Die Flammen im Kamin erloschen, nachdem der Zaubertrankmeister aus ihnen herausgetreten war. Endlich wieder in seinen eigenen Kerkerräumen. Ka flatterte aufgeregt mit den Flügeln, er reckte erst misstrauisch den Kopf, bis er Severus erkannte. Sofort flog er auf ihn zu und ließ sich auf dessen Schulter nieder. Liebevoll zwickte er den Mann ins Ohr und zupfte leise vor sich hinmurmelnd an seinen Haaren.
"Ja, ich freue mich auch!" Snape stellte die Tasche ab und hielt dem Raben den linken Arm entgegen. Sofort stieg der Vogel um und musterte den Zaubertrankmeister, dessen Gepäck und den kleinen Hauselfen.
"Schlafen?" fragte Ka als er das müde blasse Gesicht bemerkte.
"Ja, ich bin sehr müde, aber zuerst muß ich zum Direktor, es ist wichtig. - Tobby besorg mir eine Kleinigkeit zum Essen und Tee, bis ich zurück bin."
"Kekse!" tönte eine fordernde Stimme dazwischen.
"Ja, und Eulenkekse für diesen nimmersatten Vogel!"
Tobby versprach alles zur Zufriedenheit zu erledigen und verschwand augenblicklich. Der Zaubertrankmeister wandte sich seinem Raben zu. "Willst du mitkommen oder hast du im Büro von Dumbledore Hausverbot bekommen? Sei ehrlich. Ich erfahre es sowieso."
"Direktor petzt nicht!" verteidigte sich Ka.
"Ja, schon möglich", seufzte Snape. Er hatte es geahnt, auf diesen Unglücksvogel war in dieser Hinsicht kein Verlass. "Aber wenn es Dumbledore auch nicht verrät, der Phönix mit Sicherheit. Erst recht, wenn du wieder versucht hast, ihn am Schwanz zu ziehen."
"Blöder Phönix!"
"Du bekommt gleich was auf den Schnabel."
Ka zog den Kopf ein und verbarg den Schnabel unter einem Flügel, damit Severus ihn nicht erreichen konnte. Seine dunklen Augen beobachteten den Professor. "Fawkes ist zu schön", grummelte er.
Der Lehrer unterdrückte ein leises Lachen. Er strich dem Raben über das Gefieder und kraulte dessen Kopf. "Du bist auch ein schöner Vogel. Sei also nicht traurig. Jedes Tier nach seiner Art."
Snape hatte den Kerker verlassen und eilte nun durch das weihnachtlich geschmückte Schloss. Die Treppen und Gänge waren beruhigend still und nicht erfüllt von dem üblichen Schulbetrieb.
"Freilich, wenn du so kunterbunt wie ein Phönix sein möchtest, lässt sich das machen. Ich zaubere dir farbige Federn. Rote, blaue, grüne, gelbe, pinkfarbene und meinetwegen auch goldene."
"Schwarz?" erkundigte sich der Rabe interessiert.
"Nein", entschied Severus. "Schwarz nicht, du magst ja plötzlich kein Schwarz mehr. Du willst doch so schön wie ein Phönix sein."
"Schwarz!" protestierte der Vogel.
"Nein, kein Schwarz."
"Doch Schwarz!"
"Kein Schwarz!"
"Nur Schwarz!"
"Einverstanden." Snape schüttelte den Kopf. Wir streiten uns wie alte Eheleute, ging ihm der Gedanke durch den Kopf. Wenn uns jetzt nur keiner zugehört hat.
Das ungleiche Paar stand vor dem Wasserspeier. Etwas verlegen schaute der Zaubertrankmeister den Raben an. "Kennst du das neue Passwort?" fragte er.
"Lebkuchenherz!" triumphierte Ka, der beruhigt war, sein schönes schwarzes Federkleid nicht gegen ein buntes eintauschen zu müssen. Snape verdrehte die Augen. Auf so ein Passwort hätte er einen Tag vor dem Weihnachtsfest auch kommen können.
Langsam stieg er die Wendeltreppe zu Dumbledores Büro nach oben. Ka stieß sich von seinem Arm ab und flog hinauf, um den Zaubertrankmeister anzukündigen. Und natürlich, um Fawkes zu zeigen, was für ein schöner schwarzer Rabe er war.
Als Snape sich dankbar in seinem Lieblingssessel in Dumbledores Büro niedergelassen hatte, stolzierte Ka am Boden schon vor Fawkes herum und zeigte seine weit aufgefächerten Schwingen. Mit hoch erhobenem Kopf versuchte er einem eher belustigt schauenden Phönix zu imponieren.
Fawkes war wenig geneigt, beeindruckt zu sein, aber er rückte gern ein Stück auf seiner Stange beiseite, um Platz für Ka zu machen, der damit versöhnt schien und hinaufflatterte.
Die beiden Männer beobachteten die Vögeln für einen Moment, dann sah Dumbledore wieder zu seinem Zaubertrankmeister hinüber. "Sie sehen schlimm aus, Severus. Haben Sie auf der Wartburg solche wilden Partys gefeiert?"
Snape bedachte den Direktor mit einem kalten Blick aus seinen dunkel umrandeten Augen.
Es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben. Die pochenden Kopfschmerzen, die er mit einem seiner Tränke bisher verdrängen konnten, kamen wieder.
"Bitte Albus, ich habe mich schon mit diesem Vogel über Modefragen gestritten, ich will jetzt nicht auch noch eine Diskussion über Wartburgfeste durchstehen müssen."
Dumbledore betrachtete den Lehrer über den Rand seiner Brille hinweg. Hatte Snape gescherzt? Nein, wohl nicht.
"Warum gehen Sie sich nicht erst mal ausschlafen?"
"Weil ich zwei wichtige Informationen habe. Eine gute und eine schlechte. Welche darf es zuerst sein?"
"Eine gute, Severus. Ich brauche dringend eine gute."
Also berichtete Snape in kurzen Sätzen, dass er ein Mittel gefunden hatte, das helfen könnte, McGonagall wieder zurückzuverwandeln.
"Und jetzt die schlechten Nachrichten." Fast übergangslos informierte der Zaubertrankmeister, was er über ein seltsames Bild erfahren hatte.
Der Direktor nickte bedächtig den Kopf. "Das ist also das Geheimnis."
Er stand auf und winkte Severus, ihm zu folgen. Durch eine schmale Geheimtür betraten die beiden Männer einen kleinen Raum hinter Dumbledores Büro. Unter einem Tuch verborgen, stand Lockharts großes Gemälde.
"Ich habe es von Filch abdecken und hierher bringen lassen. Wir wissen, dass vier Personen darin gefangen sind."
"Vier?" fragte Snape nach und rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die Kopfschmerzen nahmen zu. "Das ist mehr als ich dachte."
"Wir wissen noch nicht, was die Falle zuschnappen lässt, deswegen kann noch keiner von uns an dem Bild arbeiten. Sobald Minerva wieder da ist, werden wir mehr wissen. Sie hat das Bild lange Zeit beobachtet und ist nicht hineingezogen worden. Vielleicht reagieren die Flüche nur auf menschliche Gestalten?"
Dumbledore zog den Zaubertrankmeister zurück ins Büro. In der Schale auf seinem Arbeitstisch fischte er zwei Lebkuchen heraus und bot sie den interessierten Vögeln an. Mit einem Blick auf Snape deutete er auf die Schale. "Bedienen Sie sich, Severus."
"Nein, danke."
"Ich habe natürlich auch noch meine Zitronenbonbons."
Snape schüttelte den Kopf.
"Also gut", fuhr Dumbledore fort, "je eher wir Minerva wieder haben, um so schneller können wir mit dem Gemälde anfangen. Ich nehme an, dass Voldemort sich deswegen bald melden wird, oder?"
"Ich werde sofort mit dem Trank beginnen." Langsam stand die dunkle Gestalt auf und rief nach dem Raben. Der zog dem Direktor den Rest des Lebkuchens aus den Fingern und flog wieder auf Snapes Schulter zurück.
"Nein, Severus. Schlafen Sie sich erst mal aus. Minerva kann den einen Tag auch noch warten. Aber seien Sie morgen Mittag bitte pünktlich zum Weihnachtsschmaus in der Halle."
Der Meister der Zaubertränke kam nicht zum weihnachtlichen Festessen, weil er zu diesem Zeitpunkt noch immer tief und fest schlief. Dumbledore ließ ihn in Ruhe. Am Nachmittag jedoch kam Tobby in das Büro des Direktors und ließ von seinem Professor ausrichten, dass er ihn, Madam Sprout und natürlich Professor McGonagall um 18:00 Uhr in seinem Labor erwarten würde.
***
Es gab in Hogwarts nicht nur das Klassenzimmer für den Zaubertrankunterricht, sondern auch noch ein nur von Professor Snape genutztes Labor, in dem er außerhalb des Schulalltags seinen Forschungen nachging. Madam Sprout stand neben dem großen Arbeitstisch, an dem der Zaubertrankmeister die letzten Zutaten für den neuen Verwandlungstrank in den Kessel gab. Als es an der Tür klopfte, sah sie zu den weiteren Besuchern hinüber. Professor Dumbledore nickte freundlich den beiden Lehrern zu und wartete, bis auch McGonagall durch die Tür geschlüpft kam. Noch immer war sie in der Gestalt einer gestreiften Katze und miaute ein wenig nervös. Snape sah etwas belustigt zu ihr hinunter, bevor er sich weiter seinem Trank widmete.
Für eine ganze Weile herrschte Schweigen in dem kleinen Labor, lediglich das leise Blubbern im Kessel unterbrach die Stille. Jeder der Lehrer wusste, dass Snape es nicht leiden konnte während seiner Arbeit gestört zu werden.
"Das war's!" hörten sie ihn schließlich sagen. Blaugrauer Dampf stieg aus der Brühe auf. Mit einer knappen Bewegung mit dem Zauberstab löschte Snape das Feuer unter dem Kessel und griff nach einem Teller, auf den er eine Probe des Trankes tropfen ließ. Sorgsam beobachtete er, wie sich die sirupartige Flüssigkeit verhielt. Anschließend reichte er Professor Sprout den Teller. "Probieren Sie aus, wie es wirkt!" befahl er. Die Lehrerin für Kräuterkunde nickte. Unter dem Labortisch stand ein Topf mit einer jungen und übellaunigen Alraune, die sich gar nicht wohl fühlte. Mit misstrauischen Augen betrachtete sie die fremdartige Welt über ihren Topfrand herum. Ihr war es hier zu dunkel und sie vermisste ihre Freunde.
Bevor Madam Sprout sie aus dem Topf holte, tippte sie die Pflanze mit dem Zauberstab an "Sonorus finitas" sagte sie. Mit einem Ruck zog sie dann die Alraune aus dem Topf, die erwartungsgemäß zu schreien begann. Unbeeindruckt sahen Dumbledore und Snape zu, wie Madam Sprout den lautlosen Schrei der Pflanze nutzte und sie mit einer Probe des Tranks fütterte.
Der Direktor beobachtete die Alraune genau. "Sagen Sie Severus, muß ein Vielsafttrank nicht mehrere Tage köcheln?"
"Nach dem alten Rezept ja, aber die Zutaten für diesen Trank habe ich neu ausbalanciert und angepasst. Jetzt geht es schneller." Auch er ließ die Alraune nicht aus den Augen. Doch eine plötzliche allergische Reaktion der Pflanze blieb aus. Das Ergebnis wirkte ermutigend.
Professor McGonagall war auf den Labortisch gesprungen und strich zwischen den Gerätschaften hindurch zu der Alraune, die sich schmatzend weiter füttern ließ.
"Miau?" wollte die Katze wissen.
"Ja, Minerva, Severus' Trank scheint der Alraune zu bekommen. Wenn sie es heil übersteht, können wir es mit Ihnen versuchen. Was meinen Sie, Severus?" richtete der Schuldirektor die Frage an seinen Zaubertranklehrer.
Snape nickte, dabei bedachte er McGonagall mit einem garstigen Blick. "Hätten Sie die Freundlichkeit, Madam, sich von meinem Arbeitstisch zu begeben? Ich lümmle mich doch auch nicht auf Ihrem Schreibtisch!"
Die Katze quittierte Snapes Kommentar mit einem bösen Fauchen und stolzierte mit hoch erhobenem Schwanz noch einmal provozierend über die gesamte Länge des Tisches. Am Ende der Arbeitsplatte angekommen sah sie sich hämisch nach dem Zaubertrankmeister um, der mit stoischer Gelassenheit ihren Blick ertrug. Diesmal war es ein unheilverkündendes Fauchen. McGonagall setzte zum Absprung an und gab dabei mit dem Schwanz einem Reagensglasständer in ihrer Nähe einen kräftigen Hieb. Er landete gleich neben ihr auf dem Boden. Die Gläser mit den verschiedenen Pulvern zerbrachen.
Verärgert verschränkte Snape die Arme. "Miststück!"
"Nicht doch, Severus, was soll dieser rüde Ton unter Kollegen", ermahnte ihn Dumbledore.
Snape setzte bereits zu einer noch weniger netten Antwort an, als Madam Sprout die Männer unterbrach. "Es geht ihr gut, der Trank hat keine giftigen Symptome gezeigt. Wenn Sie wollen, Professor, können Sie die letzte Zutat hinzugeben und Minerva zurückverwandeln."
Mit kritischer Miene beäugte der Zaubertrankmeister die Alraune, die sich ohne Widerstand von Professor Sprout wieder eintopfen ließ. Zuweilen rülpste die Pflanze, aber ansonsten schien sie sehr zufrieden und satt zu sein.
"Haben Sie mir etwas von Professor McGonagall mitgebracht?"
Dumbledore reichte Snape eine Haarbürste. In ihr hingen noch einige wenige, leicht angegraute Haare der Lehrerin für Verwandlungen. Der Zaubertankmeister hob überrascht die Augenbrauen. "Professor McGonagall, Sie färben ja Ihre Haare!" bemerkte er taktlos und erntete von der Katze ein erneutes Fauchen.
"Severus!" Diesmal klang Dumbledore schon leicht verärgert. "Übertreiben Sie es nicht!"
Snape winkte ab und zupfte eines der langen Haare heraus. Er hockte sich vor die Katze und zeigte ihr das Haar. "Nur um sicher zu sein, Minerva, ist das Ihr Haar?" Seine Stimme war frei von Spott und Zynismus. Er klang sehr ernst. "Sie wissen, dass wir uns keinen Fehler erlauben können, sonst geht es Ihnen am Ende noch wie Hermine Granger."
"Miau!"
"Kein Zweifel?"
"Miau!"
Snape nickte und grinste wieder. "Also doch gefärbt!"
McGonagall versetzte ihm einen Hieb mit ausgefahrenen Krallen. Auf dem Handrücken des Zaubertrankmeisters zeichneten sich Kratzer ab. Er ignorierte sie, weil er bereits wieder konzentriert an dem Zaubertrank arbeitete.
Das Haar löste sich langsam in der noch immer heißen Brühe auf, die allmählich die Farbe wechselte. Aus dem dunklen Blau wurde ein schmutziges Grau. Blasen zerplatzten bei diesem Prozess an der Oberfläche und gaben einen üblen Gestank von sich. Snape blieb davon unbeeindruckt, während Professor Sprout etwas vom Tisch zurückwich und sich mit der Hand frische Luft zuwedelte. Selbst Dumbledore verzog das Gesicht. Die Katze blieb dicht neben Snapes Füßen sitzen und schaute ungeduldig zu der dunklen Gestalt hinauf.
"Miau!" drängelte sie.
"Gleich, Minerva, aber Sie sollten sich darüber in klaren sein, dass dieses Rezept womöglich doch nicht so funktioniert, wie wir alle hoffen. Es kann auch völlig schief gehen. Sie müssen es sich daher genau überlegen." Dieses Eingeständnis von dem Zaubertrankmeister beeindruckte die Katze. Snape war ein Perfektionist, wenn er dennoch ein Misslingen einkalkulierte, sollte man darüber nachdenken. Andererseits vertraute sie ihrem Kollegen und seinen Fähigkeiten. Ihr blieb zudem nichts anderes übrig.
Er stellte der Katze ein Schälchen mit dem übel stinkenden Trank auf den Boden. "Bevor Sie es also probieren, Minerva, sollten Sie wissen, dass der Trank allein Sie nicht zurückverwandeln kann. Er hebt - wenn wir Glück haben - lediglich die Blockade Ihrer animagischen Fähigkeiten auf und weist die Richtung. Die eigentliche Verwandlung müssen Sie selber vollziehen."
Erwartungsvoll sahen alle zu der Katze am Boden.
"Was wir jetzt brauchen", seufzte Madam Sprout, "ist wohl ein Wunder."
"Es ist Weihnachten, meine Liebe!" erinnerte sie Dumbledore. "Die beste Zeit für Wunder!" Er lächelte zuversichtlich.
***
Wie die jungen Gryffindors sich um ihre Lehrerin scharrten, sie freudig begrüßten und mehr als nur erleichtert waren, dass sie sie wieder hatten. Snape musste innerlich schmunzeln. Die Kinder hatten es seinen Fähigkeiten zu verdanken, dass Minerva sie gerührt in die Arme schließen konnte.
Natürlich würden die Schüler ihm dafür nicht danken. Er war ein Slytherin und zudem hassten sie ihn. Aber es bereitete ihm trotzdem ein diebisches Vergnügen, dass er es war, der Minerva zurückbrachte. Allein das gab ihm eine Genugtuung, die kein Dankeschön eines Gryffindors wettmachen konnte.
Snape sah auf und bemerkte, dass der Direktor ihn aufmerksam musterte. Er erkannte in seinen Augen dessen Belustigung. Ja, natürlich, vor ihm konnte man auch nichts verborgen halten. Mit einem herausfordernden "Was?" blockte Snape einen wahrscheinlichen Kommentar ab. Das fehlte noch, dass Albus ihm vor der versammelten Mannschaft anerkennend auf die Schulter klopfte. Nein, dass wäre dann doch zu viel des Guten.
"Nichts, Severus. Ich freue mich nur, dass Sie sich scheinbar köstlich amüsieren."
"Pah!"
"Genau das meine ich!" Zu den anderen gewand bat Dumbledore alle zu Tisch. "Ich wünsche allen ein Frohes Weihnachtsfest und nun, liebe Schüler, Kollegen und Freunde: lasst es euch schmecken."