Ich möchte Dich aufessen

 

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Kapitel 8:
Überraschungen




Es war schon hell, als ich aufwachte. Meine unbequeme Schlafstellung hatte zu einem stechenden, ziehenden Schmerz im Genick geführt. Langsam kroch ich aus dem Bett und bemerkte dabei, dass Snape bereits aufgestanden war.

Ich ging in den Flur und hörte ihn rumoren. Langsam folgte ich den Geräuschen in die Küche. Der Frühstückstisch war schon gedeckt. Snape stand mit offenem Morgenmantel am Herd und hantierte mit einer gusseisernen Pfanne. Der würzige Duft von gebratenem Speck hing in der Luft.

"Professor!" Meine Stimme klang ziemlich kläglich. "Ich habe einen steifen Nacken."

Er zog die Pfanne vom Feuer und drehte sich zu mir um. Auf seinem Gesicht entstand ein Lächeln. Aus den Augenwinkeln heraus registrierte ich, dass seine Pyjamahose Panik erregend locker auf den Hüften saß.

"Miss Smith, Sie sind sehr begabt für ausgefallene Leiden. Aber dies hier ist das attraktivste mit dem Sie mich bisher in Anspruch genommen haben." Er lief um den Küchentisch herum und drehte einen Stuhl so, dass ich mich setzen konnte "Also, kommen Sie bitte in meine Praxis."

Ich nahm Platz. Geschäftig begann er auf den Regalen über der Esse zwischen den Flaschen und Dosen zu suchen. "Mal sehen, was nehmen wir denn da?" Endlich hatte er gefunden, was er suchte.

"Was ist das?" Irgendwie hatte ich die Befürchtung, er könnte nach unserem Streit heute Nacht Rache nehmen wollen.

"Entweder rheumatisches Einreibemittel oder Bubotubler-Eiter."

"Ich will aber keinen Bubotubler-Eiter." Dann bemerkte ich sein Grinsen. Also gut, damit er hatte seinen Spaß gehabt.

"Würden Sie bitte Ihren Hals frei machen." Snape stellte sich hinter den Stuhl, auf dem ich saß.

Ich öffnete die beiden obersten Knöpfe meiner Pyjamajacke, neigte langsam den Kopf nach links und schob die Haare zur Seite.

"Also", fragte er "wo tut's den weh?"

"Da, überall", sagte ich und deutete auf meinen Nacken.

"Da?"

Ich fühlte plötzlich, wie seine Finger über meinen Hals strichen und die Stelle anfing zu kribbeln.

"Au, das brennt!" Ich zuckte ein wenig zurück.

"Es muss brennen, Miss Smith", beruhigte Snape mich, "aber es wird Ihnen helfen."

Das Zaubermittel tat augenblicklich seine Wirkung. Es brannte zwar, doch die Schmerzen in meinem Nacken verschwanden.

Was nicht verschwand war seine Hand. Hatten seine Finger zu Beginn noch mit einem spürbaren Druck die Salbe verteilt, so wurde aus den massierenden Bewegungen ein immer zarteres Streicheln. - Es war äußerst angenehm.

Ich schloss meine Augen und ließ mich fallen, wollte mich von dieser Berührung gefangen nehmen lassen. Mein Verstand setzte aus und ich fühlte nur noch die sanften Fingerspitzen, die die Haut an meinem Hals liebkosten.

"Ist es schon besser?" Seine Stimme streichelte, wie seine Finger es taten.

"Mhmm. - Ein bisschen." Ich wollte nicht, dass es aufhörte. - Dass er aufhörte. Seine Hand glitt langsam nach oben, zeichnete leicht meinen Haaransatz nach und schob sich zu meinem Ohr. Doch sie berührte es nicht, sie folgte einem unsichtbaren Muster, das auf meinem Nacken gezeichnet zu sein schien.

Ich fühlte seinen Atem an meinem Ohr. Leise flüsterte seine Stimme: "Ihr Hals, der mich fasziniert hat, durch Kerkerwände hindurch, kann Ihr Schicksal bedeuten."

Seine kaum spürbaren Berührungen jagten lustvolle Schauer durch meinen Körper. Ich hatte niemals Toms Berührungen ähnlich heftig erwidert. Diese Reaktion meines Körpers weckte in mir Verlangen: das Verlangen auf mehr.

Ich hatte alles Zeitgefühl verloren, ich befand mich an einem Ort, an dem das Hier und Jetzt unwichtig war. Die Fingerspitzen strichen weiter über meinen Nacken, webten ein seidenweiches Netz, durch das von Ferne gedämpfte Worte drangen: "Ihr Hals, so jung, so reizvoll, so wehrlos."

"Was haben Sie gesagt?" Ich wollte mich nicht auf diese sanfte Stimme konzentrieren, wo die Berührungen seiner Hand meine volle Aufmerksamkeit forderten.

Seine Finger folgten weiter den imaginären Linien an meinem Hals, formten ein Bild in meinem Kopf, das zerstob sobald es mein Verstand zu fassen suchte. Die entfliehenden Bilder liefen durch meinen Körper und hinterließen ein lustvolles Ziehen.

"Ihr Hals hat mich ständig um Hilfe gerufen. Im Labor, wenn ich Ihren Nacken von hinten sah." In dieser Stimme lag ein verheißungsvolles Verlangen.

"Blödsinn", flüsterte ich. Meine Atmung beschleunigte sich, ohne dass ich es verhindern wollte. Wie ein Echo hörte ich seinen Atem, der im gleichen Maße erregter wurde.

Sachte blies er über mein Ohr und lies den Luftstrahl an meinem Hals entlang wandern. Mit einem leisen Stöhnen legte ich meinen Kopf noch ein wenig mehr zu Seite, bot seinen sanft streichelnden Händen mehr Haut.

Durch den Nebel aus Lust, der in mir aufstieg, schlängelte sich seine hypnotische Stimme: "Hilf mir, hilf mir sagte Ihr Nacken, führe mich zu meinem Schicksal."

Die Stellen an meinem Hals, die seine Fingerspitzen auf ihrem Weg berührten, entbrannten vor Begierde. Ich verlor mich in diesem Gefühl. Alles in mir sehnte sich danach, seine Hände nicht nur an meinem Nacken zu fühlen.

Und wirklich, quälend langsam schob er die Pyjamajacke von meiner Schulter, seine Fingerspitzen strichen sanft über die entblößte Stelle. Mit einem Mal war da wieder dieser Lufthauch, der liebkosend über meine Haut glitt und eine Kaskade von Lustschauern in mir erzeugte.

Ich spürte, wie er sich zu mir hinunter beugte, fühlte seine Lippen auf meiner Haut. Sein zärtlicher Kuss entfachte ein Feuerwerk in meinem Kopf. Hörbar sog ich den Atem ein.

Doch auf einmal war diese weiche, verheißungsvolle Berührung verschwunden. Aber ich wollte mehr, wollte nicht, dass er aufhörte, ich wollte seine Hände spüren. Langsam drehte ich mich zu ihm um.

Snape war einen Schritt zurückgewichen und blickte verlegen zur Seite. Seine Atmung ging heftig, so als wäre er eben gerannt.

"Bitte schau mich an", rief eine Stimme in meinem Kopf. Ich wollte in seine Augen sehen und mich in ihnen verlieren, wie ich mich seinen Berührungen hingegeben hatte. Doch er tat mir diesen Gefallen nicht.

Ich zwang mich dazu, mein Gefühlschaos zu beruhigen. Als ich glaubte, meine Stimme wieder unter Kontrolle zu haben, konstatierte ich, was meiner Meinung nach offensichtlich war: "Sie haben mich geküsst."

Ich stand auf und ging einen Schritt auf ihn zu. Täuschte ich mich, oder wich er vor mir zurück? Deshalb versuchte ich es noch einmal: "Soll ich notieren, dass Sie mich geküsst haben?" Meine Stimme klang so sanft, wie es seine Berührungen gewesen waren.

"Sie müssen sich irren, Miss Smith." Snape versuchte seiner Stimme Festigkeit zu geben, um seine Erregung zu verbergen. "Meine Finger haben nur Ihren Nacken berührt."

Etwas in mir begann sich ruckartig zusammenzuziehen.

"Sie sind so erregt, Miss Smith!" Furcht schwang in seiner Stimme mit.

Das Ziehen wurde heftiger; es war definitiv keine Nachwirkung von Snapes Berührungen.

Er hatte Schwierigkeiten meine Unruhe einzuordnen. "Vielleicht fühlten Sie sich berührt von meiner Männlichkeit?"

In seinen Augen las ich die Sorge vor meiner Antwort. Mein Atem ging heftiger und mir wurde der Grund für meine Erregung bewusst.

"Nein, Professor."

Es war wohl nicht die Antwort, die er sich erhofft hatte. "Vielleicht fühlten Sie sich auch erregt durch die Seele hinter diesem zynischen Gesicht?"

"Nein, Professor." Wenn ich nicht bald aus dieser Küche herauskam, würde ich für nichts mehr garantieren können.

Snape taxierte meinen Zustand. "Was ist es dann?", fragte er leise.

Das Blut schoss mir ins Gesicht und ich blickte betreten zu Boden. "Das Rizinusöl. Es wirkt."

Dann lief ich an ihm vorbei und rannte zur Toilette.

Durch die geschlossene Badezimmertür hörte ich seine Stimme in einem belustigten Tonfall: "Die Realität verrät uns alle, Miss Smith!"

Der Zauber des Augenblicks war verflogen. Snape kam mit keinem Wort auf das Geschehene zurück. Mir konnte es nur Recht sein, denn wenn ich ehrlich war, hätte das gar nicht passieren dürfen, schließlich war ich verlobt. Und … eigentlich … wäre ich nicht hier,… dann würden Tom und ich unsere Hochzeit vorbereiten.

Einen großen Teil des Vormittages verbrachten wir im Wohnzimmer. Snape las in der Fachzeitschrift von gestern Abend weiter und ich hatte mir ein Buch über Zaubertränke aus dem Regal genommen. Mein Bedarf an anderer Lektüre war vorerst gestillt.

"Was halten Sie von einem kleinen Spaziergang?", fragte Snape unvermittelt.

Mein Gesichtsausdruck war nicht sonderlich begeistert.

"Keine Sorge, ich werde Sie nicht wieder in die Highlands entführen."

Er wartete gar nicht erst auf meine Antwort, sondern stand sofort auf und ging in den Flur. Mit einem resignierenden Stöhnen folgte ich ihm, in der Hoffnung, dass er nicht wieder einen Gewaltmarsch vorhatte. Snape hatte bereits seinen Umhang umgelegt und wartete an der Haustür. Ich nahm meinen von der Garderobe und ging ebenfalls nach draußen.

Wir verließen Hogsmeade nun in entgegengesetzter Richtung. Die Hauptstraße führte leicht bergab und folgte für einige Zeit dem Bach, der durch den Ort floss. Als der Weg über eine flache Steinbrücke das Flüsschen querte, kamen wir an eine unscheinbare Weggabelung. Snape verließ die asphaltierte Straße und lief den abzweigenden, geschotterten Weg weiter, der sich entlang von mit Efeu und Geißblatt zugewucherten Feldbegrenzungen schlängelte, bis er fast nur noch ein breiterer Pfad war.

Snapes Lauftempo war heute moderater als vor zwei Tagen, und so gelang es mir, mit ihm Schritt zu halten. Er war in glänzender Stimmung und machte sogar die eine oder andere originelle Bemerkung über belanglose Kleinigkeiten.

Dank der Heilsalbe mit der Snape meine Wunden behandelt hatte, waren sie zwar verheilt, trotzdem begannen meine Füße wieder zu brennen. Seine gute Laune ausnutzend traute ich mich zu fragen: "Müssen wir noch weit gehen? Mir tun schon wieder die Füße weh."

"Nein, nein", lachte er, "nur noch sieben Meilen."

Ich blieb stehen. Insgeheim verfluchte ich meine Leichtgläubigkeit: von wegen kleiner Spaziergang!

"Kommen Sie, Miss Smith, nur noch bis zur nächsten Biegung." Er nahm meine Hand und zog mich sanft aber bestimmt weiter.

Die überwucherten Steinwälle wichen zurück und gaben den Blick auf eine atemberaubende Aussicht frei. Vor uns breitete sich zwischen den sanft geschwungenen Hügeln ein flaches Tal aus, durch das sich ein Fluss wand. An seinen Ufern standen vom Wind gebeugte alte Bäume, dazwischen lagen gepflegte Wiesen. Größere Baumgruppen in den weiten Rasenflächen vervollständigten diese vor Jahrhunderten von Menschen gestaltete Landschaft.

Umgeben von einem kleinen Laubwald stand ein aus grauen Granitsteinen errichtetes Herrenhaus, von denen es unzählige in ganz Großbritannien gab. Die Sonnenstrahlen, die durch die Wolkenlücken drangen, tauchten es in ein unwirkliches Licht. Die Harmonie und Vollkommenheit der Landschaft setzte sich in der Architektur des Gebäudes fort. Der dreigeschossige Mitteltrakt wurde von zwei niedrigeren, lang gezogenen Seitenflügeln ergänzt. Eine breite Freitreppe führte zum Eingangsportal.

Während meiner Grundschulzeit war es üblich gewesen bei Schulausflügen regelmäßig solche alten Herrenhäuser zu besichtigen, allerdings war kein Einziges, an das ich mich erinnerte, auch nur annähernd so perfekt gebaut gewesen wie dieses hier.

Als mir bewusst wurde, dass ich diese Idylle mit offenen Mund angestarrt hatte, wie ein Kind, das vor einem Regal mit Süßigkeiten stand, riss ich mich etwas zusammen und fragte Snape: "Was ist das?"

"Easedale Hall." Er schien meine Bewunderung für diesen Anblick mit Aufmerksamkeit zu registrieren. "Wollen Sie es besichtigen?"

Ich nickte. Selbst wenn es im Innern nur halb so vollkommen war, dann würde sich ein Besuch trotzdem lohnen.

"Gut, dann kommen Sie", meinte er und begann den Weg in Richtung Haus zu gehen.

"Geht das wirklich?" Ich lief ihm nach. "Ich meine, wird der Besitzer das erlauben?" So abgelegen wie dieses Haus lag, war es sehr unwahrscheinlich, dass es für Touristen geöffnet war.

"Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Sie möchten es sehen, also werden wir es uns ansehen."

Der Park war mit einer an mehreren Stellen eingefallenen Mauer umgeben. Das Eingangstor wurde links und rechts von verwitterten Steinsäulen flankiert, auf denen die unscharfen Umrisse von zwei pfauengroßen Vögeln zu sehen waren. Das schmiedeeiserne Tor - durch das schottische Wetter ebenfalls reichlich verrostet - war so gearbeitet, dass es wie ein Baum aussah: Die Wurzeln bildeten den unteren Rand des Tores, die fragilen Blätter aus Metall grenzten es nach oben ab. Die Innenseiten der beiden Flügel bildeten den Stamm.

Wer auch immer den Weg, der zum Haus führte, angelegt hatte, wollte sicherstellen, dass der Besucher auf seinem Gang durch den Park die ganze Schönheit des Besitzes sah.

Als wir schließlich am Fuß der Eingangstreppe standen, wurde mir bewusst, wie groß dieses Haus war. Das Mietshaus, in dem Granny jetzt wohnte, hätte in diesem Gebäude mehrfach Platz gehabt. An Hogwarts kam dieser Landsitz jedoch nicht heran, aber deswegen war er nicht weniger beeindruckend.

Wir gingen die Treppe hoch. Doch anstatt zu läuten oder anzuklopfen, öffnete Snape einfach die Tür, ging in die Eingangshalle und hielt mir die Tür auf. Als ich über die Schwelle trat, sagte er mit belegter Stimme: "Willkommen in Easedale Hall."

Die Halle war bemerkenswert. Auf dem gebohnerten Parkettboden lag ein großer chinesischer Seidenteppich, dessen Motiv sich in der an den Wänden hängenden Stofftapete fortsetzte. Die rückwärtige Wand des Raumes wurde von einer großen Treppe eingenommen. Auf halber Höhe endete sie in einem breiten Podest, von dem die Stufen auf der linken und rechten Seite zur nächsten Etage führten. Über diesem Absatz befand sich ein riesiges Buntglasfenster, dessen Motiv in der hellen Sommersonne in leuchtenden Farben erstrahlte. Das Zentrum des Glasbildes zeigte ein großes Wappenschild mit einem Eichenbaum, an dessen Seiten zwei schmächtige, grünlich-schwarze Vögel, die etwas an unterernährte Geier erinnerten, abgebildet waren. Darunter auf einem verschlungenen Band stand der Wahlspruch des Hauses: "Toujours la pureté, jamais la perfidie."

Noch bevor ich mir darüber klar werden konnte, woran mich dieses Wappen erinnerte, hörte ich eine hohe piepsende Stimme: "Master Snape, Master Snape! Crinkey hat nicht gewusst, dass der Master kommt. Er hat nichts vorbereitet!"

Der Körper, vom dem diese Stimme stammte, gehörte einem Hauselfen, der aus einer Tür auf der linken Seite der Treppe gestürmt kam. Er hatte schütteres, schlohweißes Haar und trug eine dunkle Stoffhose und ein sauberes weißes Hemd, das aus dem Hosenbund heraus hing. Meine Kenntnisse über Hauselfen beschränkten sich auf die Beobachtungen, die ich in Hogwarts gemacht hatte. Doch die Kleider, die dieser Hauself trug, ließen darauf schließen, dass er im Gegensatz zu manchen seiner Artgenossen sehr gut behandelt wurde.

"Du brauchst dir deswegen keine Gedanken zu machen!", beruhigte Snape den aufgeregten Elfen. "Wir haben uns kurzfristig entschieden, hierher zu kommen."

"Oh, oh." Crinkey drehte die Hemdschöße nervös in seinen Händen. "Master wird trotzdem ärgerlich sein."

Snapes Gesichtsausdruck hatte sich bei dieser Bemerkung nicht verändert. Es lag auch weiterhin eine Freundlichkeit in seiner Miene, die ich bei ihm bisher noch nie gesehen hatte.

"Weshalb sollte ich denn ärgerlich werden? Was ist los? Ist etwas mit Newkee?", hakte er nach.

"Weil …", Crinkey knetete immer noch den Stoff in seinen Händen, "Newkee weigert sich in die neue Küche zu gehen. Crinkey hat ihr gesagt, dass Master Snape sehr enttäuscht sein wird, weil er ihretwegen die Küche hat einbauen lassen. Aber Newkee sagt, die Küche ist ein Werk des dunklen Lords."

Nun zeigten sich auf Snapes Stirn einige Falten, gleichwohl blitzte es in seinen Augen belustigt auf. Er überlegte einen Augenblick und sagte dann zu dem Hauselfen: "Führ bitte Miss Smith durch die Räume bis ich zurück bin", und zu mir gewandt meinte er: "Bitte entschuldigen Sie mich, ich muss anscheinend ein wenig nach dem Rechten sehen." Damit verschwand Snape hinter der Tür, durch die Crinkey die Halle betreten hatte.

Ich brauchte eine Weile, um meine Verblüffung zu überwinden. Was wusste ich eigentlich von diesem Mann? Das Bild von dem unfreundlichen, sarkastischen Zaubertränkelehrer, das ich sieben Jahre wahrgenommen hatte, geriet gehörig ins Wanken. Mir fielen seine Worte wieder ein: "Ein ganzes Leben in einer Woche genießen." Ich kam zu der Überzeugung, dass es bei Snape nicht ausreichen würde, ihn in einer Woche vollständig kennen lernen zu wollen. Wenn er noch weitere Überraschungen auf Lager hatte, würde selbst ein ganzes Leben nicht dazu ausreichen.

Ich bemerkte, dass Crinkey vor mir ungeduldig von einem Bein auf das andere trat und daher wischte ich diese Gedanken beiseite, um dem Elfen meine Aufmerksamkeit zu widmen.

"Crinkey zeigt Miss jetzt das Haus", piepste er und lief zur Treppe.

Der Hauself erwies sich als ein ausgezeichneter Fremdenführer. Er redete zwar wie ein Wasserfall, dennoch zogen mich seine Geschichten über dieses Haus und seine Bewohner in ihren Bann. Über eine Person sprach er jedoch nicht: Snape. Und ich traute mich nicht, Crinkey nach ihm zu fragen.

In den oberen Stockwerken des Haupttraktes befanden sich die Wohnräume der Familie. Ein paar Zimmer hatten noch dringend eine Instandsetzung nötig, aber die anderen waren bereits renoviert. Die Ausstattung dieser Räume zeugte von einem ausgezeichneten Geschmack, der durch das nötige Geld noch unterstützt wurde.

Vom ersten Stock des Mittelbaus führte mich der Hauself in eine lange Gemäldegalerie, die einen Teil des oberen Stocks im rechten Seitenflügel einnahm. Die dargestellten Hexen und Zauberer schienen es nicht gewohnt zu sein, dass ein Fremder durch die Räume geführt wurde. Ihre Bemerkungen und das unverhohlene Interesse, mit dem sie mich betrachteten, ließen darauf schließen.

Die angrenzenden Zimmer waren ebenfalls geschmackvoll eingerichtet, in einem stand ein alter, kostbarer Broadwood-Flügel, im nächsten ein riesiger, eleganter Snookertisch. Am Ende dieses Gebäudetraktes befand sich die Bibliothek, die über beide Etagen des Seitenflügels reichte. Ihr Bücherbestand hätte selbst Madam Pince in Verzückung versetzt.

Durch den Speisesaal sowie den Salon und das Herrenzimmer führte mich Crinkey wieder in die Eingangshalle. Snape war immer noch nicht zurück. Vor einer wundervoll geschnitzten Tür, die allem Anschein nach in den linken Seitenbau führte, blieb der Elf stehen.

Er begann wieder nervös, den Stoff seines Hemdes in seinen Fingern zu drehen. Ich beobachtet dieses Treiben eine Weile, dann wurde mir klar, Crinkey würde von selbst nicht mit dem Grund seiner Nervosität herausrücken.

"Was ist?", fragte ich freundlich.

"Crinkey soll Miss das Haus zeigen, doch er weiß nicht, ob Master Snape erlaubt, dass Crinkey Miss den Saal zeigt."

Ich musste grinsen, weniger wegen der Sorgen, die sich der Elf über Snape machte, sondern aufgrund der Tatsache, dass er ihn ‚Master Snape' nannte, so als ob es sich dabei nicht um den erwachsenen ‚Professor Severus Snape, Zaubertränkemeister von Hogwarts', sondern um einen kleinen Jungen von elf oder zwölf Jahren handelte.

Dass der Elf Snape auch so angesprochen hatte, verwunderte mich etwas, denn es passte irgendwie nicht zu Snape, sich eine solche Anrede kommentarlos gefallen zu lassen - noch dazu von einem Hauselfen.

"Weißt du, Crinkey", schlug ich vor; er sollte mit Snape keinen Ärger bekommen, "ich gehe jetzt in diesen Saal und du schaffst es einfach nicht, mich aufzuhalten. Dann kann Professor Snape nicht böse auf dich sein."

"Oh, Master Snape ist niemals böse zu Crinkey! Er ist ein guter Master! Er kümmert sich immer!", piepste der Hauself empört.

Ich erinnerte mich an die Bemerkungen, die wir während des Unterrichts gemacht hatten, dass Snape seine Schüler schlimmer als Hauselfen behandeln würde. Das passte nicht unbedingt zu dem Bild, das er hier abgab. Außerdem war es eigenartig ein solches Lob über den Mann zu hören, den ich bis heute früh am liebsten in die Wüste geschickt hätte.

Ich wartete noch einen Anstandsmoment, aber Snape tauchte auch jetzt nicht auf, so drehte ich am Knauf der Saaltür.

War der Rest des Hauses schon verschwenderisch ausgestattet, so übertraf dieser Raum alles. Dabei wirkte er keinesfalls protzig, er war einfach nur … perfekt.

An den Längsseiten wechselten sich breite, raumhohe Fenster, die von hauchzarten Wolken aus Gardinen verdeckt wurden, mit schmalen Wandelementen ab. Der Stoff der Vorhänge tauchte den Saal in ein milchiges Licht. Die hohe Decke war mit Stuckarbeiten verziert und drei große Kristallleuchter brachen das diffuse Sonnenlicht in alle Spektralfarben.

In den hellen Parkettboden war in dunklem Holz das Familienwappen eingelassen: Jedes einzelne Blatt des Baumes, jede Feder der Vögel waren so deutlich zu erkennen, als wären sie mit dem Pinsel gemalt.

An der Stirnseite befand sich ein Fresko, dass die gesamte Wand einnahm. Es war, als könne man durch die Wand in die umgebende Parklandschaft blicken.

Dieser Raum entstammte einem Märchen: Das arme Aschenputtel stand im Schloss des Königs und wartete auf ihren Prinzen. Ich gab dem Drang nach und drehte mich wie ein kleines Kind um mich selbst.

"Nun, Miss Smith, wollen Sie hier Ihre Hochzeit feiern?" Snape war zurück.

Er hatte mich derart erschreckt, dass ich das Gleichgewicht verlor und beinahe gestürzt wäre, hätte er mich nicht festgehalten. Es fiel mir schwer, ihm in die Augen zu sehen, denn er war nicht unbedingt der Prinz, auf den ich gewartet hatte.

Daher stellte ich die einzige unverfängliche Frage, die mir einfiel: "Wer wohnt hier?"

"Ich werde hier wohnen." In Snapes Stimme schwang etwas Stolz.

"Sie? Aber … Wohnen Sie nicht in Hogwarts?"

"Oder in Hogsmeade", fügte mein Unterbewusstsein in Gedanken hinzu, "wenn er unschuldige Schülerinnen entführt."

"Easedale ist seit Generationen im Familienbesitz", erklärte er mir. "Als ich es vor ein paar Jahren geerbt habe, war es ziemlich heruntergekommen. Die meisten Instandsetzungsarbeiten und Reparaturen sind bereits gemacht. Einige Dinge sind aber noch nicht, wie sie sein sollen."

Ich fand das Haus vollkommen. "Was wollen Sie denn noch verbessern?"

"Nun, es braucht noch einiges an Farbe." Er machte eine Geste, die nicht den Saal, sondern das Haus im Allgemeinen meinte.

Ich wusste zwar nicht, wo es noch viel zu streichen gab, doch ich spielte mit: "Welche Farben werden Sie wählen?"

"Weiß als Symbol der Reinheit, gelb aus Erfahrung und schwarz, um mich aufzuheitern." Er grinste.

"Das Haus ist wunderschön. Aber ist es nicht etwas groß?" Das "so allein" setzte ich nur in Gedanken hinzu. "Warum bleiben Sie nicht in der Blackthorne Lane?"

"Nun -" Er zögerte. "Tragödien spielten sich dort ab, Streit, Verzweiflung. Das Haus dort ist einfach verseucht."

Ich schwieg. Meine Gedanken waren noch mit den stattgefundenen Tragödien beschäftigt.

"Außerdem wäre ich dort allein. Hier habe ich Crinkey und Newkee, die sich um mich kümmern."

"Sie müssen Sie sehr lange kennen." sagte ich und als ich bemerkte, dass er mich verständnislos anblickte, fügt ich hinzu: "Crinkey nennt Sie Master Snape."

"Ja", lächelte Snape, "ich habe es aufgegeben, ihm das abzugewöhnen. Mittlerweile würde es mir auch fehlen."

"Wer ist Newkee?" Dass sie eine weitere Hauselfe sein musste, hatte ich aus der Unterhaltung kurz nach unserer Ankunft geschlossen. Allerdings interessierte mich viel mehr, was passiert war, dass Snape die ganze Zeit verschwunden gewesen war.

"Sie ist Crinkeys Gefährtin. Ich wollte beiden nach dem Tod meines Vaters die Freiheit schenken, aber sie zogen es vor, hier zu bleiben. Also versuchte ich ihnen ihre Arbeit etwas erleichtern. Newkee hat sich immer über den alten Rauchfang beschwert, deshalb habe ich im Parterre eine moderne Küche einbauen lassen. Nun weint sie der alten Esse nach und hält die neuen Geräte für ein Werk des Leibhaftigen!"

Ein schalkhaftes Lächeln umspielte seinen Mund, als er sich vermutlich die Klagen der Elfe wieder in Erinnerung brachte. "Ich konnte Sie allerdings davon überzeugen, dass sie mir einen großen Gefallen tut, wenn sie uns trotzdem einen kleinen Imbiss bereitet."

Am späten Nachmittag kehrten wir nach Hogsmeade zurück.

Ich musste mir verdrossen eingestehen, dass sich meine Gedanken seit heute Mittag fast ausschließlich mit Snape beschäftigten. Dieser Mann gab mir immer neue Rätsel auf. War er am Anfang der Woche mein ehemaliger Lehrer und ein grausamer Mann gewesen, der mich dazu zwang in seinem Bett zu schlafen, so war er heute ein sorgsamer Herr und angenehmer Gesellschafter. Was würde als nächstes kommen?

"Er behandelt seine Schüler wirklich schlimmer als Hauselfen", schoss es mir durch den Kopf und ich musste grinsen.

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A/N:
Wahlspruch auf dem Wappen:
Toujours la pureté, jamais la perfidie.
-
Immer lauter, niemals falsch.


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Kapitel 7

Kapitel 9

 

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