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Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, und in den Sälen und Gängen herrschte bereits Hochbetrieb, als Raven aus dem Schlaf hochschreckte. Wie spät mochte es wohl sein? Raven war am Tag zuvor erst zu später Stunde in Hogwarts eingetroffen. Ihr Onkel als Schulleiter hatte in seinem Brief an sie den Wunsch geäußert, daß sie doch der Auswahlzeremonie beiwohnen sollte, durch die alle Erstklässler auf die vier Häuser verteilt wurden. Raven erinnerte sich noch sehr deutlich an ihre eigene Zeit in Hogwarts, und wie aufregend es gewesen war, sich den Sprechenden Hut aufzusetzen. Sie war damals nach Ravenclaw gekommen und hatte die sieben Jahre ihrer Schulzeit dort sehr genossen. Unglücklicherweise war sie während ihrer Reise in einen großen Sturm geraten, der sie dazu gezwungen hatte, mehrmals eine Rast einzulegen. Es war ermüdend gewesen, den ganzen Flug über gegen die Elemente zu kämpfen. Gewiß, sie hätte nach Hogwarts apparieren können, doch Raven liebte das Fliegen bei weitem mehr. Sie liebte das Gefühl, von der Luft getragen zu werden, dem Gesang des Windes zu lauschen und nachts über sich das Licht des Sternenhimmels zu beobachten. Die Natur war ein vertrauter Freund für sie, der sie niemals alleine ließ...im Gegensatz zu den Menschen, dachte sie mit einem Gefühl der Verachtung. Sie riß sich von ihren Gedanken los, kletterte aus dem Bett und ging zur Dusche hinüber. Wie immer mied sie dabei den Blick in den Spiegel, denn sie wußte, daß das, was sie darin sehen mochte, ihre Bitterkeit verstärken würde. Ihr verkrüppeltes Bein, die Narbe auf dem Gesicht.... Nach dem Duschen fühlte sie sich bedeutend besser. Das Schwindelgefühl, welches noch von dem schweren Rotwein, den sie sich nach ihrer Ankunft mit Albus geteilt hatte, herrühren mochte, war verschwunden. Sie zog ihr typisches dunkelbraunes Kleid an, das ihr bis zum Boden reichte und eine gewisse schlichte Würde ausstrahlte, flocht ihre langen Haare zu einem Zopf und machte sich dann auf den Weg zu Dumbledores Büro. Dadurch, daß sie so spät in Hogwarts eingetroffen war, hatte sie noch keinen der Lehrer und die wenigsten der Schüler getroffen. Doch nun schienen die Gänge von Jungen und Mädchen geradezu zu wimmeln. Wehmütig dachte Raven an eine längst vergangene Zeit. An versunkene Tage.....Was ER wohl inzwischen machte? Doch sie verdrängte den Gedanken hastig... Als sie um die nächste Ecke bog, wäre sie beinah in die ihr entgegenkommende Person hineingelaufen. Sie hob den Blick - und erstarrte. Sicherlich war das nur ein Irrtum, ein Witz der Geschichte! Sie blinzelte und war sich sann sicher: Die große, dunkle Person vor ihr, dieser hagere Mann mit den tiefschwarzen Augen und der fahlen Haut, war niemand anderes als Severus. Severus Snape. Sie rang nach Fassung, darum bemüht, ihm ihren Zustand nicht allzu sehr zu offenbaren. Dann spürte sie die alte, vertraute Wut in sich hochsteigen. Sie warf den Kopf nach hinten. "So, so.." zischte sie, " Snape...Sie sind immer noch am Leben? Wie bedauerlich!"

"Ach, so enttäuscht? Tut mir leid, dass ich ihnen den Gefallen irgendwie ums Leben zu kommen noch nicht getan habe!" Die Kälte in seiner Stimme ließ die Luft gefrieren und mit einem spöttischen Lächeln fügte er hinzu: "Ihren Geschmack, was ihre Kleidung angeht, hat sich auch nicht gebessert. Ups, da fällt mir ein, sie sahen ja schon immer so aus. Ein Mauerblümchen ohne Gleichen." Und mit gekräuselter Oberlippe ging er an Raven vorbei und rempelte sie wie zufällig dabei mit der Schulter an.

Was Raven wohl hier in Hogwarts suchte? Ihm wurde übel beim Gedanken, sich nun tagtäglich mit ihr herumzuschlagen. Seit ihrer gemeinsamen Schulzeit verband sie eine Art Hassliebe. Plötzlich wurde Snape von jemandem angesprochen, er drehte sich um und erkannte eine Schülerin aus Slytherin. Es war eine Erstklässlerin. Scheu fragte sie ihn nach einigen Zaubertrankutensilien. Froh um die Ablenkung von Raven, gab er ihr bereitwillig Auskunft. Als sich die Schülerin dann danken entfernte, drehte er sich um. Er dachte, dass ihm das Herz in der Brust stehen bleiben würde. Er schluckte schwer. Mitten in der Halle stand Aurélia Mytam, eine Todesserin. Severus' Herz schlug ihm bis zum Hals. Was wollte ein Todesser hier in Hogwarts? Zu seinem Entsetzen kam sie direkt auf ihn zu. "Ruhig bleiben, nur nichts anmerken lassen." dachte er nervös und mit einem bösen Lächeln auf den Lippen erwartete er sie.


Mit einem Gefühl der Verwirrung veließ Raven das Büro ihres Onkels. Albus hatte sie herzlich zu einem kleinen magischen Brunch eingeladen, nachdem sie etwas kleinlaut eingestanden hatte, bis weit in den Mittag geschlafen zu haben. Er hatte nur vergnügt gelächelt und dann einige Köstlichkeiten auf seinen großen Tisch gezaubert. Anschließend hatten sie über alle möglichen Dinge geredet. Ravens Gedanken hatten immer wieder um Snape gekreist. Er! Was um alles in der Welt tat er in Hogwarts? Albus hatte nie auch nur mit einem Wort erwähnt, daß Snape sich hier aufhielt. Ihn wiederzusehen war...Raven spürte, wie die Gedanken in ihrem Kopf wirbelten. Was hatte er die ganzen Jahre über getan? Im Grunde konnte ihr das völlig gleichgültig sein, sie hatte so viele andere Probleme! Albus hatte mit einem Blick in ihr blasses Gesicht gemahnt, sie solle ihren Aufenthalt in Hogwarts erst einmal genießen - als eine Art Urlaub....Aber Raven kannte ihren Onkel von früher noch gut genug, um ihm das zu glauben. Sie sprach jedoch nicht über ihre Ahnungen und ließ auch kein Wort über Snape fallen. Raven sehnte sich nach einem ruhigen Platz, an dem sie ihre Gedanken sortieren konnte. Die Bibliothek war sicherlich ein geeigneter Ort dafür, und so machte sie sich auf den Weg dahin. Ob immer noch diese griesgrämiger alte Bibliothekarin von früher da war? Sie trat durch die großen Türen und fühlte sich augenblicklich in frühere Zeiten versetzt. Die alten Regale, die hohen Mauern...und der Geruch von altem Papier, von zigtausenden Büchern, die von unschätzbarem Wissen zeugten. Raven hatte diesen Geruch immer geliebt. Langsam schlenderte sie an den langen Reigen von Büchern und Dokumenten entlang. In einer der vielen verwinkelten Ecken bemerkte sie plötzlich eine Gestalt, die versunken in einem dicken Buch herumblätterte und scheinbar nach irgendetwas suchte. Es war ein großes, schlaksiges Mädchen mit schulterlangem Haar und Brille. Sie machte auf Raven auf den ersten Blick einen sehr intelligenten Eindruck. Aus welchem Haus sie wohl stammte? Unauffällig wollte sie sich wieder zurückziehen, um die andere nicht zu stören, doch hatte diese bereits den Kopf gehoben und blickte ihr direkt in die Augen. Es war Jate Lennox.

Jate war grade dabei gewesen im Jahrbuch vom letzten Jahr nach Clarissa Snape zu suchen. Als sie sie gefunden hatte hörte sie plötzlich Schritte, die näher kamen. Jate hob den Kopf und blickte in das entstellte Gesicht, das sie vorhin auf den Fluren mit Snape gesehen hatte. Was hatte man dieser armen Frau nur angetan? Jate entschied sich, die Gelegenheit zu nutzen, legte das Buch beiseite und lächelte die Frau freundlich an. "Hallo, kann ich ihnen helfen" sagte sie höflich. 'Wenn sie Snape kennt, dann kennt sie vielleicht auch das Geheimnis um Clarissa Snape' dachte sich Jate, als sie aufstand und auf die Frau zuschritt...

Raven blieb stehen, als das fremde Mädchen auf sie zuging. Sie spürte plötzlich den albernen Anflug, sich umzudrehen und fortzurennen. die Jahre, die hinter ihr lagen schienen sich plötzlich umzudrehen und in rasendem Tempo zurückzufliegen. Es war wie ein Zeitwirbel, der sie mitriß, immer weiter zurück bis in ihre eigene Jugend. Sie fühlte sich mit einem Mal wieder wie die unbeholfene Schülerin aus Ravenclaw, die sie einmal gewesen war. Zu linkisch, um jemals wirkliche Freundschaften schließen zu können. Ja, es war einfacher gewesen, sich Feinde zu machen.... Eine Eigenschaft, die sie sich mehr als einmal die Frage hatte stellen lassen, warum sie nicht eine Slytherin gewesen war....Dieses Mädchen, das nun vor ihr stand, hätte beinah wie eine Ravenclaw wirken können. Beinahe...wenn da nicht dieser Ausdruck in ihren Augen gelegen hätte. Was war es? Nicht nur der Drang nach Wissen, auch eine Art unbändiger Stolz, eine merkwürdiges Brennen! Oh, wie gut sie das von sich selbst kannte... Endlich schaffte sie es, einige Worte herauszubringen. "Ich wollte nicht stören.. Ich....Mein Name ist Raven!"


Noch bevor das fremde Mädchen antworten konnte, spürte Raven das vertraute Prickeln in ihrem Rücken. Es war ihr untrüglicher Instinkt, daß sie nicht alleine in diesem Raum waren. Ihr Scharfsinn hatte sie schon in früheren Situationen gerettet...vor ihren schlimmsten Feinden. Bis auf jenes eine Mal, dieses einzige Mal, als sie versagt hatte....Doch sie verdrängte diesen Gedanken rasch wieder. Stattdessen drehte sie sich langsam um und schritt an das hintere Ende des Regals, sich ganz auf ihre Intuition verlassend.

Die geheimnisvolle Stille war durchbrochen und Sombra merkte, dass sich ihnen jemand näherte. Mit einem Blick zu Rhanna stellte sie fest, dass sie es auch spürte. Und ihnen wurde klar was sie hier eigentlich machten. Plötzlich grinsten sie sich verlegen an und wollten sich umdrehen und wegschleichen. Es war aber schon zu spät.

Raven hatte die beiden Mädchen entdeckt, die nun - so schien es ihr- ein wenig kleinlaut vor ihr standen und einen schnellen Blick wechselten. Raven spürte, daß sie Mühe hatte, ein Grinsen zu unterdrücken. Hatte sie früher nicht auch die Angewohnheit gehabt, durch die Schule zu schleichen, immer auf der Suche nach einem Abenteuer? Sie seufzte leise, als sie sich daran erinnerte, wie oft sie dabei auf unangenehme Gesellschaft gestoßen war...Snape....Ihr fiel etwas ein! Sie lächelte den beiden verschreckten Mädchen zu, obwohl sie wußte, wie seltsam sie mit ihrer Narbe aussehen mußte, die sich über ihre linke Wange zog.. "Na, ihr zwei? Habt keine Angst, ich beiße nicht! Mein Name ist Raven. Ihr kennt mich sicher noch nicht." Gedankenverloren strich sie sich über ihre vernarbte Haut.

Rhanna versuchte zu grinsen als sie in Ravens Gesicht sah, doch das misslang leider. Also fragte sie mit einer undeutbaren Miene: "Wieso sollten wir uns denn fürchten? Haben wir etwas illegales getan? Neugierde ist doch kein Verbrechen, und ich habe schon Typen gesehen, die schlimmer zugerichtet waren. Sind sie Aurorin?"

Als sie "Aurorin" sagt, ließ sie noch einen spöttischen Unterton mitlaufen. "Außerdem....", doch plötzlich stockte sie, ihr waren ein Buch ins Auge gefallen: "Der Vielsafttrank"! Rhannas Atem ging schneller und sie schnappte es aus dem Regal. Nun näherte sich auch Jate. Hoffentlich würde sie in dem Buch über den Vielsafttrank nicht wieder einmal ein Geheimnis sehen! Sombra guckte auch etwas verdutzt, Rhanna würde ihr dann am Abend erkläre für was sie das Buch brauchte.

Raven beobachtete sie Mädchen scharf. Ganz offensichtlich führten sie etwas im Schilde, doch war dies am allerwenigsten ihr Problem. Die Mädchen waren alt genug, um mit den Schwierigkeiten, in die sich brachten, selbst fertig zu werden. Oder? "Nein", entgegnete sie schlicht, "nein, ich bin keine Aurorin in dem Sinne. Aber ich will trotzdem etwas herausfinden. Vielleicht könntet ihr mir eine Frage beantworten..." Sie zögerte einen Moment und fragte sich, ob ihre Neugier sie möglicherweise verraten mochte. Doch dann überwand sie sich. "Ich würde gerne wissen, ob ihr Snape kennt, Severus Snape. Was tut er hier in Hogwarts?"

Rhanna blickte Raven kurz ziemlich verdutzt an und sagte dann: "aber er ist doch Lehrer für Zaubertränke! Wussten sie das denn noch nicht? Nun, Sombra und ich haben noch etwas zu erledigen!"

Auch Sombra schaute die Frau entgeistert an. "Wissen sie wir kennen ihn nicht, er ist nur grad das 5. Jahr mein Zaubertranklehrer und Rhannas das 4. Und zufälligerweise ist er auch schon das 4. Jahr ihr Hauslehrer. Meiner Das erste. Nein wir kennen ihn nicht.", meinte sie spöttisch. 'Wie kann man nur so ne dämlichen Fragen stellen. Jeder auf Hogwarts kennt und fürchtet Snape.' Mit einem Blick zu Rhanna merkte sie, dass sie das selbe dachte. "Wieso interessiert sie das eigentlich?", meinte Rhanna spöttisch, aber in ihrer Stimme war nicht nur Spott sondern auch Neugierde.

Raven erstarrte. Lehrer in Hogwarts? Snape? Professor Snape? Sie fühlte in sich den urplötzlichen Impuls, laut loszulachen. Das- das war doch ein Witz, einfach lächerlich! Sie spürte die Abneigung, die in dem Blick der beiden Schülerinnen lag, und entschied, auf Distanz zu gehen. Ihr Gesicht nahm einen verschlossenen Ausdruck an. Und dennoch - dennoch, sie spürte den alten Hass erneut in sich aufkommen. "Dieser Bastard.." murmelte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen,"...dieser verdammte Bastard.." In ihren Augen loderte das Feuer und sie blickte die beiden anderen einen Moment stumm an. Dann wirbelte sie herum und hinkte aus der Bibliothek.


Raven lief durch die Gänge von Hogwarts, ohne etwas von ihrer Umgebung mitzubekommen. Das Lachen und Schwatzen der Schüler rauschte an ihr vorbei wie ein Meer von Geflüster. Sie war sich bewußt, daß viele sie anstarrten, ihr Gesicht musterten - sie kannte das bereits seit vielen Jahren. Und so sehr sie das sonst verletzte, dieses Mal war es ihr gleichgültig. Severus Snape unterrichtete an dieser Schule, und dies seit wer weiß wie langer Zeit. Ihr wurde übel bei diesem Gedanken.Wie hatte er es nur geschafft, diesen Posten zu ergattern? Zumindest befriedigte sie der Gedanke, daß er scheinbar nicht sonderlich beliebt war. Sie erinnerte sich an die Worte des einen Mädchens in der Bibliothek: „Jeder in Hogwarts kennt und fürchtet ihn." Ha! Wie gut sie das verstehen konnte.....Andererseits - hätte sie selbst sich mehr Freunde gemacht, wäre sie an seiner Stelle gewesen? Sie wußte, die meisten Menschen kamen mit ihrer eher schroffen Art kaum zurecht. Und auch die beiden Mädchen, mit denen sie gesprochen hatte, hatten ihr gegenüber eine gewisse Feindseligkeit gezeigt, in einer Art, die den Slytherins sehr ähnlich sehen würde. Raven war sich sicher, daß es sich um zwei Schülerinnen aus diesem Haus gehandelt haben mußte. Sie verspürte die Gewissheit, daß sie als Lehrerin Schwierigkeiten hätte, Schüler diesen Schlages für sich zu gewinnen. Ihr drehte sich beinah der Magen um, als sie sich erinnerte, um was Dumbledore sie während ihres gemeinsamen Frühstücks gebeten hatte. "Raven", waren seine Worte gewesen," An dieser Schule wird allerhand über Zauberei und Verteidigung gegen die dunklen Künste gelehrt. Und das ist gut so. Aber wir beide wissen, daß zum Leben mehr gehört als das einfache Zauberhandwerk. Ich will, daß die Schüler sich entfalten können, und dazu gehören auch die Künste der Malerei, Musik, Literatur..."

"Albus", hatte Raven, die bereits ahnte, worauf ihr Onkel anspielte, protestiert, "Ich bin unmusikalisch wie ein Stock, und das Gedichteschreiben habe ich schon längst aufgegeben..."

"Aber du kannst mit Farben umgehen wie kein zweiter, Raven" hatte Dumbledore ruhig erwidert und sie auf seine so typische Weise über den Rand seiner Brillengläser hinweg angeblickt. "Überleg dir, was du aus diesem einmaligen Talent machen willst..." Raven hatte nur geseufzt. Einer Bande von Schülern das Malen beibringen? Ohne mich, wen würde das schon interessieren. Wenn allerdings nur eine einzige Person in Hogwarts dazu bereit wäre... Bei dem Gedanken an ihre Unterhaltung schüttelte Raven den Kopf. Unterrichten... Den Rest des nachmittags verbrachte sie in ihrem Schlafraum, bis sie gegen Abend das Verlangen spürte, das Schulgelände zu erkunden. Sie dachte an den alten See mit den verwunschenen Bäumen, die an seinem Ufer standen, und durch deren Wipfel nun der Wind streichen mußte... Kurzentschlossen erhob sie sich, warf sich einen Umhang über und verließ das warme Zimmer. Sie lief durch die dunklen Flure, so schnell es ihr Bein zuließ, und trat durch das große Haupttor nach draußen. Kühle Abendluft umfing sie und in einem Busch in der Nähe sang eine Amsel ihr melancholisches Lied. In dem Glauben, unbeobachtet zu sein, schlenderte Raven langsam zum See hinunter


Raven fühlte sich erschöpft, als sie das Seeufer erreicht hatte. Das Bein hatte wieder angefangen zu schmerzen. Fluchend ließ sie sich auf einem der großen Steine nieder und seufzte erleichtert, als das Brennen ein wenig nachließ. Sie ließ ihren Blick zum Schloss mit seinen erleuchteten Fenstern schweifen. Wieviele Erinnerungen sie damit verband.... Doch da war niemand, mit dem sie diese teilen konnte, niemand, dem sie erzählen konnte, was sie erlebt hatte. Sie stutzte plötzlich. Das war es wohl, was einige Menschen als Einsamkeit bezeichneten. Bisher hatte sie es niemals in dieser Weise empfunden. Aber nun, da sie an den Ort ihrer Kindheit zurückgekommen war, erkannte sie, welche Chancen sie in ihrem Leben verpasst hatte. Sie hatte niemals eine vertraute Freundin gehabt. Sicher, da war ihre Schwester gewesen....oh Lillian, Lillian! Warum hast du mich damals zurückgelassen? Wie gerne hätte ich dein Los auf mich genommen, dann hätte ich nicht weiter auf dieser kalten Erde leben müssen! Sie erinnerte sich an einige Schulkameraden von früher: Remus Lupin, Sirius.....Waren sie so etwas wie Freunde gewesen? Auf jeden Fall hatte sie tiefen Respekt vor ihnen gehabt - jedenfalls bis zu jenem Tag, als James und Lily Potter von Black verraten worden waren... Sie hatten sie zum Lachen gebracht, oh ja... Und nun galt Sirius als Verräter und Lupin hatte eine Versuch unternommen, in Hogwarts zu unterrichten, der zum Scheitern verurteilt gewesen war. Dumbledore hatte ihr erzählt, daß er in Hogwarts war. Raven hoffte, sich bald mit ihm unterhalten zu können. Sie brauchte jemanden, auch wenn sie das nach außen hin nie zugeben würde! Ihr Bein fing erneut und diesmal viel heftiger an zu schmerzen. Kalte Schweißperlen traten auf ihre Stirn und ein heftiges Schwindelgefühl erfasste sie. Das Brennen zog durch ihren ganzen Körper und schien sie zu betäuben. Sie bemerkte nicht, daß es angefangen hatte, zu regnen. Sie glitt lautlos vom Stein herunter und landete auf dem kühlen Boden. Vor ihren Augen wurde es schwarz. "Oh nein!" dachte sie verbissen, "Nicht jetzt, Raven! Um Gotteswillen, nicht jetzt! Ich darf nicht schwach sein..." Dann umgab sie Dunkelheit.


Die Dunkelheit schien Raven bereits eine Ewigkeit umgeben zu haben. Sie spürte, wie der Schmerz in ihren Körper zurückkehrte. Weiße Lichter zuckten wie Blitze über sie hinweg,und das Rauschen der Bäume schien in ihren Ohren zu dröhnen... "Raven..." Es war eine Stimme wie aus den Tiefen der Jahrhunderte - raunend und flüsternd wie ein bösartiger Orkan, der sie in seinem Wirbel mitriß. Die Lichter um sie herum veränderten sich und nahmen eine scheußliches, fahles Grün an. "Nein!" schrie Raven,"Nein! Du wirst mich nicht bekommen...niemals! Und auch nicht das, was mir anvertraut worden ist...." Ein Gesicht, eine Fratze von abgrundtiefem Zorn formte sich schemenhaft vor ihren Augen....er.....dieses Gelächter! Er schien sie zu verhöhnen! "Willst du das gleiche Schicksal erfahren wie all die anderen, Raven?" Die Fratze gewann einen höhnischen Ausdruck. Raven spürte, wie ihr Körper sich in Krämpfen wand. Das Gesicht, es war wieder das Gesicht.....Und plötzlich änderte sich das Bild vor ihr, die Fratze verblasste, und Raven sah einen grünlichen Blitz und vernahm das grauenvolle Schreien zweier Menschen...es waren....oh Gott! Es waren die Potters...James und Lily Potter kurz vor ihrem Tod.....das Schreien...und dann eine dunkle Gestalt...es war ein Tier, ein riesenhafter Wolf oder Hund...was hatte das zu bedeuten? Raven stöhnte und versuchte, diese Bilder abzuschütteln, die sieüberfluteten und ihr den Atem raubten. Ja, es war ein Hund...jetzt lag er in einer dunklen Kammer, einer Art Zelle..und Raven verspürte eine Eiseskälte, die sie seit langer Zeit nicht mehr erlebt hatte...Askaban...nein....Sirius...Die Bilder wechselten in einer immer schnelleren Geschwindigkeit....das Amulett....Albus...Severus.... Und schließlich wurde alles um sie herum still.


Der Regen hatte aufgehört, und der Wind war verstummt. Alles um Raven herum fühlte sich warm und trocken an, nicht mehr wie nasse, kalte Erde. Sie blinzelte benommen. Verschiedene Erinnerungen kamen in ihr hoch. war sie nicht eben noch am Ufer des Sees gewesen? Und hatte nicht eine Stimme zu ihr gesprochen, jene Stimme, die sie aus ihren Alpträumen kannte? Doch es war noch eine zweite Person dagewesen, eine reale Person...Eine dunkle Gestalt, die sie hochgehoben und ins Schloß getragen haben mußte....Dann kam blitzartig ein Gedanke! Sie griff sich mit der Hand an ihren Hals und tastete ihre Haut ab. War es noch an seinem Ort? Ihr Herz tat einen Sprung. Es war fort! Verschwunden.... In Raven kroch Panik hoch, die ihren verschwommen Blick allmählich klärte. Nein, es durfte nicht verlorengehen... Der Raum um sie herum nahm schärfere Konturen an. Ganz offensichtlich lag sie in einem der Betten auf der Krankenstation. Sie schaute sich um, die anderen Betten lagen verlassen da. Raven war froh, die einzige zu sein ,die sich hier aufhielt. In ihrem Kopf hämmerte es, und ihr war immer noch schwindlig. Dann ließ sie ihren Blick Richtung Bürotür schweifen. Sie kniff die Augen zusammen, denn sie glaubte, sich zu irren. Madam Pomfrey stand dort an der Tür und sprach leise mit einer ihr allzu vertrauten dunklen und hochgewachsenen Gestalt, die gerade in diesem Augenblick eine Blick auf sie warf. "Snape!" krächzte sie, obwohl es eigentlich wie ein Fauchen hätte klingen sollen. "Was zum Teufel hat das zu bedeuten? Sagen sie jetzt bloß nicht, Sie hätten den edelmütigen Helden gespielt und mich gerettet? Glauben Sie mir, zum Ritter in seiner gestählten Rüstung fehlt ihnen noch einiges!"


Die Furunkel im Gesicht taten höllisch weh, aber dafür würde sich Madam Pomfrey auch genügend Zeit bei der Gegenmittelzubereitung geben. Mit schmerzverzerrtem Gesicht trat Jate in den Krankenflügel. Madam Pomfrey kam ihr entgegen und sah sie mit ernster Mine an. "Wie haben sie das denn geschafft?" fragte sie streng.

"Bin in ein kleines Zauberduell der Drittklässer geraten und hab dummerweise nen Fluch abbekommen" Jate konnte lügen ohne rot zu werden.

"Welcher Fluch war es denn?" fragte die Krankenschwester nun schon freundlicher.

"Keine Ahnung" log Jate "Die haben alles durcheinander geschrieen. Könnte auch ne Kreuzung aus zweien sein." Die Krankenschwester sah sich Jates Gesicht noch einmal genau an. "Mhh, suchen sie sich mal ein freies Bett. Ich werde jetzt eine Tinktur zubereiten und dann können sie nach dem Mittagessen wieder gehen." Als die Krankenschwester weg war grinste Jate überlegen, was sie allerdings gleich wieder bleiben ließ, weil die Furunkel so sehr schmerzten. Dann machte sie sich auf die Suche nach einem Bett in Ravens Nähe. Jate war sich sicher, das diese noch auf der Krankenstation war und tatsächlich fand sie sie in einer dunklen Ecke des Krankenflügels. Sie sah schlimm aus. Langsam ging Jate auf sie zu und setzte sich in ein Bett neben sie. "Guten Tag" sagte sie höflich, doch Raven reagierte nicht. Sie starrte geistesabwesend auf die Decke und schien Jate überhaupt nicht zu beachten.

Raven dachte noch lange, nachdem Snape die Krankenstation verlassen hatte, über die vergangenen Stunden nach. Was war nur geschehen? Sie hatte lange, lange Zeit nicht mehr das "Gesicht" erlebt, doch an diesem Abend war es wieder geschehen. Was hatte das zu bedeuten? Sie hatte die leise Ahnung, daß eine dunkle Gefahr über Hogwarts lag. Doch sie konnte sich keinen Reim daraus machen, woher sie dies wußte. Das Gesicht....das Amulett! Wo war es? Raven erinnerte sich an ihren Sturz am See. Sie vermutete, daß die Kette nun da draußen im Dunklen lag. Im Augenblick wußte sie, daß sie zu schwach war, es selbst zu holen. Daher hatte sie Madam Pomfrey gebeten, Dumbledore zu benachrichtigen. Er mußte jeden Moment eintreffen.... Severus....Sie mußte trotz ihres Zustandes lächeln. Wie gekränkt er sie nach ihren Worten angesehen hatte. Wortlos hatte er daraufhin die Krankenstation verlassen. Raven konnte dennoch nicht den Impuls in ihr unterdrücken, ihm zu danken. Wäre er nicht zur Stelle gewesen, hätte sie ihren Besuch am See mit mehr bezahlen müssen als "nur" mit einer ausgewachsenen Erkältung. "Haaap- tschuuu!" nieste sie. Das riß sie aus ihrer Gedankenwelt heraus, und sie bemerkte, daß sie nicht mehr alleine im Zimmer war. Sie starrte auf das Bett neben ihr. Dort saß jenes Mädchen mit der geheimnisvollen Aura, welches sie in der Bibliothek getroffen hatte. Dieses blickte ihr direkt in die Augen. Scheinbar saß sie nun schon eine ganze Weile dort und beobachtete, wie Ravens Nase zusehends röter wurde...Raven grinste schwach. "So sieht man sich wieder."

"Schön das sie wieder bei uns sind, sie sahen aus als hätten sie eine unangenehme Begegnung mit einem Dementor gehabt. Ich wollte schon Madam Pomfrey rufen." sagte Jate und versuchte so gleichgültig wie möglich zu klingen, denn jetzt stellte sie die Frage, die ihr schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte. Ihre Furunkel hatte sie vollkommen vergessen. "Was ist denn passiert? Warum sind sie hier?" Es war raus. Jetzt konnte Jate nur noch abwarten...


Es war bereits Samstag nachmittag, als sich Raven endlich kräftig genug fühlte, die Krankenstation zu verlassen. Die letzte Nacht war so verwirrend gewesen, daß sie ihr beinah wie ein Traum vorgekommen wäre, hätte nicht ihr Bein immer noch geschmerzt. Als sie langsam den Gang zu ihrem Schlafraum entlangschritt, verspürte sie den dringenden Wunsch, etwas Alkoholisches zu sich zu nehmen. Etwas Starkes, Herbes.... Sie war während der Nacht auf der Krankenstation kaum dazu gekommen, fridlich zu schlafen. Erst Snape, dann die verschwundene Kette, das fremde Mädchen aus der Bibliothek. Sie hatte sie gefragt, was sie auf Hogwarts tat, und Raven war gerade dazu gekommen, ihr zu erklären. daß sie Dumbledores Nicht war, als just in jenem Moment dieser auf die Krankenstation gekommen war. Zu ihrem leisen Bedauern hatte Raven sich von dem Mädchen abwenden müssen, um Dumbledore auf die verschwundene Kette anzusprechen. Sein Gesicht hatte zunächst tiefe Sorge gezeigt, doch sie beruhigte ihn, es sei wahrscheinlich daß das Amulett noch am Seeufer liegen mußte. Daraufhin hatte Dumbledore sofort den Raum verlassen und Raven versprochen , danach zu suchen. Er war in dieser Nacht nicht wieder aufgetaucht, und so nahm Raven an, daß er es in seine Obhut genommen hatte. Sie nahm sich vor, später noch mal mit ihm zu sprechen. Dann wanderten ihre Gedanken zurück zu dieser Schülerin. Richtig, Jate Lennox hieß sie. Sie hatte sie noch danach gefragt,dann aber den Wunsch geäußert, ein bißchen zu schlafen. Ihre Erschöpfung hatte Überhand genommen. Mit einem Blick auf Jates leicht resignierter Miene hatte sie aber freundlich hinzugefügt, sie dürfe jederzeit zu ihr kommen, wenn sie irgendwelche Fragen stellen wollte.... Ravens Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück.


Raven wollte es sich zunächst nicht eingestehen, aber der Gedanke an das Amulett beunruhigte sie zusehend.Was, wenn es in die falschen Hände geriet? Wenn irgendjemand es vor ihrem Onkel gefunden hatte? Sicher, wer trieb sich schon nachts im Regen gerne am See herum? Zum Beispiel Severus Snape! schoß es ihr durch den Kopf. Oder zwei turtelnde Schüler.... Sie brauchte jetzt in der Tat dringend etwas zu trinken! Sie hielt inne. Jemand kam ihr entgegen. Es waren leise, beinah verstohlene Schritte.Dank ihrem scharfen Gehör konnte Raven sie bereits aus weiter Entfernung vernehmen. Die Gestalt, die sich ihr näherte, war eine Frau von sehr kleiner, zierlicher Figur. Sie hatte ein feins Gesicht, welches beinah schüchtern wirkte und nun einen leicht erschrockenen Ausdruck annahm. Raven seufzte. Natürlich, ihre Narbe. Aber niemand sieht die innerlichen Narben..... Wer diese Frau wohl sein mochte? Sie machte einen sehr zurückhaltenden Eindruck. Möglicherweise eine Lehrerin.....Raven nickte ihr höflich zu.



Raven Dumbledore in Kapitel 2