Fern der Heimat

 

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Kapitel 8: Unerwartete Begegnung

 



Nachdem er Harry zurück nach Hogwarts gebracht hatte ging Severus hinunter in die Abgeschiedenheit seines Arbeitszimmer.
Als er die vertrauten, düsteren Räume betrat, atmete er tief durch. Diese stickige, zaubertrankgeschwängerte Luft hatte immer etwas beruhigendes an sich.
Severus setzte sich an seinen Schreibtisch und begann seine Unterlagen zu sortieren.
Da morgen sein letzter Tag in dieser Muggel-Schule sein würde, war es langsam an der Zeit, seinen Unterricht für Hogwarts vorzubereiten.
Er würde es nicht sonderlich vermissen, dachte er grimmig.
Fast im gleichen Moment jedoch schob sich das Bild einer jungen Frau in seine Gedanken und er musste unwillkürlich lächeln.
Würde er vielleicht doch eine Kleinigkeit aus der Muggelwelt vermissen? Ein klein wenig zumindest?
Er würde ihr morgen erklären müssen, dass sie sich nie wieder sehen würden.
Bei diesem Gedanken seufzte er leise.
Aber was sollte dieser sentimentale Unsinn? Emotionale Bindungen führten nie zu etwas Gutem, das hatte er im Laufe seines Lebens gelernt.
Severus war fast fertig mit seiner Arbeit, als es an seiner Bürotür klopfte. Er blickte auf und starrte unwillig die Tür an. Konnten sie ihn denn nicht einfach alle in Ruhe lassen?
Ohne dass er auf das Klopfen antwortete, öffnete sich die Tür und Albus Dumbledore trat ein.
Severus blickte den Direktor verwundert an.
"Hallo Severus, darf ich eintreten?", fragte Dumbledore freundlich.
"Bist du das nicht bereits?", fragte Severus abweisend zurück.
Dumbledore lächelte, schloss die Tür hinter sich und setzte sich ohne auf eine Aufforderung zu warten auf einen Stuhl, Severus gegenüber.
"Wie geht es dir, mein Freund?", fragte Dumbledore. "Du siehst nicht besonders gut aus."
Severus schnaubte.
"Wie sollte es mir gut gehen, wenn man nicht einmal in der Muggel-Welt vor Potter seine Ruhe hat?", knurrte er.
"Ach Severus", seufzte Dumbledore, "nimmst du das ganze nicht etwas zu persönlich?"
Severus biss die Zähne zusammen und schwieg. Wie konnte Dumbledore ihm nur so etwas unterstellen?
Der Direktor schien auf seine Frage keine Antwort zu erwarten, denn er fuhr ungerührt fort.
"Ich habe mir das, was du erzählt hast, noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Aufgrund der jüngsten Vorkommnisse solltest du nicht mehr nach Surrey zurück kehren. Es ist einfach zu gefährlich. Ich werde Newton bescheid sagen, dass du morgen nicht mehr unterrichten wirst."
Severus nickte.
"Ich kann nicht behaupten, dass ich mich darum reiße, noch einmal dorthin zurück zu kehren", sagte er schließlich.
"Wirklich nicht?", fragte Dumbledore augenzwinkernd.
Severus blickte ihn fragend an. "Was meinst du damit?"
"Nun ja", antwortete Dumbledore mit einem verschmitzten Lächeln. "Ich habe diverse Gerüchte gehört, über eine Frau ....."
"Das ist völliger Blödsinn", unterbrach Severus ihn barsch.
"So?", fragte Dumbledore und blickte seinen Zaubertranklehrer forschend an.
Severus antwortete nicht. Wie kam der Direktor nur auf solch einen Unsinn?
"Dann werde ich also morgen wieder meine Zaubertrank-Klassen unterrichten", wechselte Severus demonstrativ das Thema.
"Du kannst dir ruhig noch ein oder zwei Tage frei nehmen", schlug Dumbledore ihm vor.
"Und meine Lehrtätigkeit hier noch länger vernachlässigen?", fragte Severus verständnislos. "Das werde ich mit Sicherheit nicht tun."
"Wie du willst", seufzte Dumbledore.
Die beiden unterhielten sich noch einen Moment, dann machte Dumbledore sich wieder auf den Weg in sein Büro, viele Stockwerke über den düsteren Kerkern.
Auf dem Weg dorthin seufzte er erneut. Newton Amandus, der Leiter der Muggelschule, hatte ihm berichtet, dass Severus Snape sich mit einer Muggel-Lehrerin angefreundet hatte.
Er hatte wirklich gehofft, dass sein Zaubertranklehrer nun endlich den Mut finden würde seinen Gefühlen zu folgen, aber scheinbar war er noch immer nicht so weit.

***



Als Harry am nächsten Morgen erwachte und realisierte wo er sich befand, breitete sich ein glückliches Lächeln auf seinem Gesicht aus. Endlich war er wieder in Hogwarts. Hier gehörte er hin. Dies war sein Zuhause.
Noch am gestrigen Abend hatte Professor McGonagall ihm seinen Koffer mit seinen Habseligkeiten aus dem Ligusterweg gebracht. Nach Aussagen seiner Lehrerin hatten sich überall in den Straßen um den Ligusterweg schwarz gekleidete Gestalten in den Schatten der Häuser herumgedrückt. Es war also nur gut gewesen, dass Harry nicht mehr dorthin zurückgekehrt war.
Nachdem er sich angezogen hatte, ging er mit Ron und Hermine hinunter zum Frühstück. Ganz langsam machte sich ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend breit. Wie würden die anderen Schüler auf ihn reagieren? Was für furchtbare Gerüchte hatten sie über seinen Verbleib gehört?
"Harry", riss Hermine ihn schließlich aus seinen Gedanken.
"Hm?", fragte Harry gedankenverloren.
"Hat Professor McGonagall dir eigentlich auch deinen Zauberstab zurück gegeben?", fragte sie.
Harry wich augenblicklich jegliche Farbe aus dem Gesicht. An seinen Zauberstab hatte er gar nicht mehr gedacht. "Nein", antwortete er leise.
Ron starrte seinen Freund ungläubig an.
"Und wie willst du dann am Unterricht teilnehmen?", fragte er.
Harry blickte ihn wortlos an und zuckte leicht mit den Schultern.
"Du musst gleich nach dem Frühstück zu Professor Dumbledore oder Professor McGonagall. Du brauchst deinen Zauberstab so schnell wie möglich", fügte er hinzu, als Harry nicht antwortete.
Harry nickte stumm. Die gute Laune, mit der er an diesem Morgen aufgestanden war, hatte sich augenblicklich in Luft aufgelöst. Missmutig trottete er hinter Ron und Hermine her in die Große Halle.
Als er die Halle betrat, verstummten sofort alle Gespräche. Alle Augen richteten sich auf die große Flügeltür und starrten Harry neugierig an. Harry versuchte die neugierigen Blicke so gut es ging zu ignorieren und folgte Ron und Hermine zum Gryffindor-Tisch.
Als er den Tisch erreicht hatte, sprangen Fred und George abrupt auf und applaudierten begeistert. Nacheinander erhoben sich fast ein Dutzend weitere Gryffindors und fielen in den Beifall ein.
Die Slytherins am anderen Ende der Großen Halle starrten wortlos herüber. Draco Malfoy kniff feindselig die Augen zusammen und beobachtete jede Bewegung Harrys aufmerksam.
Harry versuchte die Blicke um sich herum so gut wie möglich zu ignorieren und setzte sich zu seinen Freunden.
Kaum hatte er Platz genommen kam auch schon Angelina Johnson, der Captain der Gryffindor-Quidditch-Mannschaft, auf ihn zu.
"Hallo Potter", sagte sie strahlend. "Toll, dass du wieder da bist. Die Hufflepuffs haben uns letzte Woche ganz schön alt aussehen lassen. Ohne Sucher hatten wir keine Chance. Mit 170 zu 30 haben sie uns platt gemacht."
"Oh", sagte Harry schuldbewusst.
"Die nächsten beiden Spiele müssen wir gewinnen, wenn wir noch eine Chance auf den Quidditch-Pokal haben wollen", fuhr Angelina entschlossen fort.
"In vier Wochen spielen wir gegen Slytherin, bis dahin musst du wieder fit sein. Ich denke, wir werden in den nächsten Wochen ein paar Sondertrainings durchführen, damit du wieder in Form kommst."
"Ja, klar", stimmte Harry begeistert zu.
Wie sehr hatte er sein geliebtes Quidditch vermisst. Er konnte es gar nicht abwarten, endlich wieder auf seinem Feuerblitz zu fliegen.
"Gut", sagte Angelina zufrieden. "Das nächste Mannschafts-Training findet am Freitag Nachmittag statt."
Harry blieb der Bissen im Halse stecken und er begann zu husten.
"Am Freitag kann ich leider nicht", sagte er, als er endlich wieder Luft bekam.
"Wie bitte?", fragte Angelina verständnislos.
"Am Freitag muss ich bei Snape nachsitzen", erklärte Harry kleinlaut.
"Äh, habe ich das richtig verstanden, Potter?", fragte Angelina scharf. "Du bist erst seit gestern Nachmittag wieder in der Schule und musst schon nachsitzen?"
Harry nickte wortlos.
"Das fängt ja gut an", seufzte Angelina. "Na gut, am Samstag haben wir ein ganztätiges Trainings-Camp anberaumt, ich gehe davon aus, dass du wenigstens daran teilnehmen wirst."
Harry schluckte hart, dann schüttelte er vorsichtig den Kopf.
Angelina starrte ihn ungläubig an.
"Ist dir der Hogsmeade-Tag etwa wichtiger als unser Quidditch-Team?", fragte sie erregt.
"Snape", murmelte Harry kaum hörbar.
"Das ist doch wohl nicht dein Ernst", empörte Angelina sich lautstark. "Du bist Mitglied unseres Teams. Wenn du das bleiben willst rate ich dir, am Samstag am Training teil zu nehmen."
Harry blickte Angelina ungläubig an. Ihr Augen sprühten Funken vor Zorn. Harry hatte nicht gedacht, dass es in Gryffindor jemals einen fanatischeren Mannschafts-Captain geben würde als Oliver Wood. Scheinbar hatte er sich getäuscht.
"Aber was soll ich denn machen?", fragte er hilflos.
"Verschieb das Nachsitzen", antwortete sie leichthin. Dann drehte sie sich um und stapfte davon.
Der Appetit war Harry nun endgültig vergangen, und so kaute er lustlos auf seinem Marmeladenbrötchen herum. Hermine blickte zu ihm herüber, sagte jedoch nichts.
Nachdem er endlich sein Brötchen heruntergewürgt hatte, stand er auf und ging nach vorne zum Tisch der Lehrer. Ihm entging nicht, dass unzählige Augenpaare ihm folgten.
Als er den Tisch erreicht hatte blickte Professor Dumbledore von seinem Teller auf und sah Harry überrascht an.
"Hast du etwas auf dem Herzen?", fragte er freundlich.
Harry nickte.
"Ja, Professor", begann er zögernd. "Hermine hat mich daran erinnert, dass ich im Moment überhaupt keinen Zauberstab besitze. Ich frage mich nun, wie ich am Unterricht teilnehmen soll?"
Dumbledore blickte Harry bestürzt an. "Beim Barte Merlins", sagte er, "daran habe ich ja überhaupt nicht gedacht. Selbstverständlich brauchst du ihn so schnell wie möglich zurück."
Er dachte einen Moment nach und fuhr schließlich fort.
"Hm, lass mich überlegen, komm am besten direkt nach dem Mittagessen in mein Büro. Dann werden wir dieses Problem besprechen. Ich werde sehen, was ich bis dahin ausrichten kann. Minerva", wandte er sich an Professor McGonagall, die direkt neben ihm saß, "komm bitte auch nach dem Mittagessen in mein Büro. Ich denke, dass ich dich brauchen werde."
Professor McGonagall nickte.
Ein hoffnungsvolles Lächeln breitete sich auf Harrys Gesicht aus. "Danke, Professor", sagte er erleichtert.
"Geh jetzt in den Unterricht", sagte Dumbledore freundlich. "Ich werde den Lehrern Bescheid sagen, dass du im Moment etwas, nun, gehandicapt bist."
Harry nickte und kehrte zufrieden zu Ron und Hermine zurück. Wenigstens dieses eine Problem schien gelöst zu sein. Wenn Professor Dumbledore sich dieser Angelegenheit annahm konnte eigentlich nichts schief gehen.


Erleichtert ging Harry mit seinen Freunden zur ersten Unterrichtsstunde. Es war ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste'.
"Sagt mal", begann Harry, als sie den Klassenraum fast erreicht hatten, "in all euren Briefen, die ihr mir die letzten Wochen geschickt habt, habt ihr kein einziges Mal erwähnt, wer nun ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste' unterrichtet."
Ron grinste breit.
"Halt dich fest Harry", antwortete er, "es ist ...."
In diesem Moment stieß Hermine ihn unsanft mit dem Ellbogen in die Rippen.
"Aua, spinnst du?" rief Ron empört.
"Harry wird schon sehen, wer uns unterrichtet, verrat doch nicht alles", sagte Hermine tadelnd. Dann lächelte auch sie geheimnisvoll.
Harry runzelte die Stirn. Er konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum seine Freunde solch ein Geheimnis darum machten, wer ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste' unterrichtete.
Als sie den Klassenraum erreichten setzten sie sich auf ihre Plätze in der ersten Reihe. Nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür und ein Mann trat ein.
Er hatte dunkles Haar, das mit grauen Strähnen durchsetzt war und trug einen alten, abgewetzten Umhang, der ihm schlaff über den Schultern hing.
Harry starrte den Mann ungläubig an. "Remus", rief er fassungslos.
Remus Lupin blickte Harry an und lächelte. "Hallo Harry", sagte er freundlich.
Harry saß auf seinem Stuhl, unfähig sich zu bewegen. Remus Lupin war der Letzte gewesen, den er als neuen Lehrer erwartet hatte.
In diesem Augenblick merkte Harry, dass seine Klassenkameraden ihn verständnislos anblickten. Er spürte ihre Blicke in seinem Rücken, auch wenn er sie hinter sich überhaupt nicht sehen konnte.
Harry stutzte einen Moment. Warum waren seine Klassenkameraden so überrascht über seine Reaktion? War es denn nicht für sie alle unerwartet gewesen, dass Remus wieder hier war?
Natürlich, fuhr es Harry fast im selben Moment durch den Kopf, sie wussten ja nichts von seinem engen freundschaftlichen Verhältnis zu dem Lehrer. Und Harry war sich nicht sicher, ob es so klug war, dass sie es erfuhren.
"Was - was machst du - äh, was machen Sie denn hier, Professor?", stotterte er schließlich noch immer fassungslos.
"Ich unterrichte", antwortete Remus, als wäre es das selbstverständlichste von der Welt.
Dann nickte er Harry fast unmerklich zu, um ihm zu bedeuten, dass es gut war, dass er so geistesgegenwärtig reagiert hatte. Eine offene Freundschaft zwischen Lehrer und Schüler würde über kurz oder lang nur Schwierigkeiten mit sich bringen - für Remus, für Harry - und in letzter Instanz vielleicht sogar für Sirius, wenn die falschen Leute etwas davon mitbekamen.
"So", wandte Remus sich an die ganze Klasse, "ich würde sagen, dass wir in dieser Stunde noch einmal den Stoff der letzten Wochen wiederholen, erstens, um zu prüfen wie viel ihr behalten habt, und zweitens, um Harry einen Einblick zu verschaffen, was er bis jetzt verpasst hat. Also, wie lautet das Thema dieses Schuljahres?"
Sofort waren fast alle Finger oben. Hermine hüpfte aufgeregt auf ihrem Stuhl auf und ab und schnipste mit den Fingern.
"Ja, Hermine?", sagte Remus und blickte das Mädchen amüsiert an.
"In den letzten Wochen haben wir uns mit Objekten befasst, die mit schwarzer Magie verzaubert wurden, und damit, wie man sie bekämpft oder vernichtet."
"Sehr gut, Hermine, fünf Punkte für Gryffindor", lobte Remus lächelnd.
Nach und nach fragte Remus einen Schüler nach dem anderen nun über die bisher durchgenommenen Objekte aus.
Dean Thomas erklärte noch einmal, wie man eine verhexte Feder entzauberte, die immer nur das Gegenteil von dem aufschrieb, was man eigentlich schreiben wollte.
Danach erläuterte Ron, wie man ein mit schwarzer Magie verschlossenes Buch gefahrlos öffnen konnte.
Und so ging es einen Großteil der Stunde weiter. Sogar Neville konnte die ihm gestellten Fragen, wenn auch etwas zögernd, richtig beantworten. Für jede korrekte Antwort verteilte Remus großzügig Punkte.
Harry machte sich eifrig Notizen über das Gesagte. An einiges konnte er sich aus den ausführlichen Briefen von Hermine erinnern, einiges war völlig neu für ihn.
Als die Stunde zu ende war lächelte Remus zufrieden.
"Ich freue mich, dass ihr so viel behalten habt. Ab nächster Woche werden wir uns mit etwas gefährlicheren Objekten beschäftigen, ich denke, dass ihr jetzt soweit seid."
"Mit was denn?", fragte Parvati neugierig.
"Hm, lasst euch überraschen", antwortete Remus und zwinkerte dem Mädchen verschmitzt zu. "Jetzt beeilt euch aber, damit ihr nicht zu spät zur nächsten Stunde kommt."
Dann wandte Remus sich von der Klasse ab, ging zu einem großen Schrank hinter seinem Schreibtisch und begann einige Sachen, die auf seinem Tisch herumlagen hineinzusortieren.
Zögernd begannen alle, ihre Sachen zusammen zu packen. Es war jedem anzumerken, dass sie nur ungern das Klassenzimmer verließen. Nur zu gerne hätten sie alle mehr darüber erfahren, was Remus für die nächste Stunde geplant hatte, aber scheinbar hatte Lupin nicht vor, noch mehr zu verraten.
Einer nach dem anderen nahm schließlich seine Tasche und machte sich auf den Weg zur nächsten Stunde. Harry jedoch blieb reglos sitzen.
Als endlich alle den Raum verlassen hatten drehte Remus sich wieder um und lächelte Harry herzlich an. Er schien irgendwie gewusst zu haben, dass Harry nicht mit den anderen gegangen war.
"Ich bin so froh, dass es dir gut geht", sagte er, während er auf Harry zuging. "Minerva hat mir alles erzählt, was in Surrey geschehen ist. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht, aber sie hat darauf bestanden, dass ich in Hogwarts bleibe, ansonsten wäre ich sofort gekommen."
Als er Harry erreicht hatte schloss er ihn in die Arme.
"Ist schon OK, mir ist doch nichts passiert", antwortete Harry abwiegelnd.
"Aber was hätte alles passieren können?", beharrte Remus, wobei er Harry aus seiner Umarmung entließ und ihm stattdessen direkt in die Augen blickte. "Was wäre passiert, wenn Severus nicht dort gewesen wäre?"
Harry schnaubte angewidert. "Die zwei Tage bei Snape waren die Hölle", antwortete er finster.
Remus grinste breit. "Ich hätte nicht mit dir tauschen wollen", sagte er und zwinkerte Harry zu.
"Aber sag mal, was machst du eigentlich hier? Ist das nicht viel zu gefährlich?", fragte Harry nun, um von diesem unangenehmen Thema abzulenken.
"Mach dir keine Sorgen", antwortete Remus lächelnd. "Dumbledore hat entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen."
"Welche?", fragte Harry weiter.
"Nun, wir haben tief unten in den Kellern der Schule einen alten Kerker so hergerichtet, dass ich mich dort bei Vollmond sicher verwandeln kann. Der Raum ist mit vielen Flüchen gesichert. Außerdem bekomme ich wieder regelmäßig von Severus den Werwolfstrank."
"Aber haben sich denn noch keine Eltern beschwert, dass du wieder hier bist?", fragte Harry vorsichtig.
Remus lächelte. "Na ja, scheinbar halten sie mich im Moment für das kleinere Übel, nach allem, was letztes Jahr geschehen ist", antwortete er.
Harry nickte. "Gibt es eigentlich irgend etwas neues von Sirius?", stellte er dann die Frage, die ihm schon seit langem unter den Nägeln brannte.
"Nein", antwortete Remus bitter. "Fudge hat ein absolutes Besuchsverbot verhängt. Niemand darf zu ihm, außer den Mitarbeitern des Ministeriums. Soweit ich weiß haben sie ihn mittlerweile schon mehrfach verhört, jedoch ohne Erfolg."
"Was sollte er ihnen auch sagen können?", antwortete Harry bitter. "Sirius ist unschuldig. Kann man das diesen Schwachköpfen nicht erklären?"
Remus ließ traurig den Blick sinken. "Fudge hat dazu eine eindeutige Meinung. Solange nicht Wurmschwanz persönlich vor ihm steht ist Sirius schuldig."
"Aber dann müssen wir Wurmschwanz finden und zu ihm bringen", ereiferte Harry sich. "Hätte Snape ihn doch nur nicht entkommen lassen."
Remus nickte langsam. "Ja, das wäre natürlich eine Möglichkeit gewesen, aber nun ist es zu spät. Heute Abend haben wir ein Treffen des Ordens."
"Des Ordens?", fragte Harry neugierig.
Remus schwieg einen Moment. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er das, was er soeben ausgesprochen hatte lieber nicht gesagt hätte.
"Was für ein Orden?", fragte Harry erneut, nachdem Remus keine Anstalten machte zu antworten.
"Nun", begann er zögernd, "sagen wir einfach, wir sind eine Gruppe von Zauberern, die versuchen Lord Voldemort aufzuhalten."
Harry blickte ihn neugierig an. "Wer ist alles dabei? Was macht ihr genau?", fragte er wissbegierig.
"Mehr brauchst du nicht zu wissen", antwortete Remus ausweichend. "Versprich mir, dass du mit niemandem darüber sprichst. Das, was ich dir bereits gesagt habe, solltest du eigentlich überhaupt nicht wissen. Lass mich nur soviel verraten: Viele, die schon damals gegen Voldemort gekämpft haben, sind wieder dabei."
Harry nickte enttäuscht.
"Jedenfalls werden wir ausführlich darüber diskutieren, wie und ob wir Padfoot helfen können. Einige sind der Meinung, dass wir Sirius aus Askaban herausholen sollten", fuhr er nachdenklich fort.
"Was heißt ‚einige'? Gibt es etwa jemanden, der anderer Meinung ist?", fragte Harry hitzig.
"Nun, wenn wir uns tatsächlich dazu entschließen Sirius aus Askaban zu befreien, ist es so gut wie unmöglich, dies zu tun, ohne Spuren zu hinterlassen. Wir befürchten, dass das Ministerium herausfindet, wer Sirius geholfen hat."
Harry nickte langsam. "Das würde dann den gesamten Orden in Gefahr bringen", antwortete er bekümmert.
"Genau", bestätigte Remus. "Und einige sind der Meinung, dass die Ziele des Ordens wichtiger sind, als das Schicksal eines einzelnen."
"Wer?", fragte Harry sofort.
"Ich möchte keine Namen nennen, aber glaub mir, Sirius ist einer von ihnen."
Harry schwieg einen Moment.
"Und was werdet ihr nun machen?", fragte er schließlich.
"Ich weiß es nicht", antwortete Remus leise, wobei er leicht den Kopf schüttelte. "Ich weiß es wirklich nicht. Wenn es nicht den gesamten Orden in Gefahr bringen würde, hätte ich schon längst auf eigene Faust etwas unternommen, aber es ist einfach zu riskant."
Harry blickte Remus direkt in die Augen. "Bitte sag mir, sobald es etwas neues gibt", bat er sein Gegenüber.
"Selbstverständlich Harry", sagte Remus, wobei er versuchte sein Gesicht zu einem leichten Lächeln zu verziehen. Leider misslang der Versuch und es sah eher kläglich aus.
"Ich werde dir alles sagen, was ich sagen kann, ohne den Orden zu gefährden. Geh jetzt besser, bevor du zu spät zur nächsten Stunde kommst", beendete Remus das Thema.
"Aber Remus ....", versuchte Harry zu widersprechen.
"Kein ‚aber', Harry", beharrte Remus. "Ich möchte nicht, dass du schon an deinem ersten Tag Ärger bekommst. Was hast du jetzt?"
"Hm", überlegte Harry, "das weiß ich gar nicht. Moment, lass mich mal nachsehen."
Mit diesen Worten zog er seinen Stundenplan aus der Tasche. Einen Augenblick sagte er gar nichts, dann murmelte er "Zaubertränke. Aber Snape ist ja heute zum Glück noch in Surrey."
"Das glaube ich nicht. Soweit ich informiert bin, hat Albus beschlossen, dass es dort zu gefährlich ist und er hat Severus gebeten, hier zu bleiben. Also beeil dich, er wird nicht begeistert sein, wenn du bereits an deinem ersten Tag zu spät kommst."
Leise vor sich hin fluchend, verließ Harry rasch den Klassenraum und rannte den langen Korridor entlang. Als er die Treppe erreicht hatte nahm er immer 2 Stufen auf einmal.
Er hatte keine Lust Snape schon wieder zu provozieren. Schließlich musste er gut Wetter bei ihm machen, sonst würde dieser nie mit sich reden lassen um das Nachsitzen am Samstag zu verschieben. (Wobei Harry ohnehin davon ausging, dass Snape sich niemals darauf einlassen würde.)
Nur Minuten später hatte er bereits die unteren Kerker erreicht, wo sich das Klassenzimmer für ‚Zaubertränke' befand.
Zu seinem Leidwesen war der Korridor leer, das konnte nur bedeuten, dass Snape seinen Unterricht schon begonnen hatte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
Als er die Tür des Klassenzimmers erreicht hatte hielt er einen Moment inne. Er hatte einen Kloß im Magen. Was mochte Snape wohl wieder für Gemeinheiten von sich geben, wenn Harry ausgerechnet an seinem ersten Tag zu spät kam?
Vorsichtig drückte Harry die Türklinke nach unten und öffnete langsam die schwere Eichentür. Durch den Spalt konnte er einige seiner Klassenkameraden sehen.
Pansy Parkinson, eine Slytherin, hatte sich über ein Blatt Pergament gebeugt und schrieb hochkonzentriert. Neville hatte sich ebenfalls über ein Blatt gebeugt und kaute nervös an der Spitze seiner Feder. Auf seinem Bogen stand noch kein einziges Wort.
Professor Snape stand mit dem Rücken zur Tür an seinem Vorratsschrank und schien einige Zaubertrankzutaten einzusortieren.
Harry öffnete die Tür noch ein Stückchen weiter, schlüpfte durch den Spalt in den Klassenraum und schlich lautlos zu seinem Platz zwischen Ron und Hermine.
Als er seinen Platz fast erreicht hatte drehte Severus sich plötzlich um. Ein kaltes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
"Sie mal an, der große Harry Potter findet also doch noch die Zeit den ‚Zaubertrank-Unterricht' zu besuchen", sagte er kalt.
"Was war los, Mr. Potter? Mussten Sie noch ein paar Autogramme verteilen, oder sind Sie der Meinung, dass Sie Ihren Klassenkameraden so weit voraus sind, dass Sie es nicht nötig haben an meinem Unterricht teilzunehmen?"
"Entschuldigung, Professor", antwortete Harry gepresst. Er musste sich zusammenreißen, damit Snape seinen Ärger über diese schnippischen Kommentare nicht bemerkte. "Ich war noch bei Professor Lupin, er hat mir den Stoff aus den vergangenen Stunden ...", versuchte Harry zu erklären.
Bei dem Namen ‚Lupin' verengten sich Severus' Augen. Es war nicht zu übersehen, dass er es noch immer nicht geschafft hatte seinen Hass aus früheren Jahren zu begraben.
"Sie wollen mir also damit sagen, dass ich dem Werwolf die Punkte abziehen sollte, statt Ihnen? Eine wirklich sehr erfrischende Idee. Jedenfalls sollte ich dem Mutanten noch einmal die Bedeutung eines Pausenklingelns erklären."
Ein paar Slytherins lachten. Hermine und Ron blickten immer wieder vorsichtig von Harry zu Snape.
Dann verschwand Severus' Lächeln. "Zwanzig Punkte Abzug von Gryffindor."
"ZWANZIG?", entfuhr es Harry aufgebracht.
"Nicht genug?", fragte Severus kalt lächelnd. "Nun gut, wenn Sie es wünschen, sagen wir dreißig." Das letzte Wort betonte er genüsslich.
Harry starrte Snape mit aufgerissenem Mund an. Das konnte er unmöglich ernst meinen. Ein zu spät kommen bestraften andere Lehrer höchstens mit zwei oder drei Punkten Abzug, wenn überhaupt.
"Setz dich lieber", zischte Hermine ihm warnend zu, doch Harry blieb wie angewurzelt stehen und starrte Snape unverwandt an. Er kochte vor Wut. Seine Hände, die er zu Fäusten geballt hatte, waren schweißnass und in seiner Stirn pochte das Blut schmerzhaft.
"Haben Sie noch etwas zu sagen, Potter?", fragte Severus provozierend.
Harry öffnete den Mund um etwas zu antworten, schloss ihn jedoch wieder, als er Hermines und Rons warnende Blicke bemerkte.
Stattdessen knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen: "Nein, Sir."
"Dann setzen Sie sich gefälligst auf Ihren Platz, bevor ich meine Geduld verliere", zischte Severus gefährlich.
Harry ging wortlos zu seinem Platz und ließ sich nieder. Er kochte noch immer vor Wut. All seine Klassenkameraden starrten ihn neugierig an, aber das war ihm egal.
"Sie dürfen mit Ihrer Arbeit fortfahren", sagte Snape mit drohendem Unterton und ließ seinen Blick über die Klasse schweifen.
Sofort richteten alle wieder ihre Blicke auf die Pergamente, die vor ihnen lagen und begannen zu schreiben.
Harry, der nicht wusste, über was sie schreiben sollten blickte sich einen Moment unsicher um, dann fiel sein Blick auf die Tafel. Dort stand: Beschreiben Sie mindestens fünf Verwendungsmöglichkeiten der ‚Iris draconis'.
Harry stöhnte leise. War das nicht genau die Pflanze gewesen, über die er erst vor zwei Tagen einen Aufsatz hatte schreiben müssen?
Er holte ein Stück Pergament und seine Feder aus der Tasche und begann lustlos das aufzuschreiben, was er noch in Erinnerung hatte.
Severus war Harrys Reaktion nicht entgangen und ein kaltes Lächeln machte sich erneut auf seinem Gesicht breit. Langsam schritt er durch den Raum, bis er direkt vor Harrys Pult stand. Dann beugte er sich leicht nach vorne.
Harry hatte Snapes Näherkommen nicht bemerkt, und als er nun aufblickte war Severus' Gesicht nur wenige Zentimeter von dem seinem entfernt. Harry zuckte vor Schreck leicht zusammen.
"Ich rate Ihnen, sich bei diesem Aufsatz mehr Mühe zu geben", zischte Severus drohend. "Denn dieses Mal werden Sie eine Note für den Schwachsinn erhalten, den Sie hier zu Papier bringen."
Severus machte eine kurze Pause.
"Falls Sie überhaupt etwas zu Papier bringen", fügte er dann hinzu.
Harrys Wut kochte erneut hoch. Um nicht irgend etwas unüberlegtes zu sagen, und damit noch einen Tag Nachsitzen zu riskieren, biss er seine Zähne fest zusammen, bis sein ganzer Unterkiefer schmerzte.
"Nun sind die Verhältnisse wieder hergestellt, Mr. Potter", zischte Severus noch leiser, sodass nur Harry ihn verstehen konnte. "Diese Runde haben Sie eindeutig verloren."
Mit einem kalten, selbstzufriedenen Lächeln wandte Severus sich von Harry ab und begab sich wieder zu seinem Schreibtisch.
Am Ende der Stunde sammelte Severus die Arbeiten ein, um sie zu bewerten.
Nach und nach verließen alle Schüler den Raum. Harry ließ sich viel Zeit mit dem Einräumen seiner Schultasche, bis alle den Raum verlassen hatten. Im Prinzip war es egal wann er Snape fragte, ob er das Nachsitzen verschieben würde, also konnte er es genauso gut auch jetzt tun.
Er räusperte sich leise.
Severus, der bereits wieder an seinem Tisch saß und den ersten Aufsatz über die ‚Iris draconis' durchlas, blickte erstaunt auf.
Als er sah, dass es Harry war, verfinsterte sich sein Blick.
"Was gibt es noch, Mr. Potter?", fragte er gereizt.
Harry schluckte. Vielleicht war dies doch der falsche Zeitpunkt, aber jetzt konnte er nicht mehr zurück.
"Professor", begann Harry zögernd. "Ich habe am Samstag ein Quidditch-Trainingslager mit dem Gryffindor-Team."
"Und?", fragte Snape kalt.
Harry glaubte zu bemerken, dass ein Ausdruck von Triumph in Snapes Gesicht aufblitzte.
"Nun, äh", fuhr er vorsichtig fort, "ich wollte Sie fragen, ob wir das Nachsitzen vielleicht verschieben könnten."
Severus starrte ihn einen Moment wortlos an, dann erhob er sich und ging gemessenen Schrittes auf Harry zu, bis er direkt vor dessen Tisch stand. Als er ihn erreicht hatte beugte er sich zu ihm hinunter bis sich ihre Nasen fast berührten. Harry versuchte zurück zu weichen, was die Lehne seines Stuhls jedoch verhinderte.
"Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?", zischte Snape drohend, wobei seine Spucke Harry genau auf der Wange traf.
Harry antwortete nicht, sondern starrte Snape erschrocken an. Er traute sich nicht einmal die Spucke aus seinem Gesicht zu wischen, aus Angst, Snape könnte endgültig die Kontrolle verlieren.
"Haben wir diese Unterhaltung nicht bereits vor einem Jahr geführt?", fauchte Snape weiter.
Harry schwieg.
"Haben wir?", wiederholte Snape fordernd.
"Ja, Sir", antwortete Harry vorsichtig.
"Und kann sich der berühmte Mr. Potter auch noch an die Antwort erinnern?", fragte Severus mit einem triumphierenden Lächeln weiter.
Harry senkte leicht den Blick, dann antwortete er leise: "Sie sagten damals ‚nein', Sir."
"Und warum sollte meine Antwort heute anders lauten?", fragte Severus provozierend.
"Professor, bitte, es ist wirklich unheimlich wichtig für unser Team", wagte Harry einen letzten Vorstoß.
"Nicht einmal, wenn Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen würden, Potter", zischte Severus gefährlich. "Sie werden sich am Samstag pünktlich um 9 Uhr in meinem Büro einfinden. Falls Sie versuchen sich mit irgendeiner fadenscheinigen Ausrede zu drücken, werden Sie es bereuen, da können Sie versichert sein", fügte er mit zusammengekniffenen Augen hinzu.
Harry starrte den Lehrer wortlos an.
Severus richtete sich wieder auf, drehte sich um und ging zurück zu seinem Schreibtisch.
"Warum in aller Welt", murmelte er gereizt vor sich hin, "riskiere ich immer wieder meinen Hals für diesen arroganten Bengel?"
Dann drehte er sich wieder zu Harry um, der noch immer reglos auf seinem Platz saß.
"Ich hätte eigentlich etwas mehr Dankbarkeit erwartet, nach allem, was ich für Sie getan habe", sagte er zu Harry. "Aber der berühmte Mr. Potter hat es ja nicht nötig, Dankbarkeit zu zeigen. In diesem Punkt stehen Sie Ihrem Vater in nichts nach. Zu aufgeblasen und arrogant, um es überhaupt wahrzunehmen."
Harry öffnete den Mund um zu protestieren, aber Snape ließ ihn nicht ausreden.
"Leider werde ich mich auch in diesem Schuljahr wieder öfter mit Ihnen abgeben müssen, als mir lieb ist. Professor Dumbledore besteht darauf, dass wir unsere Lektionen aus dem vergangenen Schuljahr fortsetzen."
Harry starrte den Lehrer mit aufgerissenem Mund an.
"Die genauen Termine werde ich Ihnen am Wochenende mitteilen."
Dann wandte Snape sich wieder den Aufsätzen auf seinem Schreibtisch zu.
"Und jetzt verschwinden Sie endlich", sagte er kalt, ohne noch einmal aufzublicken.


Harrys Herz klopfte ihm noch immer bis zum Hals, auch als er endlich den düsteren Kerker verlassen hatte und die Treppen zur Großen Halle hinauf stieg.
Eigentlich hatte er bereits erwartet, dass der Lehrer sich nicht auf seine Bitte einlassen würde, dass es allerdings so enden würde hatte er nicht einmal im Entferntesten in Erwägung gezogen.
Leider hatte Snape in einem Punkt recht: Er hatte Harry wirklich vor wenigen Tagen das Leben gerettet! Und tief in seinem Herzen empfand er tatsächlich so etwas wie leichte Dankbarkeit, schließlich würde er sich ohne dessen Hilfe bereits in den Händen Voldemorts befinden oder wäre vielleicht sogar schon tot.
Aber vor dieses Gefühl der Hochachtung schob sich sofort wieder ein Hassgefühl, das jedes Mal in Harry aufloderte, sobald er an den Lehrer dachte.
Er konnte und wollte es einfach nicht akzeptieren, dass jemand, den er so wenig ausstehen konnte, ihm das Leben rettete.
In der Großen Halle angekommen, berichtete Harry seinen Freunden mit knappen Worten von seiner Unterredung mit Snape.
Beide starrte ihn fassungslos an, als er geendet hatte.
Viel Zeit hatte Harry nicht mehr zum Essen, und so ließ er es ganz, der Hunger war ihm gründlich vergangen.
Nach dem Mittagessen verabschiedete er sich knapp von seinen Freunden und machte sich auf den Weg zu Professor Dumbledore. Hoffentlich hatte dieser bereits einen Plan, wie Harry seinen Zauberstab wiederbekam.
Als er den Wasserspeier, der das Büro von Albus Dumbledore verbarg, erreicht hatte, traf er auf Professor McGonagall. Sie lächelte ihn freundlich an.
Harry lächelte schwach zurück. Nach einem solchen Vormittag war ihm das Lachen gründlich vergangen.
"Alles in Ordnung, Potter?", fragte Professor McGonagall prompt. Ihr war nicht entgangen, dass Harry irgend etwas bedrückte.
"Ja, alles klar", antwortete Harry knapp.
Professor McGonagall musterte ihn prüfend, sagte jedoch nichts weiter. Stattdessen wandte sie sich an den Wasserspeier.
"Schokofrosch."
Augenblicklich sprang der Wasserspeier zur Seite und gab den Weg zu Dumbledores Büro frei.
Als sie die Gemächer des Direktors erreichten, wartete dieser bereits. Er saß hinter seinem Schreibtisch und blickte die Neuankömmlinge freundlich an.
"Schön, dass ihr beide gekommen seid", begrüßte er sie lächelnd.
Professor McGonagall nickte nur kurz, dann ging sie zu dem Schreibtisch des Direktors und setzte sich auf einen der beiden Stühle, die davor standen.
"Hallo Professor Dumbledore", murmelte Harry, dann folgte er seiner Hauslehrerin und setzte sich ebenfalls.
"Dann wollen wir gleich zur Sache kommen", begann Dumbledore geschäftig.
"Dein Zauberstab, Harry", sagte er und blickte den Jungen dabei direkt an, "befindet sich in der Winkelgasse, bei Mr. Olivander."
"Bei Mr. Olivander?", fragte Harry überrascht.
Dumbledore nickte.
"Da Maximus Olivander ein angesehener Fachmann im Umgang mit Zauberstäben aller Art ist, unterhält das Ministerium im Keller seines Ladens ein Hochsicherheitslager für konfiszierte Zauberstäbe. Ich habe heute morgen bereits mit Maximus gesprochen und er hat mir bestätigt, dass sich auch dein Zauberstab darunter befindet."
"Und wann gehen wir?", fragte Harry eifrig.
"Nicht so schnell", sagte Dumbledore lächelnd, "wir müssen einige Vorsichtsmaßnahmen treffen. Die Winkelgasse ist seit Voldemorts Rückkehr ein sehr unsicheres Pflaster. Vor allem für dich, Harry."
"Albus", unterbrach Professor McGonagall ihn überrascht, "hältst du es für weise, den Jungen dorthin mitzunehmen?"
"Wir haben keine andere Wahl", antwortete Dumbledore. Ihm war anzusehen, dass auch er nicht begeistert davon war, Harry einer solchen Gefahr auszusetzen.
"Die Zauberstäbe sind durch verschiedene Flüche geschützt. Nur ein hoher Ministeriumsmitarbeiter ist in der Lage einen Zauberstab dort zu entnehmen. Außerdem kann der Eigentümer eines Zauberstabes, unter gewissen Umständen und mit einer ausdrücklichen Genehmigung des Ministeriums, seinen Zauberstab dort entnehmen."
"Aber woher sollen wir eine solche Genehmigung bekommen?", fragte Harry verwirrt.
"Das sollte das geringste Problem darstellen", antwortete nun Professor McGonagall. "Wir haben gute Kontakte zu ein paar nicht gerade unwichtigen Leuten im Ministerium. Ich werde mich persönlich darum kümmern."
"Sehr gut, danke Minerva", sagte Dumbledore und nickte seiner Kollegin dankbar zu. "Wann glaubst du, hast du diese Genehmigung?"
"Wenn nichts dazwischen kommt müsste ich sie binnen 24 Stunden haben", antwortete Professor McGonagall nachdenklich.
"Gut. Je schneller wir handeln desto besser. Wir werden uns morgen Nachmittag um Punkt fünf wieder hier treffen. Minerva, ich möchte, dass du Harry in die Winkelgasse begleitest."
Professor McGonagall runzelte leicht die Stirn.
"Glaubst du, dass das ausreichen wird?", fragte sie ungläubig.
"Nein", antwortete Dumbledore bestimmt, "Remus Lupin wird euch ebenfalls begleiten. Außerdem habe ich noch den ein oder anderen Schutzzauber, um euch ein wenig zu tarnen."
Auf Harrys Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Die Aussicht, zusammen mit Remus in die Winkelgasse zu gehen, hob seine Laune gewaltig.
Professor McGonagall nickte zustimmend. Sie schien mit dieser Lösung ebenfalls einverstanden zu sein.
"In Ordnung", sagte sie und erhob sich von ihrem Stuhl, "dann also bis morgen. Kommen Sie, Potter."
Harry erhob sich ebenfalls und folgte seiner Hauslehrerin. Gemeinsam verließen sie das Büro. Als sie den Korridor, in dem sich der Wasserspeier befand, erreicht hatten, verabschiedete Harry sich von Professor McGonagall und machte sich auf den Weg zu seiner nächsten Unterrichtsstunde.


 

 Kapitel 7

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