Kapitel 11: Snape vs. MacGillivray
Vielen Dank allen Lesern und Reviewern! Ohne viele Worte gleich weiter mit der delikaten Zusammenarbeit…
Die folgenden Tage vergingen wie im Fluge. Severus Snape wirkte zwar noch immer arg mitgenommen, aber sein messerscharfer Verstand arbeitete auf Hochtouren. Sie mischten, kochten und verwarfen die Ergebnisse wieder, änderten Reihenfolgen und Mengen, variierten Rührrichtung und Feuertemperatur und lieferten sich leidenschaftlich-aggressive Wortgefechte, bis er schließlich das Grundrezept für zunächst annehmbar erklärte.
"Haben Sie sich mal überlegt, wie wir den Trank testen sollen, wenn er fertig ist?" fragte Catriona MacGillivray rebellisch, nachdem er sie gerade nach allen Regeln der Kunst abgekanzelt hatte, weil sie nur einen Moment nicht auf die Dampfentwicklung geachtet und damit - seiner Meinung nach - den einzig richtigen Zeitpunkt verpaßt hatte, um die Libellenflügel zuzugeben.
Severus Snape fuhr sich verärgert durch die strähnigen Haare und zügelte mühsam seinen Jähzorn.
Was gäbe er nur dafür, allein brauen zu können! Man hätte ihn kaum härter bestrafen können, als man ihm die Zauberkräfte nahm und ihn dadurch von ihr abhängig machte. Sie stellte nahezu alles in Frage, was er befahl, und dabei konnte er sich nicht einmal gebührend für soviel Impertinenz rächen. Sie hatte noch zwei weitere Male empfindlich klargemacht, daß sie seine Autorität zwar fachlich anerkannte, deshalb aber noch lange nicht bereit war, sich vor ihm in den Staub zu werfen.
"Natürlich", entgegnete er glatt. "An Remus Lupin. Wo steckt der übrigens?"
Er genoß den Ausdruck grenzenloser Empörung, der MacGillivrays ebenmäßiges Gesicht durcheinanderbrachte, von Herzen.
"Sie kaltschnäuziger, rücksichtsloser, undankbarer Mensch!" Sie betrachtete ihn wie ein äußerst seltenes, besonders widerliches Exemplar einer ausgestorben geglaubten Spezies.
(Snape kommentierte jedes ihrer Adjektive mit einem anerkennenden Nicken und ärgerte sie mit einem ironischen Lächeln.)
"Da nimmt er es auf sich, an Ihrem Bett zu sitzen und Händchen zu halten, und Sie haben nichts Besseres zutun, als ihn als Versuchskaninchen" -
Severus Snape erhob sich so plötzlich, daß ein Stapel Bücher von seinem Schoß auf den Boden fiel. Das Lächeln gefror auf seinen aschgrauen Lippen, seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und seine Stimme troff vor Haß, als er flüsterte: "Das hat er Ihnen erzählt?"
Entsetzen und Kränkung waren vollkommen. Er hatte nach der furchtbaren Zeit in Azkaban geglaubt, Lupin wäre nicht wie die anderen; er war rücksichtsvoll zu ihm gewesen und sogar freundlich, hatte ihr schwieriges Verhältnis ein ganz klein wenig aufgelockert. Was für ein Irrtum! Am meisten traf ihn, daß er der Illusion aufgesessen war, jemand könnte sich aus rein uneigennützigen Gründen für ihn einsetzen. Wie unglaublich dumm war er nur gewesen!
Catriona MacGillivray begriff anhand seiner Reaktion sofort, was ihre Worte angerichtet hatten, aber es war bereits zu spät, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Daher sagte sie sehr bestimmt und betont ruhig: "Remus Lupin hat mir gar nichts erzählt, Professor. Ich bin aber nicht blind. Er macht sich aus mir nicht verständlichen Gründen Sorgen um Sie, ebenso wie Direktor Dumbledore. Sie dagegen verspritzen Gift, wo Sie können. - Und wenn Sie einmal auf den Kalender gesehen hätten, würden Sie nicht fragen, wo er sich befindet!"
Also war Vollmond, und da Lupin sicher von ihr - oh, endlose Güte - Wolfsbann bekommen hatte (Sie sollte nicht glauben, er bemerke nicht, daß sie abends in seinem Labor weitere Tränke braute. Die wenig subtilen Veränderungen an den Vorräten und am Glassatz konnten selbst der Blinden Natter von Klee nicht verborgen bleiben.), fiel er als Testobjekt sowieso aus. Unerquicklich.
Snape fühlte sich mit einem Male ausgelaugt und leer. Wie gelang es ihr nur immer wieder, ihn bis aufs Blut zu reizen und ihn dann mit einem einzigen Satz so tief zu kränken, daß er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte?
Er fragte sich, wie er jemals die vom Dunklen Lord gestellte Aufgabe erledigen sollte; momentan würde er es jedenfalls keine Minute länger in demselben Raum mit diesem Weib aushalten. Er holte tief Atem, um dem Drang zu widerstehen, einfach hinauszulaufen. Das wäre ja noch schöner, sich von ihr aus seinem eigenen Büro vertreiben zu lassen.
Die Knie zitterten ihm als Ausdruck seiner aufgewühlten Seele so sehr, daß er sich unauffällig an die Stuhllehne klammerte. Das Gefühl einer zusammengeschnürten Kehle, das er seit seiner Schulzeit nicht mehr gekannt hatte, verursachte ihm Brechreiz, und in seiner Brust wurde es so eng, daß er kurzzeitig befürchtete, keine Luft mehr zu bekommen.
Aber ihr mitleidiger Blick, den seine Augen unerwartet auffingen, weckte seine erschütterten Lebensgeister neu. Sah man ihm etwa so deutlich an, was in ihm vorging? Er hatte sich doch nach Kräften bemüht, unbeteiligt und unangreifbar zu wirken. Was war nur schiefgegangen?
"Die Alternative ist, den Trank gar nicht zu testen", zwang er seine Zunge zu sagen und fand, als er seine eigenen Worte hörte, die Vorstellung mit einem Mal durchaus reizvoll. Das Ergebnis einzig nach den vermuteten Auswirkungen zu klassifizieren und auch so abzuliefern, grenzte zwar an tollkühnen Wahnsinn; auch entsprach ein solches Vorgehen nicht gerade seinem akribischen Naturell, aber in einem Anflug von draufgängerischem Wagemut fand er, es erhöhe die Spannung doch ungemein.
Seine Stimmung hob sich zusehends; das erdrückende Gefühl der ohnmächtigen Wut wich.
Er schritt leichtfüßig zu einem Tischchen, auf dem er Blätter und Blüten des Blauen Eisenhutes in Ethanol eingelegt hatte, um ihnen die Inhaltsstoffe zu entziehen. Eigentlich wäre dies nicht nötig gewesen, da die Pflanze stark genug war, um ihre magischen Wirkungen als Ganzes freizugeben, aber ihm gefielen elegante Lösungen, und er haßte es, untätig herumzustehen, während MacGillivray seine Arbeit tat.
"Sie werden, sobald sich die Oberfläche geglättet hat, vier Tropfen hiervon hinzufügen", befahl er seidig und stellte den Erlenmeyerkolben mit dem alkoholischen Auszug neben den Kessel, nachdem er das Kraut abgepreßt hatte.
"Okay!" Die Schottin sah übertrieben hastig zu Boden, damit er ihre Erheiterung nicht sehen sollte. Der Mann blieb ihr ein Rätsel. Eben noch zutiefst beleidigt, tat er jetzt so, als sei überhaupt nichts vorgefallen und hatte sich vollkommen unter Kontrolle. Solche Launen waren ihr noch nie zuvor begegnet, und sie hatte es schon mit einigen unausgeglichenen Zeitgenossen zu tun gehabt.
War er als Junge auch so gewesen? Sie hatte einfach zu wenig mit ihm zu tun gehabt, um sich eine Meinung zu bilden. Selbst, daß ihn diese vier Gryffindorburschen, unter ihnen Remus Lupin, mit unbarmherziger Regelmäßigkeit gefoppt und genarrt hatten, war ihr erst sehr spät aufgefallen, weil auch sie meist nicht an dem "sozialen Ringelpiez" der Schulkameraden teilnahm, sondern es vorzog zu lesen oder zu lernen.
"Das wäre jetzt", erinnerte Snape zynisch, und sie beeilte sich, die Tropfen punktgenau einzuträufeln.
Ein dünnes Lächeln erschien auf seinem mürrischen Gesicht, als sich die Farbe des Trankes von schmutzigem Braun zu einem zarten Violett wandelte.
"Gerade noch einmal Glück gehabt", kommentierte er gallig, und MacGillivray begriff, näher würde sie in absehbarer Zeit einem Lob wohl nicht kommen.
"Seien Sie froh, daß mein Selbstbewußtsein für uns beide reicht", murmelte sie leise, aber laut genug, daß er es gerade noch hören konnte. "Ich bin wirklich zu nett."
Tatsächlich begann sie sich immer öfter zu fragen, wieso sie sich das antat. Immerhin hatte sie in Brasilien genug zu tun, ihr Team war bei weitem nicht so unausstehlich wie der düstere Tränkemeister, und es war längst nicht so kalt wie in England.
'Du und deine Sucht, dich mit anderen zu messen', rügte sie sich stumm, 'nur deshalb hast du dir das aufgeladen. Wolltest schon immer sehen, ob Severus Snape wirklich besser ist als du.'
Ihr Ehrgeiz war seit jeher ihre Stärke und ihr Problem gewesen. Insgeheim glaubte sie, der Sprechende Hut hätte sie besser nach Slytherin gesteckt, aber von einem Hauswechsel hatte man noch nie gehört, und der Aufwand lohnte die Mühe nicht. In Ravenclaw konnte sie ungestört ihrem Wissensdurst frönen, aber alle Wettbewerbe, die nicht mit den Slytherins ausgetragen wurden, hinterließen einen schalen, unbefriedigten Nachgeschmack. Keine Ambitionen, kein Kampfgeist.
"Mich beschleicht das Gefühl, Sie sind nicht ganz bei der Sache", sagte Snape gerade sanft und schenkte ihr ein überaus frostiges Lächeln, von der Art, die Schüler nervöse Angstschauer über den Rücken jagte und ihr Denken für gewöhnlich erst recht ausschaltete.
"Wenn Sie die Güte hätten, sich das Mutterkorn vorzunehmen", fuhr er spöttisch fort und drückte ihr das Schälchen mit getrocknetem Roggen in die Hand.
"Der Pilz ist noch nicht ausgesondert", bemerkte sie überrascht und vollkommen arglos.
Er verzog genervt den Mund, und in seinen kalten Augen tanzte Unwillen.
"Für Sie wiederhole ich es gerne noch einmal", sagte er ätzend. "Ich kann nicht zaubern. Sonst wären Sie gewiß nicht hier."
Richtig! Hätte sie nur zuerst nachgedacht.
"Entschuldigung", sagte Catriona MacGillivray sofort, der eine leichte Röte ins Gesicht stieg. "Das war gedankenlos von mir", gab sie freimütig zu und ärgerte sich aufrichtig über ihren Fauxpas.
Mit einem auffälligen Schnippen ihres Zauberstabes trennte sie das Getreide ab und überführte den Pilz in ein gräuliches Pulver.
Snape blickte starr zur Seite, um ihr kinderleichtes Zaubern nicht sehen zu müssen. Kaum, daß sie fertig war, nahm er ihr das Schälchen ab und stäubte eine winzige Menge Pulver auf eine goldene Handwaage, die er mit Miniaturgewichten und einer Pinzette kunstvoll austarierte.
"Ein wenig mehr würde die Wirkung intensivieren", warf sie spitz ein.
"Ein wenig mehr", äffte er sie boshaft nach, "würde den Werwölfen vielleicht Brand in den Gliedmaßen verschaffen."
Sie verstummte betreten. An die besondere Physiologie der Wolfsmenschen hatte sie tatsächlich nicht gedacht. Schon wieder ein Punkt für Severus Snape.
"Holen Sie den Messinglöffel", befahl er abwesend, aber als sie das Utensil mit einem flotten "Accio" beschaffte, ruckte er indigniert mit dem Kopf, daß ihm das lange Haar ins Gesicht fiel und spie: "Das wäre nun auch zu Fuß möglich gewesen. Ist soviel Trägheit üblich in Brasilien?"
MacGillivray kam gar nicht dazu, etwas Passendes zu erwidern, denn bevor sie die beißende Gemeinheit herausschleudern konnte, die ihr auf den Lippen lag, fuhr er ihr mit einem sardonischen "Verschonen Sie mich, und geben Sie endlich das Mutterkorn dazu" über den Mund.
Für den Moment gehorchte sie zähneknirschend, rührte spiralig mit dem Messinglöffel, bis ein weinroter, herber Dampf aus dem Kessel aufstieg und Snape ein feines, beinahe zufriedenes Lächeln entlockte.
"Annehmbar", sagte er samtig.
Ihre Augen weiteten sich ob des von ihm gebrauchten Oxymorons. Jeder andere hätte einen Freudentanz vollführt oder zumindest einen Jubelschrei ausgestoßen nach einem so sauberen, eleganten Ergebnis ('dem äußeren Erscheinungsbild nach zu urteilen', rief sie sich zur Ordnung, 'keine Tests...') in so kurzer Zeit, und sein einziger Kommentar war - trotz des winzigen Lächelns - ein staubtrockenes "Annehmbar"?
"Füllen Sie eine Meßkelle der Grundrezeptur ab", verlangte er ungerührt. "Ich möchte noch einige Modifikationen vornehmen."
Ein kleiner Kessel mit der Mischung der Basiszutaten stand stets für Veränderungen bereit, aber Catriona MacGillivray verschränkte die Arme vor der Brust und rührte keinen Finger.
"Ich ziehe es vor, erst eine Pause zu machen und etwas zu essen", sagte sie angriffslustig. "Das stünde Ihnen auch gut zu Gesicht. Außerdem läßt mein Trunk für gute Sicht nach."
In aller Seelenruhe schlenderte sie zu seinem Schreibtisch und angelte nach einer Flasche, die in den Tiefen ihrer grünen Robe verborgen gewesen war. Nach einem labenden Schluck versenkte sie den Trank wieder und drehte sich, die Hände in die Hüften gestemmt, zu Severus Snape um, der ihr Tun kritisch beäugte.
"Kann ich Ihnen etwas mitbringen?" bot sie offenherziger an, als er es verdient hatte, erntete jedoch nur ein entgeistertes Kopfschütteln.
"Sie wollen jetzt essen gehen?" spuckte er, heiser vor Verachtung darüber, daß jemand niedere persönliche Gelüste über den Erfolg etwas viel Größeren stellen konnte. "Jetzt, wo wir mitten bei der Arbeit sind? Es bleiben noch genau zwei Tage, Miß MacGillivray!"
Ungesunde rötliche Flecken breiteten sich auf seinen prominenten Wangenknochen aus und wirkten mitleiderregend fehl am Platze in seinem sonst so blassen Gesicht.
"Ganz recht", bestätigte sie kühl, "aber wenn man nicht hin und wieder etwas auf sich achtet" - sie warf ihm einen bedeutungsschweren Blick zu - "sinkt die Leistungsfähigkeit auf einen Punkt, der dem Ihren ziemlich nahe kommt. Möchten Sie nun mitgehen oder nicht?"
"Nein, verdammt!" schrie Snape und warf den Messinglöffel, den sie gerade noch zum Umrühren verwendet hatte, mit voller Wucht in den Kamin, als sei er ein Schürhaken. Ruß rieselte zu Boden.
"Ich will nichts essen, wenn ich JEDE FREIE MINUTE benötige, um zumindest ein akzeptables Ergebnis zu produzieren."
Er bebte vor rasender Wut darüber, daß sie tun konnte (und würde), was sie wollte und er hilflos zusehen mußte, ganz gleich wie dringlich ihm die Fortsetzung der Arbeit erschien.
MacGillivray zuckte gleichmütig die Achseln, eine Geste, die immer wirkungsvoll war und ihn an den Rand des Wahnsinns trieb, bevor sie, die Robe über dem Arm, beschwingt das Labor verließ.
Sie hatte schon die Tür geschlossen, als ein berstendes Geräusch, gefolgt von einem Splittern und Platschen ihr verriet, daß er ihr etwas, vermutlich ein Standgefäß mit glibberigem Inhalt, nachgeworfen hatte.
Unausgeglichen war noch viel zu harmlos für ihn, überlegte sie nachdenklich und schlug den Weg in die Große Halle ein.
xoxoxox
Snape stand nach seiner Kurzschlußreaktion wie versteinert und beobachtete teilnahmslos, wie die Flüssigkeit in Zeitlupe von der Tür rann und sich einen Weg durch die Scherben auf dem Boden bahnte. Das eingelegte Etwas war unter einen Schrank geglitscht, wo sich sein weiteres Schicksal seiner Kenntnis entzog.
Er hörte wohl das Klopfen, konnte sich aber erst nach mehreren Minuten dazu bringen, ein holpriges "Herein" zu rufen.
Remus Lupins haselnußbrauner Kopf erschien im Türspalt. Er sprang ungeschickt beiseite, als er Scherben und Unrat gewahr wurde und sich ein Rinnsal gefährlich seinen ausgetretenen Schuhen näherte und auf den Gang zu entweichen drohte.
"Vorsicht", sagte Snape matt. Er wirkte gebrochen und so seelenwund, daß es Lupin mit der Angst bekam.
"Reparo", ordnete er an und dirigierte das nun wieder vollständige Glas auf einen Beistelltisch.
"Was ist passiert?" fragte er weich. Snape tat ihm unendlich leid. Nach dem zu urteilen, was Catriona MacGillivray hin und wieder erzählte, war die Zusammenarbeit mit ihm eine nicht endenwollende Fehde, weil sein verletzter Stolz und sein Wunsch nach bedingungsloser Unabhängigkeit ihm partout nicht gestatteten, Rat und Hilfe anzunehmen. Er machte es sich so unnötig schwer.
"Mißgeschick", winkte der Tränkemeister müde ab. Er zog seine dicke, schwarze Robe schützend um seinen mageren Körper, machte aber keine Anstalten, sich zu setzen oder sonstwie zu bewegen.
"Danke fürs Aufräumen", sagte er tonlos.
Snape bedankte sich bei ihm? Noch dazu in diesem Tonfall? Irgend etwas mußte vorgefallen sein, das über die gewohnten Streitereien mit Catriona MacGillivray hinausging.
Lupin sondierte vorsichtig das Terrain. Ein falscher Schritt, ein unbedachtes Wort, und er bekam womöglich auch ein Exponat hinterhergeworfen, denn er zweifelte nicht daran, daß die Schottin Snape so lange gereizt hatte, bis er die Beherrschung verlor.
Aha, die ästhetisch violette Flüssigkeit dort schien das Ergebnis ihrer Forschungen zu sein. Sie roch besser als der Wolfsbann, dachte Lupin neidisch. Sein Blick schweifte zum Nachbarkessel, in dem ein bräunliches Gebräu ein verhältnismäßiges Schattendasein fristete.
"Kommt ihr voran?" erkundigte er sich möglichst unaufgeregt.
Severus Snape nickte langsam. Die Demütigung steckte ihm so tief in den Knochen, daß er ein hilfloses Schulterzucken nicht unterdrücken konnte. Dennoch würde er nie, niemals ausgerechnet Remus Lupin sein Leid klagen. Nie!
"Komm, trink", sagte der Werwolf seltsamerweise und drückte ihm eine dampfende Tasse in die Hand. Schwarztee. "Du gönnst dir nie eine Pause."
Überrascht stellte Snape fest, daß ihm Lupin gerade die Legitimation gegeben hatte, sich einen Moment auszuruhen, ohne daß dies der Abwesenheit MacGillivrays geschuldet gewesen wäre. Mit etwas Phantasie konnte er sich einbilden, er wäre gar nicht auf ihre Zauberkräfte angewiesen und sie hätte ihn nicht rücksichtslos abserviert. - Nein, das würde er im Leben nicht vergessen, durchfuhr es ihn zutiefst erbittert.
Er schob die Teetasse weit von sich, obwohl ihre Wärme seiner frierenden Seele gut getan hatte.
Madam Pomfrey, die er weiterhin pünktlich jeden Abend aufsuchte, weniger aus Gehorsam denn aus der pragmatischen Einsicht in die Notwendigkeit, hatte ihn glauben machen wollen, sein niedriges Gewicht sei die Ursache, daß ihm nie warm würde. Das mochte zwar zutreffen, half ihm aber nicht weiter.
"Ich habe gerade ungewöhnlich viel Freizeit", sagte Lupin gedehnt, während er Snapes Labor mit gemessenem Gang abschritt.
"Ich könnte dir behilflich sein, wenn Miß MacGillivray... äh...anderweitig beschäftigt ist", schlug er vor und schwor sich, den Tränkemeister in einen Mistkäfer zu verwandeln, sollte dieser die Unverschämtheit besitzen, ihn für sein Angebot auch noch im Stile von "Du? Was verstehst du denn davon?" zu beleidigen.
Aber Severus Snape spottete nicht. Er erkannte durchaus Lupins Bemühen, ihm zu helfen, ohne daß er - Snape - sich herablassen mußte, und eine sonderbare Dankbarkeit keimte in ihm auf.
"Ich... würde es begrüßen, wenn du eine Meßkelle des Basistrankes" - er deutete mit einem dünnen Finger auf die bräunliche Flüssigkeit - "in diesen Kessel hier füllen könntest", sagte er beinahe scheu, aber noch immer voller Würde.
Lupin tat, wie ihm geheißen und entfachte Feuer unter dem neuen Kessel.
Daher wehte also der Wind. Sie hatte sich vermutlich geweigert, einem von Snapes Befehlen (Bitten konnte man das ja nicht nennen.) auf der Stelle nachzukommen und ihn dann auch noch mit nichts als seiner Ohnmacht stehengelassen, wohl wissend, daß er ohne einen Zauberer an seiner Seite zur Untätigkeit verdammt war.
Eine bittere Erniedrigung für einen so stolzen Mann.
Snape ging konzentriert seine Aufzeichnungen durch und wippte nachdenklich mit der Rabenfeder, die er zum Schreiben benutzte.
"Prüf die Temperatur."
"Siebzig Grad", verkündete Lupin. "Heißer oder kälter?"
"Besser wären neunzig", entfuhr es Snape ungewollt patzig. Es strengte ihn übermenschlich an, jeden seiner Gedankenschritte zu kommunizieren - ihn, der gewöhnlich in vollkommener Abgeschiedenheit und Stille seine Tränke braute.
Hämmernde Kopfschmerzen begannen, sich hinter seinen Schläfen auszubreiten.
Vielleicht war es doch keine gute Idee, sich von dem zwar willigen, aber völlig unbedarften Remus Lupin assistieren (Snape klammerte sich an das Wort; es erhielt ihm ein Restchen Würde.) zu lassen, dem er alles erklären mußte.
Er ging gesetzten Schrittes an ihm vorüber zum Vorratsschrank, dem er ein unbeschriftetes Kästchen entnahm und eine bauchige Flasche rasch im Ärmel seiner Robe verschwinden ließ.
"Nachher muß die getrocknete Bienenfressergalle zugegeben werden", hörte sich Snape ziemlich zusammenhanglos sagen.
Die Kopfschmerzen machten ihn schwindlig und halb blind.
Hastig entkorkte er die Flasche und stürzte den 'Curatio Micraniae' in einem Zug hinunter.
Lupin schüttelte verständnislos den Kopf. Wie unvernünftig konnte ein intelligenter Mensch sein?
"Wann kommt Miß MacGillivray zurück?" erkundigte er sich unvermittelt.
Ein verstocktes Schulterzucken. "Sie hat sich bei mir nicht abgemeldet", sagte Snape verschnupft.
"Gut, dann verbringst du die Zeit bis zu ihrer Rückkehr mit etwas Müßiggang", entschied Lupin, und seine Stimme klang, als probte er zum ersten Mal den Aufstand.
Ehe es sich Snape versah, hatte sich der harte Stuhl unter ihm in einen Sessel verwandelt. Eine Decke wärmte ihn, und es war so verlockend, den Kopf anzulehnen, daß er sich gewaltsam zur Ordnung rufen mußte.
"Keine Widerrede, Severus", drohte Lupin vorsorglich. "Ich habe soeben beschlossen, daß dir diese kleine Erholung mehr nützt, als meine zweifelhafte Hand beim Tränkebrauen. - Ich passe auch auf, daß dich niemand so sieht", versprach er ernsthaft.
Snape hatte immer gegen das angekämpft, was er als Schwäche der Natur bezeichnete. Man konnte weit mehr erdulden, als einen der wehleidige Körper glauben machen wollte. Das setzte allerdings voraus, es auch zu wollen, sich nicht armseligen Bedürfnissen wie Essen und Schlaf hinzugeben.
Er ertappte sich dabei, wie er sich ausmalte, wie es wohl wäre, die Augen für einen Moment zu schließen, für einen Moment nicht daran zu denken, daß er ohne Zauberkräfte einen extrem komplizierten Trank in nicht einmal vierzehn Tagen neu erfinden sollte, und das für niemanden Geringeren als den Dunklen Lord persönlich.
Es fühlte sich gut an, so unbeschwert zu sein, an nichts zu denken, einzutauchen in süße Vergessenheit...
"Severus."
Viel zu schnell holte ihn die Realität ein; der Sessel wurde wieder zu seinem vertraut harten Stuhl, und Remus Lupin nickte ihm verschwörerisch zu, bevor er an Catriona MacGillivray vorbei Snapes Büro verließ.
Die Schottin erwähnte ihren Streit mit keinem Wort. Sie legte die Robe ab, schnallte ihren Utensiliengürtel wieder um und heizte den von Lupin vorbereiteten Kessel auf exakt neunzig Grad.
"Wie geht's weiter?" erkundigte sie sich aufgeräumt. "Weniger Eisenhut, gleiche Menge Mutterkorn, aber rechtsherum rühren? Dann die Bienenfressergalle?"
Snape taxierte sie mit einem berechnenden Blick. Überraschende Kombinationsgabe für eine unbegabte, undisziplinierte Dschungelhexe.
"So ist es", bestätigte er gnädig. "Ich lasse es Sie wissen, wann die Galle hinzugefügt wird."
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Kleine Pflanzenkunde zur Erinnerung: Blauer Eisenhut (Aconitum napellus) zählt zu den giftigsten, aber auch schönsten Pflanzen Europas. Die Wurzeln haben im Winter den höchsten Alkaloidgehalt. Vergiftete klagen u.a. über ein Gefühl von "Eiswasser in den Adern".
Mutterkorn (Claviceps purpurea), ein auf bevorzugt Roggen parasitierender Pilz, führte früher oft zu Massenvergiftungen (Sankt Antoniusfeuer, bei dem den Betroffenen aufgrund der Gefäßverengung die Gliedmaßen brandig wurden). Heute nutzen die Muggel die aus ihm gewonnenen Alkaloide in Pharmazie und Medizin.
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