Kapitel 6:
Katzentumult
Hermine Granger war auf dem Weg zum Schulsprecher-Gemeinschaftsquartier und freute sich bereits auf die Wärme und Bequemlichkeit des Kaminfeuers. Wie immer hatte sie so gut wie jedes Fach, das sie belegen konnte, auch belegt (bis auf Wahrsagen, das sie noch immer für nutzlos hielt) und fast die gesamte freie Zeit, die sie heute gehabt hatte, hatte sie in der großen Bibliothek von Hogwarts verbracht, um die vielen Hausaufgaben rechtzeitig erledigen zu können, was einen Abend am Kamin, nach all den Strapazen, noch attraktiver erscheinen ließ.
Sie machte sich Sorgen. Voldemort war tot, Hermine hatte es selbst miterlebt, aber sie war sich ziemlich sicher, dass Professor Snapes Dunkles Mal wiedergekommen sein musste. War Voldemort vielleicht doch nicht tot? Das hatte man schließlich schon einmal fälschlicherweise angenommen. Oder bedeutete es etwas vollkommen anderes?
Es bedeutete auf jeden Fall nichts Gutes. Doch Hermine hatte sich fest vorgenommen, dass sie herausfinden würde, was es mit dem Dunklen Mal auf sich hatte - selbst wenn sie dafür Harrys Unsichtbarkeitsmantel stehlen müsste, um in die verbotene Abteilung der Bibliothek zu gelangen!
"Muttersöhnchen."
Hermine flüsterte noch immer das Passwort. Warum konnten sie es auch nicht ändern?! Als sie und Draco nach dem Frühstück Dumbledore abgefangen hatten, um dieses Problem zu besprechen, hatte dieser mit einem eindeutig amüsierten Gesichtsausdruck gemeint, es ließe sich nicht ändern, aber Hermine war sicher, dass ihr Schulleiter es einfach nicht ändern wollte.
Als sich das Gemälde geöffnet hatte und ein ärgerlich dreinblickender Draco Malfoy sie mit Blicken zu töten versuchte, kehrte auch Hermines schlechtes Gewissen wieder zurück.
Warum musste nur so viel schief gehen dieses Jahr?
Ein Blick auf den Tisch des Aufenthaltsraumes überraschte Hermine. Er war überfüllt von Pergamentrollen und gefalteten Pappkärtchen; und Tintenfässchen mit verschiedenen Farben standen vor Draco, welcher mittlerweile wieder damit beschäftigt war, die gefalteten Kärtchen zu beschriften.
"Oh. Für Professor Malfoys Muggelkundeunterricht?" Als Draco zu ihr aufschaute, bemerkte Hermine, dass sie die Frage wohl laut ausgesprochen haben musste. Irgendwie schien sie Fragen nicht für sich behalten zu können.
Draco wusste nicht, ob er auf ihre Frage antworten sollte. Er hatte schon eine ganze Stunde daran gesessen, die Kärtchen zu beschriften und sich eine Liste mit allen Teilnehmern des Muggelkundekurses zu erstellen.
Verdammter Onkel!
Und durch Snapes Strafarbeit hatte er bis jetzt keine Zeit gehabt, diese sinnlosen Namenskärtchen zu schreiben; und wie es aussah würde er noch lange daran sitzen. Er hatte nicht einmal alle Namen zusammen! Morgen hatten sie Zaubertränke und Muggelkunde, er konnte es also nicht weiter aufschieben.
So ein verdammter Mist!
Wenn er noch im Slytherinkerker wohnen würde, hätte er einem anderen die Arbeit aufhalsen können; diese dumme Parkinson hätte sich bestimmt darum gerissen. Aber jetzt konnte er nicht einmal jemanden in seinen Turm mitnehmen, wegen dieses bescheuerten Passwortes (nicht, dass er das Bedürfnis dazu hatte). Und Schuld war nur diese Granger.
"Du musst wohl überall deine Nase reinstecken. Warum bist du nicht bei Narbengesicht und seinem Wiesel?"
Hermines Miene verdunkelte sich. "Du hast kein Recht, sie so zu nennen, Malfoy!"
"Oh, ich vergaß! Alle Namensvergaberechte liegen ja bei dir." Er konnte ihr wenigstens das Gewissen verschlechtern, oder?
Hermine hatte die Anspielung auf das Passwort nicht überhört. Das würde sie jetzt wohl bei jeder Gelegenheit zu hören bekommen. In dieser Situation konnte sie sich aber unmöglich entschuldigen, dann hätte sie gegen Malfoy verloren. Und jetzt in ihr Zimmer zu verschwinden, käme wohl einem Rückzug gleich. Sie würde sich sicher nicht vertreiben lassen. Es musste Gryffindormut gewesen sein, der sie sich in einen der Sessel setzen und ein Buch zum Lesen in die Hand nehmen ließ.
Verdammt, kann sie nicht einfach in ihr Zimmer verschwinden? Verärgert wandte Draco sich wieder den Namenskärtchen zu. Er hatte sogar ernsthaft darüber nachgedacht, sie einfach nicht zu schreiben, aber man wusste ja nie, ob sein Onkel ihn dann nicht doch nachsitzen lassen würde. Allein der Gedanke daran, mit seinem schwulen Muggelkundeprofessor allein seine Strafe absitzen zu müssen, spornte ihn an.
Hermine konnte nicht verhindern, immer wieder über ihr Buch hinweg Malfoy zu beobachten. Warum nahm er diese Namenskärtchen so ernst?
Dracos Beziehung zu seinem Onkel war Hermine noch immer ein Rätsel. Einerseits schien er ihn abgrundtief zu hassen. Andererseits erinnerte sie sich aber noch an das Ende der letzten Muggelkundestunde: Als Professor Malfoy kurz vor dem Verlassen des Raumes aus Versehen eine Flasche der ,Muggelgetränke´, die er mitgebracht hatte, umgestoßen hatte und diese auf dem Boden zersplittert war, hatte Draco sie unauffällig wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückverwandelt. Fast alle Schüler hatten sich jedoch zu diesem Zeitpunkt schon draußen bei Malfoys Wagen befunden und keiner, außer Hermine, schien den Vorfall bemerkt zu haben. Wollte er nur das Ansehen der Malfoys retten? Irgendetwas war ihr entgangen…
Hermine wurde plötzlich aus ihren Gedanken gerissen, als etwas auf dem Tisch umgekippt zu sein schien und Draco ein Wutgeschrei vom Stapel ließ.
"Argh! VERDAMMTES VIEH! Ich war fast fertig! Stundenlange Arbeit vernichtet! Verdammt!" Krummbein hatte schon Schutz hinter Hermine gesucht und schaute Draco aus dem Versteck hinter den Beinen unverschämt an. Hermine wusste nicht, was sie tun sollte.
Alle Namenskärtchen waren durch bunte Tinte ruiniert. Draco sah Hermine an, als wollte er sie ermorden.
"DUUU! Gib es zu, das hast du geplant, Granger!"
Darauf konnte sie reagieren. "Auch, wenn du es nicht glaubst, Malfoy, aber nicht jeder hat hinterhältige Pläne, die er verfolgt!"
"Aber das hier ist eindeutig deine Schuld!"
"Keine Angst! Ich werde dir schon bei deinen dummen Namenskärtchen helfen!"
"Auf deine Hilfe kann ich gut verzichten, Granger!!", fauchte Draco.
"Fein!!", erwiderte Hermine eingeschnappt und zeigte dann auf eines der beschmutzten Kärtchen. "Aber das nächste Mal solltest du die Namen vielleicht richtig schreiben!"
Auf einmal war Dracos Wut verraucht. Er schaute ungläubig auf das Kärtchen. War das wirklich falsch geschrieben? Er konnte morgen unmöglich falsche Namenskärtchen abgeben. Die anderen würden ihn für einen Idioten halten.
Als Draco nur fragend auf die Kärtchen starrte, nahm Hermine das Betreffende und verbesserte den Namen. Ihrer Meinung nach sollte man die Namen der Mitschüler wissen, wenn man Schulsprecher war.
Typisch, dass diese Granger wieder mal alle Namen kennt! Hat die nichts Besseres zu tun mit ihrer Zeit?! Aber Draco hatte keine andere Wahl.
"In Ordnung! Du kannst mir helfen. Ich will ja nicht an deinem schlechten Gewissen Schuld sein. Aber kein Wort zu Potter oder Weasley, oder du wirst es bereuen!"
Hermine rollte nur die Augen und machte sich dann daran, neue Kärtchen zu schreiben und Malfoys Liste aufzubessern. Wow, es gibt auch Jungen, die eine schöne Schrift haben? Hermine musste zugeben, dass Dracos Schrift sogar schöner war als ihre eigene!
Draco hätte sauer auf die Katze sein sollen, aber irgendwie war er es nicht. Krummbein war sogar so dreist, sich neben Draco auf das Sofa zu legen und schnurrend dort einzuschlafen, nachdem sich dieser wieder an die Arbeit gemacht hatte.
***
Eine volle Stunde lang saßen die beiden Schulsprecher ruhig in ihrem Aufenthaltsraum und stellten die Namenskärtchen her. Und das ohne sich gegenseitig umzubringen!
Hermine hatte immer mehr das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen. Sie gab es selbst ungern zu, aber Draco verdiente eine Entschuldigung. Aber sie brachte sie nicht über die Lippen, bevor sie nicht nach getaner Arbeit ihre Sachen zusammensuchte, um in ihr Zimmer zu gehen. Allein der Gedanke, dass sie sich bei Draco Malfoy entschuldigte, dem Jungen, der sie über Jahre schikaniert hatte… Wie demütigend. Hermine konnte ihm nicht in die Augen sehen.
"Ich… Es tut mir leid wegen dem Passwort und den Namenskärtchen und… .wegen dem… äh… Vorfall im… Badezimmer." Hoffentlich konnte Draco jetzt nicht die ihr ins Gesicht steigende Röte sehen. Sie fuhr schnell fort. "Und keine Angst, ich habe auch niemandem davon erzählt… Gute Nacht."
Damit machte sie sich auf den Weg in ihr Zimmer und war schon kurz davor, die Zimmertür hinter sich zu schließen.
"…Danke." Dracos Stimme ließ Hermine innehalten.
"…für die Hilfe." Sie sah sich um. Aber Draco hatte bereits wieder seinen selbstgefälligen Gesichtsausdruck aufgesetzt. "Auch wenn du eigentlich Schuld bist! Aber es soll ja nicht heißen, ich hätte keine Manieren." Damit wandte er sich von Hermine ab und machte sich daran, seine Sachen zusammenzupacken.
Als Hermine die Tür zu ihrem Zimmer geschlossen hatte, schwirrte ihr der Kopf.
Hat sich Draco Malfoy gerade wirklich bedankt? Bei mir?! Oder hatte sie sich verhört? Und warum wollte diese verdammte Hitze in ihrem Gesicht einfach nicht abnehmen?
Draco Malfoy konnte nicht fassen, dass er sich soeben bei Hermine Granger bedankt hatte, und das, obwohl sie doch Schuld hatte; aber es war ihm nach ihrer Entschuldigung einfach über die Lippen gekommen. Er suchte nach einer einfachen Erklärung.
Klar, ich kann mich schließlich nicht auch noch in Höflichkeit von ihr schlagen lassen, oder? Damit verbannte Draco weitere Gedanken und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer.
Etwas, das vor seiner Zimmertür lag, zog seine Aufmerksamkeit auf sich.
Eine tote Maus lag vor seinen Füßen. Draco wurde ein wenig übel. So tief war Hermine sicher nicht gesunken. Draco schaute sich um, ob ihn vielleicht jemand aus einem Versteck heraus beobachtete, oder ob er einen Hinweis fand, wie die Maus hierher gekommen war. Krummbein saß auf dem Sofa und schaute mit geschlossenen Augen in seine Richtung.
Draco starrte stumpf nach unten.
Na wundervoll.
Er erinnerte sich daran, gehört zu haben, dass Katzen, wenn sie jemanden mochten, diesem einen Teil ihrer Beute brachten. Krummbein maunzte, als wollte er sagen Nun nimm schon und legte sich dann wieder schlafen.
Draco konnte das ,Geschenk´ kaum da liegen lassen, also nahm er die Maus naserümpfend mit Daumen und Zeigefinger am Schwanz und warf sie in seinem Zimmer in den Müllschlucker, welcher sie sofort entsorgte.
Warum fühle ich mich nur nicht geehrt? fragte sich Draco sarkastisch, bevor er sich zu Bett begab, um sich für den nächsten Tag zu wappnen
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