Die Verlorenen

 

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Kapitel 3: Licht



Als ich erwache, ist es eiskalt. Um mich herum herrscht Dunkelheit. Ich höre das Knirschen von Ästen, schwere Schritte. Wie spät ist es? Noch ist es Nacht. Wie lange habe ich hier gelegen? Meine Kleidung ist komplett durchnässt, es ist kalt. Ich möchte aufstehen, heimlaufen. Aber ich bin so schrecklich müde...

Als ich die Augen das nächste Mal öffne, schaukelt der ganze Untergrund. Wo zum Mephistopheles bin ich? Es ist immer noch kühl, aber nicht mehr kalt. Irgendetwas Warmes hält mich fest, trägt mich. Hagrid? Wahrscheinlich hat er mich im Wald gefunden. Er sucht immer den Wald ab, wenn ich zu Voldemort appariere. Falls ich so mitgenommen bin, dass ich nicht mehr laufen kann. Es kommt nicht allzu oft vor, meistens schaffe ich den Weg bis zum Schloss noch, aber es kommt vor. In letzter Zeit des öfteren. Ich weiß nicht, wie oft er mir schon das Leben gerettet hat. Wie oft ich schon im Wald erfroren oder von irgendetwas gefressen worden wäre, wenn Hagrid mich nicht jedes Mal sucht und findet. Ich habe aufgehört, zu zählen.

"Hagrid?" Es wird hell, warm.

"Danke, Hagrid. Leg ihn auf das Sofa. Danke."

Albus? Ich spüre, wie Hagrid mich vorsichtig auf dem Sofa ablegt, wie Albus eine Decke um mich wickelt.

"Mein Gott, was ist geschehen? Er ist ja tropfnass." Albus streicht mir eine nasse Haarsträhne aus den Gesicht. Ich bin immer noch zu müde, die Augen richtig zu öffnen.

"Lag unter einem Baum. War wohl ohnmächtig, oder so. Is total nass geworden, Direktor."

Eine Minute Stille. Dann wieder Albus. "Danke, vielen Dank. Bis morgen, Hagrid."

"Bis morgen, Direktor." Dann fällt eine Tür zu und schwere Schritte entfernen sich. Ich höre die leichten Schritte des Direktors, dann wieder Stille. Schließlich setzt er sich neben mich auf das Sofa. "Ach Kind.. was ist passiert?"

Ich murmele etwas, unwillig, zu sprechen. Schlafen. Das wäre jetzt schön. Dann wird es wieder dunkel.

Am nächsten Morgen erwache ich in Albus Bett. Es ist warm, bequem und vor allem ist es trocken. Er selbst liegt auf dem Sofa, auf dem ich gestern Nacht noch eingeschlafen bin. Die Sonne scheint durch das hohe Fenster, malt helle Muster auf dem Holzboden. Ich mag dieses Zimmer sehr, es ist so hell. Vielleicht hätte ich selbst auch einmal so ein Zimmer gehabt, vielleicht, wenn mein Leben anders geworden wäre.. Schnell verscheuche ich diesen Gedanken wieder. Dinge sind, wie sie sind. Kein Grund, über 'was wäre, wenn..' nachzudenken. Es macht einen nur noch verzweifelter. Und das vertrage ich momentan nicht. Ich schließe wieder meine Augen, lasse mich in die weichen Kissen sinken. Was wäre, wenn..

"Guten Morgen. Gut geschlafen?" Albus steht im Zimmer.

Ich gähne, strecke mich, setze mich auf. "Gute Morgen, Albus. Danke, im nachhinein sehr gut."

Albus lächelt. "War wohl etwas zu kalt im Wald. Zieh dich an, ich bestelle Frühstück bei den Hauselfen."

Nur wenig später sitzen wir beide am Frühstückstisch. Schwarzer Tee, mit Milch, und das so stark, dass er jeden Teekenner umgeworfen hätte. Mein Standard-Frühstück.

Albus bedient sich ausführlich an den Brötchen. "Hmm.. lecker. Etwas Melone?"

Bevor ich mich dessen erwehren kann, liegen einige Melonenstücke auf meinem Teller. Einmal mehr überlistet.

"Kind.. was ist gestern Abend passiert?" Albus wird ernst.

Ich lege das Messer, mit dem ich gerade eine Melone zerkleinern wollte, beiseite. In der Hoffnung, dass meine Stimme möglichst neutral klingt, beginne ich aufzuzählen. "James Whitney, Daniel Page. Wie du weißt, sind beide letzten Sommer abgegangen. Whitney arbeitet im Ministerium, Page in St. Mungos."

Albus ist fassungslos. "Page? Der kleine, der immer Quidditch spielen wollte und nie ins Team gekommen ist. Der Gryffindor?"

Ich nicke. "Korrekt. Minervas sauberer Gryffindor. Whitney war mehr oder weniger ein typischer Kandidat.. allerdings sind seine Eltern keine Death Eater, ebenso wie Pages. Whitney wird die Gier nach Wissen dorthin getrieben haben. Er wollte immer alles haben."

Albus legt den Kopf schief. "Was mich an einen kleinen, brillanten Slytherin erinnert, der auch immer unbedingt alles wissen musste.."

Ich schaue auf meinen Teller. Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass sich eine Spur Bitterkeit in meine Stimme schleicht. "Und der letztendlich auch bei Voldemort gelandet ist. Wolltest du das sagen?"

Albus schüttelt den Kopf. "Das wollte.."

Ich schüttele den Kopf. "Gib dir keine Mühe, du hast ja doch Recht. Ich wollte alles haben und habe es auch bekommen." Ich zucke die Schultern. "Allerdings kann man hoffen, dass Whitney intelligent genug ist, zu bemerken, was für einen Fehler er begangen hat. Ich habe immer gehofft, dass er das früher bemerkt." Resigniert wedele ich mit meiner rechten Hand in der Luft herum.

Albus schüttelt den Kopf. "Der Junge hat mich immer ein bisschen an dich erinnert. Allerdings warst du brillanter. Und schwieriger.."

"Sollte das ein Kompliment sein?"

Albus lächelt. "Vielleicht."

Ich esse ein Stück Melone, aber sie schmeckt irgendwie schal. Es ist, als würde alles seinen Geschmack verlieren, sobald die Sprache auf Voldemort kommt. Und auf die, die wir verloren haben.

"Page kenne ich nicht genug, um irgendetwas genaueres sagen zu können. Aber ich würde vermuten, dass ihn die Gier nach Macht zu Voldemort getrieben hat. Warum er ein Gryffindor geworden ist, habe ich mich schon immer gefragt. Er wäre bei Hufflepuff viel besser aufgehoben. Für Slytherin wäre er zu feige.. Naja."

Nachdenklich kaue ich auf meiner Melone herum. "Warum muss es immer so weit kommen? Warum wollen immer wieder Schüler die Seite wechseln? Woran liegt es? Häufig genug an den Eltern, ich weiß. Es ist schwer, sich von den Idealen seiner Eltern zu lösen. Aber es gibt auch Schüler, die es schaffen. Warum sind es immer die Schwachen, die Armen und die ganz Starken, die wechseln? Die zu Intelligenten und die kompletten Idioten?"

Albus starrt auf sein Brötchen, dann schaut er mich an. "Ich weiß es nicht, Severus. Aber es war schon immer so. Es war auch schon zu deiner Zeit so. Die Schwachen werden von der Macht angezogen, die Intelligenten vom Wissen."

Müde schüttele ich meinen Kopf. "Ich bin es so leid, sie immer gehen zu sehen. Warum kann man nichts tun? Warum?" Langsam stütze ich meine Ellebogen auf den Tisch, legen meinen Kopf in meine Hände.

Albus lehnt sich seufzend zurück. "Ich weiß Kind, ich weiß. Wir leiden alle darunter. Aber wir müssen auch an die denken, die es schaffen. Diejenigen, die auf unserer Seite bleiben. Macht es das nicht wert, weiterzumachen?"

Einen Moment herrscht Stille, dann hebe ich meinen Kopf wieder, atme tief durch. Betrachte Albus, der nachdenklich eine Fliege verflogt, die um die Marmelade kreist, sich schließlich hineinsetzt und festklebt. Er nimmt seinen Löffel und befreit das festklebende Insekt, das sich mit einem leise Summen wieder in die Luft erhebt und weiterfliegt.

Und eigentlich hat er Recht. Wir haben so viele verloren, aber wir haben auch viele retten können. Trotzdem schmerzt es jedes Mal, zu sehen, wie sie einen Fehler begehen. Einen Fehler, der sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Der unwiderruflich ist. Auch wenn sie irgendwann einsehen, dass sie einen Fehler gemacht haben, sie können nicht zurück. Niemand kann das. Man kann es versuchen, aber ob man es schaffen kann, ist nicht bekannt. Ich bin gerade dabei, es auszutesten.

Wie viele haben wir retten können... und wie viele werden wir noch retten? Dafür lohnt es sich weiterzumachen. Es lohnt sich aber auch, um denen, die ihren Fehler einsehen, die Möglichkeit zu geben, zurückzukommen. Um wieder ans Licht zu kommen. Dafür lohnt es sich. Dafür arbeiten wir weiter, alle, die gegen Voldemort kämpfen. Gegen die Dunkelheit.

Draußen scheint die Sonne.


Kapitel 2

 

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