Kapitel 8: Katzenkonzert
"Hermine, wach auf!", drängte Lavender, die Zimmergenossin des Mädchens. "Unter dem Fenster sitzt eine Katze und schreit sich die Lunge aus dem Hals. Schau lieber nach, ob es nicht Krummbein ist. Klingt, als sei er verletzt oder so was."
Sofort war Hermine hellwach vor Sorge. Sie eilte zum Fenster, öffnete es und spähte hinaus in die Nacht. Im schwachen Licht ihres Zauberstabes entdeckte sie den großen roten Kater, der direkt zu ihr empor sah. Zur Begrüßung miaute er kurz, dann rannte er ein paar Schritte dem Weg entgegen, der zum Haupttor führte, drehte um, miaute wieder, und lief dann weiter Richtung Tor, wobei er immer wieder zu Hermine schaute und ungeduldig maunzte.
"Das ist schon ein seltsamer Kater, Hermine", flüsterte Lavender, die über die Schulter des wuschelköpfigen Mädchens gelugt hatte. "Sieht so aus, als ob er dir etwas zeigen wollte. Was kann das wohl sein, so mitten in der Nacht?"
"Keine Ahnung", antwortete Hermine leicht verwirrt. "Aber bei dem Lärm, den er macht, muss es etwas wichtiges sein. Ich sage besser Professor McGonagall Bescheid."
***
Kurze Zeit später verließen zwei Gestalten in schweren Wintermänteln den Haupteingang des Schlosses und folgten der aufgeregt maunzenden Katze den sich windenden Weg hinunter zum Haupttor. Ihre erhobenen Zauberstäbe warfen ein schwaches und schauriges Licht über die dünn mit Schnee bedeckte Landschaft.
"Ich hoffe sehr, es handelt sich hier um etwas wichtiges, Miss Granger", murmelte die ältere Hexe, aber mehr zu sich selbst als zu ihrer jungen Begleiterin. "Was eine schwachsinnige Idee, mitten in der Nacht hinter einer Katze herzurennen. Und jetzt fängt es auch noch an zu schneien, das hat mir gerade noch gefehlt. Großartig. Wahrscheinlich handelt es sich ohnehin nur um eine tote Ratte oder so etwas ..."
Aber es war keine tote Ratte. Als sie das große Tor erreicht hatten, quetschte sich Krummbein durch die schmiedeeisernen Stäbe und rannte auf ein großes Bündel zu, das auf dem Boden lag und verdächtig nach einem menschlichen Körper aussah.
"Merlin, nein, das kann nicht sein ..." McGonagall schnappte nach Luft. "Bleiben Sie zurück, Miss Granger", ordnete sie dann an, öffnete das Tor und ging vorsichtig auf die am Boden liegende Gestalt zu. Im Licht ihres Zauberstabes konnte die Lehrerin einen Wust von schulterlangem, schwarzen, völlig zerzausten und blutverkrusteten Haaren ausmachen, das unter einer dreckigen alten Decke hervorschaute und erschreckend bekannt aussah. Ihr Herz krampfte sich zusammen.
"Severus?", wisperte sie, als sie neben dem reglosen Körper, der mit dem Gesicht nach unten im Schnee lag, niederkniete. Tränen traten in ihre Augen. Vorsichtig darauf bedacht, ihn möglichst nicht zu bewegen, suchte sie am Hals ihres jungen Kollegen nach einem Pulsschlag.
"Ist ... ist er tot?", fragte Hermine mit zittriger Stimme.
"Er lebt, aber nur gerade eben so", antwortete ihre Lehrerin düster. "Die Schweine müssen ihn erst vor kurzem hierher gebracht haben. Er ist noch warm. "Entschlossen erhob sie sich. "Miss Granger, laufen Sie zum Krankenflügel und wecken Sie Madame Pomfrey. Schnell. Vielleicht können wir ihn noch retten."
Während Hermine, dicht gefolgt von Krummbein, auf das Schloss zu sprintete, verwandelte McGonagall einen großen, abgebrochenen Ast in eine Trage. Sie warf einen Wärmezauber über den komatösen Mann und drehte ihn vorsichtig mit einem Schwebezauber um. Snape wimmerte leise, und ein Rinnsal frischen Blutes tropfte aus seinem halb geöffneten Mund und hinterließ purpurne Flecken im Schnee.
"Oh, Severus, tut mir so leid, ich wollte dir nicht weh tun", flüsterte die Hexe entschuldigend. "Aber ich muss dich bewegen. Halt durch, Poppy wird dir helfen, du wirst schon sehen. Du kommst wieder in Ordnung, halt nur noch ein bisschen aus. Und wage ja nicht, mir unter den Händen wegzusterben ..." Während sie so vor sich hin murmelte, größtenteils, um sich selbst Mut zuzusprechen, ließ sie den Bewusstlosen sanft auf die Trage schweben und begann ihren Weg in Richtung Schloss.
***
Madame Pomfrey wartete hellwach und geschäftig am Eingang zum Krankenflügel auf sie.
"Hier, Minerva, das Privatzimmer, auf das Bett, seien Sie vorsichtig, seine Lunge muss verletzt sein, so wie er atmet und mit all dem Blut", warnte die Medihexe. Dieses Mal rührte sich Snape nicht und gab auch keinen Laut von sich, als er sanft auf das Krankenbett schwebte. "Ich habe Miss Granger aufgetragen, den Direktor zu holen. Er wird jede Minute hier sein. Und Sie setzen sich lieber, Minerva, Sie sehen aus, als würden Sie jeden Moment ohnmächtig werden."
Gerade als McGonagall sich in einen Stuhl fallen ließ, betrat der Professor Dumbledore das Zimmer, dicht gefolgt von einer unnatürlich blassen Hermine.
"Wie steht es um ihn, Poppy?", fragte Albus besorgt, als er an das Bett trat.
"Ich kann es noch nicht sagen, aber sein Puls ist sehr schwach und unregelmäßig, und er atmet kaum noch", antwortete die Medihexe, während sie die wichtigsten Lebensfunktionen ihres Patienten überprüfte. Dann nahm sie ihren Zauberstab hervor und begann, ihn damit nach Verletzungen abzusuchen. Doch nach wenigen Augenblicken senkte sie den Stab wieder. Ihre Hände zitterten, und ihre Augen waren geweitet vor Schreck.
"Albus", flüsterte sie, "etwas stimmt nicht mit Severus. Mit all seinen Verletzungen ist es ganz unmöglich, dass er noch am Leben ist. Es ist einfach nicht normal."
"Schwarze Magie", bestätigte der Direktor traurig. "Ich kann sie fühlen. Sie haben ihn mit schwarzer Magie am Leben gehalten." Nach einem kurzen Moment des Überlegens, fuhr er fort: "Ich werde Fawkes nach Remus Lupin schicken. Als Fachmann auf dem Gebiet wird er am besten wissen, was zu tun ist. Und, Poppy, wenden Sie besser keine Magie auf Severus an, es könnte gefährlich sein." Die Medihexe nickte stumm, und Dumbledore eilte zurück in sein Büro. Drei bleiche und ziemlich ratlose Hexen blieben zurück.
"Dann fangen wir wohl erst einmal damit an, ihn etwas zu säubern - ohne Magie", sagte Madame Pomfrey schließlich. "Würden Sie bitte etwas warmes Wasser und Handtücher holen, Miss Granger?" Vorsichtig entfernte die Medihexe die alte Decke, in die der schlaffe Körper des Zaubertränkelehrers eingewickelt war. Sie musste ihre Augen beim Anblick all der Verletzungen, die dem ehemaligen Spion zugefügt worden waren, für einen Moment schließen. Wie konnten Menschen nur so grausam sein? Sie würde nie verstehen, was in den Gehirnen derer vor sich ging, die bereit dazu waren, einen ihrer Mitmenschen so bestialisch zu foltern.
Langsam strömten Tränen über McGonagalls Wangen, während sie Poppy half, die blutigen Fetzen zu entfernen, die einmal die schwarzen Hosen des Tränkelehrers gewesen waren. Nach ihrem Geschmack fühlte sich seine Haut jetzt, da er aus der Kälte heraus war, viel zu warm an.
"Er hat hohes Fieber, Poppy", sagte sie leise und strich eine Strähne rabenschwarzen Haares aus der Stirn des kranken Mannes. "Armer Junge, was haben diese Schweine nur mit dir gemacht?"
Beladen mit einer Schüssel warmen Wassers und einigen Handtüchern kam Hermine zurück in das kleine Krankenzimmer. Als ihr Blick auf das fiel, was vom linken Arm ihres Lehrers übrig war, schnappte sie nach Luft und ließ fast die Schüssel fallen.
"Miss Granger, Sie geben dies besser mir", sagte Madame Pomfrey und griff nach dem Gefäß in den zitternden Händen des Mädchens. "Es tut mir leid, Sie sollten dies hier wirklich nicht sehen. Gehen Sie zurück auf Ihr Zimmer und versuchen Sie zu schlafen."
Von Wasser und Handtüchern befreit, floh Hermine aus dem Krankenflügel. Aber der grauenvolle Anblick hatte sich tief in ihre Erinnerung eingebrannt. Vorsichtig darauf achtend, niemanden zu wecken, schlich sie in ihr Bett, in dem Krummbein schon auf sie wartete. Sie murmelte schnell einen Stillezauber, und brach dann, ihr Gesicht im weichen Fell ihres Haustieres vergraben, in herzzerreißendes Schluchzen aus, bis sie schließlich völlig erschöpft einschlief.
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