Alcyone - Teil 3

 

 

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Kapitel 4


Mit zwei vollen Einkaufstüten (Alcyone hatte es wieder einmal nicht geschafft, nur das zu kaufen, was sie auch wirklich brauchte) versuchte sie die Tür zu dem Haus zu öffnen, in dem sich ihre Wohnung befand.

Im Haus drin, stellte sie erst einmal ihre Tüten ab und schaute nach, ob sich etwas in ihrem Briefkasten befand. Außer Rechnungen, ein paar Muggelzeitschriften, die Alcyone vor geraumer Zeit abonniert hatte (um den Schein zu wahren) und Werbeprospekte fand sich nur eine Postkarte aus Frankreich (Nizza) darin, die ihr Tom, der vorige Woche im Urlaub dort gewesen war, geschickt hatte.

Alcyone überflog kurz den Text, welcher aus den üblichen Phrasen bestand und stopfte sie mit der andren Post in eine der Einkaufstüten. 

Bevor sich Alcyone daran machte, die Treppe zu ihrer Wohnung in Angriff zu nehmen kramte sie noch ihren Schlüssel aus der Handtasche und nahm ihn schon in der linken Hand in Position.

Gerade als Alcyone die erste Stufe genommen hatte, ging mit einem Knarren die Tür links neben ihr auf.

"Oh Alcyone, habe ich doch richtig gehört", sagte eine quietschige Stimme.

Alcyone drehte sich zur Seite. 

"Oh Guten Abend Mrs. Sanctimony", grüßte sie die alte Dame. 

Mrs. Sanctimony war Alcyones Nachbarin. In dem Haus, in dem sich ihre Wohnung befand, gab es insgesamt nur zwei. Eine im Erdgeschoß und eine im ersten Stock. Alcyone bewohnte die Obere. Mrs. Sanctimony war vor etwas drei Wochen eingezogen, zwei Monate nachdem die vorherige Bewohnerin, Mrs Greyrind von ihren Kindern ins Altersheim verfrachtet worden war. 

Die Wohnungen waren nicht gerade groß und somit genau geeignet für Alleinstehende oder ältere Ehepaare, deren Kinder schon aus dem Haus waren.

"Alcyone, meine Liebe, ich wollte Sie fragen, ob Sie noch was von den guten Kräutern für meinen Tee haben. Ich hab sie schon alle aufgebraucht und Sie wissen schon, meine Gicht und die Arthritis. Die Kräuter, die Sie mir vor zwei Wochen gegeben hatten, haben so wunderbar geholfen."

Mrs. Sanctimony lächelte Alcyone aus ihrem faltigen Gesicht an und ihre blauen, von Falten umrandeten Augen, blickten sie bittend an.

"Natürlich", sagte Alcyone. "Ich werde Ihnen schnell welche holen. Einen Augenblick bitte."

"Danke, meine Liebe."

Alcyone lief die Stufen hinauf, schloß ihre Wohnungstür auf und stellte die Einkaufstüten auf den Tisch, der inmitten den Zimmers stand. Ihre Wohnung war so konzipiert, daß der erste Raum, den man betrat, das Wohnzimmer mit integrierter Küche war. Alcyone hatte hier allerdings nur ein kleines Sofa stehen. Ihr eigentliches Wohnzimmer war eines der Beiden kleinen Zimmer, von denen das Kleinste ihre "Hexenkammer" war. Darin hatte sie zwei Sofas stehen und einen Fernseher. Diesen Raum hier nützte sie tatsächlich nur als Küche, jedoch standen hier auch einige Schränke, in denen sich auch andere Dinge als Küchenutensilien befanden.

Bevor Alcyone jedoch die Kräuter heraussuchte räumte sie die Sachen für den Kühl- und Gefrierschrank auf. Dann begab sie sich in ihre "Hexenkammer". 

Der Raum war klein und vollgepackt mit lauter ungewöhnlichen Gegenständen. Zwei Kessel in verschiedenen Größen standen ineinander gestellte auf einem Regal voller andersartiger Bücher, die eindeutig magischer Natur waren, hauptsächlich über magische Pflanzen. An den Wänden hingen einige Bilder, die sich bewegten und Alcyone tatsächlich grüßten. Unter dem einzigen Fenster (das ebenfalls mit einem Schutzzauber versehen war) stand an ein kleiner Schreibtisch, auf dem neben einer kleinen Lampe, einer Feder und einem Glas magischer Tinte ein magischer Foto von Severus und ihr aus der Schulzeit stand. Ansonsten stand da nur noch ein großer Schrank in dem Alcyone verschiedene magische Gegenstände aufbewahrte und ein Regal mit Kräutern. Auf magische Pflanzen verzichtete sie ganz. Das war ihr doch zu riskant.

Außerdem verstaute sie noch ihren Zauberstab in einer Schublade am Schreibtisch

Alcyone lief zu dem Regal und suchte nach den Kräutern, die sie Mrs. Sanctimony immer gab. Es waren harmlos aussehende Kräuter, bei denen niemand auf die Idee kommen könnte, sie hätten magische Kräfte und Alcyone war froh, wenn sie dadurch Mrs. Sanctimonys Beschwerden etwas lindern konnte. 

Sie schüttete einiges von den Kräutern in eine kleine Tüte, verließ das Zimmer und schloß es wieder ab. Das tat sie, obwohl es einen Muggelabwehrzauber hatte, als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme.

Alcyone schnappte sich ihre Schlüssel, verließ ihre Wohnung, ließ die Tür ins Schloß fallen und machte sich auf den Weg nach unten.

Mrs. Sanctimony stand immer noch in ihrer Tür und wartete. 

Alcyone lief auf sie zu und streckte ihr die Tüte entgegen. "Hier bitte."

"Oh danke meine Liebe", erwiderte die alte Dame und nahm Alcyone die Tüte ab.

"Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend, Mrs. Sanctimony", sagte Alcyone und wollte schon wieder die Treppe hinaufsteigen.

"Kommen Sie doch noch mit rein auf einen Tee", hielt sie die alte Dame auf.

Wenn Alcyone ehrlich war, hatte sie darauf überhaupt keine Lust. Sie wäre lieber in ihre Wohnung gegangen, hätte sich etwas Gutes gekocht und dann vor dem Fernseher einen gemütlichen Abend gemacht. Doch sie war viel zu höflich um ihrer Nachbarin diese Bitte anzuschlagen, außerdem hatte sie Mrs. Sanctimony bisher auch noch nie besucht, außer als sie ihr zwischen Tür und Angel die Kräuter gegeben hatte, was bisher genau Einmal vorgekommen war.

"Sehr gerne", sagte sie und folgte der alten Dame in ihre Wohnung.

Mrs. Sanctimonys Wohnung war architektonisch gesehen genau die gleiche wie Alcyones, trotzdem aber das genaue Gegenteil. Alcyones Wohnung war schlicht und gemütlich eingerichtet. Sie hatte überall (mit Ausnahme des Badezimmers) helle, einfarbige Tapeten, allesamt ohne Muster, der Boden war in allen Zimmer (wieder mit Ausnahme des Badezimmers) mit Parkettholz verlegt und auch was die Möbel betraf, waren sie schlicht in der Ausfertigung, aber sehr gemütlich. Nirgends stand irgendwelcher Kitsch in Form von Figuren oder ähnlichem herum.

Diese Wohnung hingegen, war vollgestopft mit Kitsch von oben bis unten. Mrs. Sanctimony hatte überall Schränkchen stehen, auf denen Spitzendecken lagen und die mit allen möglichen Arten von Porzellanfiguren verziert waren. An den Wänden, die aus einer Art Blümchentapete bestanden (die auch schon Mrs Greyrind hatte), hingen etliche Gemälde, die von Landschaften bis zu Portraits reichten. Im Raum lag der Duft von Rosen, was daran lag, daß ein riesengroßer Strauß roter Rosen auf dem Tisch in der Mitte des Raumes stand. 

Alcyone starrte diesen Strauß an und fragte sich, wer ihr diesen wohl geschenkt haben mochte.

"Von meinem Sohn zum Valentinstag", beantwortete Mrs. Sanctimony Alcyones ungestellte Frage. 

"Verstehe", sagte Alcyone, die diesen Sohn noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Soweit sie sich erinnerte, bekam Mrs. Sanctimony nur selten Besuch. Gut, sie wohnte ja auch noch nicht lange hier.

"Setzten Sie sich doch meine Liebe", forderte sie Mrs Sanctimony auf. 

Alcyone nahm auf einer der vier Stühle an dem mächtigen Eichentisch Platz.

Mrs. Sanctimony ging an ihren altmodisch aussehenden Herd (Gas natürlich) und setzte heißes Wasser auf. 

"Möchten Sie einen bestimmten Tee?", fragte sie freundlich.

" Ich nehme was da ist", sagte Alcyone. 

Sie musterte den Raum weiter. An den Fenstern hingen weiße, gehäkelte Vorhänge und auf den Simsen standen mehrere Kakteen. Ihr Blick glitt weiter zu einem rustikalen Sidebord auf dem mehrere Fotos standen. Die meisten davon zeigten einen jungen Mann, groß blond und immer lächelnd. Das war vermutlich ihr Sohn. Nur auf einem einzigen Bild war ein älterer Herr mit weißem Bart zu sehen, wahrscheinlich ihr verstorbener Ehemann. 

Alcyone wandte sich schnell wieder von den Fotos ab, denn sie befürchtete, wenn sie mit ihrem Blick daran länger hängen blieb, würde Mrs Sanctimony auf die Idee kommen, ihr dazu etwas zu erzählen und das wiederum würde einen langen Abend voller uninteressanter Geschichten werden. Das wollte sich Alcyone ersparen. Also blickte sie aus dem Fenster.

"So meine Liebe, bitte schön". Mrs. Sanctimony stellte Alcyone eine Tasse heißen Tees hin, der noch dampfte. Die Tasse war aus weißem Porzellan und - wie konnte es anders sein - mit Blumen bemalt. 

Alcyone richtete ihren Blick auf die alte Dame. "Danke", sagte sie mit einem Lächeln. 

Der Tee roch stark nach Kamille.

Mrs Sanctimony lächelte mütterlich zurück und setzte sich auf den Stuhl gegenüber von Alcyone. Sie rührte etwas in ihrem Tee und trank gleich darauf einen Schluck daraus.

Alcyone hingegen wartete noch. Sie war nicht in der Lage brühend heißen Tee zu trinken, genauso wie Kaffee. Beides mußte erst eine angenehme Temperatur haben.

"Alcyone mein Kind", sagte Mrs. Sanctimony als sie die Tasse wieder abgestellt hatte. "Ich mache mir Sorgen um Sie!"

Alcyone schluckte. Hatte sie Mrs. Sanctimony gerade Kind genannt? Sie war doch bei weitem kein Kind mehr. Immerhin war sie schon über dreißig. Aber in den Augen älterer Damen waren wohl alle unter fünfzig noch Kinder. 

Und vor allem, warum machte sie sich Sorgen um sie? War das jetzt eine neue Mode, daß alle sich um sie sorgten?

"Das müssen Sie nicht"; sagte Alcyone abwehrend.

Mrs. Sanctimony schaute Alcyone mitleidig an. "Meine Liebe, das tue ich aber. Seit ich hier eingezogen bin, habe ich kein einziges Mal mitbekommen, daß Sie Besuch haben oder Abends ausgegangen sind. Sie scheinen jeden Abend alleine zu Hause zu verbringen. Kindchen, Sie sind noch jung. Sie sollten Spaß am Leben haben. Gehen Sie aus. Genießen Sie das Leben, solange sie noch jung sind."

Alcyone nahm schnell einen Schluck Tee und verbrannte sich dabei fast die Zunge. Dabei stellte sie schmerzhaft fest, das es sich tatsächlich um Kamillentee handelte. 

"Es ist alles in Ordnung, so wie es momentan ist, Mrs. Sanctimony", erklärte Alcyone und nahm noch einen kräftigen Schluck von dem Tee. Es war ihr jetzt völlig egal, wie heiß er noch war und daß sie sich alles verbrannte. Sie wollte nur noch eines. Raus aus dieser Wohnung. 

"Aber meine Liebe", wollte die alte Dame protestieren, doch Alcyone hob abwehrend eine Hand in die Höhe. "Wie ich schon sagte, es ist alles in bester Ordnung."

Schnell nahm sie den letzten Schluck, knallte fast die Tasse auf den Untersetzter und erhob sich von ihrem Stuhl.

"Ich sollte jetzt in meine Wohnung gehen. Vielen Dank für den Tee."

"Keine Ursache meine Liebe. Sie sind jederzeit bei mir willkommen."

Alcyone lächelte ihr zu und lief rasch zur Tür. "Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend!"

"Den wünsche ich Ihnen auch", erwiderte Mrs. Sanctimony und machte dabei ein Gesicht, welches deutlich ihren Standpunkt zeigte.

Alcyone trat hinaus in den Gang. Kaum hatte sie die Türe geschlossen, rannte rasch sie nach oben, schloß ihre Wohnungstür auf, knallte sie hinter sich wieder zu, ließ sich auf einen der Stühle fallen und stützte ihren Kopf in die Hände.

Alle Welt schien sich Sorgen um sie zu machen und dabei kannte keiner ihr wirkliches Problem.



Nachdem sie mehrere Minuten so dagesessen hatte, rang sich Alcyone dazu, ihre eingekauften Sachen vollständig aufzuräumen. 

Lustlos fing sie danach an etwas zu kochen und rührte die ganze Zeit gedankenversunken im Topf herum. Severus. Er hatte sich wieder in ihre Gedanken eingeschlichen, gleich nachdem sie sich auf dem Stuhl niedergelassen hatte. Es war noch schlimmer geworden. Alcyone war nicht mehr in der Lage richtig zu denken. Sie mußte sich konzentrieren, daß sie überhaupt etwas zustande brachte. Kaum hatte sie auch nur eine Sekunde lang etwas anderes getan, kehrten ihre Gedanken sofort zu Severus zurück und sie fühlte sich noch mieser. Langsam glaubte Alcyone verrückt zu werden. Konnte man einen Menschen so sehr vermissen? Offensichtlich ja. Liebe tat doch furchtbar weh, auch wenn sie das früher nie geglaubt hatte.

Der Topf kochte langsam über, und Alcyone bemerkte es gerade noch rechtzeitig, bevor der Inhalt überschwappte und ein Desaster auf den Herdplatten anrichten konnte.

Sie goß den Topf ab, klatschte den Inhalt auf einen Teller und setzte sich an den Tisch. Dann versuchte sie zu Essen. 

Mehrere Minuten stocherte sie lustlos in ihrem Essen, ehe sie es überhaupt schaffte, die Gabel zu ihrem Mund zu führen. Was sie da überhaupt gekocht hatte, wußte sie nicht einmal. Sie hatte einfach das, was ihr in die Hände gefallen war, in das kochende Wasser geworfen. 

Daß es eigentlich total ekelig und ungenießbar aussah, nahm Alcyone gar nicht richtig wahr. Sie sah vor ihren Augen mehr Severus Gesicht, als alles andere. Der Brief, so sehr sie sich auch darüber gefreut hatte, hatte es nun geschafft, seine negativen Auswirkungen voll auf Alcyone zu übertragen. 

Das Essen schmeckte scheußlich. Alcyone kaute dennoch alles brav und schluckte es hinunter. Eigentlich hatte sie gar keinen Hunger und es war ihr völlig egal, was und wieviel sie aß. Genaugenommen merkte sie es eigentlich gar nicht. Selbst als sie den Teller schon leer gegessen hatte, führte sie immer noch die Gabel zum Mund.

Schließlich bemerkte sie, daß sie schon den halben Teller abgekratzt hatte und brachte das Geschirr zum Spülbecken. Sie ließ den Teller einfach hinein fallen, schaltete das Wasser an, lies es einige Sekunden laufen und drehte es wieder ab. Genau so monoton stopfte sie das Geschirr in die Spülmaschine.

Der Abend war auf jeden Fall gelaufen. Alcyone lag zwar auf dem Sofa, hatte den Fernsehe angeschaltet und sah in seine Richtung, aber sie schaute nicht zu. Immer noch sah sie nur Severus Gesicht vor ihren Augen und immer den gleichen Gesichtsausdruck. Diese Augen voller Schmerz, kurz bevor sie in den Zug eingestiegen war. Warum konnte sie sich nicht ein fröhliches Gesicht von ihm vor ihre Augen zaubern? Wie zum Beispiel das, nachdem sie sich versöhnt hatten?

Um zehn Uhr wurde Alcyone plötzlich hundemüde. Das lag natürlich an dem fehlenden Schlaf der letzten Nacht und weil Alcyone sowieso nichts besseres zu tun hatte, beschloß sie, schlafen zu gehen.

Wie jeden Abend, schaute sie sich, bevor sie das Licht ausschaltete, das Foto von Severus an. Sie lächelte ihm traurig zu und selbst sein freundliches Lächeln konnte sie nicht aufmuntern. "Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich vermisse?", fragte sie das Bild, das als Antwort nur weiter freundlich lächelte. 

"Ach Severus", schluchzte sie und stellte das Foto wieder auf seine Ehrenplatz. Einen Augenblick lang konnte sie dem Verlangen Severus' Brief, welcher ebenfalls auf ihrem Nachttisch lag, zu lesen, nicht widerstehen, ließ es aber dann doch, weil sie glaubte, daß es danach nur noch schlimmer werden würde.

"Gute Nacht Severus", flüsterte sie dem Bild zu, knipste das Licht aus und versuchte zu schlafen.



Mitten in der Nacht wachte Alcyone auf. 

Diesmal war der Grund allerdings nicht ein Alptraum gewesen, sondern ihr war einfach nur furchtbar schlecht.

So schnell sie konnte rannte sie auf die Toilette und übergab sich erst mal kräftig. Das zusammengewürfelte Essen vom Abend schien sich nun zu rächen und Alcyone erwischte es ganz schlimm. Sie verbrachte die nächsten zwei Stunden damit, sich alles aus dem Leib zu spucken, ehe sie sich schließlich um halb fünf völlig fertig in ihr Bett fallen ließ.


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