Kapitel 31: Offenbarungen
"Du hast mir nichts von der zweiten Stunde erzählt", bemerkte der Tränkemeister und erfreute sich im Stillen der gehauchten Anklage, die sein einfacher Satz implizierte.
Catriona MacGillivray zuckte unbeeindruckt die Achseln und machte eine nichtssagende Handbewegung.
"Vollkommen harmlos", wiegelte sie ab, offensichtlich irritiert, daß er ihr Zusammensein mit solchen Banalitäten zu stören wagte.
Snape saß gegen sie gelehnt, ein Glas Feentränen in Reichweite, und genoß spürbar, wie die sanfte Bestimmtheit ihrer Hände seine verkrampften Schultern lockerte. In wohldosierten Abständen schob sie ihm winzige Bröckchen köstlicher Kuckucksweinlatwergen in den Mund, die er widerstandslos schluckte und tatsächlich mehr ersehnte.
In ihrer Gegenwart legte er mehr und mehr die Maske aus eisiger Unnahbarkeit ab und gestattete ihr den raren Blick hinter die nach allen Regeln der Kunst etablierte Fassade.
Den Gedanken an ihr Fortgehen zuzulassen, erschien ihm gänzlich jenseits des Möglichen; es zerriß ihn, sich auch nur im Entferntesten vorzustellen, allein zurückkehren zu müssen in die Leere der Kerker, die ihm stets willkommene Zuflucht und geschätztes Refugium gewesen waren, ihrer Wärme und Zuversicht beraubt mit niemandem an seiner Seite, der für ihn einstand, dem er begonnen hatte, beinahe unumwunden zu vertrauen.
"Du bedeutest mir viel, Catriona", hörte er sich plötzlich sagen.
Ihre Finger ruhten für einen Atemzug, und er ertappte sich schon jetzt bei dem Wunsch, sie möge fortfahren.
"Sehr viel", wiederholte er so leise, daß es nur Catrionas dschungelgeschärften Sinnen zu verdanken war, daß das Letzte nicht ungehört verklang.
"Und ich", sagte sie zärtlich, aber fest entschlossen, " ich liebe dich, Severus."
Er erstarrte sekundenlang, saß wie in Marmor gemeißelt da, eine alabasterne Statue mit nachtschwarzem Haar, deren makelloses, kühles Exterior von den wilden Wassern ihrer außer Kontrolle geratenen Emotionen gesprengt zu werden drohte.
Irgendwann fand sie sich in seinen Armen wieder; eng umschlungen tranken sie die vertraut-fremde Nähe, atmeten tief das Aroma des anderen und spürten den verklingenden Herzschlägen nach, die unbeeinflußt vom Lauf der Welt anschwollen, um wieder zu verhallen.
Sich mit ihr zu verlieren im Strudel von Geborgenheit und Begehren, seiner Gegenwart gewiß zu sein - innigste Verbundenheit und noch unendlich viel mehr, für das es keinen Namen gab.
"Ich möchte dich um etwas bitten", sagte Catriona leise. "Beim nächsten Treffen des Ordens wäre ich gern dabei."
Snape zog scharf den Atem ein und ließ ihn langsam wieder entweichen. Er hatte so etwas längst befürchtet; es lag in Catrionas Natur, sich voll und ganz einzusetzen, wenn sie erst einmal überzeugt war, das Richtige zu tun. Halbheiten gab es bei ihr ebensowenig wie bei ihm selbst. Was ihn jedoch weitaus mehr beunruhigte, war die Erkenntnis, daß sich ein egoistischer Teil von ihm nichts sehnlicher wünschte, als sie dabeizuhaben, Seite an Seite mit ihr zu arbeiten, ihres Beistandes gewiß zu sein, wenn es sonst niemanden gab, der für ihn einstand. Natürlich stand dies außer Diskussion; er würde nimmer mehr zulassen, daß sie sich in solche Gefahr begab. Je weniger sie wußte, je weniger sie sich involvierte, desto wahrscheinlicher war es, daß sie den unweigerlich bevorstehenden Krieg unbeschadet überstehen würde.
"Du weißt, das ist völlig unmöglich", sagte er sanft, aber mit einer Bestimmtheit, die jeden anderen zutiefst eingeschüchtert hätte. "Noch befindest du dich in keiner großen Gefahr; es kann Zufall sein, daß du hier bist."
MacGillivray lehnte den Kopf an seine Schultern. Sie war ihm so nahe, daß sie die Poren im Stoff seines gestärkten Hemdkragens erkennen konnte. Er roch nach getrockneten Kräutern und der Glut vergehenden Feuers.
"Man hat mir bedeutet, ich könnte für den Orden von Nutzen sein", bemerkte sie gänzlich unaufgeregt. "Ich werde nicht gegen deinen Willen handeln, aber ich wünschte, du sähest ein, daß das, was für dich gilt, auch für mich zutrifft."
"Ich dachte, du hieltest meinen Einsatz für töricht", gab Snape zurück. "Ich sei zu wenig auf mein eigenes Wohl bedacht, und jetzt willst du dasselbe tun?"
Es klang spöttisch, und Catriona, die am liebsten vor Ungeduld mit dem Fuß aufgestampft hätte, weil er sie nicht verstehen wollte, beschränkte sich stattdessen darauf, all ihre Entrüstung in besondere Zärtlichkeit umzusetzen, die sie in seine kalten Finger fließen ließ, bis sie nicht mehr das Gefühl haben mußte, eine zu feste Berührung würde sie splittern lassen wie sprödes Glas.
"Es ist vor allem eine Frage der Moral", gestand sie zögerlich ein. "Kann ich in dem Wissen nach Brasilien zurückkehren, daß hier Leben riskiert werden, um uns alle vor einer machtbesessenen Schreckensherrschaft zu bewahren, wenn ich eventuell selbst helfen könnte, die Gefahr so schnell wie möglich zu bannen?"
Der Tränkemeister seufzte vernehmlich. "Moral ist ein hehres Wort", sagte er geringschätzig. "Und du bist sicher eine der wenigen, die es überhaupt in diesem Kontext benutzen."
Er richtete sich auf, so daß sie ihm direkt in die Augen sehen konnte, die zum ersten Mal seit langem schonungslos offen wirkten. "Ich bin zu tief gefangen in all dem, um noch ausbrechen zu können", fuhr er fort, nicht bitter, vielmehr ausgesprochen sachlich, als fände er eine seltsame Befriedigung in der Unabänderlichkeit, "aber du… sei nicht dumm, Catriona. Du weißt nicht, auf was du dich einließest."
MacGillivray schwieg betroffen; daß er so ehrlich mit ihr sprechen würde, hatte sie nicht erwartet.
Ohne, daß es einer Übereinkunft bedurft hätte, kehrten sie in eine innige Umarmung zurück, in der sie liebevoll seine Halsbeuge streichelte und er sich furchtlos ihrer Zärtlichkeit hingab, stets hoffend, sie würde nicht auf ihrem Standpunkt beharren.
Tatsächlich schien sie das Thema vorerst beendet zu haben; ihre ganze Aufmerksamkeit galt nun der köstlichen Zweisamkeit, in der sie schwelgten, als sei sie schwerer, dunkler, purpurner Wein. In dieser Form des Zusammenseins konnte sie sich bedenkenlos einreden, es gäbe keinen Beginn und kein Ende, konnte sich der Illusion ergeben, die Zeit stünde nur für sie beide still.
xoxoxox
Der neue Morgen brach an, frostig und nebelverhangen; man spürte es bis in die Kerker hinein, daß der Herbst eindeutig das Regiment übernommen hatte.
MacGillivray erhob sich geschmeidig; sie war fest entschlossen, dem Arbeitsbeginn ein gemütliches Frühstück vorausgehen zu lassen, doch sie hatte das Ankleiden noch nicht ganz beendet, als es verzagt an der Tür klopfte. Alarmiert huschte ihr Blick zum Bett, auf dem der Tränkemeister vollkommen entspannt in tiefem Schlaf ruhte; seine sonst in ständiger Alarmbereitschaft befindlichen Sinne hatten offenbar in ihrer Gesellschaft ein klein wenig Frieden gefunden.
Blitzschnell erwog sie, sich taub zu stellen; schließlich gab es keine glaubhafte, unverfängliche Erklärung ihrer Anwesenheit in seinen Räumen um diese frühe Stunde, aber dann besann sie sich eines Besseren. Bevor man ihn wegen einer Lappalie aus dringend benötigtem Schlummer riß, würde sie es riskieren, dem ungebetenen Gast einige Rätsel aufzugeben.
Sie warf die Robe über, langte nach der Brille und öffnete die schwere, eisenbeschlagene Türe, im Hinterkopf die praktische Möglichkeit, das Gedächtnis des Besuchers zu löschen.
"Verzeihen Sie die Störung", quiekte ein winziger, faltiger Hauself, der Catriona kaum bis zum Knie reichte und dessen große, wimperlose Augen weder Überraschung noch Neugier ausdrückten. "Direktor Dumbledore bittet Professor Snape, mit ihm zu frühstücken. Um acht Uhr. Miß MacGillivray ist ebenfalls eingeladen. Sie wissen nicht zufällig, wo ich sie finden kann?"
Hätte jemand Catrionas Gesichtsausdruck in diesem Moment eingefangen und auf Pergament gebannt, ihm wäre mit Sicherheit ein Preis zuteil geworden für die perfekte Kombination aus absoluter Konsterniertheit, indignierter Verblüffung und einem winzigen Fünkchen ironischer Belustigung.
Für wen oder was hielt sie der Elf, und sollte sie daraus wenig erbauliche Schlußfolgerungen über sonstige Besucherinnen des Tränkemeisters ziehen?
"Du hast sie gefunden", sagte sie so trocken, wie es ihr irgend möglich war und genoß aus tiefster Seele das Aufflackern totalen Entsetzens auf dem runzligen Gesicht des Elfen.
"Oh je, oh Merlin, ich bitte um Vergebung!" quietschte das Wesen, das sich der Schwere seines Faux pas erst jetzt in voller Stärke bewußt wurde. "Oh, nein, wie konnte ich nur…"
"Still", zischte Catriona wütend, "du weckst noch den Professor. Betrachte deinen Auftrag als ausgeführt."
Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu und holte tief Atem, um das Lachen, das sie in der Kehle kitzelte, zu dämpfen.
"Sag nicht, du hast die Tür geöffnet", ertönte urplötzlich die samtige, überhaupt nicht morgenheisere Stimme Severus Snapes, und Catriona blieb das Amüsement im Halse stecken.
"Wir sind zum Frühstück eingeladen", teilte sie ihm dennoch zuvorkommend mit und ignorierte seine Frage vollkommen. "Um acht."
"Du hast natürlich die Erinnerung des Boten gelöscht", sagte Snape mit lauernder Selbstverständlichkeit, woraufhin sie die Brauen hob.
"Natürlich nicht, Severus", sagte sie energisch. "Oder möchtest du, daß er noch einmal kommt, damit du öffnen kannst?"
Einen endlosen Augenblick fixierten sie sich; er versank in ihren schillernden Augen, die ihn immer wieder aufs Neue faszinierten; sie gab sich alle Mühe, nicht in den unergründlichen schwarzen Seen zu ertrinken, die sie bei jedem Blick hinein mehr fesselten.
Und dann grinsten beide; Snape trocken-sarkastisch, MacGillivray ironisch-amüsiert.
"Auf keinen Fall", bestimmten sie einhellig und begaben sich, sobald sich der Tränkemeister angekleidet hatte, in den Nebenraum der Großen Halle, der Dumbledore für kulinarische Zusammenkünfte in kleinem Kreise diente.
Außer dem alten Schuldirektor waren noch Remus Lupin, heute weitaus erholter, und Minerva McGonagall anwesend, die vielsagend die Brauen hob, so daß sie weit über ihren Brillengläsern thronten, als Catriona, gefolgt von Severus Snape den Raum betrat.
Sofort verdunkelte eine Wolke die abgezehrten Züge des Zaubertrankmeisters, und auch MacGillivrays heiterer Blick wurde merklich kühler.
Sie nickte Lupin zu, nahm jedoch zur Rechten der Lehrerin für Verwandlungen Platz. Snape setzte sich mit unbeweglicher Miene neben sie, und Catriona strich ihm flüchtig und zärtlich, für alle anderen unsichtbar, aufmunternd über die Hand, so daß ein winziges Aufblitzen in seinen Augen die Verbundenheit zu ihr verriet.
"Kaffee, ihr Lieben?" erkundigte sich Dumbledore mit der Überschwenglichkeit des zufriedenen Alters, schenkte den Neuankömmlingen ein und reichte duftende Buns und knusprige Brötchen herum.
Snape nahm zögerlich eines, schnitt es langsam auf, wie er einen Frosch würde seziert haben, präzise und gewissenhaft, mit einer an wissenschaftliche Neugier gekoppelten Faszination, aber ohne Freude oder gar Genuß. Er kratzte ein Kleckschen Marmelade auf eine Hälfte und widerstand nur mit Mühe der Versuchung, Catriona die andere auf den Teller zu legen, um sich der Verpflichtung zu entledigen, auch noch mit gebackenem Teig zu kämpfen.
Lupin, in kompletter Verkennung der Tatschen, lächelte milde, während er sein Brötchen mit Schinken und Käse bedeckte.
"Ich möchte Sie etwas fragen, Catriona", begann Dumbledore aufgeräumt, und seine klaren blauen Augen trafen sich sekundenlang mit den jetzt dunkelsmaragdenen der Schottin.
"Allerdings bin ich etwas unsicher, ob mein Vorschlag sowohl bei Ihnen selbst, als auch bei den anderen Anwesenden auf Zustimmung stoßen wird. Zögern Sie alle daher bitte nicht, Ihre Meinung kundzutun."
Snape legte das Brötchen beiseite, ohne etwas davon gekostet zu haben und sagte vorbeugend trotzig: "Ich bin dagegen."
Unter allgemeiner Belustigung versenkte er den Blick mißmutig im Dunkelbraun seiner Kaffeetasse, während MacGillivray ein säuerliches Grinsen zur Schau trug, das für die Fälle reserviert war, in denen sie die sprichwörtliche Kröte schlucken mußte. Warum, ärgerte sie sich leidenschaftlich, mußten solche Gespräche immer beim Essen geführt werden? Bemerkten sie denn nicht, daß sie dem Tränkemeister damit jeglichen Appetit verdarben?
"Ich möchte Miß MacGillivray einladen, dem nächsten Treffen des Ordens beizuwohnen", fiel der Alte mit der Tür ins Haus.
Catriona faltete die Hände auf dem Tisch ineinander; ihr Blick verriet nichts.
Snape jedoch kräuselte blasse Lippen, und purer Unwillen irrlichterte in seinen Obsidianaugen, als er mit schneidender Schärfe bemerkte: "Eine ausgesprochen egoistische Idee, Direktor, eine unbeteiligte Fremde in unseren gefährlichen Kampf involvieren zu wollen."
Die überraschten Blicke, die ihm sowohl McGonagall als auch Dumbledore selbst zuwarfen, veranlaßten ihn, betont garstig hinzuzufügen: "Wir wissen nicht, ob sie eine Spionin ist, die den Orden auskundschaften soll."
"Das ist doch wohl die Höhe!" rief MacGillivray sichtlich empört; sie dachte nicht mehr daran, daß sie sich vorgenommen hatte, über solch vorhersehbaren Verbalattacken zu stehen, und sogar Minerva McGonagall wirkte aufs Äußerste düpiert.
"Also wirklich, Severus", rügte sie den Jüngeren, "wenn Sie schon keine Dankbarkeit zeigen, halten Sie wenigstens Ihr Gift zurück."
"Minerva", schaltete sich Albus Dumbledore nun ein, in der Absicht, die Wogen zu glätten.
Snapes Blick war pures Eis, Lupin wiegte bedauernd den Kopf; einzig Catriona schien sich wieder in der Gewalt zu haben und wirkte trotz der erregten Röte ihrer Wangen plötzlich gelöst und nur minder beteiligt.
"Vergeben Sie Professor Snape", sagte sie leichtherzig. "Er hat in der letzten Zeit pausenlos gearbeitet, ohne sich zu schonen."
(Snape preßte in zorniger Ohnmacht die Lippen aufeinander und beschränkte sich darauf, mit den Augen das Bild an der Wand zu versengen; sie würde bekommen, was sie wollte und das in vollendeter Höflichkeit und ohne ihr Versprechen zu brechen. Wieso nur verschworen sich stets alle gegen ihn?)
Der Blick der Verwandlungslehrerin huschte vollends verwirrt von einem zum anderen.
Er beleidigte sie, und sie verteidigte ihn zum Dank dafür?
Verloren sie jetzt gemeinschaftlich den Verstand?
"Catriona würde dem Orden nicht schaden", meldete sich Remus Lupin zu Wort und blickte völlig gelassen in die Runde. "Trauen wir ihr etwa nicht zu, selbst zu entscheiden, was sie tun möchte?"
Unter dem anerkennenden Nicken der Anwesenden schüttelte Severus Snape resigniert den Kopf. Sie wollten nicht verstehen. In ihrem endlosen Egoismus zwangen sie MacGillivray eine Bürde auf, die sie zu tragen vielleicht nicht imstande sein würde, aber da man seine Einwände für den üblichen Trotz hielt, verstummte er bitter und sprach erst wieder, als McGonagall säuerlich einwarf: "Im Übrigen eilt Ihr Ruf Ihnen voraus, Miß MacGillivray. Wie kamen Sie denn zum Unterrichten?"
"Das müssen Sie mich fragen", sagte Snape eisig, aber Catriona unterbrach ihn liebenswürdig, bevor er sich mit einem unnötigen Geständnis unglücklich machen konnte: "Ich hatte mit Professor Snape gewettet, daß ich seine Klassen ebensogut im Griff hätte wie er. Das war der perfekte Zeitpunkt, meine Behauptung unter Beweis zu stellen."
Der Tränkemeister durchbohrte sie mit einem stechenden Blick, dem sie jedoch mit gelassener Souveränität standhielt, bis er endlich begriff, daß sie ihn nicht bevormundete, sondern schützte.
Wozu sollte er den anderen mitteilen, daß es ihm eher schlechter als besser ging, wenn nur ein einigermaßen interessierter Blick ausgereicht hätte, um ihn mit der Befehlsgewalt des Direktors oder der seiner Stellvertreterin auf die Krankenstation zu verbannen? Aber die Betreffenden waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich die Mühe des Hinsehens aufzuerlegen.
"Gewettet haben Sie?" Minerva McGonagalls rechte Braue schien sich an luftige Höhen gewöhnt zu haben; sie wirkte mehr als entgeistert. Den einzigen Zusammenhang zwischen Wetten und dem launischen Zaubertrankmeister, den sie sich vorstellen konnte, betraf das Ergebnis eines Quidditchspiels, aber selbst in diesen Fällen wog er für gewöhnlich sehr genau ab; immerhin existierte durchaus die Gefahr zu verlieren.
"Ich hoffe, es hat den Schülern nicht zum Nachteil gereicht", spottete die junge Schottin milde und ignorierte vollkommen McGonagalls Einwand. Sie schenkte Snape Kaffee nach, der ihr Tun aufmerksam beobachtete und ihr seinen Dank mit einem winzigen Nicken übermittelte.
"Gewiß nicht", lächelte Dumbledore gütig. "Severus, probier doch diese Ingwerkonfitüre", wandte er sich an den bleichen, hohlwangigen Tränkemeister, der angewidert launische Lippen verzog und entnervte Schlucke aus der Kaffeetasse nahm.
"Es wird Zeit für mich", sagte er schließlich unwirsch, schob den Stuhl mit einem gereizten Knarzen zurück und blickte Catriona herausfordernd an. "Während ich im Unterricht bin, wären Sie wohl so gütig, Madam Pomfreys Liste weiter abzuarbeiten?"
McGonagall, die einen verbalen Hieb der jungen Frau vorhergesehen zu haben meinte, wurde überraschend enttäuscht.
MacGillivray parierte mit einem so strahlenden Lächeln, daß in Snapes Wangen ein flüchtiges Rot stieg und er für einen Moment vergaß, wie der kritische Blick auszusehen hatte, den er extra für solche Angriffe geballter Liebenswürdigkeit einstudiert hatte.
"Für Sie mit größtem Vergnügen", schmeichelte Catrionas klingender Akzent, und Fäden subtilsten Spottes verwoben sich zu einem federleichten Klangteppich, der Snape nun vollends aus der Fassung brachte.
Mit wehenden Roben rettete er sich auf sicheres Terrain und zwang die Konzentration auf die bevorstehende Unterrichtsstunde. Erstes Jahr - nun, dazu bedurfte es keiner sonderlichen Vorbereitung, nur guter Augen und schneller Reflexe, um kleinere und vor allem größere Dramen nicht nur zu antizipieren, sondern auch zu verhindern.
"Ich bewundere Sie, Miß MacGillivray", sagte die Lehrerin für Verwandlungen unterdessen harsch. "Seine Launen zu ertragen ist gewiß… fordernd."
Catriona lächelte ein feines, versonnenes Lächeln, das alles und nichts preisgab.
"Ich sagte doch", erinnerte sie sanft, "daß ich etwas übrig habe für Herausforderungen."
Sie erhob sich.
"Werden wir Sie beim nächsten Treffen begrüßen können?" hakte Dumbledore nach, der die ganze Zeit in selbstvergessenem Nachdenken verharrt hatte.
"Wann und wo?" erkundigte sich die Schottin knapp.
"Schon übermorgen; den Ort erfahren Sie direkt von Remus Lupin hier."
Der Benannte nickte freundlich und erhob sich ebenfalls. Seinen Bewegungen waren längst nicht mehr steif; vielmehr strahlten sie eine wundervolle, zutiefst überzeugte Ruhe aus, die viel besser zu ihm zu passen schien, als die agitierte, rauhe Aufgewühltheit, die Vor- und Nachboten des Vollmondes mit sich brachten.
"Catriona, ich würde dich gern kurz sprechen."
"Im Labor, wenn es dir nichts ausmacht, dann kann ich schon beginnen."
Ihr eine Spur zu herrisches Kopfrucken erinnerte McGonagall unangenehm an Severus Snape. Sie tauschte einen fragenden Blick mit dem Schuldirektor, der jedoch nur gleichmütig-freundlich lächelte und sich zu keinem Kommentar herabließ.
xoxoxox
"Nimm doch Platz", offerierte MacGillivray, während sie eine komplizierte Glasapparatur aufzustellen begann.
"Reichst du bitte das Libellenöl…" Ein schmaler Finger deutete auf ein winziges Fläschchen, das durch Lupins Hände willig den Weg zu ihr fand, obgleich es ihm mißfiel, daß man ihre Bitten leicht für Befehle halten konnte.
Fasziniert beobachtete er, wie sie mit einem filigranen Pinselchen die Innenseiten der gläsernen Stopfen präparierte.
Wenn er nur tief genug in dem unter "erledigt - Schule - Zaubertränke" abgelegten Wissen kramte, würde ihm gewiß einfallen, wieso sie festgefressene Stopfen nicht einfach freihexen konnte.
MacGillivray entfachte ein kleines Feuer, warf der Kühlschlange einen prüfenden Blick zu, die sich, wohldosierte Kälte abgebend, lethargisch um das gläserne Kühlrohr ringelte, und drehte sich zu Lupin um, der sichtlich erstaunt auf das Wundertier starrte, dessen Existenz ihm bis dato unbekannt gewesen war.
"Sehr nützlich", bemerkte Catriona augenzwinkernd. "Noch besser wäre es, sie könnte gleichzeitig auch Wärme spenden. Du wirst noch sehen, wieso. - Was wolltest du mit mir besprechen?"
"Dieses Treffen", begann Lupin vorsichtig, "es ist mir wichtig, daß du nicht glaubst, es wäre deine Pflicht hinzugehen, nur weil ich dich schon vorher gefragt habe. - Noch etwas", sagte er hastig, als fürchtete er, den Faden zu verlieren, wenn er sie erst einmal zu Wort kommen ließe, "es gibt auch im Orden genügend Animositäten. Severus beschwört immer wieder Unmut herauf. Besonders Alastor Moody ist ihm ein Dorn im Auge und umgekehrt. Es ist besser, du weißt das."
"In Ordnung", sagte sie abwesend, die Augen konzentriert auf ihre Apparatur gerichtet. Als die Überdestillation begann, schleuderte sie die Kühlschlange, die solch rüdes Verhalten offenbar bereits gewöhnt war und schicksalsergeben ertrug, geschickt zurück in ihr heimatliches Körbchen und richtete den Zauberstab auf das Kühlrohr.
Lupin verfolgte interessiert, wie im Auffangkolben feinste, grünliche Kristalle ausfielen.
"Was so ein bißchen heiße Luft doch ausmacht", spottete Catriona ironisch, und erst jetzt begriff er, daß sie mit Hilfe des Zauberstabes das Rohr wieder erwärmte.
"Höchst unerfreulich, das Endprodukt im Kühler wiederzufinden", informierte sie trocken, und Lupin schloß aus ihrer Stimmlage und der minimalistischen Mimik, daß sie aus Erfahrung sprach.
Die Kühlschlange schien in trotzige Starre verfallen zu sein, aber MacGillivray rief sie mit einem "Accio, Serpens" wieder zum Dienst, als die Kristallisation ins Stocken kam, und das Spiel begann von neuem.
"Wie hat Severus das Treffen erlebt?" erkundigte sich Lupin unvermittelt und scharrte nervös mit den Füßen.
Catriona sah kurz und scharf auf, bevor sie entgegnete: "Das fragst du ihn besser selbst, Remus."
Lupin seufzte. "Dieser verdammte Streich… ich wünschte, wir könnten es ungeschehen machen, aber was geschehen ist, ist geschehen."
An der Art, wie ihn Catriona ansah, erkannte er sofort, daß sie von gänzlich verschiedenen Prämissen ausgegangen waren. Sie wußte nichts - Snape hatte Wort gehalten. Natürlich.
"Was für ein Streich?" fragte sie kaum hörbar und trachtete, die Destillation weiter unter Kontrolle zu halten, während rasende Gedankenströme über ihr zusammenschlugen.
Es gab also einen Vorfall, in den sowohl Remus Lupin als auch Snape involviert gewesen waren und der etwas mit Lupins Werwolfnatur zutun hatte.
Sie wagte kaum, weiterzudenken - zu gräßlich, was sich ihr phantasieüberreizter Verstand auszumalen imstande war.
Völlig unmöglich, daß… aber welchen anderen Grund konnte es für den furchtgeschwängerten Haß geben, den der Tränkemeister unverständlicherweise gegen den sanften, rücksichtsvollen Lupin hegte?
MacGillivray entfernte geistesabwesend die Kühlschlange und fönte das Rohr ein letztes Mal, bevor sie den Auffangkolben abkoppelte.
"Was - für - ein - Streich, Remus?" wiederholte sie drängend und bemerkte zum ersten Mal, daß ihre sonst so ruhigen Hände zitterten.
Auch Lupin rang sichtlich um Fassung, aber nun war es zu spät und an der Zeit, den eingeschlagenen Weg bis zum Ende zu gehen.
"Ich habe geglaubt, du wüßtest es längst", sagte er langsam. "Ich vertraue dir, daß du darüber schweigst."
"So wie du jetzt?" entfuhr es Catrionas scharfer Zunge, doch sofort reute sie ihre Impulsivität, und sie versöhnte ihn mit einer gemurmelten Entschuldigung.
Lupin holte tief Atem und erzählte ihr in knappen Worten von James Potters und Sirius Blacks Streich, der ihn unweigerlich ebenso betraf, obgleich er nie und nimmer zugestimmt hätte, wäre er von ihnen eingeweiht worden.
MacGillivrays aristokratische Züge schienen in fassungslosem Entsetzen erstarrt. Erst als er sagte: "Am schlimmsten war für Severus, daß Sirius und James keine nennenswerten Strafen bekamen und man James noch als heldenhaften 'Retter' lobte", kam Leben in die junge Schottin.
"Das erklärt einiges", stieß sie hervor, die schrecklichsten Vorahnungen bestätigt und rieb sich die Augen.
"Hochverehrter Merlin, wie konntet Ihr nur so etwas tun? Ihr" -
"Hör zu, Catriona", schnitt ihr Lupin ungeduldig das Wort ab, "du bist nicht die erste, die mir diese Frage stellt. Ich selbst habe mich immer wieder gequält, ob ich etwas hätte tun können, aber ich war verwandelt und wie gesagt, geschehen ist geschehen. Verschone mich also mit deiner sogenannten Moral."
Er hatte sich in Rage geredet, einen Gemütszustand, den MacGillivray bisher nicht von ihm kannte.
Wenn sie ihren ungläubigen Zorn für einen Moment vergaß und sich ein wenig Ehrlichkeit zubilligte, sah sie ein, daß er selbst nur benutzt worden war, ohne sein Mitwissen von zwei sogenannten Freunden in einen Streich verwickelt, der um ein Haar tragisch verlaufen wäre. Ihm dafür Vorwürfe zu machen, war nicht nur ungerecht, sondern auch gänzlich unsinnig, und unter diesem Aspekt hatte er allen Grund, ungehalten zu sein.
Dennoch verrauchte ihre Wut nicht so schnell, wie es gewiß besser gewesen wäre, denn sie sagte kalt: "In Ordnung. Immerhin verstehe ich jetzt einige Zusammenhänge." und wandte sich brüsk ab, damit er die Tränen nicht sehen sollte, die ihren Blick verschleierten.
Wie sehr Severus Snape bei der Trankpräsentation gelitten haben mußte, erschloß sich ihr erst jetzt mit absoluter, nackter Grausamkeit.
Und immer hatte er die Bürde allein getragen, stumm, ohne die Aussicht, das Vorgefallene jemals mit einem anderen Menschen teilen zu können.
"Wir sehen uns später, Remus", sagte sie heiser, "ich muß noch etwas tun."
Er strich ihr mitleidig und sorgenvoll über die Schulter, bevor sie dem Zuschnappen der Tür entnahm, daß er fort war.
Sie blieb noch eine ganze Weile wie versteinert stehen, bevor sie sich schließlich umwandte und mit ungeduldigen Zaubern aufzuräumen begann.
Die Arbeit war nur ein Vorwand gewesen; in ihrem aufgewühlten Zustand ließ sie besser die Finger von volatilen Experimenten.
Übrigens: Die beschriebene Feststoffdestillation gibt es wirklich; sie ist ein elend schwieriges Unterfangen… wer kann da nicht etwas Zauberkraft gebrauchen?
Kuckuckswein ist ein Aphrodisiakum der Katu und Sinti - in Latwergen nicht minder köstlich und wirksam. ;-)
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