"Melde mich bei deinem Meister an. Sag ihm, Severus Snape wünscht ihn zu sprechen."
Der kleine Hauself verneigte sich tief vor der schwarz gekleideten Gestalt und griff eilig nach dem Umhang des Gastes, als dieser, ohne weitere Umschweife zu machen, selbstsicher das Haus betrat.
"Es ist lange her, seitdem Mr. Snape uns die Ehre seiner Anwesenheit zuteil kommen ließ." Mit einem Schnippen seiner kleinen Finger hing sich der Umhang wie von Geisterhand an der Garderobe auf und der winzige Hauself disapparierte zu seinem Herrn und Meister, um ihn von der Ankunft seines Gastes zu unterrichten.
Somit stand Severus Snape ,allein´ im Foyer und sein Blick traf das große Familienportrait der Malfoys. Der Anblick schmerzte mehr als tausend Messerstiche. Narcissa, in einem langen weißen Kleid, lächelte strahlend, während Lucius einen Arm um ihre schmale Hüfte gelegt hatte und ein circa vierjähriger, kleiner Draco Malfoy schaute mit großen, grauen Kulleraugen interessiert nach vorne. Alles an dem Bild wirkte so friedlich, freundlich und vor allem… glücklich.
Severus schloss die Augen und wandte den Blick schnell wieder ab. Gott, sie war so wunderschön und schon einmal hatte er sie aufgeben müssen. Auch letzte Nacht war der Schlaf nicht einfach zu ihm gekommen. Immer wieder und wieder quälten ihn die Gedanken an Narcissa und ihr ungeborenes Kind. Jede mögliche Entscheidung schien ihm die Falsche zu sein, jede barg Risiken und es gab viel zu verlieren…
Mit einem leisen ,Blob´ stand plötzlich der Hauself wieder vor Snape und riss ihn aus seinen Gedanken.
"Der Herr ist gewillt, Sie in seinem Arbeitszimmer zu empfangen, Mr. Snape. Wenn Sie mir bitte folgen wollen."
Das Haus der Malfoys war, wie viele der alten Herrenhäuser, dem Hogwarts-Schloss nicht unähnlich. Das Malfoy-Anwesen war bekannt für seine überhebliche Pracht: Für den polierten Marmor am Boden und für die gleißenden Kronleuchter an der Decke. Doch Snape kannte das Anwesen fast so gut wie seinen Besitzer und war deshalb nicht unwissend um die vielen dunklen, nur durch Fackeln erleuchteten Gänge, die einen in die Irre führenden Holztreppen und den ,Malfoy Kerker´ - berühmtberüchtigt bei allen Todessern. Denn schließlich gab niemand so ausgiebige Treffen wie Lucius Malfoy…
Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht und der Hauself ließ Severus vor einer dunklen, schweren Holzflügeltür allein zurück.
Mit einem unguten Gefühl öffnete Snape die Tür und betrat Lucius` Büro. Dieser saß in einem traditionellen, schwarzen Zaubereranzug hinter einem riesigen, alten Holzschreibtisch gemütlich in einem dunkelgrünen Ledersessel. Tief zurückgelehnt in eben diesen, betrachtete er den Neuankömmling interessiert, wobei seine halboffenen grauen Augen so kalt wirkten, wie das tiefschwarze Wasser des Pazifiks.
Der grüne Marmor des Fußbodens reflektierte das durch die riesigen Fenster hinter Lucius' Schreibtisch fallende Sonnenlicht relativ ungünstig, so dass Severus kaum mehr als die Umrisse seines Gegenübers erkennen konnte, als dieser sich aus dem Sessel erhob und auf ihn zukam.
"Hallo, Severus." Lucius Stimme war fast so freundlich, wie der Schlag den Severus im darauf folgenden Moment zu spüren bekam. Mit voller Wucht traf ihn die Faust seines alten Schulfreundes im Gesicht und Snape hatte um seine Beherrschung zu kämpfen, um nicht direkt den Boden unter den Füßen zu verlieren.
"Verräter!"
Tausende von Gedanken drängten sich gleichzeitig, wie eine unaufhaltsame Flutwelle, in Severus' Bewusstsein. Warum hatte Lucius ihn geschlagen? Wegen seines Verrates an Voldemort? Oder schlimmer noch, hatte Narcissa ihm, entgegen aller Vernunft, von ihrer kleinen Liaison berichtet?
Severus raffte sich auf und sah seinem Gegenüber das erste Mal seit über einem Jahr wieder in die stahlgrauen Augen. Nein, er wusste es nicht.
Severus brauchte kein Legilimentik anzuwenden, um so viel aus den Augen seines damaligen besten Freundes lesen zu können. Sie beide hatten sich sehr verändert seit ihrer gemeinsamen Schulzeit. Beide waren kälter geworden und hatten sich immer mehr voneinander entfernt, doch einige Dinge blieben immer wie sie waren. Wenn Lucius von dem Kind gewusst hätte, hätte er Snape bereits in dem Augenblick mit dem Cruciatus Fluch belegt, als er über die Schwelle seines Büros getreten war, davon war Severus überzeugt.
"Das ist also die ,legendäre Malfoy-Gastfreundschaft´?", fragte Severus unberührt mit hochgezogener Augenbraue und massierte provokativ seinen Unterkiefer. Zumindest war es diesmal nicht die Nase gewesen, welche in Mitleidenschaft gezogen worden war.
"Du hast vielleicht Nerven hier aufzukreuzen!" Lucius war mehr als wütend. Der Zorn war ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben, als er seinen Freund anfuhr und wie wild beschuldigte. "Wie konntest du uns das antun? Wir haben dir vertraut! Ich konnte es gar nicht fassen, als ich zum ersten Mal hörte, dass du…" Irritiert vom Desinteresse seines ,Gesprächspartners´ brach Lucius in seiner Schimpftirade entgeistert ab und starrte Snape verständnislos an, als dieser die Neuanschaffungen seiner Bibliothek zu begutachten schien.
"Verdammt Severus! Hast du nicht einen Funken Anstand ihm Leib! Hör mir gefälligst zu, wenn ich mir schon die Mühe mache, zu verstehen, was zum Teufel du da abgezogen hast!"
Severus stellte das Buch über Wirkungsvolle schwarze Magie des 21. Jahrhunderts wieder zurück ins Regal und lachte humorlos auf.
"Bei Merlin! Ein Malfoy redet über Loyalität und Anstand! Mir kommen gleich die Tränen."
Lucius stand kurz davor, Severus anzufallen. "Über die Hälfte unserer Kameraden ist tot! Die andere Hälfte sitzt in Azkaban und verliert zusehends den Verstand! Und es ist deine Schuld!"
Severus zuckte nur teilnahmslos mit den Schultern. "Besser sie als ich."
Plötzlich wurde Lucius wieder ungewöhnlich still, was niemals ein gutes Zeichen war, wenn er sich in Rage befand, wie Severus sich gut erinnerte.
"Besser ich als du?" Stille hing im Raum und wenn Severus Snape so etwas wie Schuld kannte, so war es jetzt, für den Bruchteil einer Sekunde in seinem Gesicht sichtbar.
"Glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich nichts mit deiner Inhaftierung zu tun hatte, Lucius. Es lag niemals in meiner Absicht, dir oder den anderen Schaden zuzufügen, aber ich hatte keine Wahl." Die zwei Männer sahen sich verbittert an. Beide zu stolz, um den ersten Schritt zu machen. Lucius kannte Severus schon lange vor ihrer gemeinsamen Schulzeit in Hogwarts und wusste, dass es nun an ihm war, ihre langjährige Freundschaft zu retten, doch war es zu schwer ihm einfach aufgrund seines Wortes zu glauben. Was zählte schon das Wort eines Verräters?
"Was denn? Der ,Held der Zauberwelt´ hatte keine Wahl?"
Severus konnte Lucius gewiss keine Vorwürfe machen, denn nach dem, was der Tagesprophet und die Hexenwoche über ihn und die anderen Mitglieder des Phönixordens berichtet hatten, war er ein Heiliger.
"Nicht lange nachdem du gefangen genommen wurdest, geriet alles außer Kontrolle, Lucius. Dumbledore hatte mich enttarnt und mich vor die Wahl gestellt. Sowieso wurden mir - und vielen der anderen - Voldemorts Pläne in der letzten Zeit etwas zu egoistisch. Er war wie besessen von Potter und kam der Realisierung seines Allmächtigkeitswahns gefährlich nahe. Unser Primärziel wurde dabei immer mehr vernachlässigt. Ich war nicht begeistert von der Idee, einem Verrückten zur Unbesiegbarkeit zu verhelfen, wenn du verstehst, was ich meine. Das Auffliegen meiner Tarnung war nur noch der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte." Ja, ja. Eine Lüge versteckt man immer am besten zwischen zwei Wahrheiten.
Severus suchte kurz den Blickkontakt zu Malfoy und ließ sich dann in einen der zwei kleineren, grünen Ledersessel vor Lucius' Schreibtisch fallen.
"Wenn ich jetzt manchmal darüber nachdenke, habe ich vielleicht sogar unterbewusst gehandelt und war mehr oder minder vorsätzlich unvorsichtig, damit Albus mir meine Entscheidung abnehmen konnte." Ein weiterer Blick überzeugte Severus davon, dass Lucius ihm seine Geschichte abgekauft hatte. Ein zufriedenes Lächeln zeichnete sich auf dem ansonsten verhaltenen Gesicht des Zaubertränkemeisters ab. Er konnte es immer noch.
"Außerdem stehe ich nicht gerne auf der Seite der Verlierer."
Lucius entließ hörbar die unbewusst angestaute Luft. Der Kerl war einfach nicht zu fassen! Mit einem argwöhnischen Kopfschütteln setzte sich Lucius wieder in seinen Sessel auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches.
"Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du hier einfach so reingeplatzt bist. Du wusstest, dass ich dir glauben würde, oder?"
Snape nickte und schenkte seinem Freund ein kurzes Lächeln. "Ja, natürlich. Ich bin ja nicht lebensmüde." Sagt Mr. Ich-lebe-seit-über-zehn-Jahren-immer-am-Rande-des-Abgrunds-Snape! Das Leben ist voller Ironie…
"Aber um mir das zu sagen, bist du sicherlich nicht hierher gekommen?" Es war eigentlich mehr eine Feststellung als eine Frage und Lucius lehnte sich interessiert nach vorne, wobei er seine Hände übereinandergekreuzt auf den Schreibtisch legte.
"Was also ist der eigentliche Grund deines plötzlichen Besuches, Severus?"
Snape würde sich eher die Zunge abbeißen, als ihm den ,eigentlichen Grund´ seines Besuches zu nennen. Ohne zu zögern schob der Zaubertränkemeister den Stoff seines linken Ärmels nach oben und enthüllte das nun deutlich sichtbare Dunkle Mal. "Das hier."
Lucius erschien wenig überrascht, woraus sich schließen ließ, dass auch sein Mal zurückkehrt war.
"Du bist der einzige von damals, dem ich noch genug traue, mich nicht auf der Stelle zu töten. Ich nehme nicht an, dass du mir sagen kannst, was genau der Auslöser für die Wiederkehr des Dunklen Mals ist?"
"Nein. Ich habe keine Ahnung." Nun war es Malfoy, der lächelte. "Und wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht sagen."
Mit neuem Elan schwang sich Lucius aus dem Sessel, griff nach dem ,Ausgehstock´ und legte Severus freundschaftlich eine Hand auf die Schulter.
"Aber nun genug von diesem Thema. Komm, wir gehen in einen etwas unformelleren Raum und gönnen uns einen Brandy." Snape kam Malfoys Vorschlag umso lieber nach, da Alkohol genau das war, was er jetzt benötigte.
"Wie macht Draco sich in der Schule?"
***
Severus war hier. Narcissa fühlte, wie tausende von Schmetterlingen in ihrem Bauch nicht aufhören wollten zu fliegen. Severus war hier. Sie musste ihn sehen. Jede einzelne Faser ihres zerbrechlichen Körpers schrie nach ihm. Sie konnte sich einfach nicht dagegen wehren. In Gedanken ohrfeigte Narcissa sich für ihren jugendlichen Übermut. Du benimmst dich wie ein liebestoller Teenager! Reiß dich gefälligst zusammen!
Einfacher gesagt als getan. Wie ein eingesperrter Tiger in seinem Käfig, ging sie unruhig in ihren Gemächern auf und ab und warf immer wieder einen Blick in den Spiegel.
Severus war schon seit mehreren Stunden unten im Wohnzimmer zusammen mit ihrem Ehemann. Die Sonne ging allmählich blutrot hinter den Bäumen unter und es würde bestimmt nicht mehr all zu lange dauern, bis Severus seinen Abschied nehmen würde. Sie musste sich beeilen.
Narcissa stürmte zum Sekretär, der vor ihrem Schlafzimmerfenster stand, und griff nach einem Blatt Pergament und einer Feder.
Severus,
muss dich sehen.
Warte in der Gartenlaube hinter dem Haus auf dich.
N.M.
Sie schrieb die Nachricht so platzsparend wie eben möglich auf die untere rechte Ecke des Blattes, riss diese ab und faltete das Papier mehrere Male, bis es sich gut in ihrer Hand verstecken ließ. Dann ging sie nach unten.
Severus und Lucius saßen vor dem großen Kamin und schienen bei recht guter Laune zu sein, als Narcissa den Raum betrat. Mit gut gespielter Überraschung kam sie auf ihren Besucher zu.
"Severus Snape. Wenn das nicht eine Überraschung ist."
Wie es die Höflichkeit gebot stand Severus auf, um die Hausherrin zu begrüßen, während Lucius in seinem Sessel sitzen blieb und ein weiteres Mal an seinem Brandy nippte.
Narcissa reichte Severus zur Begrüßung lächelnd die Hand und ließ ihm so unbemerkt den Zettel zukommen. Dann ging sie zu ihrem Mann und küsste ihn flüchtig auf die Wange.
"Warum hast du mir nicht bescheid gesagt, dass wir einen Gast erwarten, Darling?"
Lucius nahm spielend ihre kleine Hand in seine, als Narcissa sich demonstrativ hinter den Sessel ihres Mannes stellte.
"Severus hat mich ein wenig mit seiner Anwesenheit überrumpelt, könnte man sagen."
Ein vielsagender Blick traf die schwarzen Augen Snapes.
"Außerdem ist er Schuld daran, dass ich morgen zwei, anstatt eines Stapels bürokratischen Nonsenses bearbeiten muss," Lucius hauchte einen Kuss auf Narcissas Handfläche, bevor er sie wieder freigab und schaute dann liebevoll zu ihr empor, "und somit keine Zeit für meine hinreißende Frau haben werde." Narcissa lächelte ihn mit gespielter Skepsis an. Sehr gut, Lucius, lobte sie im Stillen ihren Ehemann. Sie beide kannten die Spielregeln einer ,perfekten Ehe´ genau und hatten mit der Zeit gelernt, das Spiel in einer nie zuvor dagewesen Perfektion zu vollenden. Sie selber hatte sich in der Vergangenheit ab und an den Luxus gestattet, auf die schöne Fassade hereinzufallen, anstatt sich mit der unschönen Wahrheit zu konfrontieren.
"Nun gut. Dann werde ich euch zwei nicht länger mit meiner Anwesenheit belästigen. Ich bin sicher, dass ihr euch noch eine Menge zu erzählen habt." In genauso perfekter Manier wie sie den Raum betreten hatte, verabschiedete sie sich auch wieder und machte sich auf direktem Weg in den Garten.
***
Kalt. Narcissa hatte vollkommen vergessen wie ungewöhnlich kalt es selbst zu dieser Jahreszeit abends in England werden konnte. Erneut zog sie ihren hellen Umhang enger um ihre Schultern und rieb sich die Oberarme. Wenn Severus sich nicht beeilen würde, würde sie hier draußen wahrscheinlich erfrieren. Sie hoffte inständig, dass er genug Verstand besaß, seinen Aufenthalt in Malfoy Manor nicht länger als nötig nach ihrem Abgang zu gestalten.
Dann kam ihr ein Gedanke und Narcissa zog ihren Zauberstab aus ihrer Manteltasche.
Endlich einmal zahlte sich der Umstand, Hexe zu sein wirklich aus. Nach ein paar geflüsterten Worten durchflutete eine angenehme Wärme ihren Körper und die weiße Kalksteinbank, auf der sie saß.
Die Laube war gut versteckt, im Dunkel der hohen Kiefern und der Buchsbaumhecke, hinter der sich die Bank befand. Die Hecke war nicht unweit von dem, ebenfalls aus Buchsbaum bestehenden, kleinen Irrgarten des Anwesens entfernt, so dass nicht jeder sie ohne weiteres hätte finden könnte. Dann hörte sie Schritte.
"Severus." Narcissa ließ sich in seine Arme fallen und schloss die Augen, als sie ihren Kopf in seiner Halsbeuge versteckte und seinen Geruch einatmete. Es war ein überwältigendes Gefühl, wieder in seiner Nähe zu sein. Einfach nur bei ihm zu sein. Warum konnte er sie nicht für immer festhalten?
"Narcissa?" fragend schob er sie von sich weg und sah Tränen in ihren traurigen, blauen Augen.
"Severus, ich hab´ Angst." Narcissa fühlte, wie ihre Beine zu versagen drohten, als Severus sie wieder haltend an sich zog. "Ich weiß nicht was ich tun soll." Ihr kindlicher hilflos- verzweifelter Gesichtsausdruck tat seine Wirkung. "Ich liebe dich", hauchte sie unter Tränen und ihr Mund fand den seinen. Narcissa ließ ihre Hände langsam über seine Brust hinauf zu seinem Hals wandern und verschränkte sie dann hinter seinem Kopf, als sich ihr gesamter Körper der Länge nach an ihn schmiegte. Gott, sie liebte ihn so sehr, dass es wehtat.
Jede Minute, die sie ohne ihn war, war wie die gerechte Strafe Gottes für den Verrat an der Liebe, den sie Jahre zuvor mit ihrer Heirat begangen hatte.
Vielleicht war es gerade die plötzliche, körperliche Nähe, die Severus wieder zu Verstand kommen ließ. Nicht unwirsch, aber dennoch nachdrücklich, schob er sie erneut von sich.
"Nein." Zu verwirrt von all den unbekannten Emotionen und Ängsten ließ Narcissa sich widerstandslos von ihm zurück auf die Bank drücken.
Severus kniete sich vor ihr hin und nahm ihre erneut erkalteten Hände in die seinen. Narcissa lehnte sich nach vorne und betrachtete das Gesicht ihres Geliebten verzweifelt.
"Was sollen wir nur tun? Wir müssen es ihm sagen. Ich kann es nicht immer geheim halten. Ich kann einfach nicht mehr…" Ihre Tränen fielen hemmungslos und sie versuchte ohne Erfolg, sie mit dem Ärmel ihres Umhanges zu vertreiben.
Severus griff nach ihrer linken Wange und strich ihr sanft eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr. Hypnotisch strichen seine langen Finger über ihre rosige Wange, als er versuchte sie zu beruhigen.
"Narcissa, du musst jetzt sehr stark sein, hörst du? Nicht für mich, nicht für dich, sondern für unser Kind." Er schluckte hart und wagte kaum sie anzusehen. Warum war es nur so verdammt schwer, sie von seinem Entschluss in Kenntnis zu setzen?
Zwar waren noch keine Anzeichen für eine Schwangerschaft erkennbar, doch aus purem Instinkt griff Severus Hand nach ihrem Unterleib und legte sie schützend darüber.
"Unser Kind…", er stockte und schloss die Augen. "…wird als ein Malfoy aufwachsen." Endlich fasste er wieder den Mut, ihr in die Augen zu blicken und was er sah, schmerzte mehr als Voldemorts Cruciatus Fluch es jemals vermocht hätte. Er hatte sie verstoßen. Ihr Vertrauen missbraucht. Das war alles, was er aus ihren blauen Augen lesen konnte. Wie ein gefallener Engel saß Narcissa auf der weißen Steinbank. Ihre Lippen waren blau geworden von der eisigen Kälte und erste Regentropfen gesellten sich zu den getrockneten Tränen auf ihrem Gesicht.
"Weißt du, was du da von mir verlangst? Ich…" Ihre Stimme versagte, als ihr Verstand ihr aufzeigte, welche Konsequenzen diese Entscheidung haben würde.
Sie war einfältig gewesen zu glauben, dass es ein gutes Ende für sie beide hätte geben können. Ja, einfältig. Lucius hätte sie eher getötet, als sie einem Anderen zu überlassen. Hatte er sie jemals geliebt? Narcissa wusste es nicht genau. Aber ein Malfoy teilte nicht. Eine Scheidung ähnlich der der Muggel gab es in der Zauberwelt nicht. Bis das der Tod euch scheidet…
"Werde ich dich wieder sehen?", fragte Narcissa, unfähig ihr gebrochenes Herz aus ihrer Stimme zu verbannen.
"Natürlich… Schließlich sind dein Ehemann und ich gut befreundet." Es war nicht die Antwort, auf die Narcissa gewartet hatte, doch Severus konnte sich in diesem Moment zu keiner anderen Antwort durchringen. "Lucius wird dir ein guter Mann sein. Ich werde schon bald für einige Wochen nach Deutschland gehen. Es ist eine Schulveranstaltung. Ich nehme an, dass du bis dahin Lucius davon überzeugt hast, dass er Vater wird?" Severus konnte kaum fassen, was er da gerade gesagt hatte und er wagte nicht, sich vorzustellen, wie tief er Narcissa mit seinen Worten getroffen hatte, wenn auch er die Klinge bereits in seinem Herzen gespürt hatte.
"Natürlich." Narcissa entzog Severus ihre zerbrechlichen Hände. "Ich möchte, dass du mich jetzt allein lässt, Severus."
Es kostete ihn große Überwindung, sie einfach so zurückzulassen, doch alles andere wäre falsch gewesen. Wenn er jetzt wieder zu ihr ging, um sie zu trösten, würde alles wieder von vorne beginnen. Das war Narcissa bewusst, als sie Severus fortschickte.
Als sie die Schritte sich entfernen hörte, brach sie auf dem kalten Steinboden zusammen und ließ sich erstmals von ihren Gefühlen übermannen.
Narcissa wusste nicht, wie lange sie im Regen gelegen hatte, doch als sie ihre klammen Glieder nicht mehr zu spüren drohte, stand sie auf und ihr Blick traf ihr Spiegelbild im Wasser eines stillgelegten Springbrunnens. Doch die Person, die ihr entgegensah, kannte Narcissa nicht. "Nein." Entsetzt über sich selbst fand die junge Frau endlich wieder zu sich.
"Ich bin Narcissa Malfoy", sagte sie laut, um sich selbst davon zu überzeugen. Ja, sie war Narcissa Malfoy. Sie war stark. Mit einem Wink ihres Zauberstabs, beseitigte sie die letzten Zeugnisse ihres Zusammenbruchs und spielte wieder ihr Spiel. Sie war Narcissa Malfoy und sie würde nicht untergehen! Stolz, um nicht zu sagen arrogant, ging die junge Frau mit wehendem Umhang auf das Anwesen zu. Lucius wartete bereits auf sie.