Amoris Infinitas

 

 

Zurück

 

Zurück zur 
Startseite


 

***




Kapitel 2: Der Fall des Prinzen




Der Fluch traf den völlig überraschten Raben mitten in die Brust. Durch die Wucht des Aufpralls hoch in die Luft geschleudert hing er für den Bruchteil einer Sekunde über dem Abgrund, dann fiel er, flatternd und krächzend vor Schock und Schmerz, langsam nach hinten über die Zinnen und verschwand im Zwielicht.

"Yippee, du hast ihn getroffen!", jubelte Ron und rannte zur Brüstung, aber es war schon zu dunkel um etwas erkennen zu können.

"Lass uns hinunter gehen und nachschauen. Ich denke zwar nicht, dass er in einem Zustand sein wird, in dem er noch fliehen kann, aber man weiß nie bei Snape," warnte Harry und wandte sich dem Eingang zur Wendeltreppe zu. "Im Gegensatz zu Dumbledore hat der elende Verräter Flügel ..."

Auf halbem Weg die Treppe hinunter trafen sie Hermine, die ihnen entgegen kam.

"Seid ihr nicht hungrig? Das Abendessen steht schon auf dem Tisch. Dobby wird nicht gerade glücklich sein, wenn ihr es schon wieder verpasst", mahnte sie die Freunde.

"Vergiss das Essen, Hermi. Harry hat ihn erwischt!" rief Ron und eilte, drei Stufen auf einmal nehmend, an ihr vorbei.

"Wen erwischt? Snape? Dann war er wirklich der Rabe? Was ist passiert?", fragte Hermine verblüfft und machte auf dem Absatz kehrt. "Seid ihr auf dem Weg zu McGonagall?"

"Neh, erst mal unten nachschauen, damit er nicht wieder entwischt", erklärte Ron über seine Schulter hinweg. "Besser wir beeilen uns."

Wenige Minuten und einige hundert Stufen und Korridore später rannten die drei Teenager durch die eichene Eingangstür und hinaus auf die zunehmend dunkler werdenden Ländereien. Als sie um den Astronomieturm herum liefen, konnten sie fast an exakt der gleichen Stelle, an der weniger als ein Jahr zuvor der Leichnam Dumbledores gelegen hatte, ein schwarzes, zusammengekrümmtes Etwas im Gras liegen sehen.

"Glaubst - glaubst du, er ist tot?", stotterte Hermine in plötzlich aufkeimender Furcht.

Harry antwortete nicht. Mit auf die reglose Gestalt gerichtetem Zauberstab ging er entschlossen näher. Ron und Hermine folgten einige Schritte hinter ihm. Es gab keinen Zweifel, was da lag war ein Mensch, kein Vogel, und er schien entweder tot oder bewusstlos zu sein.

"Vorsicht, es könnte eine Finte sein", warnte Ron. "Vielleicht täuscht er nur vor, tot zu sein, und dann plötzlich -" Sie schraken zusammen, als die Gestalt sich bewegte, langsam auf den Rücken rollte und einen Arm über das Gesicht schlug. Sie konnten ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen hören.

"Bleibt zurück, ihr beiden", ordnete Harry an, während er, den Zauberstab bereit, weiter ging. Als er näher kam, entspannte sich seine Haltung ein wenig. Es war tatsächlich Snape, er konnte es unschwer an dem schulterlangen, fettigen Haar erkennen, das im Gras ausgebreitet lag wie schwarze Tentakeln. Der merkwürdige Winkel, in dem eines seiner Beine abgespreizt war, ließ vermuten, dass es böse gebrochen war. Und war da nicht Blut an der bleichen Hand? Obwohl Snape offensichtlich am Leben war, schien er doch so schwer verletzt, dass jeder Gedanken an Flucht oder Gegenwehr unmöglich sein musste, stellte Harry mit Befriedigung fest.

"Snape!", rief er und stieß den Mann nicht gerade sanft mit der Spitze seines Turnschuhs in die Seite. Es knackste. Der gefallene Zauberer keuchte auf und unterdrückte einen erstickten Schrei. Langsam nahm er den Arm von seinem Gesicht und blinzelte aus glasigen Augen zu Harry hoch.

"Potter!", zischte er, sein blutverschmiertes Gesicht eine Maske aus Hass und Schmerz, als er erkannte, wer da stand. "Hast deinen Karl May gründlich gelesen, wie ich sehe." Die Worte kamen keuchend und abgehackt und Snape hatte sichtlich Mühe seinen Blick zu fokussieren, doch er sprach weiter: "Wie war das wieder, ‚Ein Mörder kehrt immer an den Ort seines Verbrechens zurück? Etters, der auf dem Grab seines Opfers stirbt - oh, welche Parallelen." Die letzten Worte waren kaum mehr als ein Flüstern von blutleeren, zitternden Lippen. Plötzlich schien Snape alle seine Reserven zu mobilisieren und richtete sich in einer letzten Anstrengung halb auf, seine brennenden schwarzen Augen bohrten sich in Harrys. "Bist du nun zufrieden, Potter?", zischte er. "Stolz auf dich? Wer ist jetzt der Feigling? Du Dummkopf, du feiger Dummkopf. Wie der Vater, so der Sohn ..." Ein Hustenanfall schüttelte seinen Körper und stöhnend sank er zurück ins Gras, Blut sickerte aus einem Mundwinkel. Seine Augen schlossen sich.

Harry stand starr, wie aus Stein gemeißelt, sein Zauberstab war noch immer auf das Herz des sterbenden Mannes gerichtet. Bei Snapes letzten Worten hatte die Hand mit dem Zauberstab gefährlich gezuckt und seine Miene hatte sich, wenn dies überhaupt möglich war, noch mehr verdüstert. Wie oft hatte er ähnliches von Snapes höhnisch gekräuselten Lippen gehört? Aber dieses Mal würde das allerletzte Mal sein...

"Harry, wir können ihn nicht einfach hier liegen und verbluten lassen. Er ist ein Mörder, ja, aber er ist dennoch ein Mensch. Natürlich muss er bestraft werden, aber dafür haben wir Gerichte und Gefängnisse. Es ist nicht an uns zu richten." Hermine war neben Harry getreten und schaute den Freund flehend an. "Harry, lass ihn uns zu McGonagall bringen. Bitte. Harry?"

Harry schien ihre Worte kaum zu bemerken. Doch endlich drehte er sich zu ihr um. "Tu was du nicht lassen kannst. Mir ist es gleich." Ohne sie weiter zu beachten blickte er hinüber zu Dumbledores Grab, der weiße Marmor des Grabmals leuchtete in der Ferne. Hermine warf einen letzten tränenerfüllten Blick auf ihren Freund, zauberte dann eine Trage aus dem Nichts und ließ den reglosen Körper ihres ehemaligen Professors vorsichtig darauf schweben.

"Ron, ich bringe ihn in den Krankenflügel. Du gehst und holst McGonagall. Aber beeile dich, er atmet kaum noch", sagte Hermine leise zu dem großen, schlaksigen Teenager neben ihr. Ron nickte und sprintete auf den Haupteingang zu, während Hermine ihm langsameren Schrittes folgte, die Bahre dicht an ihrer Seite schwebend. Harry blieb allein zurück.


***




"Merlin, Severus!"

Hermine hatte kaum den Krankenflügel betreten, als auch schon Professor McGonagall keuchend und Hände ringend herein gestürmt kam. Nach einem schnellen Blick auf ihren ehemaligen Kollegen befahl sie: "Hier herüber, Miss Granger, dieses Bett. Und vorsichtig, ich fürchte, er hat einen Schädelbruch." Dann drehte sich McGonagall um und wandte sich an den großen Rotschopf, der in der Tür wartete. "Mr. Weasley, holen Sie mir Bluterneuerungstrank, so viel Sie tragen können, der große Schrank dort drüben, glaube ich. Ich werde versuchen Madame Pomfrey zu alarmieren. Ich habe leider nicht viel Erfahrung was Heilkunst betrifft, fürchte ich ..." Sie seufzte und hastete dann hinüber zu dem großen Kamin im Büro der Medihexe.

Während Ron mit mehreren großen Flaschen einer roten Flüssigkeit herum klapperte, suchte Hermine nach Gaze und Verbandsmaterial. Ein großer roter Fleck hatte sich auf dem Kissen unter Snapes Kopf ausgebreitet und wurde mit jeder Sekunde größer. Und seine Kleidung schien blutgetränkt.

"Hilf mir mit seiner Kleidung", bat Hermine Ron, der die Flaschen auf dem Nachttisch abgestellt hatte. Mit einem Schlenker ihres Zauberstabes öffnete sie die Schnalle an dem schwarzen Reiseumhang, ließ ihn unter dem schwerverletzten Zauberer durchgleiten und in einem Haufen auf den Fußboden neben dem Bett fallen. Dann fummelten sie beide an den vielen Knöpfen der schwarzen Weste herum, die glitschig vor Blut waren. Das ehemals weiße Hemd darunter war rot verfärbt, und durch die Risse im Stoff waren tiefe, klaffende Schnitte sichtbar, die noch immer stark bluteten.

"Urgh." Ron gab einen erstickten Laut von sich und wurde grün im Gesicht. "Ich glaube, ich muss mich übergeben", stotterte er und rannte aus dem Zimmer, seine Hände über dem Mund zusammengeschlagen.

Ein weiteres Schwenken ihres Zauberstabs, und die durchweichten, zerfetzten Kleider gesellten sich zu dem Umhang auf dem Fußboden. Hermine presste eine Hand voll Gaze auf die Wunden in der Brust des Mannes, um die Blutung zu stoppen, aber mit wenig Erfolg. Snape stöhnte leise auf, aber rührte sich nicht. Wenigstens ist er noch am Leben, dachte sie. Wenn sie nur den Zauberspruch kennen würde, den Snape benutzt hatte, als er Malfoy heilte, nachdem Harry in ihrem sechsten Schuljahr Sectumsempra auf den jungen Todesser angewandt hatte. Sie könnte die tiefen Wunden innerhalb von Sekunden heilen. Welch Ironie des Schicksals, dass Snape an dem Fluch, den er selbst erfunden hatte, als er noch Schüler in Hogwarts war, sterben könnte...

Nach einigen Minuten, die sich in die Länge zogen wie Stunden, erschien Madame Pomfrey im Zimmer, Professor McGonagall auf den Fersen. "Was für eine Bescherung", murmelte sie, als sie mit professionellem Blick die blutige Szene in sich aufnahm. Dann wandte sie sich ganz geschäftsmäßig der Direktorin und der jungen Hexe zu. "Hinaus mit Ihnen beiden. Ich übernehme jetzt. Obwohl ich nichts versprechen kann. Hinaus, hinaus."

Schweigend verließen die beiden Hexen die Krankenstation. Hermine stoppte nur kurz bei der Toilette, um den noch immer leicht grünlich aussehenden Ron einzusammeln. Auf dem Weg zu ihrem Büro brach die Schulleiterin schließlich das Schweigen. "Würden Sie mir bitte erklären, was passiert ist, Miss Granger? Mr. Weasleys Bericht von den Ereignissen war etwas unzusammenhängend, fürchte ich." Und Hermine erklärte - erklärte wie Harry davon überzeugt gewesen war, dass der Rabe niemand anderer war als der Verräter Snape, wie sie auf dem Astronomieturm auf ihn gelauert hatten, wie er an diesem Abend endlich aufgetaucht war ...

"Vielen Dank, Miss Granger", sagte McGonagall müde. "Würden Sie so freundlich sein und Mr. Potter ausrichten, er solle sofort in mein Büro kommen? Es gibt da etwas, das ich ihm sagen muss. Und Sie sollten sich umziehen und frisch machen." Sie sah vielsagend an den blutbefleckten Kleidern ihrer ehemaligen Schüler herunter. "Und lassen Sie sich von den Hauselfen eine heiße Schokolade machen. Ich denke, Sie können es brauchen."



TBC

 
  Kapitel 1:   Kapitel 3:

 

Zurück