Als Hermine erwachte, fühlte sie sich total zerschlagen. In ihrem Kopf spielte jemand Schlagzeug und ihre Augen schmerzten. Erst nach und nach wurden ihr die gestrigen Ereignisse klar.
'Draco...'
Wieder drängten sich Tränen in ihre Augen, doch sie wollte das nicht. Energisch wischte sie sich über das Gesicht und packte ihre Duschsachen zusammen. Erst mal frisch machen, etwas frühstücken und das Ganze dann ganz objektiv und vernünftig angehen.
'Wieso tut es nur so weh.'
Ein kurzer Blick zum Bett ihrer Zimmergenossin zeigte, dass diese längst aufgestanden war. Aber Miss Granger hatte noch Zeit, es war kaum hell draußen und sie brauchte bei Weitem nicht so lange vor dem Spiegel.
'Weshalb auch? Ich werde nie richtig hübsch sein!'
Mühsam die aufkeimende Depression unterdrückend, tat sie erst einmal so, als wäre alles wie an jedem anderen Morgen.
"Mine, guten Morgen. Wie geht es dir? Schon besser?"
Ginny sah ihre Freundin liebevoll an. Die immer noch geschwollenen Augen und die sehr blasse Gesichtsfarbe machten keinen guten Eindruck. Nur ungern würde sie ihr erzählen, was im Kerker bei Professor Snape vorgefallen war. Doch da Hermine heute auf jeden Fall dort auftauchen musste, konnte sie nicht schweigen.
"Danke Ginny. Es geht schon besser. Aber du siehst etwas traurig aus. Bedrückt dich etwas?"
"Ach nein. Alles in Ordnung. Aber hör mal, ich muss dir etwas wichtiges erzählen!"
"Hmm, bist du dir sicher? Du siehst ziemlich blass aus."
"Wirklich, es ist alles ok. Die Frage ist doch eher, was mit dir zur Zeit los ist."
Hermine wollte diese Fragen mit einem Schulterzucken abtun, aber so leicht wollte es Gin ihr nicht machen. Sie hörte nicht auf, immer und immer wieder nachzubohren. Selbst als sie sich Rührei und Toast in den Mund schob, wand sie für keinen Augenblick ihren besorgten Blick ab. Schließlich gab die junge Frau nach, und erzählte in kurzen Worten was gestern zwischen ihr und Draco vorgefallen war.
Der Gesichtsausdruck von Miss Weasley wandelte von überrascht zu zornig.
"Wie kann es diese Schlangenbrut wagen? Was denkt der sich! Wenn ich das Ron und Harry erzähle, dann machen die Kleinholz aus ihm..."
"Bitte nicht! Es ist auch so schon peinlich genug!"
"Aber das kannst du ihm doch nicht einfach so durchgehen lassen. Pah! Diese Pansy kann dir doch gar nicht das Wasser reichen."
"Das ist lieb, aber sie ist wirklich hübsch und er sagte, dass sie sehr offen ist..."
"Das glaub ich gerne. Die lässt doch wirklich keinen aus. Über die ist sicher schon der ganze Slytherin-Clan gerutscht."
"Ginny!"
"Aber ist doch wahr!"
"So sollten wir nicht über sie reden. Sie hat sicher auch ihre guten Seiten."
"Die versteckt sie aber gut! Wieso nimmst du sie denn auch noch in Schutz?"
"Das tue ich doch gar nicht! Aber du weißt doch selbst, ich bin ziemlich... nun ja, konservativ. Ich war nicht gerade entgegenkommend zu Draco!"
"Das gibt's einfach nicht! Du verteidigst ihn tatsächlich! Mensch, Mine, der ist es doch wirklich nicht wert."
"Ginny. Du verstehst das einfach nicht. Ich liebe ihn doch so sehr! Er ist so schön und klug. Ich will nicht ohne ihn sein. Es ist doch wirklich meine Schuld. Ich habe ihn ja in ihre Arme..."
"Jetzt reichts! Das höre ich mir nicht länger an! Du machst dich zu klein."
"Schon gut. Lass uns bitte das Thema wechseln."
Hermine schien erschöpft, so als hätte ihr das Gespräch die letzten Kraftreserven entzogen. Sie tat Ginny wirklich leid. Doch wie konnte sie das alles so hin nehmen? Sie könnte das nie. So toll war Draco nun wirklich nicht, und niemand hatte das Recht, so mit ihrer besten Freundin zu reden.
'Ich werde doch mal mit Ron und Harry reden! SO geht es nicht weiter!'
Als hätte das junge Mädchen ihre Gedanken erraten, warf sie ihr einen besorgten Blick zu. Doch diese lächelte nur beruhigend und widmete sich wieder ganz ihrem Frühstück. Irgendwie hatte sie dann doch vergessen Hermine von Professor Snape zu erzählen. Und nachdem sie verschiedene Unterrichtsstunden hatte, erwischte er Miss Granger, bevor sie vorbereitet war.
Dritte Stunde: Zaubertränke. Nichts und niemand konnte sich auf diesen Unterricht vorbereiten. Snape war so launenhaft, wie er ungenießbar war. Zielsicher verspritze er sein Gift und ließ niemanden aus. Neville brach nach einer halben Stunde in Tränen aus und musste auf die Krankenstation. Harry wurde wieder mal massiv beleidigt und Ron war Zielscheibe von hämischen Fragen, auf die selbst sie nur schlecht eine Antwort fand.
Im Großen und Ganzen war es also ein völlig normaler Schultag mit dem "Meister der Zaubertränke". Manchmal fragte sie sich wirklich, wie dieser Mann so verbittert und grausam sein konnte. Kein Wunder, dass ihn jeder hasste.
Abgelenkt durch das Geflüster am Tisch von Draco und gefesselt von seinem Grinsen passte Hermine kurz nicht auf. Ihr Kessel begann zu dampfen und zu blubbern. Sie war sich dessen jedoch nicht bewusst, sondern völlig auf ihre Begeisterung für den Slytherin beschränkt.
"Hermine! Vorsicht!"
Irritiert blinzelte diese. Erst jetzt nahm sie die drohende Gefahr wahr. Hastig löschte sie die Flamme unter dem Kessel und der Trank hörte fast augenblicklich auf, bedrohlich zu nebeln. Erleichtert wollte sie sich wieder Draco zuwenden, als jene Stimme erklang.
Fies und gehässig. Wer außer Severus Snape, seines Zeichens Lehrer, konnte so unerträglich leise und dennoch so durchdringend sprechen?
"Ahh, Miss Granger! Wirklich erstaunlich Sie heute wieder unter den Lebenden zu sehen. Wenn es nach Ihrer kleinen Freundin ginge, müssten Sie wohl noch zerfließen vor Leid!"
Lautes Gelächter erklang von Seiten der Slytherin. Die Gryffindor warfen ihnen böse Blicke zu, aber man musterte sie auch neugierig. Was war den da vorgefallen? Siedendheiß fielen ihr die zusätzlichen Hilfsarbeiten ein, und dass sie gestern Abend eine versäumt hatte. Unverzeihlich! Zumindest in seinen Augen.
Sie hatte wirklich nicht mehr daran gedacht, zu sehr war sie von ihren persönlichen Problemen abgelenkt. Kein Wunder, das er so "super" gelaunt war. Und jetzt hatte sie auch noch fast einen Kessel geschmolzen, wie ein blutiger Anfänger - oder wie Neville. Sie musste einfach besser aufpassen. Draco durfte sie nicht so sehr ablenken.
Hermine wurde tiefrot und wollte sich schon entschuldigend äußern, als er es wieder mal deutlich übers Ziel hinaus trieb.
"Sollen wir Ihnen vielleicht einen Sabberlatz umbinden? Oder denken Sie, Sie könnten dem Unterricht besser folgen, wenn ich Ihnen Scheuklappen umlege?"
"Professor!... "
"Widersprechen Sie mir jetzt bloß nicht! 20 Punkte Abzug für Unaufmerksamkeit und weitere 5 Punkte für unpassenden Tonfall einer Respektsperson gegenüber!"
"Ich...!"
"Sie tun es schon wieder, Miss Granger!"
"Verzeihung, Professor Snape."
"Schon besser! Aber dennoch... Ich denke eine zehn Seiten Strafarbeit wird Sie Gehorsam und Respekt lehren. Das Thema überlasse ich Ihnen."
Damit schien die Sache erledigt und er wand sie wieder der Tafel zu. Hermine spuckte Gift und Galle. Sie hasste es, wenn er sie so vorführte. So im Mittelpunkt zu stehen war ihr unerträglich. Noch dazu machte er sie vor Malfoy lächerlich.
' Dieser verdammte Bastard! Das wird er mir büßen!'
Die Stunden endeten damit, dass Gryffindor weitere 10 Punkte verlor, weil Harry ein Glas Krötenleber fallen ließ. Es war wirklich nicht leicht, unbeschadet aus diesem Unterricht zu kommen. Doch für die nächsten zwei Tage war es geschafft.
***
Snape hatte sie nicht so anfahren wollen, aber eine derartige Unkonzentriertheit konnte er nicht einfach durchgehen lassen. Nicht dass er sie nicht verhindern hätte können. Schließlich hatte er sie schon eine ganze Weile beobachtet, wie sie Mr. Malfoy angehimmelt hat.
Selten hatte er jemanden mit einem derart verklärten Blick gesehen. Es war zum Kotzen! Schön und gut, wenn die kleine Laurie aus Ravenclaw ihn mit einem solchen Blick bedachte! Aber sie schmolz wenigstens keine Kessel oder wiedersprach bei jeder sich bietenden Gelegenheit!
'Granger ist eine Plage! Und sie verdirbt mir den Appetit!'
Er würde sich etwas ganz besonderes für heute Abend ausdenken. Irgendwas, dass sie mit Sicherheit verabscheuen und nicht so schnell vergessen würde.
'Hat sie eigentlich Angst vor Spinnen? Oder vielleicht Ratten?'
Es ist wirklich erstaunlich, wie viele kranke Ideen einem zornigen Geist entspringen können. Severus Snape war ein Mann mit einer ausgeprägten Fantasie und einem noch genialeren Hirn. Er würde etwas finden, um sie in Grund und Boden zu rammen. Zurück in den Schlamm, woraus ihre Ahnen irgendwann mal gekrochen waren.
Seine Hände fanden sicher die Tränke welche er benötigte. Heute Abend würde er Rache üben. Nichts und wirklich niemand würde das verhindern können. Er hatte lange genug gewartet.
***
Sie fürchtete sich.
Das Blut rauschte in ihren Ohren und die Kehle war wie ausgetrocknet. Die Hände feucht, den Zauberstab fest umklammert. Sie würde sich zu wehren wissen - zumindest hoffte sie das.
Ihre Faust schlug leicht gegen die schwere Tür und mit angehaltenen Atem wartete sie auf die gefürchteten Worte.
"Kommen Sie herein!"
Hermine zuckte zusammen. Irrte sie sich, oder klang seine Stimme irgendwie selbstzufrieden? Was mochte das für sie bedeuten?
Ihre Beine fühlten sich wie Pudding an, als sie die Tür hinter sich schloss. Den Blick immer schön auf einen Punkt weit weg von ihm gerichtet.
"Nun, Miss Granger, wenigstens sind Sie heute pünktlich!"
"Guten Abend, Professor Snape."
'Sie klingt ja ziemlich unterwürfig?! Mal sehen, wie lange sie das aushält!'
Natürlich bekam die junge Frau das grausame Aufblitzen in seinen Augen mit, auch wie er höhnisch grinsend seine Fingerspitzen aneinander lehnte und es sich in seinem Sessel am Schreibtisch bequem machte.
'Oh, oh. Er hat irgendwas vor!'
"Ich werde Ihnen kurz erklären, worin Ihre Aufgaben bestehen und dann werden wir beginnen."
Schnell rasselte er ihre Pflichten herunter und erfand aus dem Stehgreif noch solche wie:
+Botengänge persönlicher Art im Dorf+ +Rattenkäfige säubern+ +Schlangen häuten+ usw.
Er konnte sehen, wie sich ihr Blick von Unglauben zu Zorn wandelte. Es würde sehr witzig werden. Doch hatte er eine harsche Antwort erwartet wurde er enttäuscht. Sie schwieg und sah ihn nur ruhig an.
'Wirklich zäh, die Kleine!'
'Das kann doch nicht sein ernst sein? Soll ich vielleicht auch noch seine Unterwäsche waschen, oder die Socken stopfen? Ruhig bleiben, immer ruhig bleiben!'
Damit stand er auf und ging langsam auf sie zu. Er konnte ihn spüren - ihren Drang zurück zu weichen. Ihm zu entkommen. Er freute sich diebisch, dass er eine solche Furcht in ihr heraufbeschwören konnte.
Wenige Schritte vor ihr blieb er stehen. Seine schwarzen Augen fest auf sie gerichtet. Langsam begann er sie weich zu kochen, sie konnte diesem Blick kaum noch standhalten. Es war so seltsam...
'Gott, diese Augen sind so schrecklich kalt!'
'Sie riecht nach Zimt. Wie kann das sein?'
'Schau weg. Bitte, bitte! Schau weg!'
Tatsächlich wand er sich schließlich ab. Hermine wäre vor Anspannung fast zusammengesunken. Im letzten Moment riss sie sich zusammen und wartete ab.
"Hier! Erledigen Sie das und sagen Sie mir Bescheid wenn Sie fertig sind."
Die Liste, welche er ihr gab, war lang. Sehr lang und sie fürchtete, dass sie morgen früh noch hier sein würde. Aber bitte, sie würde es tun.
Die Stunden zogen nur so an ihr vorbei. Nachdem sie alles gründlich von Ungeziefer, Schmutz und Dingen, welche sie nicht genauer beschreiben wollte, gesäubert hatte, fühlte sie sich todmüde. Ihre Arme schmerzten und sie wollte nur noch schlafen. Aber die Liste war lang und so machte sie weiter.
Gegen drei Uhr morgens hatte sie dann seine Hunderte von Büchern nach dem Sinn und Zweck geordnet, abgestaubt und sauber ins Regal geräumt.
'Ich kann nicht mehr!'
Sie wischte den Fußboden, rieb die Fenster mit Zitronenmittel ab und säuberte jeden der vierzig Kessel mit der Hand.
Die Uhr schlug fünf. Langsam näherte sie sich dem zweiten Drittel auf der Arbeitsanweisung. Mittlerweile konnte sie nur noch mühsam die Augen aufhalten, jeder Knochen in ihrem Körper tat ihr weh und sie hätte alles für einen Augenblick der Ruhe getan. Doch sie wollte keinen neuen Ärger. Sie würde nicht aufgeben - schon gar nicht vor ihm.
'So müde!'
Mit zittrigen Händen nahm sie den Zauberstab und begann Tisch für Tisch sämtliche Kerben und Flecken heraus zu zaubern. Alles ging so schwer von der Hand und ein paar Mal vielen ihr die Augen zu.
Doch als die Uhr sieben anzeigte, war es endlich getan. Alles auf der Liste war abgearbeitet. Sie war fertig und wollte nur noch eines - schlafen.
Sich mühsam auf den Beinen haltend schlurfte sie zu Professor Snape´s Privatgemächern. Das Anklopfen fiel sehr leise und schwach aus, doch er hatte es dennoch gehört.
'Ah, sie ist fertig. Das wird ihr hoffentlich eine Lehre sein. Schließlich war es ziemlich aufwendig gewesen, alles so vergammelt zu machen!'
Er hatte mehrerer Stunden damit verbracht, hier einen Trank auszuschütten, dort mehrerer Dutzend Spinnen und Käfer auszusetzen.
'Ich werde sie brechen! Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!'
Ruhig öffnete er die Tür. Obgleich er alles geplant hatte, war er doch ein wenig erschrocken als er sie sah. Ihre Augen waren stumpf und stark gerötet, die Hände teilweise aufgesprungen und wund, die Robe teils zerrissen, teils total verdreckt.
'Sie ist selber Schuld!'
"Nun, sind Sie fertig?"
"Ja, Professor Snape."
'Selbst ihre Stimme klingt hohl und leer. Bin ich zu weit gegangen?'
Severus Gewissen begann sich gerade zu melden und er überlegte tatsächlich, ob er ihr nicht die nächsten vier Stunden eine Befreiung vom Unterricht geben wollte, als sie es sich wieder mal selbst verdarb.
"Kann ich jetzt bitte gehen? Oder soll ich Ihnen vielleicht auch noch die Schuhe putzen?"
Sofort verfinsterten sich seine Gedanken und Augen wieder.
'So, die kleine Hexe hat immer noch nicht genug? Kann sie haben!'
'Verdammt! Warum konnte ich nicht einfach still sein?'
"Ich erwarte, dass Sie pünktlich zum Unterricht erscheinen. Und heute Abend werde ich Sie wieder benötigen!"
Damit war sie entlassen und schlurfte mit hängenden Schultern zu ihrem Schlafraum. Doch es lohnte sich schon nicht mehr. Nach einer kalten Dusche stand sie schon wieder vor dem Kerker.