Sein und Schein

 

Zurück

 

Zurück zur
Startseite


 

Kapitel 6: Komödie der Irrungen

 



Teil 3

Das Zaubertrankkabinett auf der Wartburg war hochmodern eingerichtet und überaus hell. Die Arbeitstische glänzten jungfräulich und in den silberfarbenen Vitrinen an den Wänden befanden sich wohlgeordnet diverse Geräte und Zubehör sowie Zutaten und Elixiere. Kurz, alles was das Herz eines Zaubertrankbrauers erfreuen könnte. Frau von Hohenstein schwärmte mit stolzgeschwellter Brust über das Finanzierungsprogramm, was dieses hypermoderne Kabinett erst möglich machte.
"Und Sie, teuerster Professor, sind der erste Zauberer, der unsere Einrichtung auch nutzen kann", schloss sie endlich ihren Redeschwall. "Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause und scheuen Sie auch nicht, sich zu bedienen."
Snape nickte knapp und unverbindlich. Der erste Tag nach seiner Ankunft war noch so jung und schon fiel ihm diese Baronin wieder auf die Nerven. Frauen wie die, dachte er zynisch, wären wieder ein Grund zu Voldemort zu wechseln. Seine Wut und Verzweiflung der letzten Nacht hatte er überwunden. Jetzt war er wieder in die Rolle des Professor Snape, dem Lehrer für Zaubertränke, zurückgekehrt. Er sah die Schulleiterin mit ihrem grünen Kleid davon rauschen und wollte schon aufatmen, als sie wieder auf ihn zukam. Schicksalsergeben hob Snape seine Augen einen kurzen Moment zur Decke, bis er die Direktorin wieder vor sich sah.
"Ja?" Er blinzelte ein wenig gegen das viel zu grelle Licht.
"Die Seminarteilnehmer kommen in etwa einer halben Stunde. Fräulein Weißmüller jedoch wird nicht mehr teilnehmen. Ich bekam heute früh eine Eule, dass sie gestern einen tödlichen Unfall hatte. Armes Ding."
Snape fühlte sich unangenehm an die letzte Nacht erinnert. Voldemort hatte die Deutsche von seinen Anhängern nach England verschleppen und zuerst von Malfoy foltern und dann von einem Neuling als Loyalitätsbeweis vor Snapes Augen töten lassen. Die Botschaft war nicht schwer zu verstehen gewesen. Die ganze Zeit spürte er den aufmerksamen Blick des Dunklen Lords auf sich gerichtet.
Die Direktorin begann wahrhaftig zu schniefen. "Ich habe sie bereits als Kind gekannt. Sie ging hier zur Schule und ..."
Der Professor wich vor der zu Tränen gerührten Frau zurück und rettete sich zu den Vitrinen an der Wand. Mit gespieltem Interesse besah er sich Flakons und Fläschchen. "Salbei, Krötenhaut, luftgetrocknet, Schlangenschuppen, gehackt, graues Spinnengarn ..., Geschmacksneutralisator, Instand-Kaffee. Instand-Kaffee? - Wozu bei aller Magie, wird denn so etwas verwendet? - Blaues Krötengift, Schwarzes Rochen-Pulver, Mäusepelz, Mondperlen, Elfentropfen, ... Silberstaub, Nesselkapseln, Salamandermilz " las er auf den Etiketten. Frau von Hohenstein war indessen bei der Biographie des besagten Fräulein Weißmüller in der Abschlussklasse angekommen und setzte zur Berichterstattung ihres Studiums an.

Schluss! Aus! Das reicht! Mehr Zurückhaltung und Geduld konnte Dumbledore nicht mehr von ihm verlangen. Er hatte seinen guten Willen gezeigt, nun war die Schmerzgrenze erreicht. Ein Cruciatus-Fluch konnte kaum schwerer zu ertragen sein als diese Frau.
"Madam von Hohenstein." Snape machte sich nicht einmal mehr die Mühe sich zu ihr umzudrehen. Stattdessen beobachtete er die Schulleiterin im Glas der Vitrinen. Er sprach dabei nicht sehr laut, doch hatte seine Stimme diesen kühlen bedeutungsschwangeren Unterton, den seine Schüler so sehr fürchteten, da er für sie drohendes Unheil ankündigte.
Die Frau stutzte und schien verwirrt. Sie fühlte sich irgendwie aus dem Konzept gebracht. Unbewusst schüttelte sie sich, als wäre es plötzlich mehrere Grad kälter im Kabinett geworden.
Snape wirbelte herum und zog seinen schwarzen Umhang enger um sich. "Ich muß die Seminarstunde vorbereiten. Wenn Sie also bitte die Tür hinter sich schließen würden ..." Mit gleicher heftiger Bewegung streckte der Zauberer den rechten Arm aus und deutete mit der Hand zum Ausgang.
Und nun ging endlich diese verdammte Tür zu. Es nahm sich wie ein Wunder aus, dass er diese Frau stoppen konnte. Wahrscheinlich auch nur ein Zufallssieg wegen des Überraschungsmomentes. Dumbledore sollte diese von Hohenstein gegen den Dunklen Lord ins Feld ziehen lassen und damit der geschundenen Seele und den müden Knochen eines gewissen Zaubertrankmeisters einmal eine Pause gönnen.
Der Gedanke war erheiternd: Lord Voldemort auf verlorenem Posten in einem Gespräch mit der Schuldirektorin. Diese Frau konnte glatt ohne Magie den dunklen Zauberer besiegen. Die Baronin als dessen traute Gattin, und der Zauberwelt wäre viel Grausamkeit erspart geblieben.
Erneut blinzelte Snape in das grelle Licht. So konnte er unmöglich arbeiten. Es war entschieden zu hell und würde bei einigen Zutaten zudem die Wirkung vermindern. Aber was sollte er von Zauberern erwarten, die mit Instand-Kaffee arbeiteten? Also schloss er die Vorhänge und löschte die Vitrinenbeleuchtung.
Das war schon viel besser. Jetzt noch die Essenzen für die heutige Demonstration aus seinem Koffer und es konnte los gehen.

***



Drei Tage vor Beginn der Weihnachtsferien überraschte Professor Lockhart seine inzwischen leicht geschrumpfte Fangemeinde mit einem weiteren Geschenk für die Schülerschaft und die Kollegen. Seitdem Professor Snape abgereist war, blühte Lockhart noch viel mehr auf, als Hermine es je für möglich gehalten hatte. Offensichtlich gab es immer noch eine Steigerungsmöglichkeit von allem.
"Liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Schülerinnen und Schüler." Er rieb sich freudig die Hände, als beglückwünschte er sich selbst zu seiner Idee.
Ron und Harry sahen mit vorsichtiger Erwartung zum Lehrertisch hinüber. Die Weasley-Zwillinge jedoch applaudierten bei jeder Pause, die der Lehrer in Verteidigung gegen die Dunklen Künste, einzulegen pflegte, um die Wichtigkeit seiner Worte zu betonen.
Von den Jungen um sie herum ernteten sie nur böse Blicke, während die Mädchen aus Lockharts Fanclub eifrig mitklatschten. Für Fred und George schien es ein toller Spaß zu sein, mit ihren kleinen Zwischenrufen den ewig lächelnden Lehrer aus dem Konzept zu bringen. Aber Lockhart, einmal mehr sich wieder in Szene setzend, dankte mit bescheidener Geste. Es dauerte über fünf Minuten bis er zum eigentlichem Kern seines Vortrages vorstieß.
"Ich weiß, wie sehr Sie mich alle lieben ..."
Ron verzog entsetzt das Gesicht und deutete an, dass er sich übergeben müsse. Hermine, die neben Ginny saß, schnaubte verächtlich. Immerhin hatte es Lockhart fertig gebracht, ihre Hauslehrerin dauerhaft in eine Katze zu verwandeln. Bei den Gryffindors stieß er dafür kaum auf die von ihm so gepriesene Liebe!
"Der redet schon wieder wirr", fauchte Ron. "Zu schade, dass Snape nicht da ist, der könnte ihn mal wieder anbrüllen."
"Snape hat Lockhart angebrüllt?" erkundigte sich Ginny interessiert. "Das hast du mir gar nicht erzählt."
"Na ja, so schlimm war es auch nicht", versuchte Hermine zu beschwichtigen.
Wieder Applaus in der Halle.
"Erzähl mal!" forderte die kleine Weasley ihre Freundin auf. Seit sie indirekt auch ein Opfer von Lockharts Unfähigkeit geworden war, hielt sie von ihm nicht mehr als Hermine.
"Es war während des Unterrichts. Unser schöner Lockhart las gerade mal wieder ein Kapitel aus seinem Wehrwolfabenteuer vor, als Snape aufkreuzte. Du kennst ja seine Auftritte; entweder mit knallenden Türen und wehendem Umhang oder schleichend leise."
Auf Ginnys Gesicht zeichnete sich ein verstehendes Lächeln ab.
Hermine fuhr fort: "Also bekam Lockhart das natürlich nicht mit. Gerade erzählte er uns, dass man gegen die Magie der Wehrwolf-Metamorphose nichts unternehmen könne."
"Ja!" warf Ron leise über den Tisch ein. "Das mit dem Wolfs-Bann-Trank muß er wohl in St. Mungo verdöst haben. Vielleicht hätte er besser die Fachzeitschriften als seine eigenen Bücher lesen sollen!"
"Snape hörte sich das von der Tür aus eine ganze Weile an. Und die, die ihn bemerkten, hielten wohlweislich den Mund. Schließlich, du kennst den Meister der Zaubertränke ja, erklärte Snape, in seiner trockenen bissigen Art, dass Lockhart sich irre."
Die kleine Zuhörerschaft wurde wieder von Freds und Georges Applaus unterbrochen.
"Ich wünschte, ihr beiden Idioten hörtet damit auf!" grummelte Ron böse zu seinen Brüdern hinüber.
Ginny, nun schon ganz unruhig, wollte wissen, wie es weiter ging.
"Kannst du es dir nicht denken?" Jetzt lächelte Hermine äußerst zufrieden.
"Er stritt mit Snape", erriet Ginny.
"Ja, und das war ein böser Fehler!" bestätigte Ron mit gewichtiger Miene. "Snape begann nämlich zu lächeln, dieses süffisante Lächeln, wo sich seine Lippen so merkwürdig kräuselt. Also, wenn der mich so anschaut, frage ich nicht wie sauer er ist, sondern wie viel Vorsprung ich bekommen kann."
"Und?" wollte Ginny wissen. Hermine fuhr fort.
"Snape riss Lockhart sein Buch aus der Hand und knallte es auf den Tisch. Er fragte, ob das die Art Unterricht wäre, um die Schüler im Kampf gegen die Dunklen Künste vorzubereiten. Danach dozierte er einige Augenblicke über den Wolfs-Bann-Trank und ließ einen ziemlich verwirrten Lockhart zurück."
"Und weißt du was, kleine Schwester?" Ron sah sich verschwörerisch um, bevor er sich halb zu Ginny hinüberbeugte "Unsere Hermine hat dann ziemlich trocken Snapes Abgang kommentiert. Sie sagte.."
"Nicht Ron, das macht keinen guten Eindruck."
"Das macht sogar einen sehr guten Eindruck!" ließ sich Ron nicht abbringen.
"Sie sagte mitten in die Stille hinein...", der junge Weasley räusperte sich kunstvoll, bevor er mit verstellter hoher Stimme Hermine nachahmte: "Professor Lockhart, Sie sollten wirklich mehr mit Professor Snape zusammenarbeiten. Da könnten Sie noch einiges lernen."
Die Weasleys lachten und selbst Hermine schmunzelte. "Ist doch wahr!"
Sie alle wurden unterbrochen, als die Tür der Großen Halle aufgestoßen wurde und vier Zwerge ein überdimensionales Paket hereinschleppten.
"Was ist denn jetzt passiert?" wollte Hermine wissen.
"Ähm, Lockhart übergibt der Schule sein Weihnachtsgeschenk", meldete sich Harry, der die ganze Zeit geschwiegen hatte.
"Ich wünschte, es wäre sein Abschiedsgeschenk!"
"Ach Hermine, der wird nicht ewig bleiben", versuchte Ron seine Freundin zu trösten.
Inzwischen hatte Lockhart die volle Aufmerksamkeit des Saales. Mit hoheitsvoller Geste hieß er die Zwerge anhalten und trat selbst vor den Tisch. "Liebe Freunde, ich stifte hiermit der Schule ein Porträt meiner bescheidenen Persönlichkeit." Mit einer knappen Geste seines Zauberstabes fiel die Verpackung ab, begleitet von einem kräftigen Niesen. Der Lehrer in Verteidigung gegen die Dunklen Künste entschuldigte sich. "Ach, diese verdammte Allergie gegen Zauberstabmagie." Mit einem aufgesetzten Lächeln wandte er sich dem zum Vorschein gekommenen lebensgroßes Gemälde zu. Es zeigte einen Lockhart in heroischer Pose. Hinter ihm, gut zu erkennen, die Umrisse von Hogwarts. Nicht nur, dass sich Lockhart selbst, wie bei den meisten magischen Bildern, auf der Leinwand bewegen konnte, sondern auch das Schloss schien mit Leben erfüllt zu sein. Hier und da konnte man an den Fenstern Lichter an und aus gehen sehen. Rauch stieg aus einem der großen Schornsteine und der Wetterhahn auf dem höchsten Turm drehte sich träge im Wind.
Lockharts Fanclub seufzte verzückt mit leuchtenden Augen. Ihr Applaus übertönte einige bissige Kommentare von anderen Schülern. Professor Dumbledore dankte dem großzügigen Spender und versprach, einen geeigneten Platz für das Bild im Schloss zu finden.
"Oh, wenn Sie erlauben, Herr Direktor", drehte sich Lockhart lächelnd um "ich habe da schon eine Stelle gefunden, wo sich mein Porträt sehr gut macht. Gleich neben dem Eingang der Großen Halle ist ein wundervoller Platz."
Sein Ich auf dem Gemälde zwinkerte ihm anerkennend zu. Sie zumindest waren sich einig.
Die Weasley-Zwillinge vermochte keiner mehr bei ihrem Applaus zu bremsen.

***



In der Halle saßen die letzten Nachzügler am Frühstückstisch beisammen, während ein großer Teil der Schüler bereits auf dem Weg zum Hogwarts-Express war, um die lang ersehnten Weihnachtsferien bei ihren Familien zu verbringen.
Die Lehrer, die gleichfalls ihren ersten unterrichtsfreien Tag genossen, saßen noch an ihrer Tafel. Doch unter ihnen mochte keine Ferienstimmung aufkommen.
"Schaut merkwürdig aus, oder?" Ron, weihnachtlich milde gestimmt, betrachtete den Lehrertisch. "Jetzt sind schon zwei Stühle nicht besetzt. Dachte nie, dass mir die Lehrer mal fehlen würden - sogar Snape."
"Ron, du bist doch nicht etwa krank?" Ginny legte ihre Hand auf die Stirn ihres Bruders und zog sie schnell zurück, als hätte sie sich verbrannt.
"Ja, er muß krank sein, wenn er Snape nachtrauert!" bestätigte Harry und knuffte seinem Freund vergnügt in die Rippen.
"Ha, ha, sehr komisch."
"Und zählen kann er auch nicht", gab Hermine mit gutmütigem Spott weiter. "Es ist noch ein Platz frei und das ist, wenn ihr mich fragt, nun wirklich kein Verlust."
"Ja, wo steckt denn unser Was-bin-ich-doch-der-tollste-Kerl Typ?" Ron wagte gar nicht zu hoffen, dass sich Gilderoy Lockhart auf ewig aus Hogwarts verabschiedet hatte.
Harry deutete eine Handbewegung an. "Bestimmt ist er noch beim Eindrehen seiner Haare!"
"Ja, oder er steht vor seinem Porträt und sie zwinkern sich ständig gegenseitig zu. Bäh!"
Jetzt deutete Hermine auf eine Gruppe Mädchen aus dem Hause Hufflepuff, die von ihrem Tisch aufgestanden war und nun kichernd dem Ausgang zustrebte. "Du kannst zur Not seinen treuen Fanclub fragen, vielleicht wissen die es ja."
"Nein, danke, so wichtig ist es auch nicht."

Natürlich war Lockharts erholsames Fehlen auch am Lehrertisch nicht unbemerkt geblieben. Albus Dumbledore beugte sich zu der Astrologielehrerin hinüber. "Sie haben auch nichts von ihm gehört?" fragte er freundlich.
Professor Sinistra schüttelte den Kopf. "Ich sah ihn gestern Abend nahe der Großen Halle das letzte Mal."
"Merkwürdig das alles!" nickte Madam Sprout nachdenklich. "Uns scheinen langsam die Lehrer abhanden zu kommen."
"Wen wundert das noch?" Es war die pikierte Stimme von Sybill Trelawney. "Ich habe das alles bereits in meiner Kristallkugel gesehen", schnaubte sie, als keiner Notiz von ihrer Prophezeiung nahm. "Wir werden sie alle drei nicht wiedersehen."
"Na, na Sybill, warum so pessimistisch? Minerva sitzt in meinem Büro und arbeitet sich durch einen ganzen Stapel Bücher und Severus ist auf dem Europäischen Seminar in Deutschland", versuchte Dumbledore die erregt zappelnde Lehrerin für Wahrsagerei zu beruhigen. "Und ich bin auch der festen Überzeugung, dass Professor Lockhart wieder auftauchen wird."
"Wird er nicht!" kämpfte Trelawney tapfer weiter. "Ihn hat ein schlimmes Schicksal ereilt."
Madam Pomfrey schnaubte. "Ja, wahrscheinlich ist ihm der Lockenstab runtergefallen und zerbrochen."
"Und es werden noch mehr verschwinden!" überging Sybill den Einwand der Medi-Hexe. "Sie werden noch alle an mich denken."
Bevor der drohende Streit zwischen Madam Pomfrey und der Wahrsagerin ausbrechen konnte, ertönte die laute Stimme von Rubeus Hagrid durch die Halle. "Wer jetzt nicht den Zug nach Hause verpassen will, der sollte sich aber sputen!"
Die Mahnung des Wildhüters blieb nicht ungehört. Fünf, sechs Schüler rafften ihre letzten Sachen zusammen und sprinteten aus dem Saal. Damit war das Frühstück aufgehoben.

***



Zwei intensive Tage mit Tränke brauen und Fachgesprächen hatten den Zaubertrankmeister mit sich und der Welt einigermaßen versöhnt. Sogar Baronin von Hohenstein konnte ihn kaum mehr aus der Ruhe bringen, wobei er ihr trotzdem sicherheitshalber so weit wie möglich aus dem Weg ging.

Im Zaubertrankkabinett hatten sich die Tagungsteilnehmer um verschiedene Kessel gescharrt. In Gruppen probierten und experimentierten sie die vorher diskutierten Möglichkeiten. Natürlich hatte Snape die Oberaufsicht über all die Hexen und Zauberer, aber diese Distanz verlor sich einfach, denn selbst er konnte von den Forschungen und Erfahrungen der anderen profitieren.
War er glücklich? fragte er sich, während er auf den Kessel schaute, in dem eine gelbliche Brühe leise vor sich hin köchelte und dabei große Blasen produzierte, die an der Oberfläche mit leisem Plop zerplatzten. Für den Moment wohl schon.
"Sie können auch versuchen, das Gift einer Runespoor für den Trank zu benutzen", hörte Snape hinter sich Raoul auf Bernardo einreden.
"Nein, nein, nein, es dient nur zur Herstellung von Tränken zur Stimulierung der geistigen Beweglichkeit. Höhere Temperaturen, wie wir sie für ein Veritaserum brauchen, neutralisieren das Gift."
Snape grinste vor sich hin. Raoul hatte schon immer versucht, ein Veritaserum effektiver zu machen, in dem er es mit verschiedenen anregenden Giften kombinieren wollte. Er sollte auf Bernardo hören. Lady Gwenda schlug eine Testreihe diesbezüglich vor und schon machten sich die Zauberer ans Werk.
Für einen Moment ertappte sich Severus, wie er der Stimme dieser Frau nachlauschte. Noch immer berührte sie in ihm eine Seite tief in seinem Inneren. Zum Glück holte ihn das Plop aus seinem Kessel wieder in die Wirklichkeit zurück.
Plip - Plip - die Blasen wurden zunehmend kleiner. "Wenn es nur noch Siedebläschen sind", erläuterte er den beiden Magnus-Brüdern, die mit ihm an dem Wolfs-Bann-Tank arbeiteten, "dann nehmen Sie den Kessel vom Feuer. Wird er zu lange erhitzt, wirkt der Bann-Trank nicht mehr."
Zu dritt versuchten sie eine Lösung zu finden, die die Herstellung dieses Tranks vereinfachen würde. "Die Dauer und die Temperatur ist das Entscheidende." Der Zaubertrankmeister konnte sich noch zu gut daran erinnern, wie oft er immer wieder neu beginnen musste, bis er herausgefunden hatte, warum der Trank misslang.
"Zu dumm, dass die Haltbarkeit so kurz ist", überlegte Albert Magnus. "Wir benötigen eine Fixierung, die den Zerfall der Komponenten aufhalten würde. - Haben Sie es schon einmal mit Salamandermilz probiert, Professor Snape? Mondperlen oder Elfenstaub könnten auch hilfreich sein."

Die Damen aus Frankreich und Russland arbeiteten mit Apollonius zusammen, aber sie verrieten den anderen nicht, um was es sich dabei handelte. Es sollte eine Überraschung werden, hatte Apollonius augenzwinkernd erklärt. Immerhin schienen sie dafür einen riesigen Kessel zu benötigen.
Überraschungen gehörten nicht auf die Liste von Snapes bevorzugten Dingen. Deswegen war er zwischendurch an den Tisch der drei Heimlichtuer getreten. Mit vorsichtigem Misstrauen besah er sich die Kräuter und Zutaten.
"Sellerie, Petersilie, Lauch? Was für einen Trank braut man denn mit diesen Zutaten?"
Apollonius grinste über das ganze Gesicht. "Eine Gemüsesuppe, eine herzhafte spanische Gemüsesuppe. - Aber verraten Sie es nicht den anderen, sonst ist es keine Überraschung mehr. Ah, da kommen meine anderen Zutaten. Sie entschuldigen uns bitte."
"Und was ist mit dem Traum-Serum?"
"Das, werter Meister der Braukunst, dampft hier vor sich hin." Der Spanier klopfte mit dem Zauberstab gegen einen kleinen Kessel. "Allerdings fehlen uns noch Freiwillige, um ihn auszuprobieren. Isolde meint, dass die Verdickung mit Flubberschleim den Geschmack ruiniert hätte. Na, wir werden sehen. Zur Not versuchen wir es mit einem Geschmacksneutralisator. Den habe ich hier schon irgendwo gesehen."
So vergingen die Stunden, ohne dass einer der Zaubertrankbrauer auf die Zeit achtete. Wie immer. Erst am Abend fanden sie sich alle zu einem gemeinsamen Essen ein, nur um an der Tafel weiter über ihre Zaubertränke zu fachsimpeln.
Baronin von Hohenstein ließ dann ihre Augen stolz über die Gäste gleiten, als wäre das alles ihr Verdienst.

Am vierten Abend übergab die Baronin Snape beim Abendessen einen Brief. "Eine Eule kam heute Nachmittag aus Hogwarts."
Verwundert nahm Snape den Brief an sich und überflog die Zeilen. Dumbledores Beschreibung von dem magischen Unfall, der Professor McGonagall getroffen hatte, klang nicht gut. Und das Lockhart, dieser Versager, dafür verantwortlich war, überraschte ihn nicht im geringsten. Severus ließ den Brief sinken. Gab es etwas, was einen Animagus, der durch einen verunglückten Zauberspruch verwandelt wurde, wieder zurückverwandeln konnte? Darüber musste er erst einmal nachdenken und am besten konnte er das im Tränkelabor zwischen all den Zutaten und Kesseln.

***



Hoch in seinem Turm saß Dumbledore und sah noch einmal auf den Brief, den Snape ihm mit einer BSE [Anmerkung des Autors: BSE = Besonders Schnelle Eule] aus Deutschland gesandt hatte. "Sieht aus, Minerva, als ob unser Zaubertrankmeister auch nicht helfen kann."
"Miau?"
"Wir werden wohl weiter auf die Mitarbeiter aus der Abteilung für Magische Unfälle warten müssen."
Die grau-schwarz gestreifte Katze ließ sich auf ihrem neuen Stammplatz nieder und betrachtete den Schulleiter aufmerksam mit traurigen Augen. Ihre Schnurrhaare zitterten leicht.
"Severus schreibt, dass er versuchen wird, eine Lösung zu finden. Er hat dazu alle Seminarteilnehmer eingespannt und darunter wären wirklich sehr fähige Köpfe." Jetzt musste Albus Dumbledore lächeln. Er konnte sich kaum erinnern, dass Snape jemals einen anderen Zaubertrankmeister als einen fähigen Kopf bezeichnet hatte. Bis auf eine Person natürlich. Als er den Hauslehrer der Slytherins dazu drängte, nach Deutschland zu reisen, vermied er es, ihm zu sagen, wer alles kommen würde. Es sollte eine Überraschung für Snape werden, seinen alten Lehrmeister Bernardo wieder zu sehen.
"Wenn es also einen Trank für unser Problem gibt, liebe Minerva, werden Bernardo und Severus ihn zusammen finden."
"Miau!"
"Genau. Doch unabhängig davon müssen wir uns noch um ein weiteres Problem kümmern. Filch und die anderen Lehrer haben das gesamte Schloss durchsucht. Lockhart ist nicht aufzufinden. Hagrid war sogar im Verbotenem Wald - nichts. Ich war schon so ratlos, dass ich unsere gute Sybill Trelawney gefragt habe."
Diesmal antwortete die Katze mit einem abfälligem Fauchen.
"Außer einem ganzen Stapel ihrer bekannten Todesvorhersagen habe ich nichts erfahren. Na ja, einen Versuch war es wert."

Ron genoss die schulfreie Zeit und versuchte erneut, Hermine das Schachspielen beizubringen. Sie saßen im Gryffindor-Turm am Kamin während Harry und Neville sich weiter an ihren Theaterrollen versuchten.
"Nein, Hermine, was machst du denn da? Du kannst den Läufer nicht wegsetzen!"
"Aber warum nicht?"
"Weil du in zwei Zügen dann deinen König ohne Schutz zu stehen hast."
Hermine zuckte ungerührt die Schulter "Das ist doch erst in zwei Zügen, bis dahin fällt mir schon etwas ein!"
Ungeduldig seufzte Ron. Die Bedrohung lag klar auf der Hand und auch was passieren würde, wenn Hermine auf ihrer Idee bestand. Schachmatt in 5 Zügen. So einfach war das. Wieso konnte sie das nicht erkennen? Langsam bekam er eine Ahnung, wie sich Snape fühlen musste, wenn Neville wieder einmal kurz davor stand, ganz offensichtliche Dinge falsch zu machen.
Hatte er jetzt wirklich an Snape gedacht? Ron schüttelte sich. Wie konnte er seine eigenen Ferien mit solchen Gedanken verunglimpfen? Er wand sich wieder dem Schachspiel zu. Natürlich hatte Hermine nicht auf ihn gehört und setzte den Läufer auf eine neue Position. Gut, sagte sich Ron, dann auf die harte Tour.
Nein, Hermine fand keinen Spaß an dem Spiel und konnte Rons Begeisterung dafür absolut nicht nachvollziehen.
"Ich biete dir gerne Revanche!" versuchte Ron seine Freundin zu überzeugen, doch Hermine schüttelte den Kopf. "Wo willst du hin?"
"In die Bibliothek, ich wollte noch etwas nachschauen."
"In den Ferien?" fragte Ron verstimmt.
Hermine hatte bereits den Durchgang zum Flur geöffnet. "Wir sehen uns beim Essen, Jungs!"
Neville nickte gedankenverloren. Harry schaute erst zum Durchgang, der sich nun wieder schloss und dann zu Ron hinüber. "Was war denn? Hat sie wieder verloren?"
"Hoffnungslos!" bestätigte Ron. "Und nun geht sie in die Bibliothek zu ihren geliebten Büchern, ihren Trost- und Freudenspendern. Vielleicht sucht sie nach einem Schachbuch?"

Aber Hermine kam nicht bis zur Bibliothek, denn im Flur vor der Großen Halle traf sie auf Hannah und Susan, den beiden Hufflepuff-Mädchen aus ihrem Jahrgang. Sie standen andächtig vor dem großen Porträt von Gilderoy Lockhart und betrachteten verzückt diesen anbetungswürdigen Mann.
Was für eine Verschwendung, überlegte Hermine und wollte sich schon an den beiden vorbeistehlen, als diese sie zurückhielten.
"Hallo Hermine, ist es nicht traurig? Keiner weiß, wo er geblieben ist."
"Er wird Ferien machen!" entgegnete Hermine leicht gereizt. Sie hatte wirklich keine Lust auf ein einseitiges Gespräch über Lockharts Fähigkeiten. Eilig versuchte sie, viel Raum zwischen sich und die Mädchen zu bringen.
Ihre Schritte hallten durch die leeren Flure. Das war fast gespenstisch. Hermine war versucht, sich eine Närrin zu schimpfen, weil sie ein wenig Angst bekam. Vor was denn? Sie eilte die Treppe zur Bibliothek hinauf und übersprang dabei zwei Trickstufen, die sich plötzlich manifestierten. In dem Moment hörte sie die Schreie. Abrupt blieb Hermine stehen und drehte sich in die Richtung, aus der sie die Schreie vernommen hatte. Sie ließ ihre Büchertasche fallen, stolperte die Stufen wieder hinunter, und bog auf den Flur ein.
Nichts.
Etwas außer Atem sah Hermine nach links und rechts, doch der Gang blieb in beiden Richtungen leer, nichts, was darauf hin deutete, dass irgendetwas geschehen war.
Langsam, sich immer wieder umsehend, tastete sie sich an der Wand entlang, vorbei an einigen der Rüstungen und Lockharts Bild. Der Lackaffe lächelte etwas gezwungen auf sie herab und zog es dann vor, einfach aus seinem Bild zu verschwinden.
Nein, sie musste sich getäuscht haben - irgendwie. Jedenfalls beschloss sie, ihre Tasche zu holen und endlich in die Bibliothek zu gehen.

Zum Abendessen waren sie nur wenige Schüler und Lehrer. Professor Dumbledore hatte daher die überflüssigen Tische während der Ferien beiseite gezaubert und nun versammelten sich alle an einer langen Tafel. Während die Hufflepuffs, Ravenclaws und Gryffindors sich gemischt setzten, blieben die Slytherins unter sich.
Ginny saß neben Hermine und ärgerte ihre Zwillingsbrüder mit grünen Erbsen, die sie nach und nach zu ihnen hinüberschoss und erst damit aufhörte, als George ihr einen ganzen Löffel Kartoffelbrei ins Gesicht platzierte.
Normalerweise wäre jetzt eine Zurechtweisung von Hermine fällig gewesen, doch diese stocherte noch immer in Gedanken auf ihrem Teller herum.
Ron tippte Harry an. "Sieht aus, als ob unsere liebe Hermine noch immer wegen des Schachspiels verstimmt ist."
"Du hättest sie doch auch mal gewinnen lassen können", versuchte Harry einzulenken.
"Und wie sollte sie es dann lernen?"
"Dann musst du geduldiger mit ihr sein! Ehrlich, benimmst dich wie ..."
"... wag es nicht seinen Namen zu nennen!" knurrte Ron.
Vergeblich versuchte sich Hermine im klaren darüber zu werden, ob sie ihren Freunden von dem 'Schrei' erzählen sollte, oder nicht. Doch sie selbst hatte einmal Harry erklärt, dass es nicht gut ist, Stimmen zu hören, die andere offensichtlich nicht vernehmen können. Gut, damals hatte sie sich geirrt und Harry hatte den Basilisken gehört. Aber einen Schrei?
Sie wurde erst aus ihren Gedanken gerissen, als Justin sich setzte. Er war ein Hufflepuff und tuschelte nun aufgeregt mit seiner Nachbarin Lisa Turpin aus dem Haus der Ravenclaws.
"Ich kann sie beide nicht finden", raunte er dem Mädchen zu.
"Hast du überall nachgesehen?"
"Ja, ich war sogar", er senkte die Stimme, "sogar in den Mädchenschlafräumen und im Waschraum - nichts!!"
"Vielleicht sind sie in der Bibliothek?"
"Machst du Witze? Die stehen höchsten verzückt vor dem blöden Bild von Lockhart."
Hermine legte die Gabel weg und beugte sich zu Lisa hinüber. "Was ist denn los?" fragte sie mit etwas banger Stimme.
Justin sah zuerst zu Lisa und dann zu Hermine, bevor er es ihr erklärte. "Hannah und Susan sind verschwunden. Ich habe sie überall gesucht, nichts. Sie wollten eigentlich nur mal dem Bild einen schönen Tag wünschen", er verzog das Gesicht angewidert, "und dann zurückkommen. Das war vor zwei Stunden."
"Dem Bild?"
"Lockhart. Sie sind in seinem Fanclub."
"Was?"
"Frag mich lieber nicht. Erst diese Hobbeats und dann diese Sache mit dem Bild."
"Willst du damit sagen, dass sie Lockharts Bild grüßen gegangen sind?"
"Weiber!" winkte Justin ab.
"Merkwürdig", überlegte Hermine laut "ich habe sie vorhin noch vor dem Bild gesehen. Sie können also nicht weit sein."
"Aber sie kommen doch sonst nicht zu spät zum Essen." Lisa war offensichtlich ratlos. Sie und die beiden Mädchen waren eng befreundet.
Wieder dachte Hermine an den Schrei, den sie gehört hatte. Nein, sie musste unbedingt mit Harry und Ron darüber sprechen. Gleich nachher in ihrem Turm.

 Kapitel 5

 Kapitel 7

 

Zurück