Professor Dumbledore ging in seinem Büro nun schon seit einer viertel Stunde auf und ab. Er hatte tiefe Sorgenfalten auf der Stirn und war in seine Gedanken versunken. Auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch saß Professor Snape.
„Severus, willst du diese Bürde wirklich wieder auf dich nehmen? Noch kannst du ‚NEIN‘ sagen“, sagte Dumbledore zu seinem Gegenüber.
„Albus, wir haben doch schon vor den Ferien darüber gesprochen. Nur wenn ich zu den Death Eatern zurück gehe haben wir eine Chance zu erfahren, was Voldemort als nächstes vor hat“, antwortete Snape eindringlich.
„Du hast ja recht, aber wenn er dir mißtraut, wenn er merkt, daß du gemeinsame Sache mit uns machst .... er wird dich töten Severus. Hast du auch das bedacht?“, sagte Dumbledore besorgt.
„Albus, ich weiß genau was für ein Risiko ich eingehe. Aber ich muß es riskieren, wenn wir Erfolg haben wollen“, stellte Snape fest.
Dumbledore seufzte und setzte sich auf seinen Stuhl hinter dem Schreibtisch. Er sah unheimlich alt und müde aus. Er blickte Snape in die Augen und sagte: „Wir alle hier wissen zu schätzen welche Gefahr du für uns eingehst. Sei versichert, daß ich immer hinter dir stehen werde. Wenn es Probleme gibt kannst du dich jeder Zeit an mich wenden, und ich meine jeder Zeit. Leider steht das Ministerium, genau wie ich es erwartet habe, nicht auf unserer Seite. Sie wollen einfach nicht akzeptieren, dass Voldemort zurück ist. Du musst gut auf dich aufpassen.“
Snape nickte. „Dann werde ich in den nächsten Tagen die Death Eater kontaktieren und um eine Unterredung mit dem dunklen Lord bitten“, sagte Snape kalt. „Wahrscheinlich wird er sich Zeit lassen, bis er antwortet. Falls er mich nicht gleich tötet, wird er mir voraussichtlich befehlen, als Spion nach Hogwarts zurück zu kommen. Dann kann ich weiterhin uneingeschränkt meiner Lehrtätigkeit nachgehen, denn um keinen Verdacht zu erregen wird er mich nicht zu jeder Aktion der Death Eater rufen.“
Dumbledore atmete schwer. „Severus, was deine Lehrtätigkeit angeht habe ich noch ein großes Anliegen.“
Snape blickte auf.
„Ich weiß es ist sehr viel verlangt, aber ich möchte, daß du im nächsten Schuljahr den Unterricht zur ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste‘ übernimmst. Professor Sprout kann einige deiner Zaubertrank-Klassen übernehmen, da auch sie ausgebildete Alchimistin ist“, fuhr Dumbledore vorsichtig fort.
Snape blickte ihn überrascht an. „Selbstverständlich werde ich diesen Unterricht übernehmen, wenn du es willst Albus. Mach dir keine Sorgen, ich schaffe das schon.“
***
Nach einer dreistündigen Fahrt erreichten Harry und Lupin den kleinen Ort, in dem Lupin wohnte. Sie durchquerten das Dorf, und als Harry schon dachte Lupin würde den Ort wieder verlassen, hielt der Wagen vor einem kleinen Haus. Es lag am Rande des Dorfes, etwas abseits, und war von einer großen Hecke umgeben, so daß Remus Lupin von keinen neugierigen Nachbarn beobachtet werden konnte. Dies war sehr wichtig, denn es durfte niemand wissen, daß er sich einmal im Monat in einen ausgewachsenen Werwolf verwandelte.
Als Harry aus dem Wagen gestiegen war und in Richtung Haus blickte erkannte er seinen Paten in der Tür. Er schien sich seit ihrer letzten Begegnung sehr gut erholt zu haben, denn er hatte deutlich zugenommen, sah nicht mehr so ausgemergelt aus und machte auch sonst einen sehr gepflegten Eindruck. Seine Haare waren kurz geschnitten und der wilde Bart war verschwunden.
Harry rannte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Er war überglücklich und nun, endlich, konnte er seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Als er Sirius wieder losließ waren seine Augen feucht, doch er lächelte.
„Na na, ist ja alles in Ordnung, du hast es doch hinter dir. Laß dich erst einmal ansehen“, sagte Sirius und lächelte ebenfalls.
Harry hatte nun endlich seine Sprache wieder gefunden und antwortete mit leichtem Schluchzen: „Oh Sirius, wenn du nur wüßtest wie froh ich bin hier zu sein. Es war so furchtbar. Ich hatte schon Angst ich würde dich nie wieder sehen.“
Sirius schüttelte verständnisvoll den Kopf: „Ach Harry sag doch so etwas nicht. Dein alter Pate läßt dich doch nicht im Stich.“
Sirius schob Harry durch die geöffnete Wohnungstür und führte ihn in das kleine Wohnzimmer des Hauses. An der gegenüberliegenden Wand stand eine gemütliche Sitzgruppe und an den Wänden ringsum waren hohe Bücherregale mit alten Büchern und Pergamentrollen. Harry bemerkte, daß sich fast die Hälfte der Bücher mit Werwölfen beschäftigten.
Mittlerweile hatte auch Lupin, der Harrys Gepäck dabei hatte, das Haus betreten. Er folgte den Beiden ins Wohnzimmer und sagte: „Setz dich Harry. Jetzt haben wir genug Zeit, und du kannst uns alles noch einmal in Ruhe erzählen. Du hast zwar schon einiges in deinem Brief geschrieben, doch es hilft dir sicher, wenn du dir noch einmal alles von der Seele reden kannst.“
Harry schilderte Sirius und Remus noch einmal alles, was sich im Hause der Dursleys abgespielt hatte. Er ließ sich viel Zeit und mußte immer wieder seine Erzählung unterbrechen, um sich noch einmal alle Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen. Die beiden Männer ließen den Jungen reden ohne ihn zu unterbrechen und hörten ihm aufmerksam zu.
Als Harry geendet hatte war das Gesicht seines Paten rot angelaufen. „Was sind denn das für Menschen, die einen 15-jährigen Jungen tyrannisieren?“, fragte er aufgebracht. Er blickte seinen Freund Remus an.
Lupin schien kurz zu überlegen und sagte dann zu Sirius gewandt: „Padfoot, alter Freund, du hättest dieses Mann sehen müssen. Wie ich dein Temperament kenne, wärst du diesem Muggel mit Sicherheit an die Gurgel gegangen. Wenn du mich fragst, kann Harry nächsten Sommer auf keinen Fall mehr zu diesen Leuten gehen. Nach seinen Aussagen wird das ja von Jahr zu Jahr schlimmer. Das kann nicht so weiter gehen. Ich werde in den nächsten Tagen einen Brief an Dumbledore schreiben und ihm meine Eindrücke schildern.“
Sirius knurrte: „Hm, vielleicht hätte ein gewisser schwarzer Hund diesen Kerl mal gehörig beißen sollen. Dumbledore muß einfach einsehen, daß Harry nicht unter Muggel gehört.“
Harry war überglücklich die Beiden so reden zu hören. Vielleicht konnten sie wirklich etwas bei Dumbledore erreichen. Er blickte Sirius an und sagte hoffnungsvoll: „Oh ja, dann kann ich meinen nächsten Sommer ganz mit euch verbringen.“ Lupin runzelte bei Harrys Worten die Stirn und Sirius machte ein nachdenkliches Gesicht. Schließlich sagte Lupin: „Harry, du bist jederzeit Willkommen in diesem Haus, ich möchte, daß du das weißt. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Professor Dumbledore auf Dauer einem Werwolf und einem gesuchten Verbrecher die Verantwortung für dich übergeben wird, und diese Entscheidung hängt auch nicht nur alleine an ihm.“
Harry blickte von einem zum anderen und antwortete: „Aber Profess...., äh Remus, Professor Dumbledore weiß doch, daß Sirius unschuldig ist, und dich hat er schließlich ein Jahr an der Schule unterrichten lassen.“ Eine leichte Verzweiflung machte sich in Harrys Stimme breit.
Sirius lächelte Harry nun wieder an und sagte: „Ja Harry ich weiß, aber wem von uns würde denn das Zaubereiministerium das offizielle Sorgerecht für dich übertragen? Ich befürchte Moony hat recht. Aber wir müssen auf alle Fälle abwarten was Dumbledore sagt. Vorher zu spekulieren hat keinen Sinn.“ Und damit hatte Sirius Black wohl recht.
„So Harry“, sagte Lupin schließlich, „ich werde dir jetzt mal dein Zimmer zeigen, komm.“ Mit diesen Worten führte er Harry die Treppe nach oben. Im oberen Flur befanden sich vier Türen. „Das hier ist das Badezimmer. Und in diesen beiden Zimmern schlafen Sirius und ich. Das mittlere Zimmer ist mein Gästezimmer, obwohl ich noch nie Gäste hatte, außer Sirius. Aber der zählt wohl nicht richtig. Wenn du irgend etwas brauchst laß es mich bitte wissen.“
Harry betrat das Zimmer und fühlte sich sofort heimisch. Unter dem großen Fenster stand ein gemütliches Bett, an der Wand daneben stand ein kleiner Schreibtisch, und auch ein gemütlicher Sessel und ein großer Kleiderschrank fehlten in diesem Raum nicht.
Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug. Harry war selten so glücklich gewesen wie bei den alten Freunden seines verstorbenen Vaters, außer vielleicht im Fuchsbau, dem Haus der Weasleys. Sie verbrachten die Tage mit ausgiebigen Spaziergängen und am Abend, wenn sie alle gemütlich im Wohnzimmer saßen erzählten Remus und Sirius von ihren alten Schulstreichen. Es dauerte nicht lange, und Beide hatten den Jungen in ihr Herz geschlossen.
***
Es war schon spät am Abend als Professor Severus Snape in seinem Labor vor einem großen Kessel stand und die letzten Zutaten des Wolfstrankes in die grün schimmernde, dampfende Flüssigkeit gab. Obwohl sein ehemaliger Kollege Remus Lupin nun schon seit einem Jahr nicht mehr in Hogwarts unterrichtete, hatte er trotzdem dem Wunsch von Dumbledore entsprochen, und braute noch regelmäßig diesen äußerst komplizierten Trank, der es Werwölfen während ihrer Verwandlung ermöglichte ihren Verstand zu behalten. Jeden Monat, eine Woche vor Vollmond, wurde der Trank dann per Eule zu Professor Lupin geschickt.
Eigentlich konnte Snape Remus Lupin nicht leiden, zu viele Streitereien und Haß hatte es in den letzten Jahren zwischen ihnen gegeben. Schon zu der Zeit, als Severus Snape, Remus Lupin, Sirius Black und James Potter gemeinsam zur Schule gegangen waren hatte es immer wieder Streit zwischen ihnen gegeben. Viele Male war er bereits in Versuchung gekommen den Trank ein bißchen zu manipulieren um seine Wirkung herab zu setzen, hatte es aber immer unterlassen, aus Loyalität zu Albus Dumbledore.
Mit einem Wink seines Zauberstabs löschte er das Feuer unter dem Kessel, um das Gebräu abkühlen zu lassen. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und kramte seine Unterlagen hervor. Bis zum Beginn des nächsten Schuljahres hatte er noch eine Menge vorzubereiten. Snape hatte sich vorgenommen für ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste‘ komplett neue Lehrpläne aufzustellen, da er die bestehenden für zu unzureichend und lückenhaft hielt. Außerdem mußte er noch entscheiden, welche Zaubertrank-Klassen er an Professor Sprout abgeben konnte. Die Lehrerin für Kräuterkunde hatte zwar in ihrer Jugend eine gute Ausbildung in Alchemie genossen, doch waren ihr Kenntnisse im Laufe der Jahre etwas eingerostet, und sie hatte große Probleme mit den komplizierteren Tränken. Snape würde wohl nichts anderes übrig bleiben, als die oberen Klassen selbst zu unterrichten. Er verzog bei diesem Gedanken das Gesicht. Noch eine Stunde mehr, die er den jungen Potter auf dem Hals haben würde. Doch Potter war nicht der einzige in der zukünftigen 5. Klasse der Gryffindors, gegen den er einen Groll hegte. In dieser Klasse befanden sich außer ihm auch noch Hermine Granger, diese Besserwisserin, und Neville Longbottom, der es bis jetzt in fast jeder Zaubertrankstunde geschafft hatte irgend etwas seltsames mit seinem Trank anzustellen. Im Zweifelsfalle flog gleich der ganze Kessel in die Luft. Snape verdrehte bei diesem Gedanken die Augen.
Nachdem er die Lehrpläne für die ersten und zweiten Klassen zusammengestellt hatte unterbrach er seine Arbeit. Er drehte sich um und blickte auf den Kalender, der hinter seinem Schreibtisch hing. Es war jetzt schon über eine Woche her, seit er den Death Eatern eine Nachricht für Lord Voldemort übergeben hatte, doch bis jetzt hatte er noch keine Antwort auf sein Gesuch um Wiederaufnahme erhalten.
Snape wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Als er gerade mit den Plänen für die dritten Klassen beginnen wollte, durchzuckte plötzlich ein stechender Schmerz seinen linken Unterarm. Der Schmerz breitete sich weiter aus und krampfte seine Eingeweide zusammen. Er schob mit schmerzverzerrtem Gesicht den linken Ärmel seines Umhangs nach oben um sich seinen Arm zu betrachten. Das Dunkle Mal auf seinem Arm hatte sich pechschwarz verfärbt. Der Dunkle Lord rief ihn. Es war so weit. Snape atmete noch einmal tief durch und machte sich auf den Weg nach Hogsmeade, um zu Lord Voldemort zu apparieren.
Als er den kleinen Ort erreicht hatte schlüpfte er in eine dunkle Nebenstraße und disapparierte. Nur Sekunden später war er am alten Riddle-Haus, dem Hauptquartier des Dunklen Lords. Vorsichtig schaute er sich um, konnte jedoch in der Nähe des Hauses niemanden entdecken. Er mußte sehr vorsichtig sein, vielleicht hatte Lord Voldemort ihn durchschaut und wollte ihn in eine Falle locken.
Langsam ging er auf das Haus zu. Die Tür stand offen und Snape betrat den düsteren Korridor. Es roch modrig, und von der Decke hingen staubige Spinnweben. Severus Snape schritt langsam auf die große Flügeltür am Ende des dunklen Flurs zu. Kurz bevor er sie erreicht hatte schwangen die beiden Flügel der Tür knarrend auf und gaben Snape den Blick in das ehemalige Wohnzimmer des Herrenhauses frei. Von der alten Einrichtung war nichts mehr übrig geblieben. Das einzige Möbelstück in diesem Raum, wenn man es denn so nennen konnte, war ein großer, pechschwarzer Altar. Und genau vor diesem Altar stand der Dunkle Lord zusammen mit Peter Petticrew und 2 weiteren Death Eatern. Seine rot glühenden Augen blickten durch die Tür und blieben an Snape haften. Snape mußte sich zusammenreißen um dem Drang zu wiederstehen wegzurennen.
Langsam und mit gesenktem Blick betrat er den Raum. Als er den Dunklen Lord erreicht hatte fiel er auf die Knie und küßte dessen Umhangsaum. Oh, wie er diese Stiefelleckerei haßte, aber es gehörte zu einer der grundlegendsten Verhaltensregeln, wenn man vor den Dunklen Lord trat.
„Steh auf, Snape“, zischte eine kalte Stimme. Severus Snape erhob sich und trat respektvoll einen Schritt zurück. Er sah Lord Voldemort nun direkt in sein häßliches, schlangenhaftes Gesicht. Die Augen des Dunklen Lords verengten sich als er wieder zu Snape sprach: „Nun, es hat lange gedauert, Snape, bis du gemerkt hast wem du verpflichtet bist.“
„Verzeiht, Meister“, antwortete Snape in demütigem Tonfall, „ich werde nicht mehr wanken in meinen Überzeugungen.“
Voldemort gab ein verächtliches Geräusch von sich. „Warum wohl Snape sollte ich deinen Worten Glauben schenken?“, fragte er kalt. Doch er schien keine Antwort von Snape zu erwarten, statt dessen ging er nun langsam vor seinem Gegenüber auf und ab und fuhr in fast väterlichem Tonfall fort: „Du hattest mich verlassen, Snape, hast deinem Herrn und Meister den Rücken zugekehrt. Das hat mich schwer getroffen.“
Bei dem nächsten Satz blieb er stehen und drehte sich ruckartig zu Severus um, so dass seine häßliche Fratze nur Zentimeter von Snapes Gesicht entfernt war und sein stinkender Atem Snape ins Gesicht schlug. Er fuhr in drohendem Tonfall fort: „Ich schätze so etwas nicht.“
Severus Snape mußte schlucken. Lass dir jetzt bloß nichts anmerken, dachte er. Wieder fiel er vor dem Dunklen Lord auf die Knie und antwortete: „Meister, ich war dumm und unerfahren. Ich habe einen Fehler gemacht. Habt Erbarmen.“
Voldemorts stechende Augen waren nun zu gefährlichen Schlitzen verengt. Sie schienen Severus direkt ins Herz zu blicken. Er zischte: „Ja Snape, du bist dumm, und du hast einen Fehler gemacht. Und du solltest wissen, daß ich mich niemals erbarme.“ Die letzten beiden Worte hatte er verächtlich ausgespuckt. „Du weißt wie die Strafe für Verrat lautet, Herr der Zaubertränke, doch da du zu mir zurückgekommen bist, werde ich nachsichtig mit dir sein.“
Snape wußte was jetzt folgen würde, doch bevor er sich auch nur halbwegs darauf vorbereiten konnte, hatte der Dunkle Lord seinen Zauberstab aus seinem Umhang gezogen und zischte „Crucio“.
Die Welle des Schmerzes traf Severus nicht ganz unerwartet, doch er mußte in den letzten Jahren wohl vergessen haben, wie gewaltig dieser Fluch war.
Er hatte das Gefühl seine Knochen würden zu glühender Lava, und jeden Moment würde sicherlich das Blut in seinen Adern beginnen zu kochen. Seine Eingeweide krampften sich schmerzhaft zusammen. Severus wand sich von Schmerzen gepeinigt auf dem kalten Boden zu Voldemorts Füßen. Nur nicht schreien, gib ihm bloß nicht die Genugtuung daß du schreist, konnte er nur immer wieder denken. Doch der Dunkle Lord schien Severus‘ Gedanken gelesen zu haben, wartete noch eine Minute, und zischte abermals „Crucio“. Der Schmerz in Snapes Körper schien ins Unermessliche zu steigen, und ob er es wollte oder nicht, er konnte nur noch schreien. Seine Muskeln begannen unkontrolliert zu zucken.
Doch Snapes Schmerzensschrei schien den Dunklen Lord befriedigt zu haben, denn er beendete den Fluch mit einem Wink seines Zauberstabs. Snape atmete schwer und stoßweise, und der Schmerz verließ nur langsam seinen Körper. Je länger der Cruciatus-Fluch durchgehalten wurde, desto länger dauerte es auch, bis die letzten Auswirkungen aus dem Körper des Opfers verschwunden waren.
Snape wußte nicht, wie lange Voldemort den Schmerzensfluch durchgehalten hatte, es mußten mit Sicherheit fünf Minuten gewesen sein. Langsam versuchte er sich aufzurichten, brach bei dem Versuch jedoch sofort wieder zusammen.
Als der Dunkle Lord wieder zu sprechen begann, versuchte Severus ihm in die Augen zu blicken. „Na also Snape, ich höre immer was ich hören will von meinen Untergebenen. Man widerspricht mir nicht.“
„Ich bin euer ergebener Diener, Meister“, keuchte Snape und versuchte vergeblich Blickkontakt mit Voldemort zu halten, der nun langsam mit hinter dem Rücken verschränkten Armen um Snape herumging. „Ich weiß nicht Snape“, zischte er, „ich bin mir noch nicht so ganz im Klaren darüber, wie ehrlich deine Demut ist. Ich denke ich werde auf Nummer sicher gehen. Crucio.“
Eine zweite Welle des Schmerzes überrollte Severus und er krümmte sich erneut auf dem Boden. Der Dunkle Lord ging noch ein paar Schritte um Snapes sich windenden Körper herum und gab dann seinen beiden Death Eatern, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatten, ein kurzes Zeichen. Beide traten mit gezückten Zauberstäben lächelnd einen Schritt nach vorne, richteten sie auf Snape und sagten ebenfalls: „Crucio“.
Snapes Welt explodierte, seine Schreie erfüllten den Raum. Er hatte das Gefühl sein Körper würde entzwei gerissen. Jeden Moment würden seine Adern platzen.
Kurz bevor er ohnmächtig wurde nahm Voldemort jedoch den Fluch von ihm. Snape lag keuchend auf dem Boden, sein Körper wurde geschüttelt von heftigem Zucken und Krämpfen. Der Dunkle Lord trat einen Schritt nach vorne, bis er direkt über Snape stand und blickte ihn kalt an. „Ich werde dir noch eine zweite Chance geben, aber du mußt dich beweisen“, sagte er, „du wirst zurückkehren nach Hogwarts und meine Feinde im Auge behalten. Ich werde dich in regelmäßigen Abständen zu mir rufen, damit du mir von den Geschehnissen berichten kannst. Und wage es nicht mich noch einmal zu enttäuschen. Ich werde kein zweites Mal so nachsichtig mit dir sein.“
Mit diesen Worten wandte er sich zur Tür und bedeutete seinen Death Eatern ihm zu folgen. Als er die Tür erreicht hatte drehte er sich noch einmal um. Snape versuchte sich auf dem Boden windend in die Richtung von Voldemort zu drehen. „Das hätte ich ja fast vergessen Snape“, sagte er mit weicher, sanfter Stimme, „ich wollte dir noch etwas mit auf den Weg geben, auf daß du in deiner Treue nie mehr wanken mögest.“
Er zog erneut seinen Zauberstab aus dem Umhang und richtete ihn auf Snape. „Fracturo“, zischte er.
Snape hatte das Gefühl, als umfasse eine unsichtbare Hand sein linkes Schienbein. Der Griff wurde fester und mit einem lauten Knacken brachen seine Knochen entzwei. Snape stöhnte laut auf.
„Du darfst dich entfernen“, sagte der dunkle Lord kalt, verließ mit seinem Gefolge den Raum, disapparierte, und ließ Severus mit seinem Schmerz allein.
***
Sirius Black schreckte aus dem Schlaf hoch. Hatte er einen Schrei gehört? Er stieg aus dem Bett, nahm seinen Zauberstab vom Nachttisch und sagte: „Lumos“. Nachdem er seine Pantoffeln gefunden hatte ging er zu seiner Schlafzimmertür um draußen nach dem Rechten zu sehen. Er öffnete sie und vor ihm stand Remus. „Ach Moony, hast du auch was gehört?“, fragte er ihn verschlafen.
„Ja“, flüsterte Lupin, „ich glaube das war Harry. Laß uns besser nachsehen.“
Mit diesen Worten gingen sie zu Harrys Zimmertür und öffneten sie leise. Das Zimmer war dunkel. Harry lag zusammengekrümmt in seinem Bett, hielt sich mit beiden Händen die Stirn und stöhnte leise. Er schien die Beiden nicht bemerkt zu haben. Sirius war mit zwei Sätzen bei seinem Neffen und setzte sich neben ihm auf das Bett. Vorsichtig legte er eine Hand auf Harrys Schulter.
Harry zuckte bei der plötzlichen Berührung seines Paten zusammen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blickte er ihn an. „Sirius, hab ich dich geweckt? Tut mir leid“, keuchte er.
„Harry mein Junge, was ist denn passiert, was ist los?“, fragte Sirius aufgelöst. Auch Lupin war mittlerweile an Harrys Bett getreten.
„Ach, ... Professor Lupin,........ Remus, du auch,.... meine .... meine Narbe ..... es war plötzlich so ein stechender Schmerz, so schlimm ..... so schlimm war es noch nie“, keuchte Harry weiter.
„Ganz ruhig Harry“, sagte Lupin sanft und kniete sich vor Harrys Bett. „Ist das in letzter Zeit öfter vorgekommen?“, fragte er leise um Harrys Kopf nicht noch mehr zu belasten.
Harry atmete immer noch stoßweise, schien sich aber langsam wieder zu beruhigen. „Nein“, antwortete er, „das letzte Mal...... beim Trimagischen Turnier, als ich.......bei Lord Voldemort war. Da war es auch ziemlich schlimm,.........vor allem in dem Moment, als er Cedric getötet hat.“
Lupin nickte langsam. „Es ist anzunehmen, daß so etwas in der Art vorhin auch vorgefallen ist. Wahrscheinlich hat er wieder jemanden getötet, oder noch schlimmer“, murmelte er besorgt. „Wenn er wenigstens seine Opfer schnell töten würde, aber er hat Spaß daran sie leiden zu lassen. Kennst du die drei unverzeihlichen Flüche, Harry?“
Harry nickte. „Ja, Mad Eye Moody, oder besser Mr. Crouch hat uns letztes Jahr in ..... ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste‘ davon erzählt. Und als ich bei Voldemort war ........ habe ich den Imperius- und den Cruciatus-Fluch am eigenen Leib erlebt.“
Lupin senkte seinen Blick etwas und entgegnete: „Ja, ich erinnere mich, Sirius hat es mir erzählt. Aber Voldemort kennt noch andere Schmerzflüche, die fast genauso gefährlich sind wie der Cruciatus-Fluch.“
Sirius hatte den Beiden still zugehört. Er hatte immer noch seine Hand auf Harrys Schulter liegen. Er räusperte sich und sagte: „Harry, ich befürchte, daß deine Narbe in nächster Zeit noch öfter weh tun wird, du hast durch sie eine enge Bindung an den Dunklen Lord.“ Er blickte seinen Freund an. „Remus, du bist doch hier der Experte für dunkle Künste, hast es ja ein Jahr in Hogwarts unterrichtet, meinst du man kann etwas dagegen machen?“
Lupin schüttelte niedergeschlagen den Kopf. „Sirius, ich bin kein Fachmann für Schmerzflüche oder Fluchnarben, und schon gar keiner für Lord Voldemort. Ich weiß nicht mal, ob es überhaupt jemanden gibt, der alles über den Dunklen Lord weiß. Ich befürchte da gibt es noch viele Geheimnisse.“
Schweigend saßen die drei zusammen. Harry war froh die beiden Männer bei sich zu haben, auch wenn sie ihm nicht helfen konnten, doch ihre Anwesenheit hatte etwas tröstliches. Nach einer Weile sagte Sirius: „Schlaf jetzt wieder Harry. Möchtest du, daß ich bei dir bleibe?“ Harry nickte stumm. Lupin stand auf und strich Harry über sein wirres Haar. „Schlaf gut Harry, bis morgen. Gute Nacht, Padfoot.“ Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
Als Harry am nächsten Morgen erwachte, war es schon sehr spät und Sirius war wahrscheinlich schon nach unten gegangen um zu frühstücken, denn er hatte Harrys Zimmer verlassen. Harry setzte seine Brille auf, zog sich an und ging ebenfalls nach unten.
In der Küche traf er Remus Lupin, der gerade dabei war das dreckige Geschirr vom Frühstück abzuspülen. Er spülte natürlich nicht per Hand, sondern schwenkte energisch seinen Zauberstab, und die Teller und Tassen spülten sich selbständig ab.
Als Harry den Raum betrat blickte Lupin von seiner Arbeit auf und lächelte Harry an. „Guten Morgen, du Langschläfer. Wie geht es dir? Hast du noch Schmerzen?“
„Nein“, antwortete Harry, „es ist alles wieder in Ordnung. Remus, ich wollte mich noch einmal für gestern Nacht entschuldigen, es tut mir leid, daß ich euch aus dem Bett geholt habe, ich ...“
Lupin runzelte die Stirn und fiel Harry ins Wort. „Harry, entschuldige dich nie mehr dafür, wenn du Hilfe brauchst. Du weißt, daß Sirius und auch ich immer für dich da sein werden.“ Er schien fast ein bißchen ärgerlich.
„Danke“, stammelte Harry etwas beschämt.
Natürlich wußte er, daß sein Pate immer für ihn da sein würde, und er freute sich, daß mittlerweile auch Remus Lupin zu einem guten Freund geworden war. Nach den letzten Wochen gehörten die beiden Männer für Harry fast schon zusammen, er wollte keinen von ihnen mehr missen.
„Komm, iß erst mal etwas, ich habe extra deinen Teller stehen lassen. Ich leiste dir ein bißchen Gesellschaft“, sagte Lupin und schob Harry zum Küchentisch. Die Beiden setzten sich und Harry begann gierig zu essen.
„Wo ist eigentlich Sirius?“, fragte er Lupin mit vollem Mund, denn er hatte an diesem Morgen seinen Paten noch nicht gesehen.
„Er mußte für einige Tage zu Mundungus Fletcher fahren, einer von unseren alten Kämpfern. Er wollte mit ihm über diese seltsamen Todesfälle, die sich in den letzten Wochen in London ereignet haben, sprechen. Eigentlich wollte er sich noch von dir verabschieden aber er wollte dich nicht wecken“, antwortete Lupin.
„Meint ihr denn, daß diese Morde etwas mit Voldemort zu tun haben?“, fragte Harry gespannt.
„Hm“, meinte Lupin, „was ist denn deine Meinung?“
Harry überlegte kurz. „Ich denke schon, daß es etwas mit Voldemort zu tun hat. Es ist doch irgendwie verdächtig.“
Lupin runzelte die Stirn. „Wenn er es war, werden wir es herausfinden. Ach Harry, das hätte ich ja fast vergessen, heute morgen kam eine Eule mit dem Brief aus Hogwarts für dich.“
Mit diesen Worten legte er einen Brief auf den Tisch, der mit grüner Tinte an Harry adressiert war. Harry nahm den Umschlag und riß ihn sofort auf. Er enthielt die übliche Mitteilung, daß Harry sich wie immer am 31. August am Gleis 9 ¾ einfinden sollte, um mit dem Hogwarts-Express in die Schule zu fahren. Er sah Lupin entgeistert an. „Oh weia, heute ist ja schon der 28. Der Brief kam dieses Jahr aber spät. Die Zeit ist so schnell vorbei gegangen. Dann muß ich ja schon am Sonntag wieder in die Schule fahren.“
Es war das erste Mal seit Harry in Hogwarts war, daß er lieber noch etwas länger Ferien gehabt hätte. „Remus, ich muß noch meine Bücher kaufen. Wie machen wir das denn, es ist ja kaum noch Zeit.“
„Mach dir keinen Sorgen Harry, wenn du willst, können wir morgen in die Winkelgasse fahren, dann kannst du alles besorgen. Laß mal sehen welche Bücher du dieses Jahr brauchst“, antwortete Lupin.
Harry zog einen zweiten Zettel aus dem Umschlag, faltete ihn auf und las:
Lehrbücher für das 5. Schuljahr:
Miranda Habicht: Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 5
Gundula Transfari: Verwandlung im Detail
Arsenius Bunsen: Die Kunst mit dem Kessel
Adolf Mortifer: Der schwarze Tod
Alle Schüler werden gebeten auch die Bücher der vergangenen Jahre aus dem Kurs ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste‘ mitzubringen (Außer den Werken von Gilderoy Lockhart)
Harry grinste. An Professor Lockhart und seine angeblichen Biographien konnte er sich nur zu gut erinnern. Er wunderte sich nur etwas darüber, warum er die Bücher der anderen Jahre noch einmal mitbringen sollte. Eigentlich hatten sie alle Themen, die darin enthalten waren, abgehandelt.
„Remus, meinst du ‚Der schwarze Tod‘ ist das neue Buch für Verteidigung gegen die dunklen Künste?“
Lupin nickte. „Ja, ich kenne dieses Buch. Ich finde nur, daß es für ein Schulbuch ein bißchen, nun sagen wir, ein bißchen unpassend ist. Ich hätte es selbst in den Abschlußklassen nicht verwendet. Es geht darin vor allem um mächtige Flüche, die in einem Duell verwendet werden können. Sehr seltsam.“
Harry dachte kurz nach, dann sagte er: „Ich würde zu gerne wissen, wen wir dieses Jahr in Verteidigung haben. Bis jetzt hatten wir jedes Jahr einen anderen Lehrer. Willst DU nicht wieder zurückkommen, Remus?“
Lupin lächelte gequält. „Ach Harry, du kannst dir nicht vorstellen wie gerne ich wieder unterrichten würde, aber du weißt doch selbst, daß es unmöglich ist. Die Eltern der Schüler würden einen Werwolf als Lehrer ihrer Kinder niemals tolerieren.“
Am nächsten Morgen machten Harry und Lupin sich gemeinsam auf den Weg nach London. Dort angekommen gingen sie direkt in den ‚Tropfenden Kessel‘, in dessen Hinterhof sich der Eingang zur Winkelgasse befand.
Nachdem Harry etwas Geld aus seinem Verließ bei Gringotts, der Zaubererbank, geholt hatte, begaben sie sich direkt zu der Buchhandlung Flourish & Blotts. Schnell hatten sie alle Bücher beisammen, denn der Verkäufer hatte vorausschauend alle Bücher, welche die Hogwarts-Schüler brauchten, in den vorderen Teil des Ladens geräumt.
Nachdem sie den Laden verlassen hatten wollte Harry noch einen neuen Federkiel kaufen, und so machten sie sich auf den Weg zum Schreibwarenladen.
Vor dem Laden liefen sie Ron und Hermine in die Arme. Schon von weitem schrie Hermine: „Harry, Harry, hallo, hier sind wir!“ Dabei winkte sie ganz aufgeregt. Als Harry seine beiden Freunde erreicht hatte fielen die drei sich in die Arme. Erst danach bemerkte Ron Lupin. „Oh, guten Tag Professor Lupin, ist ja toll, daß wir Sie mal wiedersehen.“ Auch Hermine freute sich offensichtlich ihren alten Lehrer wieder zu sehen. „Hallo Professor, wie geht es Ihnen?“, fragte sie höflich.
„Hallo ihr zwei“, antwortete Lupin fröhlich, „schön daß wir euch treffen. Darf ich euch alle auf ein Eis in Florean Fortescues Eissalon einladen, dann könnt ihr noch ein bißchen plaudern, bevor wir wieder nach Hause fahren.“
Ron und Hermine nahmen die Einladung gerne an und Ron sagte: „Toll, dann kannst du uns ja alles erzählen was passiert ist, Harry."
„Okay“, sagte Harry, „geht doch schon mal vor, ich will mir nur noch eine Feder kaufen.“
Fünf Minuten später trafen die vier sich in der Eisdiele. Als sie sich gerade an einen kleinen Tisch vor dem Salon setzen wollten kam plötzlich eine schwarz vermummte Gestalt aus dem Schatten der Häuser. Der Mann steuerte geradewegs auf sie zu. Harry, Ron und Hermine blieben wie angewurzelt stehen. Lupin griff unauffällig nach seinem Zauberstab. Als der Mann an ihnen vorbei ging rempelte er Hermine heftig an und zischte im Vorbeigehen: „Schlammblüter, ihr seid die nächsten.“
Hermine wurde bleich. Ihr war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen und ihre Knie zitterten. Ron und Harry waren sprachlos. Lupin fand als erster seine Sprache wieder und sagte besorgt: „Das war ein Death Eater. Ich hätte nicht erwartet, daß sie schon so öffentlich in der Winkelgasse auftreten. Seid mir nicht böse Kinder, aber ich denke es ist das Beste, wenn Harry und ich hier so schnell wie möglich verschwinden. Ein Glück, daß er Harry nicht erkannt hat. Ich möchte, daß ihr sofort zu euren Eltern geht und, sobald ihr alle Einkäufe erledigt habt, nach Hause fahrt.“
Ron und Hermine nickten stumm. Lupin und Harry verließen so schnell sie konnten ohne Aufmerksamkeit zu erregen die Winkelgasse und fuhren nach Hause. Während der Fahrt sagte keiner ein Wort. Harry spürte genau in welcher Gefahr er sich befunden hatte und er merkte, daß Lupin sich deswegen große Vorwürfe machte. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn der Death Eater Harry erkannt hätte.
***
Es war kurz nach Mitternacht, als eine dunkle Gestalt die Eingangshalle von Hogwarts betrat. Der Mann schien starke Schmerzen zu haben und schleppte sich langsam und humpelnd durch den langen Korridor. Als er die Treppen zum Kerker erreicht hatte sank er erschöpft zu Boden. Es war Severus Snape.
Er atmete schwer und blickte die lange Treppe hinunter. 'Wie soll ich es nur bis in mein Büro schaffen', dachte er. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie er es geschafft hatte genug Kräfte zu mobilisieren um aus dem alten Riddle-Haus zu disapparieren. In Hogsmeade angekommen hatte er sich den langen Weg zur Schule geschleppt. Sein Körper wurde immer wieder von starken, schmerzhaften Krämpfen gepackt und sein linkes Bein konnte er nicht mehr gebrauchen. Auch wenn er nicht drauf trat hatte er höllische Schmerzen.
Er atmete tief durch. Selbst das bereitete ihm unglaubliche Qualen, aber er mußte sein Büro erreichen. Er mußte unter allen Umständen vermeiden, daß irgend jemand ihn hier mitten im Korridor fand. Man würde ihm unangenehme Fragen stellen, er konnte ja schlecht die Wahrheit sagen, denn Professor Dumbledore war der einzige der wußte, daß Severus wieder mit den Death Eatern sympathisierte.
Er nahm seine letzten Kräfte zusammen und schleppte sich langsam, Stufe für Stufe, die Treppe hinunter. Als er endlich die Tür seines Büros erreicht hatte brach er erneut zusammen. Langsam zog er seinen Zauberstab aus dem Ärmel und sprach keuchend einige Zauberformeln, um die Schutzmechanismen seiner Tür zu entfernen. Als die Tür sich öffnete schleppte er sich in sein Büro und brach ohnmächtig zusammen.
Professor Dumbledore saß an seinem Schreibtisch und hatte den Kopf in die Hände vergraben. Er hatte vor einigen Stunden von seinem Fenster aus beobachtet, wie Severus Snape im Schutz der Dunkelheit das Schloß verlassen hatte. Er mußte nicht fragen um zu wissen wo Severus hingegangen war. Dumbledore machte sich immer noch große Vorwürfe, dieses Opfer von Snape verlangt zu haben. Er hätte wissen müssen, daß Snape eine Bitte von ihm niemals ausschlagen würde. Dafür war Severus einfach zu loyal.
Dumbledore wurde durch ein lautes Klopfen an seiner Tür aus den Gedanken gerissen. Er erhob sich und öffnete. Vor ihm stand Mr. Filch, der Hausmeister. „Guten Abend, Mr. Filch“, sagte Dumbledore müde, „was gibt es, daß Sie mich so spät noch stören?“
„Direktor, Professor Snape ist vor einigen Minuten zurückgekommen. Sah gar nicht gut aus. Wollte nur, daß Sie das wissen. Habe ihn vom ersten Stock aus gesehen, als ich meine Runde gemacht habe.“
Dumbledore stürzte an Filch vorbei und rannte so schnell ihn seine alten Beine tragen konnten hinunter in die Kerker. Als er den Korridor zu Snapes Büro erreicht hatte sah er schon von weitem, daß die Bürotür offen stand. Seine schlimmsten Befürchtungen schienen wahr zu werden: Severus ließ NIEMALS seine Tür offen stehen.
Dumbledore eilte zu der geöffneten Tür. Als er das Büro betreten wollte wäre er beinahe über Snapes leblosen Körper gestolpert. „Oh mein Gott“, entfuhr es ihm. Er beugte sich nach unten und fühlte Severus‘ Puls. Er lebte noch.
Vorsichtig hob er den verletzten Mann hoch und schleppte ihn zum Bett, das sich im Nachbarzimmer befand. Snape stöhnte leise als Dumbledore ihn auf das Bett legte. „Severus, Severus kannst du mich hören?“
Snape stöhnte wieder. „Albus“, keuchte er, „ich bin wieder dabei, ....... Der Dunkle Lord war gnädig mit mir.“
„Gnädig?“, fragte Dumbledore schockiert, „Severus er hat dich fast umgebracht.“
Langsam wurden Snapes Gedanken wieder klarer. „Albus, er hatte Nachsicht mit meiner Untreue, sonst würde ich nicht mehr leben. Tu mir einen Gefallen, schau dir mein Bein an. Er hat mich böse erwischt.“
Wieder wurde Snapes Körper von Krämpfen erfaßt und er stöhnte laut. Dumbledore schob vorsichtig den Umhang über Snapes Bein und wurde bleich. Die Knochen des linken Unterschenkels waren eindeutig gebrochen und ragten in bizarrem Winkel aus einer klaffenden Wunde.
Er stand auf und ging hinüber in Snapes Arbeitszimmer. Er wußte, daß Severus immer einen kleinen Vorrat an heilenden Tränken aufbewahrte. Das war ein Glück, denn Dumbledore konnte schlecht Madam Pomfrey, die Krankenschwester, holen, und ihr den schwer verletzten Severus zeigen, ohne eine Erklärung abzugeben, woher diese Verletzungen stammten.
Er suchte fieberhaft nach einem schmerzlindernden Gebräu. Endlich fand er eine kleine Phiole gefüllt mit violetter Flüssigkeit. Auf der Flasche war die Aufschrift ‚Cruciatus-Serum‘ zu lesen und Dumbledore ging mit der Flasche zurück zu Snape. Vorsichtig half er dem verletzten Mann sich aufzusetzen und setzte ihm die Phiole an die Lippen. Snape trank das Serum in kleinen Schlucken, und verzog das Gesicht. Das Gebräu schmeckte fürchterlich, doch mit jedem Tropfen, der seine Lippen berührte, schien sein Körper sich mehr und mehr zu entspannen.
Als er die Phiole geleert hatte legte ihn Dumbledore wieder in die Kissen und betrachtete sich Snapes Bein genauer. Er holte seinen Zauberstab aus seinem Umhang und berührte behutsam den zersplitterten Knochen. Er flüsterte eine lange Beschwörungsformel und der zerstörte Knochen fügte sich Stück für Stück wieder zusammen. Schließlich schloß er mit einem Wink seines Zauberstabs die klaffende Wunde. Snape seufzte, als die Schmerzen in seinem Bein nachließen. Dann fiel er in einen unruhigen Schlaf.
Dumbledore holte sich einen Stuhl aus Snapes Büro und setzte sich neben das Bett. Es dauerte viele Stunden bis Snape wieder erwachte. Er öffnete langsam die Augen und blickte Dumbledore verwundert an. „Albus, hast du die ganze Zeit hier gesessen?“, fragte er. Es ging ihm mittlerweile deutlich besser, auch wenn er noch blasser war als normal, und sein Gesicht schien noch hagerer. Die Qualen der letzten Stunden hatten deutliche Spuren hinterlassen.
Dumbledore lächelte: „Ja, ich war die ganze Zeit hier. Ich wollte nicht, daß du alleine aufwachst. Außerdem weißt du genau, daß wir miteinander reden müssen, je schneller desto besser. Fühlst du dich kräftig genug?“ Snape setzte sich wie zur Bestätigung halb in seinem Bett auf, hatte aber sichtlich Mühe, diese Position zu halten. „Es wird schon gehen, es muß“, antwortete er.
„Hat er dir den gewünschten Posten gegeben?“, fragte Dumbledore. Snape nickte und Dumbledore fuhr fort: „Dann sei bitte vorsichtig, wenn Voldemort auch nur den geringsten ......“ Snape unterbrach ihn: „wenn der Dunkle Lord auch nur den geringsten Zweifel an meiner Loyalität hat, wird dies hier dagegen nur ein harmloser Kratzer sein, ich bin mir des Risikos voll bewusst, Albus.“
Dumbledore senkte den Blick und erwiderte leise: „Ich mache mir große Vorwürfe, daß ich dich dazu überredet habe.“
Snape schüttelte energisch den Kopf. „Es war meine Entscheidung Albus, du hast nichts damit zu tun“, sagte er scharf. Dann verzog er leicht das Gesicht. Scheinbar waren die Schmerzen noch nicht vollständig abgeklungen.
Beide schwiegen einen Moment. Dumbledore hatte noch etwas Wichtiges auf dem Herzen, wußte aber nicht wie er es seinem Gegenüber am Besten mitteilen sollte. Schließlich blickte er Snape direkt in die Augen und sagte langsam: „Severus, ich frage mich .....“ Snape unterbrach ihn wieder: „Albus ich weiß was du sagen willst, aber ich versichere dir, daß mein Unterricht nicht darunter leiden wird. Die Schüler werden eine kontinuierliche Ausbildung erhalten.“
Dumbledore schüttelte wieder den Kopf und antwortete: „Severus, das weiß ich, ich vertraue dir, aber mir liegt noch etwas anderes am Herzen.“
Snape merkte auf.
„Ich weiß, daß ich schon wieder etwas schier unmögliches von dir verlange, aber ich möchte dich bitten deinen Haß gegen Harry Potter zu vergessen und den Jungen auf seinen Kampf gegen Voldemort vorzubereiten. Es wird wieder eine Konfrontation geben, ich weiß es, und du weißt es auch. Ich bitte dich Severus, um des Jungen Willen.“
Snapes Miene verfinsterte sich und er biß die Zähne zusammen, dann antwortete er kalt: „Ich kann meinen Haß nicht vergessen, aber ich verspreche, Potter alles beizubringen was er braucht, um deinetwillen. Ich habe nur eine Bedingung: ich tue es auf meine Art.“
Dumbledore schien zufrieden mit dieser Antwort. „Ich vertraue dir Severus, das ist mehr, als ich von dir verlangen kann. Aber sei nicht zu hart zu dem Jungen.“
Snapes Augen verengten sich, doch er nickte.