trank zu behalten. Pomfrey begann ihre kleine Tasche zu packen und kleinere Trankfläschchen zusammen zu stellen.
„Wie steht es um mich?“ fragte Snape und richtete sich nun auf. Auf Blacks Urteilsvermögen wollte er sich nicht verlassen.
„Sie werden es wieder einmal überleben, Severus Snape. Aber gehen Sie es heute einen Hauch langsamer an.“ Sie stand nun vollkommen auf und schulterte ihre Tasche.
Severus sah ihr in die Augen und diese sprachen Bände. Aber wie lange Sie es überleben werden kann ich nicht sagen.
Zögernd hob Snape die Hand, doch etwas in ihm hielt ihn davor zurück. Er war zu dieser Handlung nicht berechtigt, irgendwie wußte er es. Pomfrey warf ihm ein letztes Lächeln zu und meinte zum Abschied: „Der Unterricht beginnt erst in 3 Stunden, ruhen Sie noch etwas. Vielleicht sollten Sie auch hier essen, und denken sie daran....“
„Ja ich weiß, langsam angehen lassen“, murmelte Snape.
Er hörte noch wie die Tür hinter der Heilerin zufiel und er war allein. Das Nachhemd klebte an ihm und roch nach Salben und Medizin. Mit einem leisen Ächzen zog er es aus und warf es achtlos in eine Ecke. Vorsichtig untersuchte er sich selbst, streckte Muskeln und Sehnen und betastete seine Schulter. Es hätte schlimmer seinen können, in diesem Zustand konnte er unterrichten, er MUSSTE unterrichten. Mühsam stolperte ins Bad und begann sich die Salben vom Körper zu waschen. Da einige Muskeln ihm nicht so gehorchen wollten dauerte es etwas länger. Als er eingewickelt in ein großes Handtuch später seine Räume betrat stand bereits auf dem Tisch im Wohnbereich ein reichhaltiges Frühstück. Einer der Hauselfen musste es leise gebracht haben. Vorsichtig setzte er sich an den Tisch und begann zu essen, mechanisch, ohne zu merken was er da aß. Genau so mechanisch begann er sich anzuziehen, als es Zeit war. Diese alten Bewegungsabläufe gaben ihm genug Kraft für das Bevorstehende.

Das Schloß erwachte während dessen zum Leben. Die altbekannten Geräusche erfüllten seine Räume, Kinderlachen und hier und da der Knall eines Fluches wenn es Ärger gab. Für den Bruchteil einer Sekunde fragte er sich ob er damals die Räume auch gewählt hätte, wenn er immer wieder die Kinder hören würde. Doch damals war er taub gewesen und Geräusche waren egal gewesen.
Severus warf keinen letzten Blick in den Spiegel, er wusste, er sah aus wie immer. Vorsichtig, fast zaghaft öffnete er die Tür und sah skeptisch den Gang entlang. Keiner zu sehen.
Die anfangs zögerlichen Schritte wurden fester und als er den ersten Schülergruppen begegnete erinnerte nichts mehr an sein Wochenende. Nur Personen, die ihn wirklich gut kannten, würden bemerken, dass er mit nicht ganz so viel Elan durch die Gänge rauschte und seine Hände hier und da sich krampfhaft zusammenballten. Diese Nervenzuckungen versteckte er in seinen weiten Roben. Mit Schwung schlug er die Tür zu seinen Unterrichtsräumen auf, die Schüler zuckten zusammen und beobachteten ihn. Gut, er brauchte diese Angst, es würde sie davon abhalten ihn genauer zu beobachten. Leise sprach er kurz über den zu brauenden Zaubertrank und zauberte das Rezept an die Tafel.
Snape hatte ein schwereren Trank gewählt, die Kinder mussten sich voll und ganz darauf konzentrieren. Aufrecht und stolz saß er an seinem Schreibtisch und beobachtete sie.
'Nur keine Schwäche zeigen', dachte er und seine kalten schwarzen Augen wanderten durch den Raum, 'und es langsam angehen lassen.'
Heute verzichtete er darauf zwischen ihnen umherzugehen, stattdessen beobachtete er seine Schüler ganz genau.
Hufflepuff verlor keine Punkte und Ravenclaw auch nicht. Dafür schaffte keiner den Trank, so wie Severus Snape es wollte, und keiner erhielt eine gute Note. Als die Kinder den Raum verließen, dachten sie mehr bekümmert an ihre Noten als an die Hauspunkte.
Er hatte eine Stunde Zeit bis zur nächsten Klasse. Sein Rücken schmerzte, Muskeln verknoteten sich und lockerten sich wieder, verärgert sah er auf seine Hände die sich leicht verkrampften. Zittrig versuchte er eine Schublade an seinem Lehrerpult zu öffnen, dort hatte er am Anfang des Jahres einen Tiegel mit Salbe deponiert. Es würde ihm helfen die Zuckungen für einige Zeit zu kontrollieren, Muskeln lockern und Sehnen entspannen. Seine Finger glitten ab, es gelang ihm einfach nicht diese Schublade zu öffnen.
Seine Sinne ließen ihn aber nicht im Stich wie seine Hände, sein Kopf schnellte hoch und er sah zum Klasseneingang.
Sirius Black stand da, angelehnt an den Türrahmen und beobachtete ihn ruhig. Gerade als er den Mund öffnen wollte um Black eine Beleidigung an den Kopf zu werfen, so weit funktionierte sein Geist noch, stieß dieser sich am Türrahmen ab und ging auf ihn zu.
Severus beobachte den anderen Mann, wie eine scheue Gazelle, die ihren Feind beobachtete. Fast erwartete er wieder diesen ruhigen witternden Gesichtsausdruck in seinem alten Widersacher zu sehen. Er schien auch etwas erfühlen, wittern zu wollen, doch war es keine Beute. Er kam vor Snape zum Stehen und sah ruhig auf die zuckenden Hände. Mit einem Seufzer schüttelte er den Kopf, beugte sich herunter und öffnete elegant die Schublade. Ohne zu sprechen holte er den Salbentiegel hervor und öffnete ihn. Prüfend nahm er etwas Salbe in die Hand und zerrieb sie auf den Fingerspitzen.
„Lange wird die nicht mehr halten“, meinte er als er schließlich daran geschnuppert hatte.
Snape beobachtete ihn immer noch sehr genau und schwieg.
Wo her wußte dieser Hund das, fragte er sich.
Sirius sah auf Snape herab – oh, wie sehr er diese Arroganz bei Black immer gehaßt hatte. Dieses „ich bin der Größte“-Gehabe. Er ahnte, dass Blacks Hilfe auf der Lichtung wohl ein einmaliger Ausrutscher gewesen seinen musste. In fester Erwartung, nein, im festen Glauben, einen beleidigenden Witz zu hören, schloß er die Augen, wie zu seiner Schulzeit. Nichts würde sich je ändern. Gar nichts, und wenn, dann hatte Snape immer nur darunter zu leiden gehabt.
'Na komm', schrie er in Gedanken, 'das wolltest du doch immer sehen Black! Führe fort womit du in der Schule begonnen hattest. Hier ist kein Firenze, der dich zwingen kann, kein Einhorn, das über mich wacht.'
Ein Stuhl scharrte über den Boden. Eiskalte Hände, die seine berührten und begannen etwas unsicher die Salbe einzumassieren, Finger zu strecken und zu lockern. Wie tief war er gesunken. Warum hatte Hagrid ihm das angetan! Ihn in dieser Schande zurückgelassen? In den Bewegungen lag keine Erfahrung, keine innere Ruhe, was hatte er von Black auch anderes erwartet? Er öffnete die Augen einen Spalt weit um zu sehen was Black genau machte.
Der ehemalige Gefangene von Askaban saß ihm gegenüber, der Salbentiegel stand auf dem Tisch und gerade wollte sich Sirius noch etwas holen.
„Nicht so viel, sonst geht das Gefühl in den Händen verloren.“ Snape hatte es gesagt bevor er nachgedacht hatte. Verdammt!
Sirius sah ihn an und nickte. Je länger sie sich gegenüber saßen und Black die Salbe in seine Hände massierte, wurden die Bewegungen sicherer. Nicht grob, eher behutsamer, vorsichtiger. Nach knapp einer halben Stunde entzog sich Snape diesen immer noch eiskalten Händen. Prüfend bewegte er die Finger, keine Krämpfe mehr. Verwundert sah er zu Black.
„Geht es jetzt?“ fragte dieser - klang Besorgnis in dieser Stimme?
Nein, er mußte sich irren.
Aber eine Frage wurde gestellt und Snape fühlte sich seltsamerweise verpflichtet zu antworten. „Ich denke es wird für den Rest des Tages genügen.“
„Gut“, sagte Sirius Black knapp und begann den Salbentiegel wieder zu wegzuräumen.
Plötzlich war der jagende Hund in Sirius erwachte, sein Kopf ruckte zur Tür herum. Schüler! Sie lärmten bereits durch den Gang. Es war doch mehr Zeit vergangen als er eingeschätzt hatte. Ein unbemerktes Entkommen durch die Tür war so gut wie unmöglich. Würde Sirius jetzt über Snape spotten, ihn den fragenden Blicken der Schüler aussetzen? Was machte Sirius Black bei Severus Snape? Er würde seinen Ruf in der Schule verlieren und damit auch einen Teil seiner mühsam aufgebauten Glaubwürdigkeit. Doch er sah nur noch ein Huschen und hörte wie eines der Gitter zu den Lüftungs- und Lichtschächten geöffnet wurde. Mit gerunzelter Stirn sah er sich nach dem Geräusch um. Elegant schwang sich Black in einen der Lüftungs- und Lichtschächte und verschloß wieder umsichtig das Gitter. Kein normaler Mensch hätte in diesen Schacht gepasst, aber Sirius Black war immer noch leicht abgemagert und hager.
Die Schüler kamen näher.
Die Gestalt war immer noch gut zu sehen vor dem wenigen einfallenden Licht in seinen Klassenzimmer. Sirius warf das lange Haar in den Nacken und sah nach oben.
Snape konnte bereits die Vibrationen in den Platten spüren. Die ersten Kinder kamen nun leise in seinen Klassenraum. Besorgt sah er zu dem Schacht.
Er war leer.
Sirius Black war verschwunden.
Leise setzten sich alle und erwarteten das Schlimmste. Einige schworen später, dass es nach Medizin gerochen hätte in den Kerker. War ihr Lehrer krank? Dieses Gerücht hielt sich nur kurz, bis ein Schüler meinte es könnte auch der Trank der Vorklasse gewesen sein, der so roch. Eine plausible Erklärung und sie wurde von allen geschluckt.

Sirius Black kletterte gekonnt aus dem Schacht. Oben angekommen verschloß er wieder das Gitter und begann sich die Spinnweben aus dem Haar zu schütteln und aus den Kleidern zu klopfen. Pfeifend kehrte er ins Schloß zurück, am Portal stocke er jedoch, sah sich um. War das gerade eben wirklich passiert? Hatte er gerade seinem ärgsten Schulfeind wieder geholfen? Mit sicheren Händen zog er ein Pergament hervor und betrachtete es. Hagrid hatte recht gehabt mit den Fluchnachwirkungen, anscheinend waren sie auch zu seinen Zeiten öfter vorgekommen, immerhin hatte der Halbriese ein ganzes Pergament darüber verfasst, und dieses Wissen war ihm eben zugute gekommen. Was würde Snape wohl jetzt über ihn denken? Harry winkte ihm aus einem der oberen Fenster zu und Black winkte zurück. Oder gar Harry? Lieber erwähnte er dies nicht gegenüber seinem Patenkind. Das war nur eine Sache zwischen ihm, Hagrid und Snape.


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