Obschon mit dem November die ersten wirklich nasskalten Tage über Hogwarts hereingebrochen waren, gab es unter den Schülern nicht wenige, die sich noch immer im goldenen Glanz der Halloween-Party sonnten. Die Hobbeats blieben das Gesprächsthema des Tages. Etliche Schülerinnen hatten sogar ihre Schlafsäle umdekoriert, und nun prangten Bilder der vier Hobbeats überall an den Wänden, besonders das des dunkeläugigen Frodo. Sie verdrängten sogar das eine oder andere Bildnis von Gilderoy Lockhart.
Ron und Harry mussten mit anschauen, wie selbst Hermine immer wieder verstohlene Blicke auf die Autogrammkarten ihrer Zimmergenossinnen warf und dabei ganz verträumt lächelte.
"Das ist doch krank!", brach es aus Ron heraus. Er streckte seine Füße in Richtung Kaminfeuer und schob sein Schreibzeug beiseite. "Wegen vier blöder Musiker sind die Weiber alle aus dem Häuschen. Selbst beim Quidditch unterhalten die sich über nichts anderes mehr."
Ihm gegenüber in dem großen Sessel lümmelte sich Harry. Er verspürte genauso wenig Lust, über seinem Aufsatz zu grübeln, wie Ron. Doch noch weniger Lust hatte er auf ein Gespräch mit Ron über die Hobbeats.
"Es gibt schlimmeres!" versuchte er vorsichtig das Thema zu wechseln.
"Schlimmeres?" Ron überlegte und starrte dabei angestrengt Löcher in die Luft. "Du meinst, Du-weißt-schon-wen? Oder vielleicht doch Snape?" Jetzt sah Ron zu Harry hinüber. "Nein, ich weiß: Gilderoy Lockhart!" Beide lachten los.
"Hey, Neville -" Ron japste nach Luft und drehte sich schließlich nach seinem Freund um, der mit verkniffenem Gesicht über einigen Schulbüchern saß. Vergeblich versuchte er sich den Stoff der letzten Zaubertrankstunde einzuprägen.
"Neville - was ist wohl schlimmer ..." Ron kam nicht weiter.
"Professor Snape!" war die gemurmelte Antwort.
Jetzt winkte Harry ab. "Nach vier Jahren mit der alten Krähe solltest du ihn nicht mehr so fürchten. Reiß dich zusammen. Du bist jetzt ein Fünfklässler."
"Und ein Gryffindor!" hob Ron mahnend den Finger.
"Genau! Vergiss das nicht."
"Ihr habt gut reden!" Neville klappte das Buch über Magische Zaubertränke zu. "Euch fliegen auch nicht jedes Mal die Kessel um die Ohren."
"Also dein letzter Kessel ist schon eine ganze Weile her", versuchte Harry zu trösten.
"Ja, aber dafür hat er Snapes Pult ganz schön zerschrotet", gab Ron seinen begeisterten Kommentar ab. In seinen Augen blitzte es, als er sich an die Szene und das anschließende Gesicht von Snape erinnerte: "War wirklich sehenswert. Dem ist glatt die Luft weggeblieben, so fassungslos schaute der drein."
"Ich fand es nicht sehr witzig."
"Ich schon!"
Harry verpasste seinem Freund einen verärgerten Stoß in die Seite. "Hör auf damit, Ron!"
Ron rieb sich die Stelle, die Harry getroffen hatte. "Ich frage mich nur, wie es meine Brüder bei der schwarzen Krähe haben aushalten können."
"Tja, da hast du wohl versäumt, sie zu fragen. Doch scheinen sie alle überlebt zu haben."
"Bill war sogar richtig gut."
"Ich wäre schon froh, es einfach zu überleben", gestand Neville. Sein Gesicht bekam einen ganz gequälten Ausdruck. Ron tat es leid, mit diesem unsäglichen Thema angefangen zu haben. Mit Longbottom über den Lehrer für Zaubertränke zu reden war eine eindeutig deprimierende Angelegenheit.
Ron und Harry ließen es dabei und wendeten sich wieder ihrem Aufsatz zu.
"Professor Snape ist immer so garstig", hörten die Jungs erstaunt Neville weiter über seinen Alptraum reden, "dass man den Eindruck hat, er braut sich irgendwas zusammen, was verhindern soll, dass er mal nett wäre. Meine Großmutter hat gesagt, dass es solche Zaubertränke gibt."
"Deine Großmutter?" fragte Harry ungläubig.
"Sie hat früher auch mit Zaubertränken zu tun gehabt, wisst ihr. Nicht selber gebraut, aber trotzdem."
Ron räusperte sich: "Ja, also, wenn deine Großmutter ... kann sie dir dann nicht helfen?"
Mit einem erstaunten Blick betrachtete Neville seine Freunde. Eindeutig, sie kannten seine Großmutter nicht. "Sie sagt, es gäbe nur zwei wirklich gute Meister in der 'Gilde der Zaubertrankbrauer', und ich solle bei einem der Besten lernen."
"Ja und?" drängte Ron weiter. "Kann sie nicht einem von ihnen eine Eule schicken und fragen, ob er dich unterrichtet - Nachhilfe oder so?"
Der jungen Potter ahnte die Antwort bereits, fragte aber trotzdem nach. "Wen hält deine Großmutter denn für die beiden Besten?"
"Der eine ist der Merlin von Ravenna in Italien und der andere Professor Snape!" Diesmal klang Nevilles Stimme völlig verzweifelt. "Ich kann doch wegen Nachhilfe nicht immer nach Italien reisen."
Nur um seinen Freund aufzumuntern, versuchte Ron das Problem von einer anderen Seite anzugehen. "Ob man die alte Krähe bestechen kann?"
Die Frage war so absurd, dass weder Neville noch Harry sich zu einer Antwort hinreißen ließen. Doch ihr rothaariger Freund wartete. Harry gab sich einen Ruck. "Wahrscheinlich nur mit einem sehr, sehr guten Zaubertrank. Du siehst, Ron, wir sind mit unserer Problemlösung für Neville noch kein Stück weiter gekommen."
***
Professor Sprout wischte sich die Hände an einem Tuch ab und nickte der Zweitklässlerin zu. "Danke Stella!" Der Direktor bat sie und die anderen Hauslehrer zu einer Besprechung am Nachmittag. Madam Sprout schaute zur Sanduhr, wenn sie pünktlich sein wollte, hatte sie vorher noch einiges zu tun. Noch einmal zählte sie die vorbereiteten Töpfe für die jungen Alraunen durch, bevor sie sich die Ohrenschützer aufsetzte und mit dem Umtopfen begann.
Zwei Stunden später traf sie auf dem Weg zu Dumbledores Büro Professor McGonagall.
"Ah, Minerva!" Sie nickten sich zu. "Wissen Sie zufällig, warum uns Albus zu dieser ungewöhnlichen Zeit zu sich bittet?"
"Nein, meine Liebe. Das ist mir auch ein Rätsel. Aber am Vormittag traf eine Eule vom Zaubereiministerium ein. Vielleicht hat es damit zu tun?"
"Wenn es nur nicht schon wieder um Sie-wissen-schon-wen geht!"
Die Frauen schritten in angemessener Eile über die Flure und hatten doch ein wachsames Auge auf die Schüler um sie herum, die jetzt ihre Freizeit genossen. Als Hauslehrerinnen waren sie sich das schuldig.
Als sie Richtung Große Halle kamen, zeigte sich, dass es auch notwendig war. Zwei Schüler mit dem Hausemblem der Ravenclaws versperrten lachend drei Mädchen aus dem Hause Slytherin den Weg in die Halle. Bevor es zu einer wirklichen Auseinandersetzung kam, bemerkten die Jungs jedoch die beiden Lehrerinnen. Mit dem unschuldigsten Lächeln der Welt ließen sie die Mädchen passieren, die nur ein verächtliches "Hmpf!" von sich gaben und dann geradezu hoheitsvoll davon schwebten.
Sicherheitshalber blieben Professor Sprout und McGonagall einen Moment vor der Halle stehen. Ihr Blick traf auf Snape, der am erhöhten Lehrertisch saß und mit scharfem Blick die Aufsicht führte. Die drei Slytherin waren inzwischen bis zu ihrem Hauslehrer geschwebt und schienen sich ihrer Empörung über die Frechheit der Ravenclaws Luft zu machen.
McGonagall zog ihre Kollegin weiter. "Diese Unmutsfalte kenne ich nur zu gut. Das wird sicher wieder eine lange Diskussion zwischen Snape und Flitwick geben."
Endlich erreichten die beiden Damen den Wasserspeier vor Dumbledores Eingang zum Turm. "Erdbeertrüffel!" sprach Professor McGonagall und ließ dann Madam Sprout den Vortritt.
"Erinnern Sie sich, als Albus mal sein Passwort vergaß?"
"Wie könnte ich das?"
"Was für eine Nacht das war! Man sollte annehmen, dass er daraus gelernt hat. Aber nein, er geht weiterhin seinen Süßwarenladen durch. Wenn das wieder passiert, dann kann keiner auch nur annähernd erraten, welchen albernen Begriff er sich wieder hat einfallen lassen", beschwerte sich die Lehrerin für Verwandlungen.
"Also mir gefällt es", schnaufte Madam Sprout, die nun viel langsamer die Treppenstufen erklomm. "Solange er solche verrückten Einfälle hat, muß ich mir keine Sorgen um unser aller Sicherheit machen."
"Oh ja, das gibt glatt 10 Punkte für Hufflepuff", spottete Minerva gutmütig.
"Da bedanke ich mich auch schön", konterte die Lehrerin für Kräuterkunde.
Die beiden Damen kicherten wie junge Mädchen.
In bester Laune betraten sie das Arbeitszimmer des Schuldirektors.
Albus Dumbledore verteilte noch immer seine Zitronenbonbons, als Professor Flitwick zu ihnen stieß. Nur der Lehrer für Zaubertränke ließ auf sich warten.
"Wieso eigentlich?" erkundigte sich Flitwick.
"Er hat in der Großen Halle noch Aufsicht. Übrigens, Professor", Madam Sprout beugte sich zu dem Hauslehrer der Ravenclaws hinüber, "kann es sein, dass er anschließend mit Ihnen über das Benehmen von zwei ihrer Schüler reden will."
Der kleine Professor zuckte gleichgültig die Schulter. "Bei Merlin, der Monat hat doch erst angefangen und dann wäre es bereits das zweite Mal."
Hinter dem Arbeitstisch hatte sich Albus Dumbledore niedergelassen und betrachtete die drei Hauslehrer, während er ein neues Zitronenbonbon aus der Schale fischte. "Dann wird er ja auch gleich kommen." Plötzlich drehte er den Kopf zur Tür. "Ah, da ist er ja schon."
Und wie bestellt klopfte es an der Tür, bevor sie schwungvoll aufgestoßen wurde und die dunkle Gestalt des Hauslehrers der Slytherin das Büro betrat.
"Gut, lassen Sie uns anfangen." Albus stand nun auf und trat vor seinen Arbeitstisch. "Es wird sich wohl schon herumgesprochen haben, dass eine Eule aus dem Zaubereiministerium eingetroffen ist. Sie kommt von der Schulaufsicht. Dort wird allgemein bemängelt, dass an den Zauberschulen in den letzten Jahren Muggelkunde ziemlich vernachlässigt wurde. In dessen Folge, so die Meinung der Schulaufsicht, es verstärkt zu unliebsamen Zwischenfällen mit der Muggelwelt kam. Die einzelnen Abteilungen hätten nur noch damit zu tun, Gedächtnis- und Umkehrzauber anzuwenden, statt sich um Voldemort und seine Anhänger zu kümmern."
"Ist das die neue Formel für den Begriff Inkompetenz?" konnte sich McGonagall einen Kommentar nicht verkneifen.
Albus sah mit gestrenger Miene auf die Lehrerin hinunter, wobei es schalkhaft hinter seinen Brillengläsern blitzte. "Die Schulaufsicht", fuhr er schließlich fort, "ist der Auffassung, dass allein Aufklärung in Sachen Muggelwelt diese Entwicklung aufhalten könnte."
Diesmal schnaubte Professor Snape. Er behielt aber seine Gedanken für sich.
"Die Stunden für Muggelkunde werden alsbald aufgestockt. Dafür wird eine zusätzliche Fachkraft eingestellt. Und ab nächstem Jahr ist Muggelkunde Pflichtfach."
An dieser Stelle holte der Schuldirektor erst einmal Luft. Jetzt kam er zu dem eigentlichen Anliegen dieser kleinen Beratung.
"Aber deswegen habe ich Sie nicht zu mir gebeten. Zumindest nicht deswegen allein", stürzte er sich in das zu erwartende Gefecht. "Es gibt da noch einen Punkt, der von der Schulaufsicht kritisiert wurde."
Erwartungsvolle Stille.
"In den letzten Jahren hat das Quidditchspiel an sämtlichen Schulen Europas die geistig-kulturellen Aspekte nahezu verdrängt."
Damit traf der Schuldirektor einen sehr empfindlichen Nerv. Die sonst so auf Würde bedachte Professor McGonagall sprang entrüstet auf. "Das ist doch gar nicht wahr!"
Auch der kleine Professor Flitwick ergriff sofort eindeutig Partei. Immerhin hatte er in diesem Jahr in seiner Hausmannschaft hervorragende Schüler, denen durchaus zuzutrauen war, dass sie diesmal das Turnier für sich entscheiden würden. Voller Eifer war er auf seinen Stuhl geklettert und fuchtelte mit seinen Armen herum. "Was ist gegen Quidditch zu sagen?" fragte er immer wieder. "Was haben die gegen Quidditch?"
Der Hauslehrer der Slytherin hatte sich leicht nach vorn gebeugt und bedachte Dumbledore mit einem zornigen Blick. "Die im Ministerium können sich ihre Kultur sonstwohin - "
Ein warnender Blick von Dumbledore.
"Die sollen sich um wichtigere Dinge kümmern!" zischte Snape eisig.
Am ruhigsten blieb Madam Sprout. Sie sah Quidditch nicht unbedingt als die Erfüllung all ihrer Wünsche an. Die Hufflepuffs verfügten zwar über gute Treiber, aber mit ihrem Sucher war es, ehrlich gesagt, nicht weit her. Zumindest war ihre Mannschaft nicht so vom Ehrgeiz zerfressen wie die der Slytherins oder Gryffindors.
So was konnte sie natürlich in dieser Runde nicht so deutlich sagen, also gab sie lediglich ihre Verwunderung über das Ministerium zum Ausdruck. Darin stimmten nun alle Anwesenden überein.
Professor Dumbledore gewährte seinen Hauslehrern noch einige Augenblicke des gerechten Zorns, dann bat er sie wieder um Ruhe. Professor Flitwick kletterte grummelnd von seinem Stuhl herunter.
"Wie viel wir hier auch diskutieren mögen, so werden wir dennoch die Schulbehörde schwerlich von ihrer Meinung abbringen können. Außerdem verlangt ja niemand von uns, Quidditch aufzugeben. Was wir jetzt brauchen, ist ein gesundes Verhältnis zwischen Quidditch und den vom Ministerium geforderten geistig-kulturellen Aktivitäten."
Jetzt also kam der eigentliche Coup von dem der Direktor überzeugt war, dass er gelingen würde. Nur zu genau kannte er seine langjährigen Mitarbeiter und wusste sie geschickt dort hinzuführen, wo er sie haben wollte. Zur Not tat es auch ein kleiner sanfter Schups.
"Beweisen wir also den Damen und Herren im Ministerium unsere sportliche wie auch geistige Größe!"
Aha, Nummer eins zeigte bereits Interesse. Bei der Betonung auf geistige Größe hatte Snape unmerklich den Kopf gehoben. Natürlich.
"Stellen wir uns dieser Herausforderung!" appellierte er mit einem Nicken auf McGonagall, die verbissen die Lippen aufeinander presste, aber seinem Blick nicht auswich. Ihre Züge verrieten grimmige Entschlossenheit. Nummer zwei.
"Und beweisen wir Teamgeist!" Madam Sprout und Professor Flitwick sahen sich augenblicklich an und nickten dann eifrig. Na also.
"Zum Ruhm und Ehre unserer Schule!" beendete Dumbledore seine Rede.
"Jawohl, jawohl!" jubelte der kleine Professor für Zauberkunst. Bevor er jedoch vor Begeisterung wieder auf den Stuhl klettern konnte, hielt McGonagall ihn am Arm fest.
"Die Gryffindors haben sich noch jeder Herausforderung gestellt."
Professor Snape sah zu seiner Kollegin hinüber und grinste verächtlich. "An den Slytherins soll es nicht liegen. Wir werden unseren Teil dazu beitragen", brachte er im gewohnten arroganten Ton hervor.
"Die Ravenclaws -"
"- und Hufflepuffs -", warf Professor Sprout ein.
"werden mit Beispiel und Teamgeist vorangehen", beendete Flitwick.
Jetzt traf Snapes gehässiger Blick die beiden Hauslehrer "Weil sie es allein sowieso nicht packen würden", zischte er vor sich hin. Zwar hatten die anderen Hauslehrer seinen Kommentar glücklicherweise nicht gehört, doch Dumbledores mahnendes "Severus!" rief den Zaubertrankmeister zur Ordnung.
Zufrieden trat Albus Dumbledore wieder hinter seinen Arbeitstisch. "Ja, ich denke, wir werden der Schulaufsicht beweisen, dass unser Schulspruch Draco dormiens nunquam titillandus durchaus ernst gemeint ist!"
Zustimmung von den Hauslehrern.
"Dann sind wir uns einig! Ich denke, wir greifen unsere Idee vom Halloween-Fest auf und verbinden zudem die Problematik Muggelkunde und kulturelle Aspekte miteinander."
Verunsicherte Gesichter der Hauslehrer - Was für eine Idee bei Halloween? - aber Albus Dumbledore fuhr ungerührt fort.
"Bis zum Ende der Woche hat mir jeder von Ihnen gesagt, welches Theaterstück eines Muggel-Dichters Ihre Schüler aufführen wollen. Ich akzeptiere auch eine Zusammenarbeit von zwei Schulhäusern."
Dieser Hinweis ging eindeutig an Hufflepuff und Ravenclaw. Doch für den ersten Moment war es angespannt ruhig in Dumbledores Büro geworden. Zu seiner Schande musste sich der Schuldirektor eingestehen, dass er es genoss, die entgeisterten Mienen der Hauslehrer zu beobachten. So was nettes bekam er nicht alle Tage von ihnen geboten.
Minerva McGonagall starrte ihn mit leicht zurückgezogenem Kopf und weit aufgerissenen Augen an. Professor Flitwick schien ernsthaft nach Luft zu ringen, zumindest aber um seine Fassung. Die gute Madam Sprout hatte die Hand vor den Mund gelegt, um zu verhindern, dass sie laut aufschrie und Snapes Gesicht verriet ein Höchstmaß an Widerwillen.
Dumbledore klatschte zufrieden in die Hände. Jetzt noch das Sahnehäubchen. "Ach, und bevor ich es vergesse", er stellte ein ernstes Gesicht zur Schau, "es wird Ihrer Begeisterung für unser Theaterprojekt in keinster Weise abträglich sein, wenn Sie diesbezüglich einen ganz persönlichen Beitrag dazu leisten. Sozusagen beispielgebend und zur Motivation der Schüler. Es ist wohl selbstverständlich, dass Sie jeder eine kleine Rolle in diesem Stück übernehmen. Oder sagen wir, zumindest in einer Szene aktiv werden."
Der Sturm würde gleich über ihn hereinbrechen. Aus dem Augenwinkel sah der Schuldirektor, wie Snapes Körper sich spannte. Madam Sprout hatte die Hand wieder heruntergenommen und auch Professor Flitwick atmete sehr tief durch, während Gryffindors Hauslehrerin ihre Hände fest um die Lehne ihres Sessels klammerte. Sie stemmte sich langsam in die Höhe.
"Oh, und für den Fall, dass einer von Ihnen der Meinung sei, man könne sich um diesen persönlichen Einsatz drücken, garantiere ich Ihnen allen, dass ein Abzug von 200 Punkten am Schuljahresende wirklich nur schwer wieder aufzuholen ist."
Dumbledore war noch nicht ganz mit seinem Satz zu ende, als der Protest der Hauslehrer erwartungsgemäß losbrach.
"Das können Sie uns nicht antun!" protestierte McGonagall und war aufgesprungen.
"Wer hat denn von einem Theaterstück gesprochen?" fragte Flitwick und stand bereits wieder auf dem Stuhl.
"So eine Idiotie!" zischte Snape. Er schlug ungehalten mit der Faust auf Dumbledores Tisch. "Ich mache mich doch nicht vor der gesamten Schule zum Jarvey!"
Auch Madam Sprout schien wenig erfreut. "Wie soll ich das denn schaffen? Ich habe so viel Arbeit in den Kräuterhallen und Gewächshäusern." Unruhig lief sie im Zimmer auf und ab. Fast wäre sie mit der Hauslehrerin der Gryffindors zusammengestoßen. Diese hatte sich vor dem Schreibtisch des Direktors zu ihrer vollen Größe aufgebaut. "Wieso ein Theaterstück?" fragte sie "Und wieso müssen wir mitspielen?" fügte sie pikiert hinzu.
"Genau!" bestätigte Professor Snape.
Für einen Moment sahen sich die beiden Lehrer der verfeindeten Schulhäuser an. Dieses eine Mal waren sie sich einig.
Von dem ganzen Tumult unbeeindruckt widmete sich Albus Dumbledore in aller Ruhe einem seiner Zitronenbonbons. Sein Blick wanderte wie beiläufig zu Snape und McGonagall. Er betrachtete die beiden eindrucksvollen Gestalten über die Ränder seiner Brille hinweg. "Hm", begann er mit sanftem Ton. Wer ihn verstehen wollte, der musste schon leise sein und gut zuhören, "habe ich das richtig verstanden, Minerva? Severus?"
Wieder eine Pause. Inzwischen waren auch Professor Sprout und Professor Flitwick an den Tisch herangetreten.
"Die Aufführung eines kleinen Theaterstücks ist eine zu große Herausforderung für Gryffindor und intellektuell zu anspruchsvoll für Slytherin?"
McGonagall holte geräuschvoll Luft, während Snape etwas unverständliches murmelte.
Der Schuldirektor wusste, dass er gewonnen hatte. Keiner, weder Minerva noch Severus, würden einen Rückzieher riskieren. Als sich die beiden Hauslehrer erneut anschauten, war von dem stillschweigenden Einverständnis von vor wenigen Augenblicken nichts mehr geblieben.
Zuerst fing sich der Zaubertranklehrer. Seine Körperhaltung entspannte sich, wirkte fast schon provozierend locker, als er die Arme vor der Brust verschränkte und mit einer leichten Kopfbewegung das Haar in den Nacken warf. "Natürlich nicht. Ich halte es nur für eine reine Zeitverschwendung. Ein Forschungsprojekt hätte mehr den Fähigkeiten meines Hauses entsprochen", war seine kalte Stimme zu vernehmen.
"Natürlich!" nickte Dumbledore verständnisvoll.
Die Lehrerin für Verwandlungen musterte Snape herausfordernd. "Das Haus Gryffindor wird zeigen, dass es nicht nur eine hervorragende Quidditchmannschaft besitzt", das hatte gesessen. Snape schaute für einen Moment ziemlich säuerlich drein, "sondern auch in der Lage ist, eine genauso gute Schauspieltruppe zu stellen."
Professor McGonagall brachte sogar ein charmantes Lächeln fertig. Mit einem knappen Kopfnicken nahm der Zaubertrankmeister die Herausforderung an.
Da das nun offensichtlich geklärt war, richteten sich alle Augen auf Madam Sprout und Professor Flitwick.
"Wir werden die Größe und den Teamgeist besitzen, den Albus vorhin so heraufbeschworen hat", begann Madam Sprout sich dem Schicksal ergebend, "natürlich werden unsere Schulhäuser an dem Projekt -"
"- zusammen -", rief der Hauslehrer von Ravenclaw dazwischen.
"teilnehmen", beendete sie den Satz.
Madam Sprout schüttelte den Kopf. "Bei Merlin, wie ich das alles schaffen soll..."
"Dann ist es beschlossen!" verkündete Dumbledore und entließ die Hauslehrer mit einem wohlwollendem Lächeln.
Professor Flitwick und Professor Sprout waren bereits weit voraus. Minerva und Severus folgten den beiden langsam die Treppe hinunter.
"Er hat uns reingelegt, Severus", stellte McGonagall sachlich fest.
Snape, der hinter ihr ging, nickte zustimmend. "Ja, natürlich hat er das", brummte er.
"Und wie soll ich das meinen Schülern beibringen?"
"Meine liebe Minerva, wir können ja gerne tauschen."
Die Hauslehrerin der Gryffindors blieb auf der Stufe stehen, drehte sich um und sah zu dem Lehrer für Zaubertränke hinauf. Ein verstehendes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
"Nein, lieber nicht."
"Das dachte ich mir."
***
Im Turm der Gryffindors herrschte Hochbetrieb. Im Gemeinschaftsraum vor dem Kamin wurde es langsam eng, denn nahezu jeder der Schüler - von der 1. bis zur 7. Klasse - schien ununterbrochen auf Hermine Granger einzureden. Sie bot all ihre Kraft auf, um die Mitschüler ruhig zu halten.
"Harry! Ron! Wo wollt ihr hin?" Hermine stoppte die beiden Jungen.
"Raus, ein wenig frische Luft schnappen?" versuchte es Harry.
"Auf gar keinen Fall. Ihr bleibt hier. Fürs Luft schnappen ist es sowieso schon zu spät. Außerdem kommt Professor McGonagall bald."
"Bis dahin sind wir wieder da", versprach Ron, doch Hermine ließ sich auf keine Diskussion ein. "Setzt euch Jungs. Ihr könnt mir helfen, diesen Haufen voller Irrer zu bändigen."
Die beiden zuckten die Schulter, holten tief Luft und begannen sich ein ruhiges Plätzchen zu suchen - vergeblich. Inzwischen kämpfte Hermine weiter tapfer gegen die ungeduldige und neugierige Übermacht an.
"Ich weiß es nicht, wir sollen nur heute alle um Acht hier auf Professor McGonagall warten. Sie hat eine wichtige Mitteilung für uns." Manchmal war das Leben einer Vertrauensschülerin wirklich nicht leicht.
"Komisch, oder?" flüsterte Ron Harry zu. "Muss ja wirklich wichtig sein, wenn sie alle Klassenstufen zusammenruft."
"Ja", entgegnete Harry leicht beunruhigt "aber was kann es sein, dass es nur Gryffindor angeht? - Wir haben doch in letzter Zeit nichts angestellt, oder?"
Ron schüttelte entschieden den Kopf. "Nein, nichts - zumindest nichts, was diesen Auflauf hier erklären könnte."
"Und Fred und George?"
Harry und Ron sahen sich nach den Zwillingen um, die auf den Stufen der Treppe zu den Jungenschlafräumen saßen und dem Trubel keine Aufmerksamkeit schenkten.
"Ich würde sagen, die stecken noch in der Planungsphase für ... was auch immer."
"Oh, Professor McGonagall!" Hermine schien sichtlich erleichtert, als die Hauslehrerin eintrat. Leicht gereizt strich sie sich eine wiederborstige Haarsträhne aus dem Gesicht. Bereitwillig machten die Schüler Platz und die Lehrerin stellte sich in die Mitte des Halbkreises, der sich um den Eingang herum aufgetan hatte.
"Also gut, Kinder, ich bitte um Ruhe", begann Minerva und wartete einen Moment, bis es wirklich leise um sie herum war, dann kam sie gleich zum Punkt. "Aufgrund einiger neuer Richtlinien der Schulaufsicht wird von den Schülern von Hogwarts erwartet, dass sie nicht nur in ihren sportlichen Leistungen", dabei sah sie Harry mit einem leichten Lächeln an, "sondern auch im Bereich Kultur glänzen."
Fragende Gesichter und leises Tuscheln.
"Sollen wir jetzt Topflappen häkeln?" fragte eine leicht verstellte Stimme, die McGonagall dennoch als die von Fred Weasley identifizieren konnte. Natürlich, wer sonst! Allgemeines Gelächter war die Antwort.
"Nein, Mister Weasley, wohl kaum. Aber wie wäre es mit etwas anspruchsvollerem? Wie wäre es mit einem Theaterstück?"
"Sie meinen, wir gehen ins Theater?" meldete sich nun Katarina Timna zu Wort. Sie war eine Siebendklässlerin und gerade in einer romantischen Phase, wie McGonagall von einigen anderen Lehrern gehört hatte. Irgendeine Liaison mit einem Jungen aus dem Hause Ravenclaw.
"Nein, Miss Timna, wir besuchen kein Theater, wir spielen es."
"Spielen? So richtig mit Schauspielern? - Wo sollen wir denn Schauspieler herbekommen?"
"Nun, Mister Longbottom, hier stehen mehr als genug potentielle Freiwillige herum, oder?"
Langsam begannen die Gryffindors die Situation zu verstehen. Lauthals wurden Fragen gestellt, Forderungen, Hilfeschreie und ähnliches, aber Professor McGonagall ließ alles unbeeindruckt von sich abprallen. Nach einiger Zeit hatte sie genug davon.
"Ruhe!" ertönte ihre Stimme über die aufgebrachten Schüler. Fast augenblicklich wurde es wieder still. "Wenn es Ihnen allen ein Trost ist, die anderen Schulhäuser trifft das gleiche Los. Soviel ich weiß, beraten zur Stunde Professor Snape und seine Schüler über ihre Aufführung. Da soll es wohl schon ziemlich konkrete Pläne geben." Das war natürlich eine leichte Übertreibung, denn sie wusste nur zu genau, dass der Zaubertranklehrer erst mal seinem Haus die Pläne von Dumbledore beibringen wollte.
"Muss ich mir morgen im Lehrerzimmer vom Hauslehrer der Slytherin sagen lassen, dass sie bereits bei den Proben sind, während Sie hier nicht einmal gewillt wären ein solches Projekt in Angriff zu nehmen?"
Minerva McGonagall ließ einen abschätzenden Blick über ihre Schüler gleiten. "Nun gut, es ist Ihre Entscheidung. Dann muß es wohl so sein." Schon machte sie Anstalten; den Gemeinschaftsraum der Gryffindors zu verlassen, als Hermine beherzt vor sie trat. "Natürlich nicht, Professor." Unsicher schaute sie sich nach den Hausgenossen um. "Oder?"
Sofort sprangen ihr Harry und Ron zur Seite, und auch Neville gesellte sich zu ihnen. Rasch nahm der Zuspruch der Schüler zu. "Den Slytherins werden wir es zeigen!"
"Jawohl, wir werden die Besten sein."
"Es lebe Gryffindor!"
In dem Moment war Professor McGonagall stolz auf ihr Haus. Langsam drehte sie sich zu ihnen um und bedachte mit warmem mütterlichen Blick ihre begeisterten Schüler. Natürlich nicht zu lange, sonst könnte ja ihre Autorität darunter leiden.
"Und werden die anderen Häuser auch ein Theaterstück aufführen?" wollte Katarina Timna nun wissen.
"Oh ja, die beiden Häuser haben sich zusammengetan und werden uns auch mit einem Stück erfreuen."
"Wieso dürfen die Hufflepuffs und die Ravenclaws zusammenarbeiten und wir nicht?" schaltete sich George Weasley ein.
McGonagall faltete die Hände zusammen. "Aber natürlich können Sie das, Mister Weasley. Die Frage ist nur, ob Sie auch bereit sind mit dem Haus Slytherin ein derartiges Projekt zu starten. Der Direktor erlaubte nur jeweils zwei Häusern zusammenzuarbeiten."
"Tja, da kann man nichts machen, die Ravenclaws und Hufflepuffs waren cleverer als wir!"
Fred, der neben seinem Bruder stand, grinste unverfroren. "Mit den Slytherins? Wäre bestimmt ganz lustig!"
"Auf solche abartigen Ideen könnt nur ihr kommen", zischte ein anderer Mitschüler ihnen böse zu.
Die Zwillinge enthielten sich eines Kommentars, denn Professor McGonagall hatte sich wieder an die Schüler gewandt.
"Sie haben zwei Tage Zeit, sich über das Projekt Gedanken zu machen. Am Donnerstag Nachmittag unterbreitet mir Miss Granger als Vertrauensschülerin die Vorschläge.
Und noch etwas. Bedenken Sie bitte, dass Ihre Wahl auch durchführbar sein muß. Sie alle bestimmen das Stück, die Besetzung und kümmern sich auch um die Regie, Dekoration, Kostüme und was sonst noch dazu gehört.
Ich erwarte von Ihnen vollsten Einsatz, effiziente Zusammenarbeit und eine glanzvolle Aufführung. Benennen Sie mir zwei verantwortliche Schüler für das Projekt und haben Sie ein wachsames Auge auf die Slytherins."
Zur selben Zeit kam es in den Kerkerräumen der Slytherins zu gleichfalls lautstarken Diskussionen, die der Hauslehrer mit einer harschen Geste unterbrach.
Professor Snape stand mit verschränkten Armen am Kamin und musterte mit strengen Blicken die Schüler. Im Saal herrschte wieder gespannte Ruhe.
"Um das klar zu stellen, ich erwarte von Ihnen nicht, dass Sie die Beschlüsse des ehrenwerten Ministeriums verstehen." Er betonte das Wort ehrenwert besonders abfällig. "Ich erwarte auch nicht, dass Sie die Entscheidung des Schuldirektors in Frage stellen." Diesmal ein drohender Unterton, der unmissverständlich war. Albus Dumbledore stand außerhalb jeglicher Kritik. Wer das nicht begriff, machte sich den Zaubertrankmeister zum Feind. Und wer wollte das schon?
"Denken Sie also gut nach, welches Stück Sie aufführen wollen. Ich erwarte von ihnen ein Höchstmaß an Einsatz und Kompetenz. Suchen sie sich einen Verantwortlichen für dieses Projekt und haben sie ein wachsames Auge auf die Gryffindors."
In den nächsten zwei Tagen steckten ständig irgendwelche Schüler die Köpfe zusammen, wälzten Bücher oder diskutierten über die Auswahl von Stücken. Muggelkunde wurde plötzlich als Unterrichtsfach interessant. Die Bibliothek verkam zum Tummelplatz angehender Schauspieler und diverser Möchtegernstars. Sämtliche Bücher von Muggelautoren und Muggeldichtern waren ausgeliehen. Eigentlich hätte Madam Pince darüber glücklich sein müssen, aber sie beobachtete das Treiben mit einem gewissen Misstrauen. Der Gedanke, ihre Bücher könnten unter dem unerwarteten Ansturm leiden, machte sie regelrecht krank, so dass sie davon alsbald wahre Alpträume bekam.
Und alles drehte sich nur um die große Frage nach den möglichen Theaterstücken.
Doch auch die Hauslehrer mussten sich mehr Zeit für dieses Projekt nehmen. Sie diskutierten mit den neu eingesetzten verantwortlichen Schülern die Auswahl der Stücke.
Es war kaum zu glauben, aber am Freitag präsentierten die vier Hauslehrer ihrem Direktor wirklich ihre Entscheidungen. Und am darauffolgenden Wochenende begannen die ersten Proben.
***
Inzwischen näherte sich auch der graue ungemütliche November seinem Ende. Regen schlug an die Schlossfenster. Wer nicht unbedingt einen Fuß vor die Tür setzen musste, vermied es auch. In einem der gemütlichen Zimmer saßen Madam Sprout und der kleine Professor Flitwick beisammen.
"Die Schüler kommen recht gut mit den Proben für den Sommernachtstraum voran. Es würde jedoch besser gehen, wenn da nicht ständig irgendwelche Slytherins auftauchen und stören würden. - Oder, und das ist viel schlimmer, Professor Lockhart."
Professor Sprout atmete genüsslich den Duft ihres Tees ein. Der Lehrer für Zauberkunst setzte seine Tasse Kaffee ab. "Sie spionieren. Das wissen wir ja alle. Obwohl ich nicht weiß, was an unseren Proben so geheimnisvoll sein soll." Er kicherte leise vor sich hin. "Ach, wenn ich jünger wäre, ich würde gerne den Puck spielen."
"Oh ja, und ich die Titania!" Beide lachten vergnügt. Plötzlich sah Professor Sprout zur Uhr. Erschrocken fuhr sie hoch. "Oh je!" rief sie. "Ich habe die Zeit völlig vergessen." Professor Flitwick sah erstaunt zu der älteren Dame auf. "Was ist denn?"
"Professor Snape wollte mich um 16:00 Uhr im Gewächshaus treffen. - Entschuldigen Sie, aber ich muß sofort los. Ach, dieses verdammte Theaterstück. Ich weiß nicht mehr, was ich zuerst machen soll."
Mit diesen Worten rauschte Madam Sprout eiligst aus Professor Flitwicks Büro und die Gänge entlang.
Draußen hingen noch immer düstere graue Wolken tief über dem Schloss, und der Regen peitschte weiterhin über das Land. Professor Sprout wagte nicht zu hoffen, vor dem Zaubertrankmeister in ihr geliebtes Gewächshaus zu gelangen. Als sie die große Glastür öffnete, sah sie schon dessen dunkle Gestalt hinter einem der großen Sträucher stehen. Die Pflanze mit den schwarzen Blüten und dem grün-silbernen Laub verdeckte Snape fast vollständig. Mit seiner schwarzen Robe hätte ein ahnungsloser Besucher ihn leicht übersehen können.
"Ach, tut mir leid Professor, dass Sie warten mussten." Die Hauslehrerin eilte durch den langen Gang des Gewächshauses. "Brauchen Sie neue Samen?" fragte sie und deutete auf den fast zwei Meter hohen Strauch mit den dunklen Blüten. "Ich fürchte, heute Nacht wird es zu bedeckt sein und die Samenkapseln daher nicht aufbrechen. Da dürfte es wohl keine Mondperlen geben." Voller Besitzerstolz schaute Madam Sprout zu dem Lacrimae Noctis-Strauch. Er war schwer zu halten und daher sehr selten. Sie wusste von nur wenigen weiteren Exemplaren in England.
Der Lehrer für Zaubertränke sah sich nach Madam Sprout um. Seine Hand hielt eine der schwarzen Blüten, deren Kelch fest geschlossen war, umfasst. "Ich musste mir ja die Zeit vertreiben, bis Sie geruhten zu kommen", zischte Snape gereizt.
"Ja, habe ich gesehen!" Die Kräuterhexe klang ein wenig verstimmt.
"Ich habe nicht alle Zeit der Welt!"
Professor Sprout versuchte es mit der sprichwörtlichen Freundlichkeit der Hufflepuffs und einem aufmunternden Kommentar. "Die paar Minuten! Ich habe Ihnen die Kräuter schon herausgesucht."
"Fast eine viertel Stunde", blaffte Snape weiter. Widerstrebend ließ er die schwarze Blüte los. Langsam trat er an Madam Sprouts Arbeitstisch heran.
"Ach kommen Sie schon, Professor, Sie sind Lehrer und nicht Minister. Eine Pause tut Ihnen ganz gut!" versuchte es die kleine rundliche Person mit den grauen Haaren noch einmal. Sie griff über den Tisch in ein Regal, auf denen sich verschiedene Töpfe mit den unterschiedlichsten Kräutern befanden.
"Ich halte nicht viel davon, Zeit zu vergeuden, die andere mir stehlen. Als Lehrer will ich meine Arbeit so effektiv machen wie nur möglich." Dieser Seitenhieb hatte getroffen. Snape konnte sehen, wie Madam Sprout regelrecht zusammenzuckte.
Mit ausdrucksloser Miene beobachtete er die kleine Frau. Die ältere Dame mit den grauen wirren Haaren war dermaßen empört, dass sie zu zittern begann. Sie deutete mit ausgestrecktem Finger auf Snape.
"Sie!" fauchte Professor Sprout, "Sie ... Sie ...", verzweifelt suchte sie nach einer passenden Bezeichnung für den Zaubertranklehrer, fand aber keine angemessene. "Jetzt sind Sie zu weit gegangen. Was denken Sie sich eigentlich ..." Die sonst so ruhige und gutmütige Dame bebte vor Zorn. Bevor sie zu einem weiteren Aufschrei der Empörung ansetzen konnte, musste sie erst mal Luft holen.
Snape verdrehte die Augen. Was er gar nicht gebrauchen konnte, war eine hysterische Sprout. Das lag wahrscheinlich an diesem trüben Wetter.
"Ich schätze, ich sollte wiederkommen, wenn Sie sich beruhigt haben." Der Zaubertrankmeister nickte ihr zu und verschwand mit wehender Robe. Er konnte Madam Sprout hinter sich rufen hören. "Wagen Sie nicht, hier einfach zu verschwinden und mich stehen zu lassen, Professor!"
Natürlich wagte er es. Wer wollte sich auch schon mit einer aufgebrachten Hufflepuff rumärgern? Er nicht! Na schön, er hätte sich zurückhalten können, immerhin war Professor Sprout die einzige unter den Lehrern, mit der er enger zusammenarbeiten musste. Wie er, war sie in Zaubertränke ausgebildet, hatte sich dann aber auf Kräuterkunde spezialisiert. Und davon durfte er schon mehr als einmal profitieren.
Aber das war wohl nicht der wahre Grund seines Verdrusses. Er fühlte sich von ihr ertappt, nur weil er eine der schwarzen Blüten in der Hand hatte. "Reines wissenschaftliches Interesse", brummte er vor sich hin und erreichte endlich die Eingangshalle. Ihm fielen auf Anhieb mindestens sechs mögliche Tränke ein, für die man Lacrimae Noctis-Blütenblätter brauchte, von den Mondperlen ganz zu schweigen.
In den Kerkern angekommen, entdeckte Professor Snape Harry Potter und Ron Weasley vor dem Klassenzimmer wartend. Richtig, die Strafarbeit. Snape schloss auf und ließ die beiden Schüler eintreten. "Sie wissen ja, wo die Kessel stehen und das Putzzeug. Fangen Sie gleich an", zischte er und setzte sich an den Pult, um sich wieder mit der Prüfungsvorbereitung für die oberen Klassen zu beschäftigen.
Er kam jedoch nicht weit, denn plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und krachte laut gegen das Regal dahinter. Bedrohlich schwankten einige schmale Gläser, aber glücklicherweise fiel keines davon herunter.
Ein solch stürmisches Eintreten kannten Ron und Harry eigentlich bisher nur von Professor Snape, aber hier hatte Madam Sprout ihren Auftritt.
Snape sah interessiert von seinem Pult auf. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, stand die Lehrerin für Kräuterkunde bereits genau vor ihm. Sie atmete schwer in ihrem gerechten Zorn.
"Sie haben etwas vergessen!" wütete Madam Sprout und warf dem erstaunten Zaubertranklehrer nacheinander drei Töpfe mit Kräutern vor die Füße. Snape wich einige Schritte zurück, als die Keramik auf dem Steinboden aufschlug und in unzählige kleine Stücke zerbrach. Komposterde breitete sich über den Boden seines geheiligten Klassenraums aus.
Verdutzt betrachtete der Zaubertrankmeister zuerst die zerschlagenen Töpfe vor sich und dann Madam Sprout, die wie eine Furie vor ihm stand, die Fäuste in die Seiten gestemmt und ihn herausfordernd anfunkelnd. "Niemand lässt mich einfach so stehen - auch nicht ein Severus Snape!"
Snape fand endlich seine Sprache wieder. "Potter, Weasley, raus!" befahl er im eiskalten Ton. Als die beiden erschrockenen Jungen nicht sofort reagierten, knurrte der Zaubertrankmeister gefährlich laut. "Sofort! - Und machen Sie die Tür von außen zu!"
Endlich ließen die beiden Gryffindors alles stehen und liegen und sahen zu, dass sie das Feld räumten. Laut fiel die Tür ins Schloss.
Doch statt wirklich zu gehen, blieben die beiden verdattert einige Schritte von der Tür entfernt stehen. "Das glaube ich nicht!" Ron war völlig verwirrt. "Ich habe noch nie erlebt, dass sich die Lehrer vor Schülern streiten und noch weniger, dass jemand Snape so anschreien kann."
"Du vergisst Lockhart!"
"Der zählt doch nicht. Der weiß doch gar nicht, was er tut."
"Lass uns lieber verschwinden", versuchte Harry seinen Freund von der Tür wegzuziehen.
"Spinnst du? So was sollen wir uns entgehen lassen?" Leise schlich sich Ron zur Tür und legte sein Ohr an das Holz.
Zögernd folgte Harry seinem Beispiel. "Hörst du ihn?"
"Nein!"
"Hoffentlich bringt er sie nicht um!"
"... über meine Arbeit hat sich noch nie jemand beschwert und meine Kompetenz dürfte über jede Kritik erhaben sein", fuhr Professor Sprout lautstark fort. Sie ignorierte die belustigte Miene des Professors und wetterte weiter. Snape hatte die Arme vor der Brust verschränkt und hörte ungewohnt geduldig zu.
"Und wenn wir schon mal dabei sind, lassen Sie sich eines gesagt sein. Ihr parteiliches Verhalten gegenüber meinem Haus ist nicht mehr zu tolerieren. Wenn Sie noch einmal ungerechtfertigt auch nur einen Punkt von meinen kleinen Hufflepuffs abziehen werde ich mich bei den Slytherins revanchieren. Und das, Professor, ist ein Versprechen. Jawohl! Glauben Sie ja nicht, dass ich mir von Ihnen alles bieten lasse. Da haben Sie sich geirrt. Sie mögen ja für alle der große Zaubertrankmeister sein, für mich aber sind Sie ein verdammter, arroganter, eiskalter, selbstgefälliger, zynischer, berechnender, hinterhältiger Kerl!"
"Wie wäre es noch mit boshaft?" Snapes Stimme war beinahe sanft.
"Und boshaft!"
An dieser Stelle ging der Kräuterkundelehrerin die Puste aus. Sie warf einen vernichtenden Blick auf den Zaubertrankmeister dicht vor ihr. Er war fast zwei Köpfe größer als sie und sah zwangsläufig auf die kleine runde Gestalt herab. Nach einer kurzen Pause, in der Madam Sprout noch immer um Luft und Fassung rang, fragte er im gelassenen Ton und mit einem spöttischen Blick. "Geht es Ihnen jetzt besser?"
"Was? - Ja. Danke!"
"Sie sollten sich vielleicht einen Moment setzen?"
"Ja!" Seufzend ließ sich die Lehrerin auf einem der Schülerplätze nieder.
"Tee?" Ohne eine Antwort abzuwarten, wedelte Snape kurz mit dem Zauberstab und sofort erschien vor Madam Sprout ein Tablett mit zwei Gläsern und einer Kanne. Der Tee duftete verführerisch. Nur zu bereitwillig nahm die Lehrerin für Kräuterkunde Snapes Friedensangebot an.
"Wieso ist das so verdächtig still geworden?" Obwohl Harry sein Ohr noch fester an die Tür presste, konnte er nichts mehr hören.
"Jetzt hat er sie bestimmt mit irgendeinem Fluch belegt, dass sie nicht mehr sprechen kann", orakelte Ron. "Vielleicht hat er sie auch erstarren lassen. Und während die arme Madam Sprout hilflos im Klassenraum steht, sitzt er am Pult und kritzelt weitere Flüche aufs Pergament."
"Nein, warte, ich höre was!" Plötzlich weiteten sich Harrys Augen. Das waren Schritte. Bevor er jedoch seine Erstarrung überwinden konnte, wurde die Tür aufgerissen.
"Ah, unser dynamisches Duo!"
Ron wäre Snape beinahe vor die Füße gefallen, hätte Harry ihn nicht rechtzeitig am Arm festgehalten. Mit purem Entsetzen in den Augen sahen sie beide zu der drohenden und beängstigend nahen Gestalt ihres Lehrers hinauf. Ganze Bände von Katastrophenszenarien spiegelten sich auf Rons Gesicht wider und Snape hatte die freie Auswahl.
"Es ist nicht das, wonach es aussieht, Professor!" versuchte Harry die Situation zu retten.
Snapes frostige Stimme verursachte ihm Bauchschmerzen. Vielleicht hatte Ron doch recht und nun waren sie beide an der Reihe versteinert zu werden. Oder schlimmeres.
"Wirklich?"
Dieser boshafte Blick von oben herab war für Ron fast zu viel. Am liebsten würde er seinen Fluchtinstinkten folgen.
"Wir wollten nur wissen, wann wir weiter machen können", probierte es Harry noch einmal.
Unauffällig versuchte er dabei an Snape vorbei einen Blick in das Klassenzimmer zu erhaschen. Ob Professor Sprout bereits tot im Gang lag? Direkt vor Snapes Schreibpult?
"Suchen Sie etwas Bestimmtes, Potter?"
"Geht es Madam Sprout gut?"
"Natürlich geht es mir gut, Mister Potter!" Snape trat beiseite und die beiden Gryffindors sahen nun eine völlig unversehrte Professor Sprout auf sich zukommen. Sie lächelte sogar ganz vergnüglich und - Harry und Ron trauten ihren Augen nicht - hakte sich bei dem Zaubertrankmeister unter.
"Kommen Sie Severus, Sie schulden mir ein Butterbier und ich Ihnen einige Kräuter."
"Gern Professor! Lassen Sie uns zuerst das Dienstliche erledigen." Snape legte seine Hand auf den Arm der älteren Dame und lächelte beinahe charmant zurück. Als er jedoch die beiden Jungen anschaute, maß er sie mit dem üblichen eiskalten Blick. "5 Punkte Abzug für jeden von Ihnen fürs heimliche Lauschen und weitere 10 für jeden für diese bösartige Unterstellung. Jetzt machen Sie, dass Sie endlich Ihre Strafarbeit erledigen und fegen Sie den Dreck vor meinem Pult weg!"
Völlig irritiert sahen die beiden dem ungleichen Paar nach und Harry fragte sich, ob das nun 30 Strafpunkte wert gewesen war. Ein Blick auf Rons begeistertes Gesicht erübrigte die Antwort.
"Na schön, lass uns anfangen."
Zuerst nahmen sie sich den Fußboden vor und schaufelten die Erde zusammen. Dabei fiel Rons Blick auf die Tür, die zu Snapes Büro führte und - er schaute zweimal - offen stand.
"Wahnsinn, sieh mal Harry!" Mit der Hand wies er auf die Tür. "Snapes Büro!"
"Ja und?" Harry zerrte einen der großen Kupferkessel aus der Ecke.
"Interessiert es dich denn nicht, was die alte Krähe da drinnen hat?" fragte Ron. Seine Augen funkelten unternehmungslustig.
"Ach Ron, wir kennen das Büro doch zur Genüge. - Leider!" seufzte Harry.
"Sicher", bestätigte Ron, ließ aber die Schaufel fallen und stahl sich langsam zur Tür. "Ein Büro mit Snape kenne ich, aber ein Büro ohne Snape ist wie eine andere Welt."
Harry ließ den Kessel los und betrachtete nun gleichfalls die offene Tür. "Ich weiß nicht, Snape hat es so schon auf uns abgesehen, was wenn er uns erwischt? Dann heißt es wohl endgültig 'Hogwarts Goodbye'."
Doch der junge Weasley hatte dafür sofort eine Lösung parat. "Kein Problem. Wir nehmen das Tablett mit der Teekanne mit. Es steht doch sonst auch immer in seinem Büro. Und wir bringen es nur zurück. Snape hat doch selbst gesagt, wir sollen aufräumen."
Verschmitzt grinsend schnappte sich Ron das Tablett und winkte Harry mit einer knappen Kopfbewegung ihm zu folgen.
"Sieh mal." Ron stellte das Tablett auf Snapes Arbeitstisch ab, der voller Pergamentrollen und Bücher war. Er schob einige der Papiere beiseite, um Platz für das Tablett zu schaffen.
"Sind das nicht die letzten Kontrollarbeiten von uns?"
Harry blätterte den Stapel durch und entdeckte seine Arbeit, die Snape mal wieder völlig verrissen hatte. Gleich darunter lag Goyles fast leeres Blatt mit wesentlich wohlmeinenderen Anmerkungen. Natürlich! Ein Slytherin, wie konnte es anders sein.
Neben dem Stapel mit den Arbeiten lag ein Buch mit einer Vielzahl Lesezeichen und angestrichenen Stellen. "Giftige Magische Geschöpfe - Index des Zaubereiministeriums", las Harry den Titel. Er blätterte darin herum und sah Ron verständnislos an. In einer Seite lag ein Notizzettel mit einer Liste von Namen. Unschwer war Snapes kleine gestochene Handschrift zu erkennen.
"Was soll das sein? Eine Einkaufsliste?" Ron überflog die Namen und schüttelte den Kopf. "Leg hin, schauen wir, ob Snape nicht zufällig die Prüfungsfragen für unseren ZAG in Tränke hier irgendwo hat."
Harry klappte das Buch wieder zu. Sein Blick fiel auf einen anderen Stapel. "Medizinbücher?" Er blätterte darin herum und sah Ron fragend an. "Was will Snape mit Medizinbüchern?"
"Vielleicht schult er um auf Medi-Zauberer und löst demnächst Madam Pomfrey ab?" kommentierte Ron hoffnungsvoll.
"Ich wusste schon immer, du hast einen Knick im Zauberstab."
"Ha, ha Mister Potter, sehr witzig!"
Während Harry weiter die Sammlung von Büchern auf dem Tisch begutachtete, arbeitete sich Ron die Regale mit unzähligen Stapeln von Schriftstücken entlang. "Nichts, der Kerl hat alles sorgsam weggelegt. Nichts zu finden!"
"Lass uns lieber wieder verschwinden. Wir sind schon eine ganze Weile hier. Ich will nicht überrascht werden." Harry war bereits an der Tür. "Und nimm das Tablett mit raus. Wir stellen es ihm auf den Pult. - Ron, komm schon!"
Nebenan tat sich etwas. Erschrocken schauten die beiden Gryffindors zur Tür. Wenn sie jetzt Snape hier erwischte.
Durch die Tür flatterte etwas Schwarzes und segelte über ihre Köpfe hinweg zum Schreibtisch. Erschrocken schrieen die Jungen auf. "Was ist denn das?"
Das Schwarze auf dem Schreibtisch tippelte über die Bücher und sah sich suchend um, bevor es die Flügel ausbreitete und eine Runde im Kerker drehte. "Krah!"
"Das ist ein Rabe!" brachte Harry erstaunt vor. "Der muß durch eines der offenen Oberfenster vom Gang reingeraten sein."
"Sieh mal, er hat einen Brief am Fuß gebunden bekommen", bemerkte Ron. Er wies auf das Stück Pergament.
"Eindringling! Krah!" krächzte der schwarze Vogel laut und flatterte bedrohlich nahe über die Köpfe der Jungen hinweg.
"Und er redet!" Harry zog erschrocken den Kopf ein und seinen Freund mit zur Tür. "Das ist nicht gut für uns. Wahrscheinlich gehört der Rabe Snape!"
"Wahnsinn! Ein sprechender Rabe, der auch noch die Post erledigt. Echt cool!"
Nur zögernd folgte Ron seinem Freund und war ihm wenige Augenblicke später äußerst dankbar dafür, denn plötzlich tauchte auch der Zaubertrankmeister wieder auf.
"Was haben Sie die ganze Zeit hier gemacht!" blaffte Snape die beiden an. "Für Ihr Theaterstück geprobt? Oder wieso sind Sie noch nicht weiter?"
Die beiden Gryffindors täuschten großen Eifer vor und versuchten dabei nicht zur offenen Bürotür zu schauen.
Wieder schnaubte Snape verächtlich, nahm dann das Teetablett und brachte es in sein Büro zurück.
"Ah, da bist du ja wieder!" hörten Ron und Harry Snapes Stimme von nebenan.
"Sieger! Sieger! Krah! Held!" brüstete sich der Rabe. Diesmal sahen sich die Jungen erschrocken an. Der Vogel schien mehr zu können, als Post zu befördern.
"Wer? Du? Bestimmt nicht! Na komm Ka, gib den Brief her."
Harry und Ron atmeten erleichtert auf. Der Rabe hatte sie nicht verraten und da kein wütendes Geschrei von nebenan ertönte, schien ihre illegale Exkursion auch von Snape unbemerkt geblieben zu sein.
***
Madam Sprout bestand auf ihr Butterbier, und einige Tage später fand sich Professor Snape in Hogsmeade wieder, wo er in den 'Drei Besen' zusammen mit den anderen Hauslehrern an einem Tisch saß.
"Sie haben mir nicht gesagt, dass es sich hierbei um einen Schulausflug handelt!" brummte Snape säuerlich. Madam Sprout lachte und winkte mit der Hand ab. "Betrachten Sie es als Verschwörung, Severus." Sie zwinkerte ihm zu und bestellte bei Rosmerta vier große Becher Butterbier. Ihr war entgangen, dass Snape leicht zusammenzuckte.
"Oh, nein, nicht für mich, ich nehme lieber ein Glas Goldlackwasser", korrigierte McGonagall die Bestellung.
Inzwischen war auch Professor Flitwick soweit. Er hatte seinen Stuhl endlich in die Form gezaubert, die er brauchte, um vernünftig am Tisch sitzen zu können.
Die Wirtin brachte derweil die Getränke. "Aber Professor Flitwick, dass Sie den Stuhl nachher wieder zurückverwandeln. Ich hatte letztens wirklich ein Problem damit."
"Diese Form ist doch ideal für Zwerge und Gnome!" erklärte der Hauslehrer der Ravenclaws mit einem charmanten Lächeln.
"Dafür habe ich bereits Plätze mit passenden Tischen." Sie wies in eine andere Ecke, wo sich an niedrigen Tischen gerade einige Zwerge niederließen. "Wenn Sie also so freundlich wären, vor dem Gehen den Stuhl ..."
"Aber natürlich, meine Liebe, natürlich."
Während sich die drei anderen Hauslehrer prächtig zu unterhalten schienen, starrte Snape nur stumm in seinen Becher Butterbier. Ab und an schaute er unauffällig zur großen Uhr hinter dem Tresen. Für seinen Geschmack war es ihm hier zu laut und zu gesellig.
Er wurde erst aus seinen Gedanken gerissen, als es scheinbar zu einer hitzigen Diskussion am Tisch gekommen war. Er hob langsam seinen Blick und versuchte den Grund herauszufinden. Flitwick stand auf seinem Stuhl und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. "Ich lasse mich von Niemandem tyrannisieren", betonte er nachdrücklich. "Ich finde, wir sollten uns nicht wie verschreckte Hühner benehmen."
"Das mit den Hühnern nehme ich Ihnen übel, Professor", gab McGonagall gereizt zurück. "Ich habe nicht gesagt, dass wir unsere Meinung verhehlen sollen, sondern nur vermeiden, damit in der Öffentlichkeit zu prahlen."
"Ich bin kein Feigling."
"Nein, natürlich nicht, Professor. Aber Vorsicht kann nicht schaden. Und nun, beim großen Merlin, setzen Sie sich endlich wieder. Die Leute schauen bereits." Die Hauslehrerin der Gryffindors zupfte ihren Tischnachbarn am Ärmel und zog ihn auf seinen Stuhl hinunter.
"Was ist mit Ihnen, Severus?" fragte Flitwick. "Sind Sie auch der Meinung, wir sollten uns nicht in der Öffentlichkeit zu unseren Einstellungen bekennen?"
Der Zaubertrankmeister zuckte nur unbehaglich die Schultern. "Jeder sollte tun, was er für richtig hält", wich er der Frage aus.
"Ich weiß nicht", mischte sich nun auch Professor Sprout ein. "Kann es denn vernünftig sein, dass wir uns verhalten als wäre", sie senkte die Stimme, "Sie-wissen-schon-wer wieder an der Macht?"
"Er ist zurück, das wissen alle, und je länger er da ist, desto mehr werden den Weg zu ihm zurück finden. Seine alten Anhänger kriechen bereits aus allen Löchern. Können Sie sich sicher sein, dass nicht auch hier im Lokal seine Sympathisanten sitzen und ihm zutragen, was sie hören?" versuchte McGonagall noch einmal zur Vorsicht zu raten. "Dass wir Lehrer in Hogwarts sind, macht uns nicht unantastbar - reinblütig hin oder her."
Für einen Moment trafen sich die Blicke von Snape und McGonagall. Der Zaubertranklehrer nickte leicht. Es war ein Fehler zu glauben, dass Hogwarts für Voldemort und seine Todesser tabu sei. Früher oder später würde der Dunkle Lord es versuchen und das Schloss angreifen.
"Sie-wissen-schon-wer wird es nie schaffen, die Schule zu stürmen", gab Sprout im Brustton tiefster Überzeugung zu verstehen. "Albus würde so etwas nie zulassen."
"Sicher, deswegen wird Hogwarts nur durch Verrat fallen."
Der Zaubertankmeister hätte sich auf die Zunge beißen mögen. Unbeabsichtigt war ihm diese Überlegung herausgerutscht. Na toll. Das sollte Slytherin mindestens 50 Punkte kosten.
"Was sagen Sie da?" Sprout betrachtete ihren Tischnachbarn verwundert. "Glauben Sie wirklich, dass irgendjemand die Schule verraten würde?"
"Es war nur ein Gedanke." Snape zog sich wieder zurück und senkte den Kopf. Seine Haare fielen ihm vors Gesicht. "Nur so ein Gedanke!" Aber sein Leben würde er nicht darauf verwetten wollen.
Die Unterhaltung verlief ein wenig im Sande. Jeder der vier Lehrer beschäftigte sich für einige Zeit verstimmt mit seinem Getränk. Um das Thema zu wechseln, erkundigte sich Flitwick nach den Fortschritten bei den Theaterprojekten der einzelnen Häuser. In Snape fand er einen weniger geneigten Gesprächspartner, aber McGonagall ging sofort darauf ein.
"Ich finde es interessant, dass alle Häuser den gleichen Dichter auswählten." Ihre Augen begannen zu leuchten. "Ich schätze, das wird der sanften Einflussnahme von unserer guten Madam Pince zu verdanken sein."
Professor Sprout bestellte neues Butterbier und ein Gläschen Goldlackwasser für McGonagall. "Offen gestanden bin ich erstaunt, dass sich Gryffindor für Macbeth entschieden hat. Ein so düsteres Drama passt so gar nicht zu Ihrem Haus."
"Ist das nicht offensichtlich?" knurrte Snape unter seinen schwarzen Haaren hervor. "Die Geschichte von einem finsteren Tyrann, der am Ende doch noch besiegt wird. Wessen Idee war das eigentlich?" wollte er wissen. "Grangers? Oder vielleicht sogar Potters?"
Der Hauslehrer der Slytherin betrachtete McGonagall mit einem spöttischen Blick. "Die Botschaft ist verstanden worden, Minerva. Ich kann nur hoffen, dass andere nicht mehr hineininterpretieren als gut für uns alle ist."
"Es ist nur ein Theaterstück, Severus", kam die sachliche Antwort. "Nicht mehr."
"Die Muggel haben da ein Sprichwort: Die Feder ist stärker als das Schwert."
McGonagall reagierte gereizt. "Ja, und: Getroffene Hunde bellen!"
"Geben Sie acht, dass sie nicht auch beißen", zischte Snape zurück.
"Ohoh, Auszeit, liebe Kollegen", platzte Flitwick dazwischen. "Da kann ich ja froh sein, dass unsere Schüler sich etwas unverfängliches ausgesucht haben. Unser Sommernachtstraum ist bezaubernd. Sie werden sehen. Dieser Shakespeare hat so ein phantastisches magisches Stück geschaffen, dass ich manchmal versucht bin zu glauben, er war auch ein Zauberer wie wir. - Apropos, wie wollen Sie eigentlich Albus' Forderung erfüllen, selber im Stück mitzuwirken?"
Fast gleichzeitig stöhnten die anderen Lehrer auf und winkten unwirsch ab. "Das Sie uns jetzt auch noch daran erinnern müssen."
"Ich habe keinen blassen Schimmer. In Macbeth gibt es kaum Frauenrollen und wenn, sind die ziemlich lang. Ich kann mich doch nicht stundenlang als Lady Macbeth auf die Bühne stellen."
McGonagall ignorierte dieses Mal Snapes gehässiges Grinsen.
"In unserem Sommernachtstraum gibt es genug Rollen für Frauen, aber leider kann ich kaum eine Nymphe spielen, oder?" Sprout betrachtete sich schelmisch lächelnd.
"Aber sicher doch!" Der Zaubertrankmeister trug eine ernste Miene zur Schau. "Ich habe da einen Trank, der Sie sofort um Jahre jünger aussehen ließe."
"Severus!" rief die kleine runde Hexe mit gespielter Empörung aus. "Sie wissen genau, was ich meine!"
"Nein!" gab Snape unschuldig zurück.
"Die Slytherins spielen Heinrich V.? Ziemlich heroisch!" bemerkte Gryffindors Hauslehrerin. "War fast zu erwarten", versuchte sie sich im Orakeln.
"Heldenmut ist nicht nur in Ihrem Haus beheimatet, Minerva!" antwortete Snape kühl. "Und in Heinrich geht es wohl um mehr als das. Hier geht es um Loyalität und die Tatsache, dass selbst unter widrigen Umständen Tapferkeit und Heldenmut, Opferbereitschaft und der Glaube an eine Sache den Sieg bringen werden. Frankreichs Elite verlor in nur einer einzigen Schlacht seine besten Kämpfer gegen eine handvoll erschöpfter Soldaten, die treu zu ihrem König standen. Das entspricht dem Geist von Slytherin."
"Was haben Sie sich denn für eine Rolle in Ihrem Heinrich vorbehalten?" forschte Flitwick nach.
"Keine Ahnung. Wenn es nach mir ginge, würde ich gar nicht erst in Erscheinung treten. Aber ich kann leider nicht zulassen, dass Slytherin wegen mir auf 200 Punkte verzichtet."
"Ja, wir haben alle unsere Probleme. Zu dumm ..." Minerva McGonagall spülte ihren Frust mit einem Schluck Goldlackwasser hinunter. Doch dann kam ihr eine Idee. "Was wäre eigentlich, wenn auch die anderen Häuser 200 Punkte Abzug erhielten?"
"Na nichts, dann wären wir wieder auf Gleichstand", gab die Hauslehrerin der Hufflepuffs zurück.
"Genau!" nickte McGonagall eifrig. "Das wäre doch die Lösung unseres Problems." Erwartungsvoll sah sie die anderen Hauslehrer an. "Wenn jeder die 200 Punkte Abzug in Kauf nimmt, hat keiner gewonnen und auch keiner verloren."
"Ich wäre sofort mit dabei. Wie sieht es mit Ihnen aus, Severus? Wäre Ihnen das einen Punktabzug von 200 wert?"
"Und jeder macht mit?" fragte er misstrauisch. Nicht, das er an der Ehrbarkeit der anderen Lehrer zweifeln würde, aber wenn es um den Wettbewerb der Häuser ging, traute er ihnen genauso viel zu wie sich selbst.
"Betrachten wir es als vereinbart?" fragte Madam Sprout hoffnungsvoll.
"Einverstanden!" bestätigten auch die anderen.
Minerva McGonagall atmete erleichtert auf. Sie legte ihre Hand auf ihr Herz und holte tief Luft. Ihr Gesicht glühte ein wenig im zarten Rosa, ob vor Erleichterung oder von den vielen Gläschen Goldlackwasser war schwer zu beurteilen. "Ich bin echt froh. Endlich eine Sorge weniger. Liebe Kollegen, darauf gebe ich eine Runde aus. Rosmerta, noch einmal dasselbe für meine Mitstreiter und mich."
***
Am Ende des Monats war wieder Neumond und damit auch die Nacht für das monatliche Treffen. Zum Glück hatte der Dunkle Lord zwischendurch kein Verlangen mehr nach Snape gehabt. Die angekündigte Kontaktperson ließ auch auf sich warten. War das nun gut oder schlecht für ihn? Severus saß vor dem Kamin in seinen Räumen und betrachtete gedankenverloren die Flammen. Er wartete, wartete auf den Ruf, der kommen würde.
Wie lange war er jetzt wieder dabei? Drei Monate? Vier? Es erschien ihm bereits wie eine Ewigkeit.
Die dicken Holzscheite im Kamin knackten. Im August war er das erste Mal nach Jahren seinem Meister wieder gegenübergetreten. Vor Voldemort hatte er sich demütig in den Staub geworfen, war über den Boden gekrochen und hatte ihn angebettelt, ihn wieder in seine Reihen aufzunehmen. Unzählige Argumente brachte er vor, um sich bei seinem Meister einzuschmeicheln, ihm zu gefallen. Natürlich wusste er, dass Voldemort ihn nicht einfach so wieder in seinen alten Rang einsetzen würde. Zunächst musste er sich das Vertrauen seines Meisters verdienen. Doch davor stand die bei dem Dunklen Lord so beliebte Disziplinierung.
Erneut knackte das Holz in den Flammen. Severus betrachtete es. So ähnlich hatte es sich auch angehört, als seine Knochen brachen. Wie konnte er annehmen, vorbereitet gewesen zu sein, auf das, was in jener Nacht mit ihm geschah? Bei den vier Elementen, so alt und immer noch so naiv.
Diese Augustnacht war eine der schlimmsten, die er seit langem erleben musste. Madam Pomfrey entließ ihn erst nach zwei Wochen wieder aus ihrer Fürsorge, gerade mal rechtzeitig, um zum Schulbeginn da zu sein. Wahrlich ein vielversprechender Anfang seiner erneuten Karriere als Spion im Dienst einer guten Sache. Severus presste bitter die schmalen Lippen aufeinander.
Da war es, das schmerzhafte Brennen am Arm. Der Zaubertrankmeister stand auf und griff nach dem bereitgelegten Umhang. Die Todesserrobe und die Maske verstaute er in der Tasche, in der er gewöhnlich Elixiere, Tränke oder Kräuter und Zutaten transportierte. Er schob den langen Riemen quer über die Schulter, dann zog er den Winterumhang über.
"Ka!" rief er nach seinem Raben. "Begleitest du mich wieder?" fragte er den herbeieilenden Vogel.
"Beobachten!" krächzte das Tier und ließ sich auf Snapes Schulter nieder.
Mit einigen effizienten Sprüchen versiegelte Snape seine privaten Räumlichkeiten und eilte die Treppen aus dem Kerker hinauf zur Eingangshalle. Er schaute sich nach allen Seiten um, bevor er die Verriegelung öffnete und durch einen schmalen Spalt hinaus auf den großen Innenhof schlüpfte. Die Tür fiel sanft zurück ins Schloss.
Es war ziemlich kalt und ungemütlich feucht in dieser Nacht. Der Lehrer für Zaubertränke fröstelte. Er blieb im Schatten des Innenhofes stehen und strich Ka sanft über das schwarze Gefieder. "Du kennst den Weg zur Lichtung. Versteck dich und warte, bis ich dich wieder rufe oder du das Stichwort hörst."
"Verstecken!" gurrte der Rabe. Verspielt zupfte das Tier an Severus langen Haaren. "Beobachten!" bestätigte er noch einmal und dann breitete er seine kräftigen Schwingen aus, stieß sich von Snapes Schultern ab und verschwand mit gleichmäßigem Flügelschlag in die Nacht hinaus.
***
Der Streit zwischen Draco Malfoy und Felicitas Sanders hielt an. Hobbeats hin, Schlammblut her. Irgendwann erwischte der Hauslehrer der Slytherins die beiden Kontrahenten, wie sie sich im breitem Kerkergang gegenüberstanden und die Zauberstäbe gezogen hatten. Wer weiß, was alles passiert wäre. Snape, außer sich vor Wut, packte die beiden am Arm und zerrte sie mit festem Griff in das nächste leere Zimmer in seiner Nähe.
Rücksichtslos stieß er sie hinein und knallte die Tür hinter sich zu. Auf dem Gang blieben die anderen Schüler seines Hauses enttäuscht und aufgeregt plappernd stehen. Sie fanden es gar nicht so toll, dass Snape ihnen den Spaß verdarb.
Hartnäckig verweilten sie vor der verschlossenen Tür. Drinnen schrie der Zaubertrankmeister cholerisch herum und rückte Malfoy und Sanders herrisch die Köpfe zurecht.
Noch durch das schwere Holz der Tür war sein Geschrei zu vernehmen. Es gab nicht wenige Schüler, die nun etwas kleinlaut zurückwichen, um nicht zufällig Snape im Weg zu stehen, wenn er wieder herauskam.
Dann sprang die Tür auf und der Hauslehrer befahl Goyle, Crabbe, Bulstrode und Rosier zu sich.
Mit unsicheren Schritten schlüpften die vier an dem Zaubertrankmeister vorbei in den Raum und stellten sich augenblicklich zu ihren Freunden. Schnaubend ließ ihr Hauslehrer die Tür wieder ins Schloss krachen.
"Sie vier sind von Ihren Mitschülern als Sekundanten benannt worden. Um dieses leidige Thema endlich aus der Welt zu schaffen, werden Sie jetzt gleich und vor meinen Augen die Bedingungen für ein Zaubererduell aushandeln. Ich werde Ihr Unterhändler sein und das Duell beaufsichtigen. Sie haben fünf Minuten, um sich zu beraten." Mit einer wütenden Geste schickte Snape die Mädchen in die eine Ecke des Raumes und die Jungen in die andere.
Bereits am nächsten Tag ließ Severus Snape alle Schüler seines Hauses in der kleinen Halle antreten, damit sie Zeuge des Zaubererduells werden konnten. Die Tür versiegelte der Hauslehrer mit einem Spruch, damit kein Außenstehender Zeuge einer internen Angelegenheit der Slytherins wurde.
Während die oberen Klassenstufen eher zurückhaltend reagierten, drängten sich die jüngeren Schüler um das Podest. Die Demonstration von Draco und Felicitas war ihnen noch gut in Erinnerung und so versprach das wirkliche Duell eine sehr spannende Angelegenheit zu werden.
Neugierig wechselten die Blicke der Zuschauer zwischen Malfoy und Sanders hin und her. Allmählich kristallisierte sich bei den älteren Slytherins Parteilichkeit ab, die größten Teils auch eine Geschlechtertrennung zeigte.
Ein Zaubererduell war eine ernste Angelegenheit und so trat Snape, absolute Autorität ausstrahlend, auf das Podest. In der Mitte blieb er stehen. "Die Sekundanten zu mir!" wies er an.
Sofort kamen Crabe und Goyle von der einen Seite sowie Bulstrode und Rosier von der anderen zu ihm. Der Zaubertrankmeister wich einen Schritt zurück, damit die vier sich gegenübertreten konnten. Die vier verneigten sich voreinander.
"Nennen Sie die ausgehandelten Bedingungen!" hörten sie den Zaubertrankmeister.
Natürlich kannte er sie bereits und hatte zugestimmt, doch Snape bestand darauf, streng nach Protokoll vorzugehen, um die Ernsthaftigkeit eines Duells für die anderen Schüler seines Hauses zu betonen. Niemand sollte leichtfertig ein Zaubererduell anstreben wollen.
So erfuhren alle, dass sich Malfoy und Sanders auf je zwei Flüche auf drei Schritten geeinigt hatten. Danach folgte eine kurze Liste der untersagten Flüche, die für dieses Duell nicht verwendet werden sollten.
Die vier verneigten sich noch einmal voreinander und marschierten dann feierlich von dem schmalen langen Podest. Aus dem Augenwinkel sah Snape, wie die Jungen erleichtert ausatmeten. Wieder trat er in die Mitte auf das Symbol des Vollmondes und bat nun die beiden Kontrahenten zu sich.
Felicitas Sanders schwebte hoheitsvoll heran. Sie hatte ihren Festumhang bei ihren Sekundanten gelassen. Draco Malfoy betrat das Podest mit dem üblichen arroganten Ausdruck im Gesicht und blieb vor Sanders mit einem fiesen Grinsen stehen.
"Ihre Zauberstäbe bitte."
Mit einem kurzen Blick auf die vorgezeigten Stäbe nickte Snape. "In Ordnung." Dann wiederholte er die ausgehandelten Bedingungen. Zum Schluss äußerte der Hauslehrer die traditionelle Frage.
"Gibt es eine Möglichkeit, den Streit auch ohne Duell beizulegen?"
"Nein!" kam Dracos kalte Antwort.
"Nein!" zischte auch Felicitas und maß ihr Gegenüber herablassend.
Die Spannung in der Halle nahm zu. Bisher hatten die Erstklässler mit staunendem, offenen Mund dagestanden. Das hier war ganz anders als die Demonstration vor einiger Zeit, wo sie sich zum ersten Mal vor dem Podest versammelt hatten.
Einige wichen etwas ängstlich zurück oder suchten die Nähe der älteren Schüler. Andere wussten nicht, wen sie anschauen sollten, die beiden Mitschüler oder ihren Hauslehrer, der sich an einem Ende des schmalen Podestes zurückgezogen hatte und nun das Zeichen gab. "Beginnen Sie!"
Sanders und Malfoy hoben den Zauberstab grüßend und verbeugten sich, danach drehten sie sich mit dem Rücken zueinander. Snape begann zu zählen. "Eins! Zwei! Drei!"
Mit jeder Zahl entfernten sich die beiden einen Schritt weiter voneinander. Nach dem dritten Schritt wirbelten sie herum.
In der anhaltenden Stille klangen die beiden Zaubersprüche beinahe unnatürlich laut. Felicitas Sanders "Sonorus finitas!" traf augenblicklich den jungen Malfoy, aber nicht rechtzeitig genug, um sein "Impedimenta!" zu verhindern.
Der Stummspruch setzte Malfoy insoweit außer Gefecht, da er seine Stimme nicht mehr nutzen konnte. Sanders hatte es mit dem Lähmzauber ihres Gegners auch nicht besser. Sie konnte zwar sprechen, aber ihren Zauberstab nicht bewegen.
Snape verdrehte genervt die Augen. Die Beiden hatten bereits beim ersten Spruch eine Patt-Situation erreicht. Erfahrene Zauberer könnten sich auch ohne Stimme oder Zauberstabgefuchtel, wie er es so gern bezeichnete, von den Flüchen befreien, aber die Schüler waren dazu nicht in der Lage.
Von einem Patt wollte Malfoy nichts wissen. Er stolzierte zu seiner Konkurrentin und sah sie höhnisch an. 'Der Sieg ist mein', sagte sein Blick. Die erstarrte Sanders gab ein grantiges "Hmpf!" von sich.
Mit einem kurzen energischen Spruch hob der Hauslehrer der Slytherins die Flüche auf. Nur seine Anwesenheit und seine Drohung, beide unter Hausarrest zu stellen, hinderte Malfoy und Sanders daran, mit bloßen Händen aufeinander loszugehen.
"Zurück in Ihre Ausgangsposition!" zischte er wütend. "Und etwas mehr Ernsthaftigkeit. Sie haben noch eine Chance für die Entscheidung."
Der Lärmpegel um sie herum erstarb. Aufgeregte Zuschauer sahen, wie sich Malfoy und Sanders erneut Rücken an Rücken stellten.
"Eins! Zwei! Drei!"
Bei drei wirbelten beide wieder herum, doch Malfoy tauchte dabei zur Seite und der Fluch von Sanders ging ins Leere. Verwirrt schaute sie dem roten Blitzstrahl nach. "Aber ... das gilt nicht!" kreischte sie beinahe heulend auf.
Sie sah Malfoy auf den Knien und seinen Zauberstab auf sie gerichtet. Schreiend wollte sie vom Podest klettern und weglaufen, aber Snapes eisige Stimme nagelte sie auf der Stelle fest.
"Wagen Sie es nicht!" zischte der Hauslehrer. "Stellen Sie sich Ihrem Gegner!"
Draco grinste über das ganze Gesicht. Er hob langsam den Zauberstab und bedachte Sanders mit einem vernichtenden Blick. "Jetzt bist du dran! - Anevce Nigra Color!"
Ungläubig sahen alle, wie sich die Haut der schönen Felicitas immer dunkler zu färben begann, bis sie fast so schwarz wie Ebenholz war. Dracos Freunde brachen in schallendes Gelächter aus, während die Partei des Mädchens empörten Einspruch erhob.
Alle Augen richteten sich nun auf Professor Snape, der näher kam. Er begutachtete das Ergebnis von Dracos Fluch und fand es ganz amüsant. Es fiel ihm schwer, unbeteiligt dreinzuschauen. Der junge Malfoy hatte Sinn für Humor, dass musste er ihm lassen. "Ich nehme nicht an, dass Sie auch wissen, wie Sie diesen Fluch wieder rückgängig machen können; Mister Malfoy?" fragte er den Jungen mit leicht hochgezogenen Augenbrauen. Malfoys Grinsen verschwand. "Das habe ich nicht nachgeschlagen", gestand er.
Snape nickte und erklärte Draco als Sieger in diesem Zaubererduell. "Damit ist der Streit beigelegt. Wehe Ihnen beiden, wenn Sie die Sache nicht als beendet betrachten sollten. - Und Sie, Miss Sanders begeben sich in die Krankenstation, um sich von Madam Pomfrey wieder entfärben zu lassen. Schwarz steht Ihnen nicht sonderlich."
Das Zaubererduell bei den Slytherins blieb natürlich den anderen Schulhäusern nicht verborgen. Am Abend sah sich Felicitas Sanders den neugierigen Blicken ihrer Mitschüler ausgesetzt. Die schwarze Farbe ihrer Haut war noch nicht ganz verschwunden. Von ihrer sonst so vornehmen Blässe war sie noch weit entfernt. Dennoch schaffte sie es, einigermaßen würdevoll das Essen zu überstehen, bevor sie sich in ihren Schlafsaal verkriechen konnte. Malfoy und seine Sekundanten dagegen genossen ihren Sieg und ließen sich immer wieder dazu beglückwünschen.