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Kapitel 10: Versprechen und Geschenke

 

Ginny konnte sich nicht mehr länger zusammenreißen. Sie preßte sich eine zitternde Hand auf den Mund, rappelte sich auf ihre Füße, ihre großen Augen sahen die anderen dabei reuevoll an, schlüpfte unter dem Umhang hervor und rannte, so schnell sie konnte, die Treppe hinauf. Harry hatte keinen Zweifel daran, daß sie genau das tun würde, was Snape vor nicht ganz 30 Jahren getan hatte.
Zum Glück herrschte auch unten in der Halle ein ganz ähnlicher Aufruhr. Eine Hexe, die Harry als Emmiline Vance erkannte, war ohnmächtig geworden und ihr kräftiger Körper fiel mit einem dröhnenden "Plumps" zu Boden. Kingsley Shacklebolt und Dädalus Diggel eilten ihr schnell zu Hilfe, hoben sie mit vereinten Kräften hoch und trugen sie zum nahegelegensten Sofa, ihre Gesichter waren vor lauter Anstrengung gerötet. Wir sollten ihr wirklich dankbar für diese schwachen Nerven sein, dachte Harry bei sich. Ihr Zusammenbruch hatte effektiv von Ginnys panikartiger Flucht abgelenkt.
Als er zu Hermine herüber blickte, die rechts von ihm stand, sah er, daß sie damit begonnen hatte, an ihren Fingernägeln zu kauen. Der Zeigefinger ihrer rechten Hand war bereits in einem ausgesprochen desolaten Zustand und sie war gerade dabei, ihren Mittelfinger zu bearbeiten. Sanft nahm er ihre Hand in die seine und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Blase.

In McGonagalls Büro standen vier Jungen vor dem Schreibtisch der Professorin, zwei von ihnen sahen betreten zu Boden, die anderen beiden stierten einander haßerfüllt an.
"Gentleman, ich kann nur sagen, daß ich aufs äußerste verärgert bin", raunzte McGonagall, die sich an der Kante ihres Schreibtisches abstützte und die Schüler mit zusammengekniffenen Augen ansah.
"Was zur Hölle hat euch annehmen lassen, daß sich einander zu verhexen..."
"Aber er hat angefangen..."
"...mitten auf dem Gang..."
"Du manipulierender Lügner, ich habe niemals..."
"...voll mit anderen Schülern..."
"Ich kriege dich im Zug, Schniefelus!"
"...gerade wo es in Richtung Bahnhof losgehen soll, eine gute Idee sei?" endete sie ihren Satz, völlig unbeeindruckt von dem Geschrei der Jungen. Unbeeindruckt wohl, aber sichtlich verärgert.
"Ist euch klar, daß Mr. Filch den ersten Tag der Sommerferien damit verbringen kann, den Korridor runter zu den Kerkern zu putzen, zu versuchen, all die Brandflecken und verschiedenen, undefinierbaren Flüssigkeiten von Wand und Fußboden zu wischen?"
Ihr Mund war nur eine dünne Linie und ihre Stimme hatte sie zu ihrer vollen, schmerzhaften Lautstärke gehoben. Letztendlich hatte sie die volle Aufmerksamkeit der Kinder als offensichtlich ihre Strafe bekannt gegeben werden sollte.
"Ich werde euch nicht hier zurückbehalten, damit ihr ihm beim saubermachen helfen könnt; es gibt keinen Grund zuzulassen, daß ihr den Zug verpaßt. Wie auch immer, das neue Schuljahr wird saubermachen für jeden von euch vier beinhalten, als Zusatz für all eure anderen Pflichten. Wann immer euer respektierter Hausmeister euch um Hilfe bittet, werdet ihr das auch tun und zwar ohne zu zögern oder gar zu protestieren. Ist das klar?"
Vier Köpfe nickten im Einverständnis. Nur der Junge am weitesten rechts, wagte zu fragen:
"Aber das gilt doch sicherlich nicht für das ganze Schuljahr, oder Professor?"
Er wagte es ihr ein, normalerweise, umwerfendes Lächeln zuzuwerfen, das allerdings an der immer noch wütenden Professorin abprallte, ohne auch nur den kleinsten Effekt zu haben.
"Selbstverständlich wird diese Regelung für das ganze kommende Schuljahr gelten, Mr. Black."
Sie winkte ungeduldig mit der Hand in Richtung Tür.
"Und nun geht. Hagrid wird sicherlich schon auf euch warten."
Die Jungen eilten aus dem Raum, der kleinste und schmächtigste von ihnen bildete die Nachhut. Gerade als er die Tür schließen wollte, rief sie ihm nach:
"Mr. Snape?"
Er drehte sich herum und sah sie ängstlich an.
"Ich werde weder deine Eltern, noch den Schulleiter über diesen Vorfall informieren. Aber versuche, dich im Zug aus sämtlichen Ärger herauszuhalten. Ich schlage vor, du suchst dir ein Abteil, so weit wie nur irgend möglich entfernt von den Herren Potter, Black und Lupin."
Er nickte und lächelte ihr zu.
"Danke, Professor. Schöne Ferien."
"Dir auch, Mr. Snape."

Froh, dem Vorschlag seiner Lehrerin folgend, beeilte sich Snape, seine Freunde aus dem fünften Jahrgang zu finden. Er atmete erleichtert auf, als er sie vor dem Zug auf ihn wartend fand, wo sie Black und seiner Bande zornige Blicke zuwarfen. Crabbe wollte den jüngeren Knaben gerade ein Bein stellen, aber Lucius hielt ihn zurück.
"Alles geregelt?" fragte er seinen etwas aus der Puste gekommenen Freund, als sie zusammen den Zug bestiegen und sich in Richtung ihres Abteils bewegten, das die Älteren bereits reserviert hatten.
"Ja, mach dir keine Sorgen. Nächstes Jahr habe ich Strafarbeiten, bis ich blau im Gesicht bin, aber immerhin wird sie nichts davon Dumbledore erzählen. Oder meinem Vater."
Der Junge ließ sich in einen Sitz am Fenster fallen, plötzlich lag ein kummervoller Schatten auf seinem Gesicht, wie eine Wolke.
"Hey, mach kein Gesicht, als hättest du eine Bertie Bott´s Bohne mit Popelgeschmack erwischt, Adlernase. Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich darum kümmern werde, oder etwa nicht?"
Der dunkelhaarige Junge sah zweifelnd auf seinen älteren Freund, der ein lausbübisches Lächeln über sein hübsches Gesicht huschen ließ.
"Wir nehmen dich diesmal vom Bahnhof mit, so mußt du zumindest nicht wieder die Gegenwart von diesem Black ertragen."
Malfoy ignorierte den Tritt, den ihn Narzissa ärgerlich versetzte und fuhr fort.
"Und die letzten zwei Wochen der Ferien wirst du in Malfoy Manor verbringen. Dein Vater schien entzückt darüber zu sein, daß er dich diesmal nicht selber zum Bahnhof bringen muß. Und nun mach dich von meinem Sitz. Wer hat behauptet, daß du jedes Mal am Fenster sitzen darfst?"
Mit einem triumphierenden Grinsen, schnappte er Snape bei der Taille und bugsierte ihn in den Sitz, der am Gang gelegen war, während er sich auf den jüngst frei gewordenen Platz sinken ließ.
"Wie hast du...? Wann hast...? Es ist wirklich in Ordnung für ihn?" stammelte der jüngere glücklich, offenbar noch immer an seinem Glück zweifelnd, aber ernsthaft dabei zu versuchen es zu glauben.
"Es ist sehr schwer, praktisch unmöglich, die höfliche Anfrage von Lord Malfoy nicht zu akzeptieren", erklärte Malfoy mit einer gestellten, aristokratischen Stimme.
"Und es ist noch schwerer, dementsprechend völlig unmöglich, für Lady Malfoy, eine Bitte ihres Lieblingssohnes abzuschlagen. Es war leichter als ich gedacht hatte", fügte er mit seiner normalen Stimme hinzu. "Mutter hat offensichtlich einen Narren an dir gefressen und sie brauchte nicht wirklich überredet werden. Was übrig blieb, war nur das Schreiben von ein paar Briefen und dann, darauf zu warten, eine positive Antwort zu erhalten. Ich dachte, ich zeige dir ein paar interessante Orte, während der letzten zwei Wochen und als Dank dafür hilfst du mir mit meinen Aufsätzen. Hört sich das nach einem guten Handel an?"
Snape grinste von einem Ohr zum anderen. "Hört sich nach einem perfekten Handel an."

Die elegante Limousine kam gerade vor dem Wohnsitz der Snapes zum Halten, als auch schon die Haustür aufging. Dieses Mal hießen beide, Vater wie Mutter, die beide ein stolzes Lächeln aufgesetzt hatten, ihren Sohn, der von Lord und Lady Malfoy begleitet wurde, bereits am Gartentor willkommen.
"Vielen, vielen Dank, daß Sie ihn mitgenommen haben", sagte Snape senior in seiner seidenweichsten Stimme, während er die Hand der Lady küßte.
"Es war uns ein Vergnügen", antwortete sie, zog besagte Hand zurück und legte sie auf das Haupt des Jungen, gedankenverloren mit ein paar seiner dunklen Strähnen spielend.
"Er ist ein bemerkenswertes Kind, euer Severus. Lucius mag ihn wirklich ausgesprochen gerne und ich traue dem Urteil meines Sohnes. Er hat ein Auge für Menschen."
Damit beugte sie sich herab, um dem Jungen ins Gesicht zu sehen, wobei sie ihm einen unerwarteten Einblick in ihr beachtliches Dekolleté gab. Sie legte ihm einen Finger unter das Kinn und lenkte seinen Blick von ihrem Busen zu ihren Augen, lächelnd. Er errötete.
"Ich sehe dich dann in ein paar Wochen, Kleiner. Vergiß nicht zu schreiben. Lucius wird dich sehr vermissen."
Der blonde Jugendliche, der an der steinernen Gartenmauer lehnte, errötete ebenfalls und warf seiner Mutter einen peinlich berührten Blick zu. Er faßte sich jedoch schnell wieder und winkte dem kleinen Jungen zu.
"Bis bald, Severus."
Das Auto fuhr wieder lautlos vom Hof und der Junge stand noch immer winkend im Türrahmen.
"Komm herein, Severus, es wird kalt", flüsterte seine Mutter ihm ins Ohr und zog ihn sanft ins Haus. Als er auf die auf seiner Schulter ruhende Hand blickte, bemerkte er, daß ihr Zeigefinger fehlte und atmete scharf ein.
"Es tut mir so leid, Mutter", wisperte er zurück, ihre Hand und das vernarbte Stück Haut zärtlich streichelnd.
"Mach dir keine Gedanken, mein Lieber. Dein Vater hat mir gesagt, daß ich dir helfen würde, eine wichtige Lektion zu lernen. Er weiß was er tut. Ich stelle ihn nie in Frage. Und du solltest das auch nicht."
Damit schloß sie die Tür hinter ihnen und ging langsam die Treppe hinauf, ihrem verwirrten und leicht erschütterten Kind ein Lächeln über die Schulter zuwerfend.
"Er hat deinen Koffer vermutlich schon auf dein Zimmer gebracht. Geh nur und sieh mal nach. Wenn du fertig bist, dann komm wieder herunter ins Wohnzimmer, wir essen in etwa einer Stunde."
Der Junge stand noch ein paar Sekunden lang in dem dunklen Gang, auf die vertrauten Wände und Möbelstücke schauend, die vertrauten Gerüche und halb vergrabenen Erinnerungen einatmend. Dann stürmte er die Treppe hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend und hastete in sein Zimmer. Er fand seinen Koffer am Ende des Bettes und seinen Vater am Fenster, wo er auf ihn gewartet hatte, den Rücken hatte er der Tür zugewandt.
"Ich schätze es nicht, Briefe von muggelliebenden Schulleitern zu bekommen, die behaupten, daß ich dich und deine Mutter mißhandeln würde", sagte die schattenhafte Gestalt, ohne sich herumzudrehen. "Nicht einmal, wenn der gleiche Brief mich darüber informiert, daß du der Klassenbeste bist und selbst die höchsten Erwartungen der Lehrer bei weitem übertriffst. Ich denke, ich habe dir das mit meinem verspäteten Weihnachtsgeschenk deutlich gemacht und ich bin sicher, daß wir dieses Thema nicht mehr anzuschneiden brauchen."
Er drehte sich endlich um und sah mit kalten Augen auf seinen zitternden Sohn.
"Ich muß jedoch sagen, daß ich Briefe von einflußreichen, reinblütigen Zauberern zu schätzen weiß, die mir mitteilen, daß ich auf meine Fähigkeiten als Lehrer stolz sein kann, denn mein Sohn sei eindeutig sehr gut ausgebildet. Ich muß dir ein Kompliment für die Wahl deiner Freunde machen, mein Sohn."
Ein schmales Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Mannes aus. Als seine Hand jedoch nach etwas Großem, Dünnen griff, das neben ihm an der Fensterbank lehnte, wich sein Sohn augenblicklich ein paar Schritte zurück in Richtung Tür, offensichtlich, trotz der so lobenden Worte, eine Bestrafung erwartend.
"Aber, aber, Severus. Da gibt es nichts, wovor du Angst haben müßtest. Würde ich dich etwa ohne Grund züchtigen?" fragte sein Vater mit seidiger Stimme und hielt etwas, das sich als ein neuer Besen herausstellte.
Sein Sohn machte ein paar zögerliche Schritte auf ihn zu und langte mißtrauisch nach dem ihm angebotenen Besen.
"Für mich?" fragte er.
"Natürlich ist der für dich", erwiderte der Mann mit einem zufriedenen Lächeln, als er das Geschenk überreichte. "Du hast wirklich viel geleistet und verdienst eine Belohnung. Deine Mutter hat mir mitgeteilt, daß es dir im kommenden Jahr erlaubt ist, einen eigenen Besen zu haben und du dich für das Quidditchteam deines Hauses bewerben kannst."
Seine Stimme klang ein wenig unsicher, ganz so als ob er nicht genau wußte, was er nun mit dieser Information anfangen sollte, aber er war nichtsdestotrotz zufrieden mit der Schlußfolgerung, die er daraus gezogen hatte. "Danke sehr, Vater", stammelte der Junge, noch immer voller Verwunderung auf das unerwartete Geschenk starrend.
Den Raum verlassend legte der alte Snape dem Jungen eine Hand auf die Schulter und fügte hinzu: "Das Abendessen ist fast fertig. Ich schlage vor, du wäscht dich erst einmal und ziehst dich um, ehe du wieder zu deiner Mutter und mir stößt, um zu essen."
Der Junge nickte, als er den Besen vorsichtig auf das Bett legte, sanft über die Zweige streichend.
"Danach", fuhr sein Vater fort, "machen wir uns auf den Weg runter in das Verließ, um deinen Unterrichtsstoff zu wiederholen. Ich will nicht, daß du den guten Eindruck, den du auf Lord Malfoy gemacht hast, wieder zunichte machst. Es gibt immer noch ein paar Flüche, die du üben mußt. Ich werde deine Mutter bitten, sich zu uns zu gesellen."
Damit verschwand er die Treppe hinunter, in Gedanken versunken, offenbar schon dabei, die folgende Stunde zu planen. Er hört nicht einmal, wie sein Sohn zornig gegen seinen Koffer trat und den neuen Besen mit einem unterdrückten Schrei voller Frustration gegen die nächste Wand feuerte.


 

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