Befreiung aus Askaban

 

 

Zurück

 

Zurück zur
Startseite


Kapitel 2: Der Death Eater



Als Harry am nächsten Morgen erwachte war er sehr nervös. In wenigen Stunden würde Professor Dumbledore in den Ligusterweg kommen und sie würden einen Plan entwerfen, um Professor Snape zu helfen.
Der Vormittag verging quälend langsam, obwohl Harry eine Menge zu tun hatte. Er stand wieder im Esszimmer und kratzte Tapeten von den Wänden. Er hatte es noch nicht einmal geschafft Sirius guten Morgen zu sagen, obwohl er doch unbedingt wissen wollte, ob es seinem Paten gut ging.
Durch das Fenster des Esszimmers beobachtete er Dudley, der zu ‚Hektor' ging, um seinen Morgenspaziergang zu machen. Der Hund trottete lustlos hinter Dudley her, wie er es noch nie gemacht hatte. Normalerweise zog er den fetten Jungen wie eine übergroße Rollwurst hinter sich her oder tollte so wild um ihn herum, bis Dudley ganz schwindelig wurde.
Nach dem Mittagessen hatte Dudley wieder keine Lust mit dem Hund spazieren zu gehen, und so hatte Harry nun endlich eine Chance mit seinem Paten zu sprechen. Sirius lag niedergeschlagen in seiner Hütte und hatte den Kopf auf die Pfoten gelegt. Als Harry zu ihm kam blickte der Hund lustlos nach oben, ohne jedoch den Kopf dabei zu heben.
"Wie geht's dir Sirius?", fragte Harry mitleidig, "Hast du sehr schlecht geschlafen?"
Der Hund gab ein leises Winseln von sich.
Harry nickte traurig. "Kann ich mir vorstellen. Komm jetzt, lass uns zu Professor Dumbledore gehen, dann geht' s dir bestimmt besser."
Langsam erhob sich der Hund, trottete aus seiner Hütte und wartete geduldig, bis Harry die Leine an seinem Halsband befestigt hatte.
Dann verließen sie gemeinsam den Garten der Dursleys und machten sich auf den Weg zu Mrs. Figg. Die alte Dame erwartete sie bereits an der Tür. Sobald Harry und Sirius das Haus betreten hatten, verwandelte sich Sirius wieder in einen Menschen.
Harry erschrak, als er seinen Paten nun in seiner menschlichen Gestalt vor sich sah. Sirius hatte tiefe, dunkle Ränder unter den Augen und sah völlig übermüdet aus.
"Mein Gott, Sirius, was ist denn mit dir geschehen?", fragte Mrs. Figg erschrocken.
"Schlecht geschlafen", murmelte Sirius verschlossen.
"Hattest du wieder Alpträume?", fragte die alte Frau weiter.
"Geht schon", murmelte Sirius abweisend.
Mrs. Figg blickte Harry fragend an, doch dieser konnte nur mit den Schultern zucken. Auch er konnte sich nur denken, was mit Sirius los war, wissen tat er es jedoch nicht.
"Ah, da seid ihr ja", beendete die Stimme von Albus Dumbledore die peinliche Stille. Der Schulleiter von Hogwarts stand in der Wohnzimmertür und blickte die Neuankömmlinge freundlich an.
Er sah aus wie immer, er trug einen langen, violetten Zaubererumhang, sein langes weißes Haar und sein Bart waren ordentlich gekämmt und in seinem Gürtel fixiert, damit sie ihm nicht im Weg waren und um seinen Mund spielte ein leichtes Lächeln. Erst bei näherem Hinsehen bemerkte Harry, dass Professor Dumbledore müde aussah. Seine Augen hatten ihren spitzbübischen Ausdruck verloren und seine Haut schien fahl und grau.
"Lasst uns ins Wohnzimmer gehen", sagte Mrs. Figg und schob Harry und Sirius vor sich her. Auf dem kleinen Tisch stand bereits eine dampfende Kanne Tee und eine Schale mit süßem Gebäck.
Sie setzten sich und Mrs. Figg goss für alle Tee ein, dann blickte sie Professor Dumbledore erwartungsvoll an und sagte: "Was gibt es neues Albus, hast du schon mit dem Ministerium gesprochen?"
Professor Dumbledore schüttelte traurig den Kopf. "Es scheint zwecklos zu sein, Arabella. Seit Wochen versuche ich Cornelius Fudge zu erreichen, aber ich komme einfach nicht an ihn heran. Laut seiner Sekretärin hat er jedes Mal gerade einen Auswärtstermin oder er befindet sich in einer Besprechung und möchte bis auf weiteres nicht gestört werden. Gestern habe ich ihm noch einmal eine Eule geschickt mit der Bitte um eine Erklärung, habe aber bis jetzt noch keine Antwort erhalten."
"Vielleicht solltest du persönlich ins Ministerium gehen, dann muss er mit dir sprechen", schlug Mrs. Figg vor.
"Auch das habe ich schon probiert", antwortete Dumbledore niedergeschlagen, "wenige Tage nach Severus' Verhaftung bin ich ins Ministerium geflogen und wollte ihn besuchen, aber sie haben mich schon am Haupteingang abgeblockt. Severus dürfe keine Besucher empfangen, hieß es. Als ich dann nach Fudge verlangt habe sagten sie, er sei verreist."
"Er wird nie mit dir sprechen", sagte Sirius tonlos.
"Aber er muss", ereiferte sich Mrs. Figg, "sie können Severus nicht einfach einsperren und so tun als wäre nichts geschehen."
"Severus ist in ihren Augen nur ein Death Eater", sagte Dumbledore leise, "nach den neuen Gesetzen hat er keine Rechte, falls es einen Prozess gibt, was ich bezweifle, hat er nicht einmal das Recht auf einen Anwalt."
"Entschuldigen Sie, Professor", schaltete sich nun Harry ein, "aber das ist doch nicht fair."
Dumbledore blickte Harry traurig an. "Würdest du auch noch sagen, es ist nicht fair, wenn er wirklich ein Death Eater wäre? Viele Leute glauben, dass Death Eater keinen ehrlichen Prozess verdienen. Allein durch das Zeichen von Voldemort sind sie gebrandmarkt und ihre Schuld ist damit praktisch bewiesen. Auch Severus trägt sein Zeichen, damit ist er schuldig."
"Aber Professor, er ....", wollte Harry einwenden, doch Professor Dumbledore fiel ihm sanft ins Wort: "Ja, Harry, wir wissen, dass er unschuldig ist, aber das Ministerium weiß es nicht."
"Aber kann Professor Snape nicht einfach sagen, dass er als Spion .....", begann Harry erneut.
"Dann werden sie Albus zur Verantwortung ziehen", unterbrach Sirius ihn nun, "das Ministerium wird nicht tolerieren, dass er auf eigene Faust einen Spion bei den Death Eatern eingeschleust hat. Wir müssen entweder beweisen, dass Severus unschuldig ist, was sehr schwierig werden wird, denn es gibt keinerlei Beweise, oder wir müssen ihm auf andere Art helfen."
"Ja, aber wie denn?", fragte Harry, "wollen Sie einfach da rein marschieren und ihn holen?"
"Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, dann ja", antwortete Dumbledore traurig. "Das Wichtigste ist, dass wir Severus erst einmal aus dem Einflussbereich der Auroren und vor allem der Dementoren bekommen, und das so schnell wie möglich. Natürlich wäre es mir lieber, wenn wir das auf offiziellen Wegen erreichen könnten."
"Aber wie willst du seine Unschuld beweisen?", fragte Mrs. Figg.
Professor Dumbledore schüttelte traurig den Kopf. "Ich weiß es nicht Arabella, ich weiß es wirklich nicht. Ich habe nie gedacht, dass ich eines Tages gegen das Zaubereiministerium arbeiten muss", fuhr er fort und drehte dabei nachdenklich seine Teetasse in den Händen.
"Ich habe bereits vor fünfzehn Jahren den Glauben an das Ministerium verloren", sagte Sirius bitter. Mrs. Figg öffnete den Mund um Sirius zu widersprechen, überlegte es sich jedoch anders und verkniff sich ein Kommentar. Eine peinliche Pause entstand.
"Egal wie es ausgeht", brach Professor Dumbledore schließlich die Stille, "wir müssen für alle Eventualitäten vorbereitet sein. Harry, wo hast du den Tarnumhang deines Vaters?"
Harry schluckte. "Professor Snape hat ihn mir in den Weihnachtsferien weggenommen, weil, nun, äh, ich, ......", begann Harry zögernd.
"Wie auch immer", unterbrach Dumbledore ihn, "ich möchte gar nicht wissen, was zwischen dir und Professor Snape vorgefallen ist. Wenn er den Umhang konfisziert hat, befindet er sich mit Sicherheit noch in seinem Büro. Ich werde versuchen die Zauber, die er zum Schutz seines Büros ausgesprochen hat, zu brechen und den Umhang zu holen."
"Albus, entschuldige wenn ich deine Planungen unterbreche, aber wo ist eigentlich das Amulett? Ist es in den Händen des Ministerium oder hat Voldemort es immer noch?", fiel Mrs. Figg plötzlich ein.
Professor Dumbledore überlegte einen Moment. "Hm, das ist eine gute Frage, Arabella, soweit ich weiß, hat das Ministerium das Amulett nicht, sie wissen überhaupt nichts von seiner Existenz."
"Professor Dumbledore", schaltete Harry sich vorsichtig ein, "Professor Snape hatte das Amulett zum Schluss, er hat es Voldemort vom Hals gerissen. Wenn es also nicht im Ministerium ist, muss es noch irgendwo in Godric's Hollow sein."
"Falls Voldemort nicht noch einmal dort war und es geholt hat", warf Sirius ein.
"Hm, das können wir natürlich nicht wissen", sagte Dumbledore überlegend, "aber um ganz sicher zu gehen, wirst du nach Godric's Hollow gehen und nachsehen ob das Amulett noch dort ist."
Sirius schnaubte ungehalten, dann antwortete er: "Na gut, wenn es denn sein muss, eigentlich habe ich keine Lust dort hin zu gehen, es hängen zu viele alte Erinnerungen an diesem Haus."
"Ich weiß, dass es schwer für dich ist", sagte Professor Dumbledore verständnisvoll, "aber es ist wichtig."
Sirius nickte stumm.
"Sirius, darf ich mitkommen?", fragte Harry aufgeregt.
"Ich weiß nicht Harry", antwortete Dumbledore vorsichtig, "man kann nie wissen, was passiert."
"Bitte Professor, es ist schließlich das Haus meiner Eltern, ich würde es so gerne noch einmal sehen", bat Harry.
"Na gut", sagte Professor Dumbledore schließlich, "also Sirius, du wirst mit Harry dort hingehen und nach dem Amulett suchen."
Sirius sah einen Moment Harry an, dann blickte er Dumbledore direkt in die Augen und nickte erneut.
"Gut, dann wäre erst einmal alles geklärt. Arabella, während wir weg sind, informiere bitte Remus Lupin über die neusten Ereignisse. Wir werden auch seine Hilfe brauchen."
"Albus, das wird nicht möglich sein", entgegnete Sirius ernst, "heute ist Vollmond, und da Remus keinen Wolfstrank mehr hat, wird es ziemlich hart für ihn werden. Ohne den Trank wird er für mindestens zwei oder drei Tage außer Gefecht sein, wenn der Vollmond vorüber ist."
"Merlin und Morgana", entfuhr es Dumbledore, "ausgerechnet jetzt, daran habe ich gar nicht gedacht. Egal, schick ihm trotzdem eine Eule, damit er weiß was passiert ist, Arabella. Er soll sobald es ihm besser geht zu uns stoßen"
"Ist gut Albus", antwortete Mrs. Figg.
"In Ordnung, jeder weiß was er zu tun hat. Wir treffen uns morgen um die Mittagszeit in meinem Büro in Hogwarts, dann werden wir besprechen, wie es weiter geht. Ich hoffe, dass ich bis dahin Cornelius Fudge erreicht habe, vielleicht erspart er uns drastischere Maßnahmen. Viel Glück."
Professor Dumbledore erhob sich von seinem Platz, blickte noch einmal in die Runde und disapparierte.
"Lass uns gehen, Harry", sagte Sirius und erhob sich ebenfalls von seinem Platz.
"Willst du dich nicht lieber noch etwas ausruhen?", fragte Harry seinen Paten besorgt.
"Ist schon OK, wirklich, mir geht's gut", antwortete Sirius beruhigend. Harry nickte zwar, schien mit dieser Antwort aber nicht wirklich zufrieden zu sein.

***



Albus Dumbledore atmete erleichtert auf als er den langen Aufstieg von Hogsmeade nach Hogwarts hinter sich gebracht hatte und das große Schlossportal vor ihm auftauchte. Müde schleppte er sich die unzähligen Treppen hinauf in sein Büro und ließ sich dort in seinen Sessel hinter dem Schreibtisch fallen.
Langsam wurde er einfach zu alt für diese Sachen. Vor 20 Jahren hatte es ihm nichts ausgemacht von einem Ort zum anderen zu apparieren und Missionen gegen Voldemort zu planen, doch heute strengte ihn das alles furchtbar an.
Andererseits war er aber auch nicht bereit die Leitung dieser Aktionen einem anderen anzuvertrauen. Es war einfach zu wichtig, obwohl es in seiner wieder ins Leben gerufenen Geheimorganisation, dem ‚Orden des Phönix', bestimmt genug fähige Hexen und Zauberer gegeben hätte, um die Leitung der Missionen zu übernehmen.
Er schloss kurz die Augen und atmete mehrmals tief durch, dann öffnete er sie wieder und sein Blick fiel auf seinen Phönix, der am anderen Ende des Zimmers auf seiner Stange saß und ihn interessiert beobachtete.
"Ach Fawkes", sagte er leise, "was soll ich nur machen? Wie sollen wir Severus' Unschuld beweisen?" Der große Vogel mit dem roten Gefieder spannte seine Flügel, erhob sich von seiner Stange und flog auf die Schulter seines Besitzers. Dort angekommen schmiegte er seinen Kopf an Dumbledores Wange und begann ganz leise zu singen.
"Ja, Fawkes", antwortete Dumbledore dem Vogel, "ich weiß auch, dass wir ihm helfen müssen, er war uns immer ein guter Freund." Der Phönix hüpfte von Dumbledores Schulter und setzte sich vor ihm auf den Schreibtisch. Dort machte er es sich gemütlich und sah seinen Besitzer erwartungsvoll an.
Professor Dumbledore saß noch einen Moment reglos auf seinem Stuhl, dann erhob er sich langsam und ging zu einem Schrank auf der anderen Seite des Zimmers. Er öffnete die Türen und begann nach etwas zu suchen. "Ah, da ist es ja", sagte er schließlich und holte eine große Schale heraus. Sie war bis an den Rand gefüllt mit einer silbrigen Flüssigkeit, die bei jeder seiner Bewegungen leicht hin und her schwappte.
Vorsichtig ging Dumbledore zurück zu seinem Platz und stellte die Schale behutsam auf seinen Schreibtisch.
Fawkes legte den Kopf schief und betrachtete die Schale misstrauisch "Aber Fawkes, tu doch nicht so, als hättest du das Denkarium noch nie zuvor gesehen", sagte Dumbledore zärtlich zu dem Vogel, der die Schale immer noch interessiert beäugte. "Ich gebe ja zu, dass ich es lange nicht mehr benutzt habe, aber manchmal kann es sehr nützlich sein."
Dumbledore setzte sich wieder in seinen Sessel und begann gedankenverloren die silbrige Flüssigkeit mit seinem Zauberstab umzurühren. Neugierig kam Fawkes näher und spähte in die Tiefe der Schale. Auch Professor Dumbledore lehnte sich nun leicht nach vorne und blickte in die Schale.
Der Boden der Schale schien tief wie ein schwarzes Loch. Als Dumbledore sich noch ein wenig weiter nach vorne lehnte, schien sich die Öffnung zu weiten und er hatte das Gefühl nach vorne über zu kippen. Er fiel durch das Loch hinein in seine eigenen Erinnerungen.

Als Dumbledore sich umsah erkannte er sein eigenes Büro. Es war genau so wie er es kannte, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Auf dem kleinen Tisch neben der Couch lag ein Tagesprophet vom 31. Juli 1979. Die Zeitung war jedoch nicht etwa vergilbt, sondern sah so druckfrisch aus, als wäre sie eben aus der Druckerei gekommen.
An dem großen Schreibtisch saß eine um etwa achtzehn Jahre jüngere Version von Albus Dumbledore. Vor ihm, auf einem Stuhl, saß mit hängendem Kopf ein junger Mann.
Dumbledore trat näher an den Schreibtisch heran und betrachtete sich den jungen Mann genauer. Seine schulterlangen, schwarzen Haare waren fettig und hingen ihm wirr um den Kopf. Er war sehr hager, hatte eine hervorstechende Hakennase und undurchdringliche, schwarze Augen, in welchen nun Tränen glitzerten. Es war der neunzehnjährige Severus Snape.
"Ich freue mich, Severus, dass du nun endlich mein Angebot angenommen hast", sagte der jüngere Albus, "ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass du zu mir kommst." Severus saß immer noch mit hängendem Kopf vor dem Direktor und sagte kein Wort.
"Ich habe dir bereits mehrmals während deiner Schulzeit angeboten dir zu helfen, wenn du Probleme hast", fuhr der Direktor fort, "was ist nun geschehen, dass du es dir überlegt hast?"
Severus schwieg noch einen Moment, dann sagte er leise, so dass man ihn kaum verstehen konnte: "Ich habe ihn umgebracht." Dabei traute er sich nicht dem Direktor in die Augen zu blicken, sondern starrte weiter auf seine Schuhspitzen.
"Wen hast du umgebracht?", fragte Dumbledore behutsam. Der junge Mann schwieg. "Severus, wen hast du umgebracht?", fragte Dumbledore erneut, nun etwas nachdrücklicher.
"David", antwortete Severus noch leiser.
"David?", fragte Dumbledore bestürzt. "Deinen besten Freund David Goodwin?" Severus nickte kaum sichtbar.
"Wieso hast du das getan?", fragte Dumbledore nun vorsichtig.
"Weil er es so wollte", antwortete Severus zögernd.
"Wer, er?", fragte Dumbledore verwirrt, "David?"
"Nein, ER", antwortete Severus und blickte nun das erste Mal Dumbledore direkt an. Er sah wirklich furchtbar aus. Seine Augen waren gerötet und von dunklen Rändern umschattet, sein Gesicht war fahl und bestand nur noch aus Haut und Knochen.
"Wer ist ER?", fragte Dumbledore nun etwas fordernder. Er hatte Angst die Antwort bereits zu kennen.
"ER!", wiederholte Severus hilflos, zog den linken Ärmel seines Umhangs nach oben und legte seine Hand mit der Handfläche nach oben auf den Tisch. Dumbledore starrte wie gebannt auf das schwarze Brandmal auf Severus' Unterarm: es war das dunkle Mal von Lord Voldemort.
"Severus", entfuhr es ihm, "also ist es wahr. Du bist ein Death Eater geworden. Junge, du hättest so viel machen können aus deinem Leben, du bist talentiert, intelligent, wieso?" Unendliche Enttäuschung schwang in Dumbledores Stimme mit.
Severus lief eine Träne die Wange herunter. Stumm schüttelte er den Kopf. "Ich weiß es nicht, Professor", sagte er mit leicht zitternder Stimme, "ich bin ein Slytherin, sie haben sich ihm alle angeschlossen. Ich dachte es sei das Richtige."
"Das Richtige, zu morden und die Welt in Angst und schrecken zu versetzen?", fragte Dumbledore ungläubig. Severus antwortete nicht. "Severus", fuhr der Direktor ernst fort, ohne weiter auf eine Antwort zu warten, "Lüg mich bitte nicht an und sag mir die Wahrheit. Warum hast du dich Voldemort angeschlossen?"
Severus zögerte einen Moment, dann blickte er Dumbledore fest in die Augen und antwortete ganz leise: "Macht."
"Was?", fragte Dumbledore verwirrt.
"Der dunkle Lord hat uns Macht und Ansehen versprochen, wenn wir ihm dienen. Er hat versprochen uns zu den mächtigsten Zauberern der Welt zu machen."
Dumbledore beobachtete Severus genau, sagte jedoch kein Wort.
"Sie wissen, Professor", fuhr Severus leise fort und senkte dabei wieder den Blick, "ich hatte nie Freunde, außer vielleicht David, die anderen Slytherins haben mich nur akzeptiert, weil sie Angst vor mir und meinen Flüchen hatten. Ich wollte, dass die Menschen zu mir aufsehen."
"Aber die Macht von Voldemort und seinen Anhängern basiert auch nur auf Einschüchterung und Androhung von Gewalt", sagte Dumbledore verständnislos.
"Ich weiß", antwortete Severus leise, "ich weiß auch nicht, warum ich ihm geglaubt habe, aber er stand damals vor uns und hielt eine leidenschaftliche Rede. Wir sind ihm alle gefolgt."
"Alle?", fragte Dumbledore vorsichtig.
"Alle", antwortete Severus, "es war in der ersten Woche unseres siebten Schuljahres. Ein ehemaliger Slytherin, Lucius Malfoy, der gerade seinen Abschluss in Hogwarts gemacht hatte, holte unseren gesamten Jahrgang um Mitternacht am Hintereingang des Schlosses ab und brachte uns zu einem geheimen Treffpunkt am Rande des verbotenen Waldes. Der dunkle Lord und einige seiner Anhänger erwarteten uns bereits. Er zog uns alle in seinen Bann. Noch in der selben Nacht empfingen fast alle von uns das dunkle Mal. Ich zögerte damals. Ich war mir nicht sicher ob es das war, was ich wollte, aber Malfoy überzeugte mich endgültig. Er beschrieb mir, wie die Death Eater Muggel und Schlammblüter verfolgten und die Erde von ihnen befreiten und wie alle Zauberer die Anhänger des Lords mit größtem Respekt behandelten. All das faszinierte mich. Die dunklen Künste zogen mich schon immer in ihren Bann, und so empfing schließlich auch ich eine Woche später das dunkle Mal." Severus hielt mit seiner Erzählung inne und blickte vorsichtig zu Dumbledore. Der Direktor saß bewegungslos in seinem Sessel und lächelte Severus aufmunternd an, damit er mit seinen Bericht fortfuhr.
"Zuerst war alles auch noch sehr lustig. Malfoy und die anderen Death Eater unterwiesen uns regelmäßig im Umgang mit den dunklen Künsten. Es stellte sich heraus, dass ich eine große Begabung für diese Magie hatte. So wurde der dunkle Lord recht schnell auf mich aufmerksam und förderte persönlich mein Fortkommen. Nach ungefähr einem halben Jahr durften ein paar von uns die erfahrenen Death Eater zum ersten Mal auf eine Mission begleiten. Ich war fasziniert von der Macht der dunklen Magie, fast berauscht, als unsere Lehrmeister die Schlammblüter mit dem ‚Cruciatus-Fluch' quälten und schließlich töteten. Ich sah sie nicht als Menschen, man hatte uns eingebläut, dass sie nur Abschaum sind, nicht wert zu leben. Kurz nach meinem Schulabschluss durfte auch ich zum ersten Mal einen Muggel töten. Die Macht, die ich über diese Kreatur hatte machte mich fast wahnsinnig, das hatte ich mir schon immer gewünscht."
"Wann hat sich diese Einstellung geändert?", fragte Dumbledore.
Severus atmete tief durch, zögerte einen Moment, fuhr dann jedoch fort: "Es war vor vier Nächten. Ich erhielt den Auftrag einen Schlammblüter und seine Muggel-Familie zu töten. Als ich bei dem Haus ankam waren die Fenster des Wohnzimmers noch hell erleuchtet. Sie fühlten sich völlig sicher. Ich ging zur Tür und betrat lautlos das Haus. Dann ging ich zur Tür des Wohnzimmers und stieß sie mit einem Ruck auf. Auf dem Sofa saß mein bester Freund David mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter. Die drei starrten mich angsterfüllt an. Natürlich wusste David nicht, dass ich es war, denn ich trug eine schwarze Maske. Er fiel vor mir auf die Knie und flehte mich an seine Frau und seine Tochter zu verschonen. Er bat nicht um sein eigenes Leben. Ich zögerte nur einen kurzen Moment, dann zog ich meinen Zauberstab aus der Tasche und sprach den tödlichen Fluch. Innerhalb einer Minute war die gesamte Familie ausgelöscht. Doch als Davids toter Körper vor mir lag stieg plötzlich Übelkeit in mir auf. Es war jetzt nicht mehr irgendein Abschaum, den ich getötet hatte, es war mein bester Freund, ein Mensch!" Dann schwieg Severus. Wieder lief ihm lautlos eine Träne über die Wange.
"Und warum bist du nun hier?", fragte der Schulleiter nach einer kurzen Pause.
"Ich will da raus", antwortete Severus leise, "ich will damit aufhören, aber ich will nicht nach Askaban, bitte Professor, helfen sie mir. Ich habe Angst."
Nun schüttelte Dumbledore leicht den Kopf. "Das ist nicht so einfach, mein Junge, ich bin froh, dass du deinen Fehler einsiehst, aber wer einmal das dunkle Mal trägt, ist für immer mit Lord Voldemort verbunden."
"Professor, bitte", flehte Severus, "Sie sind der einzige, der mir helfen kann, ich weiß sonst nicht, wohin ich gehen soll."
Dumbledore atmete scharf ein und dachte einen Moment nach.
"Vielleicht gibt es eine Möglichkeit", begann er langsam, "aber es kann sehr gefährlich für dich werden."
"Das ist mir egal, Hauptsache ich kann da aussteigen", sagte Severus euphorisch.
"Das ist es ja eben", sagte Dumbledore, "das kannst du nicht. Es gibt nur eine Möglichkeit: Du gehst zu Voldemort zurück ....."
"NEIN", entfuhr es Severus.
"Lass mich doch erst einmal ausreden, Junge", beruhigte Dumbledore den aufgelösten Neunzehnjährigen, "du gehst zu Voldemort zurück und versorgst mich, und den ‚Orden des Phönix' mit Informationen über seine Pläne."
"Sie meinen als Spion?", fragte Severus ungläubig.
Dumbledore nickte langsam.
"Er wird mich töten, wenn er das herausfindet", empörte Severus sich.
"Ich werde dir so viel Schutz geben wie ich nur kann", versicherte Dumbledore, "und Hogwarts wird dir immer eine Zuflucht sein, hier bist du sicher."
Severus nickte vorsichtig.
"Und wenn das alles vorbei ist, habe ich vielleicht eine Zukunft für dich", fuhr Dumbledore fort.
Severus sah ihn fragend an.
"Du warst der beste Schüler in ‚Zaubertränke', den wir jemals in Hogwarts hatten. Professor Ethanus ist alt, er wird der Stelle als Lehrer für Zaubertränke nur noch wenige Jahre gewachsen sein. Ich würde mich freuen, wenn du ihm bis auf weiteres assistieren würdest und vielleicht in ein paar Jahren seinen Posten übernimmst."
Severus starrte Dumbledore fassungslos an. "Ich? Ein Lehrer?", fragte er ungläubig.
"Warum nicht?", fragte Dumbledore zurück. "Überlege dir mein Angebot gut, es kann wie gesagt sehr gefährlich für dich werden. Du musst dich nicht sofort entscheiden."
"Ich nehme das Angebot an", sagte Severus mit fester Stimme.
Professor Dumbledore lächelte und reichte dem jungen Mann die Hand.


Die Szene löste sich auf und der alte Professor Dumbledore saß wieder an seinem Schreibtisch. "Er hat mich nie enttäuscht", sagte er leise zu sich selbst, "jetzt muss ich mein Versprechen einlösen."

***



Severus hatte die ganze Nacht kein Auge zu gemacht. Seine gebrochene Rippe schmerzte höllisch und er hatte großen Durst. Colby hatte zwar am Vortag den Wasserkrug gefüllt, Severus war jedoch nicht in der Lage mit auf dem Rücken gefesselten Armen zu trinken. Erschöpft lag er auf seiner Pritsche und starrte sehnsüchtig auf den Krug der direkt neben ihm stand und doch so unerreichbar fern war.
Alle zwanzig Minuten kam ein Dementor an seiner Zelle vorbei und Severus schaffte es nur noch leidlich sich gegen ihren Einfluss zur Wehr zu setzen. Wenn sie näher kamen hörte er hundertfach Schreie in seinem Kopf von Menschen die starben, Menschen, die er mit seinem eigenen Zauberstab im Namen des dunklen Lords getötet hatte. Sie flehten um ihr Leben, weinten, bettelten, doch ein greller Blitz aus seinem Zauberstab setzte ihrem Dasein ein Ende.
Nur langsam verhallten die Schrei in seinem Kopf, wenn der Dementor sich wieder von seiner Zelle entfernte, die Kälte jedoch wich nicht aus seinem Körper. Sie zog von dem feuchten Boden in seine Glieder, so dass er am ganzen Leib zitterte.
Severus schloss die Augen und atmete tief durch, was er jedoch sofort bereute, denn ein stechender Schmerz erinnerte ihn an seine gebrochene Rippe.
Er wusste nicht, wie lange er seine Gedanken noch vor den Dementoren verschließen konnte, wie lange er ihnen noch Gegenwehr bieten konnte. Alles in seinem Kopf schien durcheinander zu wirbeln und er war nicht mehr in der Lage klar zu denken. Fühlte sich so der Wahnsinn an?

Es musste später Nachmittag sein, als sich die Tür zu Severus' Zelle öffnete und zwei Männer eintraten. Severus nahm all seine verbliebene Kraft zusammen und setzte sich auf. Er musste dabei die Zähne zusammen beißen, um den Schmerz in seiner Seite zu ignorieren.
Als die beiden Männer die Tür wieder hinter sich geschlossen hatten, konnte Severus erkennen, um wen es sich handelte. Einer von ihnen war Thomas Loyer, den anderen kannte er nicht, doch nach seiner Uniform zu urteilen schien es ein Aufseher von Askaban zu sein.
Severus funkelte die beiden Männer an. Seine Laune war auf einem Tiefpunkt angekommen. "Guten Morgen Loyer", krächzte er, und hielt dann überrascht inne. Seine Stimme klang fremd, als käme sie von weit her und nicht aus seinem eigenen Mund. Er schloss kurz die Augen, schluckte einmal und sprach dann erneut. "Wo haben sie denn ihren lieben Kollegen gelassen?" Seine Stimme klang immer noch ausgetrocknet und gebrochen, doch kam sie ihm nun wieder annähernd vertraut vor.
"Haben wir gut geschlafen, Abschaum?", fragte Loyer mit zuckersüßer Stimme. Severus antwortete nicht.
"Na, keinen sarkastischen Spruch mehr auf den Lippen?", fragte er weiter, "glaub mir, Mistkerl, du bist nicht der Erste, den wir kleinkriegen. Heute werden wir Klartext reden, nur wir zwei, du und ich."
Severus starrte Loyer nur an, sagte jedoch immer noch kein Wort. Erst jetzt, nachdem er ein paar Worte gesprochen hatte merkte er, wie trocken sein Hals war. Er versuchte nochmals zu schlucken, konnte aber nicht genug Speichel in seinem Mund dafür sammeln. Unbewusst fiel sein Blick sehnsuchtsvoll auf den gefüllten Wasserkrug, wandte sich aber sofort wieder ab und starrte Loyer erneut an.
"Haben wir etwa Durst, du Ratte?", fragte Loyer prompt mit einem gefährlich süßen Unterton. Ihm war Severus kurzer Blick nicht entgangen. Er trat einen Schritt vor, nahm den Krug und hob ihn hoch. Langsam drehte er ihn in der Hand und betrachtete sich das Gefäß eingehend.
"Ja, Snape, Wasser ist ein kostbares Gut, wir wissen es erst zu schätzen, wenn wir es nicht mehr haben, aber warte, ich werde dich von deiner Pein erlösen", fuhr Loyer fort.
Dann ging er noch einen Schritt auf Severus zu, hob den Krug hoch in die Luft und schüttete Severus den gesamten Inhalt mit einem Schwung über den Kopf.
Severus sprang wütend auf und wollte auf Loyer losgehen, doch der Aufseher hatte bereits seinen Zauberstab gezogen und rief "Stupor". Severus knallte von dem Schockzauber getroffen hart gegen die Wand und fiel stöhnend auf den Boden.
"Wie ich gestern schon sagte, du wirst hier noch Respekt lernen", sagte Loyer ungerührt.
"Vergiss es", krächzte Severus. Thomas Loyer holte aus und trat Severus brutal in den Magen. Severus stöhnte vor Schmerz auf.
Nun kniete sich der Aufseher neben Severus, griff nach seinen Haaren und riss seinen Kopf brutal nach hinten, so dass er Loyer direkt ansehen musste. "Entschuldige dich", sagte der Wachmann fordernd. Severus schwieg.
"Ich glaube, du weißt nicht mit wem du es hier zu tun hast, Verräter, sonst wärst du mit Sicherheit kooperativer", sagte Loyer, "vielleicht fasst mein Kollege Colby dich mit Samthandschuhen an, doch mein Arbeitgeber ist nicht so verständnisvoll mit Überläufern, der dunkle Lord schätzt es nicht, wenn man ihn hintergeht."
Severus starrte Loyer fassungslos an. Loyer schien Severus' Unglauben zu genießen und fuhr grinsend fort: "Du hattest wohl gedacht, dass du in Askaban vor der Rache des dunklen Lords sicher bist, nun, da muss ich dich enttäuschen, der Lord hat nicht vergessen was du ihm angetan hast, du Verräter. Lord Voldemort brennt darauf dich in seine Finger zu bekommen, damit du deine gerechte Strafe erhältst, und bis dahin habe ich den Auftrag mich ein wenig um dich zu kümmern, dich sozusagen auf das einzustimmen, was dich erwartet."
Hass stieg in Severus auf. Er nahm all seine verbliebene Energie zusammen, warf sich mit aller Kraft gegen den Aufseher, der ihn immer noch festhielt um sich aus seinem Griff zu befreien, sprang dann mit einem Satz auf und stürmte mit wutverzerrtem Gesicht auf Loyer zu. Doch Thomas Loyer schien Severus' Vorhaben geahnt zu haben, denn als Severus ihn erreicht hatte, hatte Loyer bereits ausgeholt und verpasste ihm einen harten Faustschlag mitten ins Gesicht. Severus taumelte nach hinten, stolperte dabei über den Wachmann, der immer noch hinter ihm kniete und verlor das Gleichgewicht.
Ohne seine Hände hatte er keine Chance den Sturz abzufangen und fiel mit der Stirn genau auf die Kante der Pritsche.
Benommen blieb er einen Augenblick mit dem Kopf auf der Pritsche liegen. Sterne tanzten vor seinen Augen und er war unfähig sich zu bewegen.
Er war kurz davor in eine erlösende Ohnmacht zu fallen, doch bevor er vollends das Bewusstsein verlor, wurde er brutal herum gerissen und ein erneuter Fußtritt in den Magen holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Loyer starrte ihn wütend an.
Severus merkte, wie etwas feuchtes an seiner Wange herunter lief, dann schmeckte er das Blut, das aus einer klaffenden Wunde an seiner Stirn sickerte.
"Du wirst dir noch wünschen in der Hölle zu schmoren", zischte Loyer. Dann zog er ganz langsam seinen Zauberstab aus dem Umhang und richtete ihn auf Severus. Severus' Augen weiteten sich angstvoll. Loyer sagte leise: "Crucio".
Severus Welt explodierte in einer Welle aus Schmerz. Sein Körper wollte in Stücke reißen und seine Knochen schienen aus glühender Lava zu bestehen.
So schnell der Schmerz begonnen hatte, so schnell ebbte er auch wieder ab. Stöhnend lag Severus auf dem Boden, unfähig sich zu bewegen. Er war nicht mehr fähig einen klaren Gedanken zu fassen, er hoffte nur noch, dass der Schmerz bald ein Ende haben würde.
"So, du Verräter", knurrte Loyer wie aus weiter Ferne, "genieße die Nacht, morgen werde ich wieder kommen, dann werden wir eine Lektion über Gehorsam abhalten. Bereite dich gut darauf vor."
Dann gingen die beiden Männer zur Tür und verließen ohne ein weiteres Wort die Zelle. Bevor sie die Tür hinter sich schlossen hörte Severus Loyer zu dem Aufseher sagen: "Postiere einen Dementor vor seiner Tür." Nun endlich entglitt Severus in eine gütige Ohnmacht.

¨

Kapitel 1

Kapitel 3

 

Zurück