Es wurde bereits dunkel, als wir das Abendessen beendeten. Im Gegensatz zum letzten Abend verlief es äußerst harmonisch. Zu meiner eigenen Überraschung begann ich mich, in Snapes Gegenwart wohl zu fühlen. Er hatte den ganzen Tag keine zweideutigen Bemerkungen gemacht und sich auch sonst weitaus weniger abweisend verhalten.
Nachdem wir den Tisch abgeräumt und das Geschirr abgewaschen hatten, setzte ich mich an den Wohnzimmerkamin, in dem ein Feuer brannte, und versuchte die Risse, die mir die Zaunnägel in meinen Umhang gerissen hatten, zu stopfen.
Snape hatte sich ans Fenster gesetzt und spielte wieder auf der Harfe. Nach einiger Zeit ließ ich meine Arbeit sinken und sah ihm zu. Mir fiel auf, dass er dieses Lied bereits am vergangenen Abend gespielt hatte.
"Ist das das einzige Lied, das Sie können?", spöttelte ich.
Snape blickte auf und klopfte dann auf die Sitzbank. "Kommen Sie zu mir, Miss Smith. Ich werde Ihnen etwas von meinem umfangreichen Repertoire beibringen."
Ich legte den Umhang weg und ging zu ihm. Als ich mich neben Snape auf den Hocker setzte, roch ich wieder diesen aromatischen Duft, der von ihm ausging. Mein Körper erinnerte sich an die zarten Berührungen seiner Finger - ich bekam eine Gänsehaut.
Mit kurzen Worten erläuterte Snape mir die Funktionsweise der Harfe: für welche Töne die farbigen Saiten standen, wie man die Saiten zupft und noch einiges andere. Er tat das mit einer Begeisterung und Geduld, die er während des Zaubertränkeunterrichts nie an den Tag gelegt hatte.
Nachdem er mir eine kurze Melodie vorgespielt hatte und ich die Töne mit meinen Fingern nach einigen Versuchen auch ohne größere Fehler wiederholen konnte, meinte er: "Also, sind Sie bereit?"
Ich nickte.
"Gut, dann spielen Sie mit der rechten Hand und ich mit links. Die Pedale gehen Sie nichts an", bemerkte er, als ihm mein Blick nach unten auffiel.
Es klappte erstaunlich gut. Snape erwies sich als ein ausgezeichneter Musiker. Wenn ich einen Augenblick brauchte, um die richtige Saite zu treffen, hielt er genau in diesem Moment inne und spielte die Begleitung sofort weiter, wenn ich den richtigen Ton gefunden hatte.
"Das machen Sie fabelhaft!", meinte er begeistert nachdem wir das Stück zu Ende gespielt hatten. "Dann das Ganze noch einmal von vorn."
Diesmal ließ er sich von seiner Begeisterung mitreißen und wurde während des Stückes schneller.
"Nicht so schnell, nicht so schnell", rief ich. "Warten Sie auf mich!"
Er senkte seine Hand und blickte mich schweigend an. Seine Augen wurden dunkel. "Ich werde auf Sie warten", antwortete er sanft.
Warum auch immer, mein Gehirn spielte mir einen bösen Streich. "Tom spielt Gitarre", sagte ich, bevor ich auch nur darüber nachgedacht hatte.
Snapes Gesichtszüge entglitten ihm für einen kurzen Augenblick. Es war ein Hauch von Resignation darin zu erkennen.
Toms Erwähnung traf mich wie ein Schlag. Das hatte ich total vergessen!
"Ich hätte ihm einen Brief schicken sollen. Ich habe ihm versprochen, dass ich mich von meiner Granny aus melde." Meine Stimme klang panisch. "Aber ich könnte es gar nicht, ich meine, ich habe keine Eule."
"Nun", meine er mit einer Ruhe, die der Ausdruck seiner Augen Lügen strafte, "Sie könnten über das Kaminfeuer mit ihm sprechen."
"Geht das?" Ich kannte diese Methode, hatte sie jedoch noch nie ausprobiert. Mit wem auch, Granny hätte ich zu Tode erschreckt, wenn mein Kopf plötzlich in ihrem Kaminfeuer aufgetaucht wäre.
"Ja, passen Sie auf." Er holte das Kästchen mit dem Flohpulver und nahm eine kleine Prise heraus. "Sagen Sie mit wem sie sprechen wollen und wo sich der Betreffende aufhält." Dann warf er das Pulver in die Flammen. Das Feuer verfärbte sich augenblicklich grün. Mit deutlicher Stimme nannte ich: "Tom Mitchell, Tilbury". Dann schob ich den Kopf in die Flammen.
Ein kurzer Wirbel erfasste mich, nicht ganz so heftig, als wenn man durch das Flohnetzwerk reiste, trotzdem genügte er, um mich ein wenig schwindelig werden zu lassen.
Als das Drehen vor meinen Augen abgeebbt war, fiel mein Blick in Mrs Mitchells Wohnzimmer. Sie blätterte in einer Ausgabe der Hexenwoche, dann bemerkte sie mich.
"Janet, Liebes, wie geht es dir?" Ich setzte zu einer Antwort an, aber sie ließ mich nicht zu Wort kommen. "Was macht deine Großmutter? Ich hoffe, ihr geht es wieder besser. Es ist schrecklich, dass sie gestürzt ist. Als Tom es mir erzählt hat, habe ich zu ihm gesagt: ‚Die arme alte Dame, aber es ist gut, wenn man jemanden hat, der sich so um einen kümmert. Janet ist wirklich ein Schatz.'"
Nun holte sie Luft und ich nutzte meine Chance. "Hallo, Mrs Mitchell. Danke, Granny, ihr geht's … es geht … in ein paar Tagen wird sie wieder gehen können." Ich hoffte, das Feuer würde mein rot werden verdecken. "Ist Tom zu Hause?"
"Nein, Schatz. Er ist zum Quidditch gegangen", lächelte Mrs Mitchell freundlich.
"Oh, Quidditch." Ich war enttäuscht, doch schließlich konnte ich nicht von ihm verlangen, dass er Tag und Nacht auf eine Nachricht von mir wartete.
Irgendwo hinter mir hörte ich, wie sich jemand bewegte. Ich hatte auf einmal Angst, Snape könnte das Gespräch unterbrechen.
Hastig redete ich weiter: "Würden Sie ihm bitte sagen, dass ich an ihn denke. Und -"
"Er macht morgen früher Schluss. Was hältst du davon, wenn er dich in Sheffield besucht?" Mrs Mitchell blickte erwartungsvoll zu mir.
Ich bekam Panik. Das durfte auf keinen Fall passieren!
"Ähm … Mrs Mitchell …", stotterte ich, "meiner Großmutter geht es schon besser, ja, ich denke ich kann bereits morgen im Laufe des Vormittags nach Tilbury kommen … Aber Tom soll nicht nach Sheffield kommen!"
Was musste diese Frau jetzt von mir denken. Dann fühlte ich, wie mich Snape an der Schulter zurückzog.
"Ich komme morgen … ähm … ich hab jetzt was zu erledigen … Entschuldigung …" Der Griff an meiner Schulter hatte sich verstärkt und mein Widerstand reichte nicht aus, um das Gespräch noch länger hinauszuziehen. "Auf Wiedersehen."
Ich landete ziemlich unsanft auf dem Wohnzimmerboden. Snape stand wie das personifizierte Unheil über mir.
"Schon morgen?" An dem Klang seiner Stimme hörte ich, dass er um Fassung rang.
Jetzt erst fiel mir auf, was ich getan hatte. In meiner Panik, Tom könnte herausfinden wo ich mich aufhielt, hatte ich Mrs Mitchell versprochen bereits morgen zurückzukommen.
"Das war das Einzige, was mir eingefallen ist, ihn daran zu hindern", rechtfertigte ich mich, "sonst appariert er doch zu Granny nach Sheffield. Wie hätte ich das denn anders verhindern können?" Nun klang ich ziemlich geknickt.
"Aber morgen, Miss Smith." Er hatte jegliches Gefühl aus seiner Stimme verbannt. "Dann habe ich nur vier Tage gehabt."
"Was macht es für einen Unterschied, ob sieben Tage oder vier?" Ich hoffte, dass es keinen machte, denn sonst wäre mein Opfer vielleicht umsonst gewesen und Snape würde Toms Verfehlungen trotzdem melden.
"Es nimmt dem ganzen Unternehmen seinen Sinn", meinte er niedergeschlagen, "Die letzen Tage mit Ihnen wären die Wichtigsten gewesen."
Mir war klar, worauf er anspielte. Ich hatte begonnen, ihn anders wahrzunehmen, in ihm nicht mehr zu allererst den sarkastischen Zaubertränkelehrer zu sehen. Und heute … heute hatte ich mich in seiner Gegenwart kein einziges Mal unwohl gefühlt, bis jetzt …
"Nun, ich bin ja noch hier - bis morgen. Es tut mir leid, wenn es nicht so lief, wie Sie es sich dachten." Ich konnte es nicht glauben, ich entschuldigte mich bei ihm dafür, dass ich nicht so lange blieb, wie er es von mir verlangt hatte.
Ich stand auf und nahm den Umhang an mich, um ihn an der Garderobe aufzuhängen. Ich musste aus diesem Raum heraus, ich wollte nicht in sein Gesicht blicken. Ich hatte Angst vor dem, was ich darin sehen würde.
"Nein", sagte er leise, "nichts lief, wie ich es dachte."
Er folgte mir in den Flur. Einen kurzen Moment sah er mich nachdenklich an, dann ging er zur Haustür.
"Ich muss noch mal weg, ungefähr eine halbe Stunde." Er öffnete die Tür. "Ich habe was zu erledigen. Nur dreißig Minuten." Dann war er verschwunden.
Ich brauchte eine Weile, bis ich wieder klar denken konnte. Was auch immer heute Nacht passieren würde, ich hatte den drängenden Wunsch Snape und seine Handlungsweise zu verstehen, bevor ich endgültig über ihn richtete. Auf meiner rastlosen Wanderung durch die Wohnung fiel mir wieder die verschlossene Zimmertür auf. Vielleicht verbarg sich dort der Schlüssel zu Snapes Verhalten.
Schnell machte ich mich für die Nacht zurecht. Ohne über die Gründe nachzudenken, zog ich das Seidennachthemd an. Das feine Gewebe fühlte sich kühl auf meiner Haut an. Ich fröstelte ein wenig und beschloss, in der Zwischenzeit noch die Pyjamajacke überzuziehen.
Nun eilte ich schnell ins Schlafzimmer. Mein Zauberstab lag noch immer auf der Kommode. Ich nahm ihn und lief zur Haustür: "Portacerra!". Als ich sie magisch abgeschlossen hatte, ging ich weiter zu dem verschlossenen Raum.
"Alohomora!", sagte ich leise, aber die Tür rührte sich nicht. Also versuchte ich es mit dem Zauberspruch, mit dem Snape die Zimmertür geöffnet hatte, als er die Pantoffeln hineinwarf. - Die Tür sprang auf.
Das Zimmer war stockdunkel. Es roch muffig. "Lumos!", flüsterte ich und an der Spitze meines Zauberstabes leuchtete ein Lichtpunkt.
Erschrocken sog ich die Luft ein. Das Zimmer machte den Eindruck eines Schreins. Nur, es war keiner, in dem man eine Person verehrt, die einem lieb und teuer geworden ist und an die man seine Erinnerungen nie vergessen möchte. Sondern es war eine Gedenkstätte, die quälte und den erlittenen Schmerz wach hielt, die jemanden … die Snape an den größten Fehler seines Lebens erinnern sollte.
In meinem Kopf hörte ich seine Worte: "Tragödien … Streit, Verzweiflung."
Langsam tastete ich mich durch das Sammelsurium von Kleidern, Möbeln und Erinnerungsstücken. An der Wand hinter der Tür stand ein großer Schrank, dessen Türen halb geöffnet waren. Auf Bügeln hingen Umhänge und Kleider in allen denkbaren Farben, auf dem Schrankboden stapelten sich Schuhe.
Links von mir stand ein eisernes Bettgestell. Matratze und Bettzeug waren bezogen, so als ob die Besitzerin der Gewänder jederzeit zurückkommen würde. Auf einer Kommode standen in silbernen Rahmen Dutzende Photographien.
Über einem alten, kostbaren Sekretär hing ein großes Ölgemälde. Einige verstaubte Spinnweben bewegten sich im Luftzug. Nachdenklich blickte ich das Bild genauer an. Die dargestellte Hexe starrte interessiert aus dem Rahmen zurück.
Sie war wunderschön. Sie gehörte zu den Menschen, die auf Männer wie Frauen gleichermaßen anziehend wirken. Das Kleid, das sie trug, schmeichelte ihr. Ihr lockiges blondes Haar umgab ein ebenmäßig geformtes Gesicht mit einem sinnlichen Mund. Die grauen Augen bildeten den einzigen Makel: Sie blickten kalt und gefühllos.
"Theodora Ann Snape", murmelte ich und die Hexe nickte.
Nun wandte ich mich dem Sekretär zu. Vorsichtig öffnete ich die Schublade unter der Schreibplatte. Darin lagen sauber gefaltete Pergamentblätter. Ich nahm die obersten und breitete sie auseinander.
Das Erste war ein amtliches Schreiben, das den Briefkopf des Zaubereiministeriums trug.
"Sehr geehrter Professor Snape,
hiermit informieren wir Sie, dass Ihre Frau, Theodora Ann Snape, geborene Lestrange, geb. 12.09.1959, gestern, am Mittwoch, den 13.04.1983, um 21.35 Uhr Ortszeit im Gefängnis von Askaban verstorben ist.
Da Ihre Frau vom Zauberergamot als Todesser rechtskräftig verurteilt wurde, wird ihr Leichnam auf dem Totenacker Askabans verscharrt. Die verbliebenen persönlichen Gegenstände werden Ihnen durch die Gefängnisleitung in den nächsten Tagen mit einer offiziellen Eule zugehen.
Hochachtungsvoll …"
Ein paar neutrale Sätze hinter denen sich ein ganzes Leben verbarg - und dahinter weitere Schicksale. Mit einem eigenartigen Gefühl legte ich das Schreiben wieder in die Schublade zurück und betrachtete das andere Pergament in meinen Fingern.
Es war ein persönlicher Brief mit schneller Hand geschrieben und schwer zu lesen. Ich machte mich daran, die Schrift zu entziffern.
"Lieber Severus,
du und deine Vorstellung von einem gemütlichen Familienleben kotzen mich an! Glaubst du wirklich, deine armselige Verkörperung eines Todessers könnte daran etwas ändern?
Ich werde mich nicht mit einer billigen Kopie begnügen, wo mich der dunkle Meister als seine Gefährtin erwählt hat. Ich werde sein Bett teilen und du hast deine Schuldigkeit getan. Meine Macht wird unendlich sein …"
Ein Klopfen an der Haustür riss mich aus meiner Lektüre.
"Miss Smith!" Snape war zurück.
Hektisch rannte ich aus dem Zimmer, verschloss die Tür und merkte jetzt erst, dass ich den Brief noch in der Hand hatte.
"Miss Smith! Hören Sie mich? Sind Sie da?" Das Klopfen an der Haustür wurde lauter. Anscheinend hatte er seinen Zauberstab vergessen. Für den sonst so akkuraten Mann war das sehr ungewöhnlich.
"Ich komme, ich bin gerade im Bad." Schnell stopfte ich das Pergament in die Brusttasche meiner Pyjamajacke und lief zur Haustür. Ich dankte allen Mächten, dass ich mich bereits zum Schlafen gehen fertig gemacht hatte.
Eine kurze Berührung mit meinem Zauberstab und die Haustür ging auf. Snapes fragender Blick ruhte auf mir, als er eintrat.
"Ich fürchte mich allein, deswegen habe ich die Tür verschlossen", schwindelte ich, ohne dabei auch nur im Geringsten rot zu werden.
Er schloss die Tür und zog seinen Umhang aus, während ich zur Schlafzimmertür ging und sie öffnete.
"Schon ins Bett?" Ungläubig schaute er mich an.
"Ja." Ich wandte mein Gesicht ab. Nun wurde ich doch noch rot.
Als ich am Bett die Pyjamajacke auszog, blickte ich zufällig zur Tür wo Snape stand und mich beobachtete. Fast lautlos bewegte er die Lippen. Seine Worte: "Nicht heute Nacht, Miss Smith. Nicht heute Nacht." verunsicherten mich und ich begriff nicht warum - noch nicht.
Wieder lag ich wach und lauschte seinen gleichmäßigen Atemzügen. Doch heute lag ich nicht deshalb wach, weil ich Angst hatte, sondern weil mein Verstand Überstunden machte.
Langsam rutschte ich auf Snapes Seite des Bettes bis ich dicht an seinem nackten Rücken lag. Es bestand keine Gefahr, dass er aufwachen würde. Er hatte wieder einen Schlaftrank genommen und schlief seitdem tief und fest. Ich spürte die Wärme, die von seinem Körper ausging, und verlor mich im Duft seiner Haut.
Bedächtig streichelte ich mit meinen Fingern seinen Rücken und über seine Schultern. "Severus …", flüsterte ich und der Name klang eigenartig in meinem Mund.
In mir formte sich ein Gedanke, den ich am Anfang als absurd beiseite schob. Als ich erneut darüber nachdachte, hielt ich mir die Konsequenzen vor Augen. Ich fand, es war das Risiko nicht wert.
Nach einer Weile stellte ich mir Frage, ob ich mir Vorwürfe machen würde, wenn ich meine Absicht nicht in die Tat umsetzte.
Schließlich entschied ich, dass mir die Konsequenzen egal waren und Prinzipien hin oder her, ich würde auch dann noch ohne Scham in den Spiegel schauen können.
Es war weit nach Mitternacht, als ich mit meinem Vorhaben begann.
Leise stand ich auf und ging ins Bad. In meinem Necessaire suchte ich nach dem Parfum, das ich in einem leichtsinnigen Moment gekauft hatte, und es seitdem nur sehr spärlich benutzte, weil es so teuer gewesen war. Ich verteilte den Duft auf meinem Körper: hinter den Ohren, am Halsansatz, an den Handgelenken und zwischen meinen Brüsten. Anschließend lief ich ins Wohnzimmer und goss mir ein großes Glas Cognac ein. Ich musste mir Mut antrinken.
Die Wärme, die der Alkohol in meinem Körper verbreitete, beseitigte die letzten Zweifel über meinen Entschluss. Also kehrte ich ins Schlafzimmer zurück und betrachtete den schlafenden Snape.
Er wollte ein erotisches Abenteuer. Soweit es an mir lag, sollte er es bekommen!
So verrückt es mir auch erschien, ich war aus freien Stücken hier. Nun, er hatte mich erpresst, aber der Entschluss, für Tom meinen Kopf beziehungsweise meinen Körper hinzuhalten, war meine eigene Entscheidung gewesen. Dieses verdammte Verantwortungsgefühl, das ich gegenüber Tom hatte, war mein Problem und Snape hatte es ausgenutzt.
Dieses Pflichtgefühl, weswegen mich der Sprechende Hut nach Hufflepuff eingeteilt hatte, brachte mich jetzt auch dazu, diesen Teil der Vereinbarung, die ich mit Snape hatte, einzuhalten. Zumindest redete ich mir das ein.
"Tom wird hiervon nichts erfahren", dachte ich, "auch dann nicht, wenn wir verheiratet sind." Ich zog das Spitzennachthemd aus und legte es auf die Pyjamajacke, die neben dem Bett auf dem Boden lag. Vollkommen nackt schlüpfte ich nun wieder unter die Decke und kuschelte mich zufrieden in die Kissen.
Es dauerte nicht lange und ich war eingeschlafen.
Lautes Vogelgezwitscher weckte mich. Allerdings da war noch etwas anderes, das mich aus meinem Schlummer geholt hatte. Ich fühlte, wie warmer Atem an meinem rechten Oberarm entlang strich. An meiner Schulter machte dieser Hauch halt und ich wartete, dass Snape mich auf diese Stelle küsste, doch er tat es nicht.
Stattdessen hörte ich seine Stimme: "Nacktes, blasses, Mädchen, find ich dich in meinem Bett, an einem Sommermorgen." Unterdessen hob er sanft die Bettdecke an und …
Es geschah wieder nichts. Oder zumindest nicht das, was ich erwartet hatte. Snape legte vorsichtig die Decke zurück und drehte sich auf seiner Seite des Bettes um.
Ich traute mich nicht, die Augen aufzuschlagen und musste mich daher auf mein Gehör verlassen. Das Bett knarrte und ich hörte, wie die Badezimmertür geschlossen wurde.
Empörung kroch in mir hoch. Was wollte er? War es nicht genau das, was er sich gewünscht hatte? Wovon er die ganze Zeit geredet hatte? Alles bloß heiße Luft! Meinte er, ich würde das hier aus purem Spaß veranstalten?
"Natürlich", dachte ich zornig. "Es war ja schon immer mein größter Wunsch nackt neben einem Lehrer aufzuwachen. Und Snape steht ganz oben auf der Liste!"
Ärgerlich setzte ich mich auf und schlang die Bettdecke um mich. Ich begann heftig zu zittern, aber nicht vor Kälte. In mir loderte eine Wut, gegen die die Furien die reinsten Waisenkinder waren.
Snape kam aus dem Bad zurück. Er hatte sich den Morgenmantel übergezogen und lief nun leise am Bett vorbei. Wahrscheinlich hatte er noch nicht bemerkt, dass ich wach war.
"Ich hasse Sie!", schrie ich ihn an. "Ich hasse Sie!"
Erschrocken wich er einen Schritt zurück.
Ein wenig leiser, doch nicht weniger wütend, sprach ich weiter: "Ich will Ihnen mal was sagen, Professor. Sie verletzen mich, Sie kränken mich …"
"Das war nie meine Absicht", unterbrach er mich leise.
"Bei Ihnen stimmt doch was nicht!" Ich war nicht bereit meinen Zorn zu dämpfen. "Sie haben Angst! Warum küssen Sie mich nicht mal?"
Snape zeigte keine Reaktion. Alles was er tat, war mich wortlos anzustarren. Meine Wut steigerte sich ins Äußerste. Ich ergriff meine Pyjamajacke und fingerte nach dem Brief.
"Und das alles", herrschte ich in an, "weil sie diese grauenhafte Frau mit ihrer unersättlichen Machtgier geheiratet haben." Ich warf Snape das Pergament vor die Füße. "Sie können mir nicht einmal offen ins Gesicht sehen. Jetzt glauben Sie, jede Frau sei so. Nicht wahr?"
Er reagierte immer noch nicht, aber ich war auch noch nicht fertig.
"Im Labor, da können Sie leicht auf meinen Nacken starren. Aber hier machen Sie sich über mich lustig, Professor Snape!"
Nach diesem Gefühlsausbruch musste ich erst einmal Luft holen. Ich spürte wie mir der Zorn Tränen in die Augen trieb.
"Aber ich hatte Ihnen versprochen, so lange Sie da sind, begegne ich Ihnen mit Respekt", entgegnete Snape mit leiser Stimme.
Seine Passivität gab mir ein Stück weit meine Beherrschung wieder. Ich bemühte mich, die Wut aus meiner Antwort zu verbannen. Ganz gelang es mir nicht.
"Das ist es ja", erwiderte ich. "Finden Sie mich wirklich so unattraktiv?" - Keine Reaktion - "Als ich hierher gekommen bin, war ich tatsächlich auf das Schlimmste gefasst." Ein schwaches Lächeln erschien auf Snapes Gesicht und meine Gereiztheit nahm wieder zu. "Aber Sie sind nichts weiter als ein mieser Witzbold." Das Lächeln verwand. "Sie haben es nicht einmal fertig gebracht, mich in den Arm zu nehmen und zu küssen."
Seine ganze Körperhaltung drückte eine Hilflosigkeit aus, die meinen Zorn wieder auflodern ließ.
"Ich hasse Sie!", fauchte ich. "Sie haben mich nicht ein einziges Mal geküsst!"
Grimmig legte ich mich wieder zurück und zog die Bettdecke über meinen Kopf. Meine Wut hatte Gesellschaft bekommen: Mit einem Mal fühlte ich Scham.
Die Matratze bewegte sich etwas. Snape hatte sich zu mir auf das Bett gesetzt. Plötzlich spürte ich seine Hand über die Konturen meines Armes streichen. Mit einer abwehrenden Bewegung, die ich unter der Bettdecke machte, versuchte ich seine Berührung abzuschütteln.
"Sie werden noch an mich denken, Miss Smith", flüsterte er kaum hörbar. "In Wochen quälender Langeweile, wenn Sie verheiratet sind mit Toms Mutter."
Er hatte in den letzten Tagen des Öfteren bewiesen, dass seine Bemerkungen das Ziel trafen - und diesmal hatte er genau ins Schwarze getroffen. Er sprach aus, was mir spätestens seit Ostern klar war: Ich würde nicht nur Tom heiraten …
Als Snape weiter sprach, hörte ich unverhüllte Bitterkeit in seiner Stimme. "Ich wollte Ihnen gerne die Welt zeigen. Ich wollte Sie auf Rosen betten, Ihnen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Ich wäre der richtige Mann für Sie."
Hätte ich Kleider angehabt, wäre ich augenblicklich aus dem Bett geflohen. Seine Stimme sprach erbarmungslos weiter: "Macht Tom Ihnen Frühstück? Wird Tom Sie einreiben an Ihrem kranken Nacken?"
Mit einer grausamen Leichtigkeit stellte er mir all die Fragen, die ich mich in den vergangenen Wochen geweigert hatte zu beantworten. Es konnte kaum noch schlimmer werden.
"Ich würde Sie in meiner Westentasche bei mir tragen." Die Sanftheit seiner Stimme wurde unerträglich. "Ich wünschte, ich hätte die Chance, Ihnen zu beweisen, dass es unerheblich ist, was ein Mann für ein Gesicht hat."
Das war mehr, als ich vertragen konnte. Langsam schob ich die Bettdecke von meinem Kopf.
Snape redete unbeirrt weiter: "Ich habe Sie geliebt, Miss Smith, wie ein seniler Idiot. Und das zwei Jahre und zehn Monate." Er stockte einen Augenblick. "Ich wollte Ihnen die Welt zu Füßen legen."
Wieder so eine Liebeserklärung. Obwohl er mich in den letzten Tagen die meiste Zeit behandelt hatte, als wäre ich seine Verdammnis, liebte er mich - vorbehaltlos und bedingungslos. Ich konnte es nicht glauben.
"Sie wollten was?"
"Äh -", stotterte er. "Ihnen die Welt zu Füßen legen."
An einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit hätte ich vielleicht angemessen reagiert. Mittlerweile hatte mein Schamgefühl über meine Wut triumphiert und ich ekelte mich vor mir selbst.
"Gehen Sie raus!", schrie ich. "Los, verschwinden Sie!"
Tränen liefen mir über die Wangen und ich rutschte in die äußerste Ecke des Bettes, so weit wie möglich entfernt von diesem … diesem Mann.
Schweigend verließ er das Schlafzimmer. Der zynische, überhebliche Mensch, der mich gequält hatte und der von seiner Umwelt nur widerstrebend toleriert wurde, war verschwunden und das, was zurückgeblieben war, war für mich schwer zu ertragen.
Es war überdeutlich: Er hatte verloren und er war sich dessen bewusst. Ich hatte seine ernst gemeinte Liebeserklärung, so unglücklich er sie auch gemacht hatte, mit Abscheu zurückgewiesen.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, zog ich mir hastig das Nachthemd und die Pyjamajacke an. Dann holte ich den Koffer aus dem Schrank und warf meine Sachen ohne nachzudenken hinein. Ich war mit Packen gerade fertig, als es an der Tür klopfte. Mehr aus Reflex sagte ich: "Ja!"
Snape kam herein und trug ein Tablett auf dem das Frühstück stand. Geschockt blickte er auf meinen gepackten Koffer.
"Was machen Sie? Aber sie können doch noch nicht gehen." Dann fügte er lauter hinzu, als er es wohl vorgehabt hatte: "Das ist unser letzter Morgen, ich will Ihnen doch das Frühstück im Bett servieren. Ich bestehe darauf!"
"Ach", schnappte ich. "Sie bestehen darauf!"
Er ging wieder in die Defensive: "Bitte, ja."
Nun, was würde es schon ausmachen, wenn ich im Bett frühstückte. Er hatte nur ein Gedeck dabei, also würde ich alleine sein und das war mir im Moment das Wichtigste. Ich schlüpfte wieder unter die Bettdecke und Snape stellte das Tablett auf meinen Beinen ab. Dann nahm er den Tagespropheten aus der Tasche seines Morgenmantels und gab mir die Zeitung.
Er machte jedoch keine Anstalten, das Zimmer zu verlassen.
"Ich möchte gerne allein frühstücken", verlangte ich und setzte nach kurzem Zögern noch ein etwas freundlicheres "Wenn das möglich ist." hinzu.
"Ja, das verstehe ich … natürlich …" Geschäftig räumte er noch den Koffer vom Bett und stellte ihn neben die Kommode. Auf meinen wütenden Blick hin verließ Snape den Raum.
Das Frühstück war ausgezeichnet. "Wie immer", dachte ich ärgerlich.
Als ich fertig gegessen hatte, schob ich das Tablett zur Seite, dann konzentrierte ich mich auf die Titelseite des Tagespropheten. - Es klopfte an der Haustür.
Ich wunderte mich noch, wer so früh am Tag störte, als sich die Schlafzimmertür öffnete.
Tom!
Er starrte mich ungläubig an. Was für ein Bild musste ich abgeben? Ich saß in einem hauchdünnen Spitzennachthemd bei einem fremden Mann im Bett und frühstückte.
"Oh mein Gott!", entfuhr es mir.
"Warum bis du nicht in Sheffield bei Granny?", fragte Tom. Es war die einzig logische Frage, aber sie war verdammt schwer zu beantworten.
"Ich bin krank", log ich, "ich konnte nicht dahin."
"Aber du warst doch mit am Bahnhof, da ging es dir noch gut."
"Ja", nun musste ich weiter schwindeln, "aber dann ging es mir schlechter."
Unter Druck konnte ich noch nie gut lügen und im Moment steuerte ich in vollem Tempo auf ein Märchen zu, das mir Tom, selbst wenn er blind und taub wäre, nicht abnehmen würde.
Zögernd blickte er auf ein Stück Pergament, das er in den Händen hielt. Dann meinte er mit eigenartiger Stimme: "Und ich dachte, das hätte mir irgendein verrückter Idiot geschrieben. Ich hätte es beinahe weggeworfen."
Mir fiel plötzlich eine Frage ein, die ich ihm schon längst hätte stellen müssen: "Was machst du bloß hier?"
"Hier", sagte Tom in einem gereizten Tonfall und reichte mir das Papier, "das hat mir heute Morgen eine Eule gebracht."
Das Pergament war mit ungelenken Worten beschrieben:
"Ein Mädchen war einst deine Braut,
dann hat sie dir ein Mann geklaut,
der viel mehr Liebe braucht als du;
sie liegt bei ihm und du siehst zu.
Ein wohlgesinnter Freund
PS: Ich kann dir nur raten, wandere aus, mein Freund. Afrika ist der Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten."
Meine Gedanken begannen sich zu überschlagen. Diese Schrift kannte ich und nun wusste ich auch, was Snape gestern Abend noch so dringendes zu erledigen gehabt hatte. In diesem Augenblick hätte ich Snape das Frühstücksgeschirr an den Kopf werfen können.
"Mein Gott, Tom -" Ich bemühte mich, ruhig zu klingen, "Ich hätte doch niemals … Sieh mal, das war so … er hat gesagt, wenn ich herkäme … Nein, nein, ich werd's dir von Anfang an erzählen …"
Tom hatte von meinem Gestotter kein einziges Wort verstanden oder auch nur annähernd den Sinn begriffen. Er nahm daher das für ihn Offensichtliche an.
"Du hattest was mit ihm!" Dabei blickte er zu Snape, der - nur mit Pyjamahose und offenem Morgenmantel bekleidet - mittlerweile in der Schlafzimmertür stand.
"Nein, glaub mir doch", bat ich verzweifelt.
"Und ich dachte, du wärst in Sheffield bei Deiner Großmutter." Nun drehte er sich um und knurrte Snape an: "Wieso ist sie hier bei Ihnen?"
"Nun -" Snape hatte sein überlegenes Ich, das er während des Unterrichts zur Schau trug, wieder aufgesetzt. "sehen Sie, Mitchell, heut zutage erwarten die Leute mehr Großzügigkeit und mehr Freiheit." Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen: Was redete er da? "Ein jeder von uns erwartet Toleranz und Verständnis, verstehen Sie?"
Mit diesen Worten setzte Snape sich neben mich, auf seine Seite des Bettes. Ich starrte ihn an wie ein Kaninchen die Schlange.
Tom ließ sich nicht ablenken, er bohrte weiter: "Aber wieso ist sie bei Ihnen?"
Ich war im Moment nicht fähig irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Es war ein Alptraum, aus dem ich nicht aufwachen konnte.
Plötzlich ergriff Snape meine linke Hand, drückte sie zärtlich und meinte: "Also … wir werden es ihm sagen müssen, mein Schatz."
Diese deplacierte, vertrauliche Anrede brachte mich zu Verstand. Meine Wut begann wieder aufzubrechen. Ich zog angeekelt die Hand weg.
"Nein, Professor Snape", antwortete ich kalt, "ich werde es ihm sagen." Und dann zu Tom gewandt: "Hör mal Tom, ich zieh mich nur schnell an."
Nun kletterte ich aus dem Bett und wollte mich an Tom vorbei schieben, um um das Bett herum ins Bad zu gehen. Wenn ich geglaubt hatte, Snape gäbe sich geschlagen, so hatte ich mich getäuscht. Er besaß noch das Faustpfand, mit dem er mich hierher gelockt hatte, und dieses setzte er jetzt mit regungslosem Gesicht ein.
"Es ist nicht die Zeit für Höflichkeiten, Mitchell. Sie sind gerade dabei in die Falle zu gehen." Dann blickte Snape wieder zu mir und sprach mit übertriebenem Gefühl: "Janet und ich, wir sind … sehr, sehr alte Freunde."
Ich sah, wie Tom auf Snapes Worte reagierte. Er fiel auf ihn herein, wie ich ebenfalls auf Snape hereingefallen war. Ich musste Tom hier herausbringen oder ich konnte unsere gemeinsame Zukunft vergessen. Wie ein Schutzschild stellte ich mich zwischen ihn und Snape.
"Tom", flehte ich, "hört nicht auf ihn. du siehst, er ist verrückt."
Nun spielte Snape seinen Trumpf aus. "Ich weiß, dass Sie die Lösungen für Ihre Abschlussprüfungen gekauft haben. Ich weiß es!"
Tom blickte erst ungläubig auf Snape, dann wandte er sich zu mir.
"Warum hast du es ihm gesagt?", fragte er wütend. "Ich habe bereits eine Anzahlung für unser Haus geleistet."
"Aber ich hab doch nichts …", protestierte ich.
Snape unterbrach mich barsch: "Verschwinden Sie, Mitchell! Uganda, Ägypten, Kongo. Da wird man einem Lumpen wie Ihnen vielleicht eine zweite Chance geben. Ich zahle Ihnen, wenn's sein muss, die Anzahlung für das Haus zurück."
Meine Stimme überschlug sich: "Nein, nein, du darfst nicht auf ihn hören! Hör nicht auf ihn!" Langsam schob ich Tom in Richtung Tür. "Geh, bitte!"
Doch er wollte nicht auf mich hören: "Janet, ich kann jetzt nicht gehen."
Ich ließ nicht locker. Ziemlich unsanft drückte ich Tom aus dem Schlafzimmer. "Tom", flehte ich, "warte zu Hause auf mich. Tom, bitte!"
Endlich gab er nach und ging ohne weitere Gegenwehr zur Haustür. Ich schloss sie hinter ihm und lief wieder zurück ins Schlafzimmer. Snape saß noch immer auf dem Bett; er hatte ein selbstzufriedenes Grinsen im Gesicht.
Meine Furcht darüber, wie Tom die ganze Situation aufgefasst haben könnte, verwandelte sich augenblicklich in kalten Hass. Den Brief, den Snape Tom geschrieben hatte, knüllte ich in der Hand zusammen.
"Wohlgesinnter Freund", blaffte ich und warf mit dem zerknüllten Pergament nach Snape.
Sein Grinsen verschwand. "Jetzt wissen Sie, wie viel ihm an Ihnen liegt."
"Leute wie Sie hat man früher gehängt." Meine Stimme triefte nur so vor Verachtung. "Schade, dass man damit aufgehört hat."
Ich warf den Koffer aufs Bett und öffnete ihn, dann verschwand ich im Bad.
"Wo wollen Sie hin?" Snape war aufgestanden und lehnte am Türrahmen.
"Was glauben Sie, wo ich hingehe?" Ich versuchte erst gar nicht, meine Stimme zu beruhigen. "Ich werde mein eigenes Leben weiterführen. - Mein armseliges Leben als gewöhnliches Schlammblut. Ist es nicht das, was ich für Sie bin, ein billiges Schlammblut?"
Einen Augenblick schwieg er, geschockt von meinen Worten. Ich begann, mir meine Kleider anzuziehen und verschwendete keinen Gedanken daran, dass Snape mich dabei beobachtete.
Am Klang seiner Stimme merkte ich jedoch, dass er sich abgewendet hatte. "Er wird Sie nicht mehr haben wollen."
"Warum halten Sie nicht den Mund?", giftete ich ihn an.
"Sicher denkt er, wir haben uns geliebt", meinte er mit einer unverschämten Ruhe. "Er wird es nie verstehen."
"Oh doch, das wird er." Ich fing an, die Knöpfe meines Kleides zu schließen. "Ich werde es ihm begreiflich machen. Wir werden weggehen von hier."
Ich schnappte meine Nachtsachen und drängte mich durch die Badtür an Snape vorbei zurück ins Schlafzimmer. Wütend stopfte ich meine restlichen Sachen in den Koffer und schloss ihn. Das Seidennachthemd ließ ich auf dem Bett liegen.
Snapes nächster Satz stoppte mich in meiner Wut.
"Janet", flehte er, "ich liebe dich. Ich begehre dich. Ich wünsche mir jeden Zentimeter Deines idiotischen Körpers: deine Haare, deine Zähne, deine Weiblichkeit!"
Wenn ich jetzt nicht ging, würde der Hass, der mich antrieb, verschwinden und ich wäre all diesem hier wieder erbarmungslos ausgeliefert. Das wollte, nein, musste ich verhindern. Ich nahm den Koffer vom Bett und ging einen Schritt in Richtung des Hausflurs.
"Janet, bleib bei mir!", bettelte Snape.
Ein Gefühl der Macht stieg in mir auf. Zum ersten Mal fühlte ich mich in der Lage, ihm alles in gleicher Münze zurückzuzahlen. Diese Empfindung berauschte mich.
"Aber wie konntest du Tom herholen?" Ich blickte ihn direkt an.
"Weil es um alles oder nichts ging." Snapes Stimme klang belegt. "Und jetzt fällt die Entscheidung: du oder gar nichts."
Die Emotion in mir veränderte sich. Ich spürte plötzlich den wilden Drang, ihn zu verletzen, ihn zu demütigen und auf seinen Gefühlen herumzutrampeln, wie er meine mit Füßen getreten hatte.
"Du - willst - mich?" Ich sprach jedes Wort überdeutlich aus.
"Ja, ich will dich."
Es war ein einfacher Satz, doch er brachte mich zum Explodieren. Ich verzog mein Gesicht vor Ekel.
"Schau dich doch an! Wer will dich schon?", spie ich in an. "Du bist wahnsinnig und … und … hässlich!"
Ich sah in seinem Gesicht, dass ich ihn verdammt gut getroffen hatte, weitaus besser, als ich es vorgehabt hatte. Aus Angst, ich könnte weich werden, stürmte ich in den Flur und griff nach meinem Umhang. Ich war gerade an der Haustür angelangt, als Snape aus dem Schlafzimmer kam.
"Janet!", bat er verzweifelt. "Miss Smith, bitte, hören Sie mich an."
Ich fühlte, wie mein Hass auf ihn verschwand. Ich ergriff die Türklinke, drückte Sie jedoch nicht herunter.
Snape sprach hastig weiter: "Ich war fest entschlossen, Sie auszunutzen, aber ich habe festgestellt, dass ich es nicht kann." Eine schreckliche Leere begann sich in mir auszubreiten. Mir war, als hätte ich etwas Kostbares zerstört. "Dass ich es nicht kann, weil ich Sie zu sehr liebe", endete er.
Ich musste von hier weg. Wenn ich geglaubt hatte, ich sei ein rationaler Mensch, dann belehrten mich meine Gefühle im Augenblick eines Besseren. Ich öffnete die Tür und lief in den Garten.
Ich hatte die Hälfte des Weges zum Tor zurückgelegt, als Snape mich einholte.
"Und ich wünschte mir, Sie liebten mich … nur ein wenig." Seine Stimme zitterte und den Ausdruck in seine Augen, als der das sagte, brannte sich in mein Gedächtnis.
Es lag eine ausgehungerte, gequälte Empfindung in ihnen. Er hätte jeden Brotkrümel aus Gefühl, den ich ihm in diesem Moment vor die Füße geworfen hätte, wie ein Verhungernder verschlungen. Sein ganzer Stolz und seine überhebliche Art lagen vor mir im Staub. Ich hätte nur noch zutreten müssen.
In diesem Augenblick fiel mir eine von Grannys Lebensweisheiten ein, die ich nie ganz verstanden hatte. Nun begriff ich, was sie meinte, wenn sie sagte: "Dem Hungrigen schmeckt alles Bittere süß."
Snape sehnte sich nach einem Menschen, dem er nahe sein konnte. Jemanden, den er ohne Zwang niemals bekommen konnte. So qualvoll die letzten Tage für ihn auch gewesen sein mussten, so grausam ich ihn auch zurückgewiesen haben mochte, er gierte nach meiner Nähe wie ein Verhungernder nach Essen.
Sicher, er hätte mich mit Gewalt nehmen können. Er hätte meinen Körper nehmen können, den ich ihm heute früh sogar freiwillig angeboten hatte. Doch es wäre nur mein Körper gewesen, nichts weiter. Brosamen, die keine Erfüllung brachten, die den Hunger nicht stillten.
Ich schluckte krampfhaft, um meine Tränen zurückzuhalten. "Oh, Professor Snape", sagte ich sanft, "leben Sie wohl."
Er hielt mich nicht zurück. Er sagte kein Wort. Und als ich mich auf der Blackthorne Lane noch einmal zu ihm umdrehte, sah ich, wie er mit gesenktem Kopf zurück ins Haus ging.