Kapitel 12: Alraunenwein
"Ein erfolgreicher Tag", verkündete Catriona MacGillivray, als sie sich gähnend auf ein weiches Sofa in Dumbledores Büro sinken ließ.
Snape war von Madam Pomfrey auf die Krankenstation beordert worden, da sie den nicht unbegründeten Verdacht hegte, er würde - ohne Extraeinladung - die kurze Restzeit als Vorwand nutzen, um sich gar nicht mehr sehen zu lassen.
Der Alte nickte bedächtig. "Ich bin sehr froh, daß Sie meiner Bitte Folge geleistet haben"; sagte er langsam.
"Wie geht es Severus?"
"Oh", machte MacGillivray und wedelte abwehrend mit der Hand, so daß ihre bunten Armketten leise klingelten, "der Haß auf mich hält ihn aufrecht."
Ein trauriges Lächeln umspielte die furchigen Mundwinkel des Schuldirektors.
"Glauben Sie mir, Ihre Hilfe ist mehr als willkommen. Unschätzbar geradezu. Professor Snape ist nur niemand, der es gewohnt wäre, Dankbarkeit zu zeigen."
"Ich beschwere mich ja gar nicht", lachte sie. "Viele von seinen Wesenszügen sind mir nicht fremd. Und ich sagte es bereits: Ich habe Herausforderungen schon immer geliebt."
"Außerdem glaube ich mich zu erinnern, daß Sie durchaus in der Lage sind, sich verbal mit ihm zu messen", schaltete sich Minerva McGonagall ein, die bisher schweigend dem Gespräch gelauscht hatte.
Die junge Schottin blickte in falscher Betretenheit zur Seite, aber um ihre Mundwinkel zuckte es amüsiert.
"Sie schmeicheln mir, Professor"; sagte sie denn auch alles andere als beschämt. "Früher hielten Sie mich wohl eher für eine scharfzüngige Streberin."
Jetzt war es an McGonagall, peinlich berührt zu wirken. Genau so hatte sie nämlich die rothaarige Ravenclaw in Erinnerung behalten: sehr scharfsinnig, aber auch ziemlich unangepaßt und beschwerlich zu unterrichten.
"Morgen werden wir noch kleine Schönheitskorrekturen durchführen", erläuterte MacGillivray, ohne weiter auf die Lehrerin für Verwandlungen zu achten, die umständlich ihre Brille zu putzen begann.
Als sei ihr gerade eine Erkenntnis gekommen, ließ sie die Sehhilfe plötzlich sinken und warf mißtrauisch ein: "Haben Sie denn irgendeine Möglichkeit, das Ergebnis noch vorher zu testen?"
"Ich fürchte, unser beider Expertise muß genügen", entgegnete die junge Frau mit gespieltem Bedauern. Inzwischen hatte sie Gefallen daran gefunden, auf volles Risiko zu gehen; ein Leichtes allerdings, wenn man bedachte, daß über sie der Zorn Voldemorts auch nicht hereinbrechen würde.
Während McGonagall entsetzt die Hände rang, lächelte Albus Dumbledore so zuversichtlich, daß es Catriona ganz warm ums Herz wurde.
Er glaubte an sie (wohl mehr an Severus Snape, gestand sie sich nicht ohne Neid ein, aber dennoch...), das genügte.
xoxoxox
Als sie wenig später gedankenverloren zu ihrem Quartier schlenderte, heftete sich eine Gestalt an ihre Fersen.
Sie war nicht schreckhaft, und Jahre im brasilianischen Regenwald hatten sie gelehrt, zu jeder Stunde, in jeder Lage auf der Hut zu sein, so daß sie jäh innehielt und mit gezücktem Zauberstab in Sekundenbruchteilen herumwirbelte.
"Halt, halt, ich wollte Sie nur etwas fragen!" Remus Lupins abgewetzte Gestalt hob theatralisch die Hände.
"Ach, Sie sind es." Es klang nicht unbedingt begeistert. "Wieso schleichen Sie mir dazu nach? Ein freundliches 'Miß MacGillivray' hätte es durchaus getan. Sie könnten jetzt kopfunter an der Decke hängen, wenn ich es gewollt hätte."
Lupin verspürte einen unangenehmen Fall von Deja vú. War sie damals etwa auch dabei gewesen, als Sirius und James den armen Snape so grausam vor allen gehänselt und zur Krönung kopfunter an einem Baum aufgehängt hatten?
"Ich sehe, das Zusammensein mit Severus hat schon abgefärbt", versuchte sich Lupin wenig erfolgreich in Sarkasmus. "Was ich Sie fragen wollte..."
"Sie noch ganz bei Trost? Hier auf dem Gang?" MacGillivray wirkte übertrieben empört, und Lupin kamen plötzlich Zweifel, ob sie ihn nicht auf den Arm nehmen wollte, aber so scharf er sie auch ansah, ihre jetzt dunkelblauen Augen, die je nach Lichteinfall die Farbe veränderten, verrieten nichts.
"Kommen Sie mit, ich lade Sie auf - was mögen Sie denn?" unterbrach sie sich und blieb noch immer todernst.
"Ich..." Wieso fand er keine Worte? Ihr durchdringender, unergründlicher Blick verunsicherte ihn, er überlegte hastig, ob er sich besser aus dem Staub machen sollte, es war schon spät, aber nein, als männermordendes Ungetüm war die verschlossene Schottin nicht gerade verschrieen.
Wie in Trance folgte er ihr in ihr Quartier, ließ sich auf der äußersten Kante des Sofas nieder und wiederholte schwach, in Erinnerung dessen, weshalb er überhaupt gekommen war: "Ich wollte Sie fragen, ob das wirklich nötig war, Severus heute Mittag so abzuservieren."
"Ja, war es." Sie sah ihm tief in die Augen. "Ich hatte Hunger, und er brauchte Ruhe."
Sie strich zu ihrem Rucksack, kramte ein bißchen darin und förderte eine am Hals doppelt gewundene Flasche zutage.
"Alraunenwein! Natürlich selbstgemacht."
Irrte er sich, oder klang ihre helle Stimme anders als sonst?
Im Nu hatte sie zwei Gläser herbeigezaubert, in die sie die Flasche sich selbst einschenken ließ. Im Widerschein der Flammen funkelten ihre Augen hinter den schimmernden Brillengläsern smaragdgrün, und obwohl es Lupin unsagbar peinlich war, vermochte er den Blick nicht von ihr zu wenden. Hatte er sie früher für unattraktiv gehalten? Von ihrem kupfernen Haar ging eine merkwürdige Anziehungskraft aus, und er bemerkte zum ersten Mal, daß sie winzige silberne Ohrringe in der Form von Eidechsen trug.
"Zum Wohl." Ihre Hand streifte seine ganz leicht, als sie ihm das Glas gab. Seltsame Lichter tanzten in ihren unergründlichen Pupillen, und Lupins sonst so geordnetes Denken setzte aus, als sie neben ihn aufs Sofa glitt und seinen verwirrten Blick mit goldgrünen Augen gefangennahm.
xoxoxox
Severus Snape fuhr jäh aus unruhigem Schlaf. Das Dunkle Mal brannte schwarzviolett, und der Schmerz war so vertraut, als habe er auf ihn gewartet.
Aber etwas stimmt nicht; es war zu früh, und eisiges Entsetzen schmolz dahin in flammendem Schrecken.
Ein ganzer Tag zu früh - noch dazu mitten in der Nacht.
Er konnte nicht allein apparieren... nein, zuerst ankleiden... wieder keine Zeit, die Infusionsnadel vorschriftsmäßig zu entfernen. Die unzähligen Knöpfe seines schwarzen Gehrocks wollten sich mit zitternden Händen nicht schließen lassen; er fingerte hektisch an der Robe, verhedderte sich in dem viellagigen Stoff...
Lupin! Wo steckte der verdammt Werwolf?
Einer durch Licht aufgeschreckten Fledermaus gleich hetzte Snape durch die dunklen Korridore. Zum ersten Mal zahlten sich seine jahrelangen nächtlichen Patrouillen im Schloß aus; er benötigte kein Licht, um sich in einer Umgebung zurechtzufinden, die er wie seine Westentasche kannte.
Remus Lupins Quartier lag im Gryffindorturm, und Snapes Atem flog, als er ungeduldig an die Tür klopfte.
"Lupin", rief er gedämpft. "Lupin!", aber es öffnete niemand.
Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Snape umklammerte sein von mehreren lagen Stoff bedecktes Handgelenk, als könne er auf diese Weise den Schmerz abschwächen. Es war, als würden weißglühende Nadeln in sein Fleisch gestochen, aber während die übliche Reaktion Flucht gewesen wäre, zog ihn das Mal mit unwiderstehlicher Macht zu seinem Herrn und Meister, und Snape spürte, wie es immer schwieriger wurde, klar zu denken.
Er mußte dem Ruf Voldemorts folgen, und zwar nicht irgendwann, sondern SOFORT. Auf der Stelle. Es gab absolut KEINEN Grund, später zu kommen.
Fluch und Schande! Wo sollte er nach Lupin suchen?
Der Schmerz und mit ihm das unbändige Verlangen, augenblicklich zu tun, was man von ihm erwartete, wurde so fordernd, daß der Tränkemeister ein gepreßtes Aufstöhnen nicht unterdrücken konnte. Welche Macht der Dunkle Lord über ihn - über sie alle - hatte!
Ohne daß er sich später daran erinnert hätte, in welchem Zustand geistiger Umnachtung ihn seine Füße ausgerechnet auf diesen Irrweg geführt hatten, fand er sich plötzlich vor einem der Gästequartiere und sah sich zu, wie er wild an die Tür hämmerte.
Die Perspektive wechselte, er stieß halb von Sinnen die Pforte auf und blieb wie von einem 'Stupor' getroffen auf der Schwelle stehen.
Der Raum war nur durch den Feuerschein des Kamins erhellt; von irgendwoher erklang fremdländische, rhythmische Musik, und es roch betörend nach Vanille und Zimt.
Auf dem breiten Sofa aber räkelte sich in weniger anzüglicher als vielmehr urgemütlicher Pose niemand anderer als Catriona MacGillivray mit - Remus Lupin!
Sie kicherten albern und nippten selig an Gläsern mit bräunlichem Inhalt. Der Duft allein genügte, um Snape schwindelig zu machen.
Alraunenwein mit Vanille und Zimt verfeinert - ein Likörglas genügte im Normalfall, um die Konsumenten zu berauschen und, bei entsprechender Disposition, in den siebten Himmel der Aphrodite zu schicken. Diese beiden hatte mindesten eine halbe Flasche intus, außerdem hatte MacGillivray die Flammen behext, so daß sie in abwechselnd Schlangen- und Drachengestalt durch den Kamin tanzten, wenn man zu lange hinsah.
Nachdem sich Snape vom ersten Schock erholt hatte, huschten seine Obsidianaugen nervös und zornig im Raum umher.
"Lupin", herrschte er den hemdsärmeligen Mann an, der seinen Kopf höchst bequem an ein Sofakissen gelehnt hatte und ganz entgegen seinem sonstigen zurückhaltenden Naturell überhaupt keine Verlegenheit zeigte.
"Lupin, ich muß dich sprechen!"
Die rothaarige Schottin stupste ihre neue Bekanntschaft neckend in die Seite.
"Hast du gehört, er will dich sprechen", echote sie und lachte albern über den vermeintlichen Witz.
Auch Lupin gluckste dämlich, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Snape, grau vor Schmerz und peinlicher Berührtheit, hätte alles dafür gegeben, jetzt seine Zauberkräfte einsetzen zu können, um das exaltierte Pärchen erst eiskalt zu duschen und dann unter einem Fakirfluch durch den Raum springen zu lassen.
"Lupin!"
Obwohl die Stimme des Tränkemeisters vor Zorn und Abscheu rauh klang, lag ein verzweifelter, dringlicher Unterton darin, der bis zu Lupins benebeltem Verstand vordrang.
Ungeschickt rappelte er sich auf und kam unter MacGillivrays Grinsen, das man mit gutem Gewissen als mokant bezeichnen konnte, tolpatschig auf die Füße.
"Kommen Sie doch zu uns, Professor!" Die Schottin schwenkte einladend das halbvolle Glas Alraunenwein und schenkte Snape einen rätselhaften Blick.
Die Szene war so bizarr, daß ein unbeteiligter Beobachter voller gespannter Erwartung darauf gehofft hätte, daß Snape, der krampfhaft sein Handgelenk umklammert hielt und sie haßerfüllt anstarrte, sich für diese Lächerlichmachung jeden Moment furchtbar rächte.
"Was gibt es denn, Severus?" erkundigte sich Remus Lupin in dem vergeblichen Bemühen, eine ernste Miene aufzusetzen. Daß er dabei leicht hin- und herschwankte, trug nicht gerade dazu bei, sein Vorhaben glaubhafter zu machen und Snapes Groll zu mildern.
Urplötzlich wandelte sich jedoch sein Gehabe, und an die Stelle von Albernheit und Blödelei trat eine jähe Besorgnis, als er Snapes umklammertes Handgelenk gewahr wurde.
"Du hast noch einen Tag Zeit", sagte er ungläubig, als könne er damit das brennende Mal umstimmen.
"Sehr scharfsinnig", zischte der Meister der Zaubertränke höhnisch und ließ seinen Arm los.
Ein seltsames Taubheitsgefühl begann, sich vom Handgelenk strahlenförmig auszubreiten, die erste Warnung für sein Zögern, dem Ruf zu folgen. Später würde die Gefühllosigkeit in eine Lähmung übergehen, die ihn beim ersten Mal, als er dem Ruf erst Stunden später nachgekommen war, zu Tode geängstigt hatte, weil er nicht ahnen konnte, ob Voldemort sie wieder aufhob. Ein Tränkemeister mit gelähmter Hand, das war wie ein Quidditchprofi ohne Gleichgewichtssinn.
Mit einer herrischen Kopfbewegung komplimentierte er Lupin auf den Gang hinaus.
"Folge mir", befahl er mit unangenehm glitzernden Augen. "Ich muß den Trank aus meinem Büro holen."
Als Lupin den ganzen Weg laut protestierte, fuhr er ihn an, kaum daß sie sein Büro betreten hatten: "Und trink das, damit du wieder zu dir kommst!"
Er langte in ein Schränkchen und drückte dem Werwolf eine unbeschriftete Braunglasflasche in die Hand.
"Was ist das denn?" begehrte Lupin auf. "Woher soll ich wissen, daß du mich nicht vergiften willst?"
"Weil ich das einfacher hätte haben können", entgegnete Snape kratzig. "Außerdem brauche ich bedauerlicherweise deine Hilfe. - Würdest du die unermeßliche Güte haben, die Coffeatinktur nicht nur anzustarren, sondern sie zu dir zu nehmen?!"
Lupin schluckte mit einem kindisch-verletzten Blick das Ausnüchterungselixier, aber zu Snapes Leidwesen erlaubte die verzögert eintretende Wirkung dem Werwolf noch ein klägliches "Woher willst du wissen, was du mir da gegeben hast - so ohne Etikett?", (Snape durchbohrte ihn mit einem schmählichen Blick.) bevor ihn mit einem Mal ganz und gar unangenehme Gedanken durchströmten.
Hatte er wirklich gerade in seliger Vergessenheit mit Catriona MacGillivray auf ihrem Sofa herumgelümmelt, trunken von deutlich zuviel Alraunenwein, und Snape hatte sie so gesehen?
Und gab es möglicherweise noch mehr Gründe, peinlichst berührt zu sein, an die er sich aktuell gar nicht mehr erinnerte?
Ungeachtet dessen hatte es sich richtig angefühlt, mit ihr etwas zu trinken. Nach einer kurzen Aufwärmphase seinerseits unterhielten sie sich bald so unbeschwert und vertraut, als würden sie sich seit Jahren kennen.
MacGillivray faszinierte ihn durch ihren geistreichen, trockenen Humor und eine Eloquenz, die er schon immer für sich selbst ersehnt hatte. Und sie war bei weitem nicht so arrogant, wie es den Anschein hatte.
Er konnte es sich nicht erklären, woher die plötzliche Anziehung rührte; vielleicht hatte sie mit dem Alraunenwein 'seinen Kopf verhext', wie Snape es ewiggleich in seiner Ansprache an die Erstkläßler ausdrückte, aber fest stand, er hatte seit Ewigkeiten nicht mehr einen so angenehmen Abend verlebt.
Und keinesfalls würde er sich von einem sauertöpfischen, verbitterten Severus Snape deswegen Schuldgefühle einreden lassen.
"Du kennst das Prozedere", sagte der Tränkemeister gerade schroff und stellte rücksichtslos die mentale Verbindung her, derer es bedurfte, damit Lupin der Weisung des Dunklen Males Folge leisten konnte.
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Übrigens: Alraunenwein gibt es ebenso wie das Bilsenkrautbier auch bei den Muggeln - natürlich nur selbstgemacht! ;-)
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