Die Schwarze Rose 2

 

 

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Kapitel 6: Von Gemälden, Bildern und gefährlichen Angeboten

 




Dumbledore legte beruhigend eine Hand auf die, die sich noch immer in seinen Oberschenkel krallte.

"Ich werde dir helfen, Severus, wenn du bereit bist uns zu helfen. Und wenn du aufhörst, mein Bein zu zerquetschen." Der verwirrte Blick und die Röte, die in die Wangen des jungen Mannes schoß, als ihm klar wurde, nach was er da gegriffen hatte, ließ ein freundliches Lächeln auf Dumbledores Gesicht erscheinen.

"Entschuldigen Sie, Sir, ich ..."

"Ich weiß, mein Junge, mach dir keine Sorgen, ich werde es überleben." Noch immer lächelnd zog Dumbledore ein großes Taschentuch und eine Schachtel Bonbons aus den unergründlichen Taschen seiner seidenen Robe hervor. "Hier, Kind, einmal richtig schnäuzen und dann ein Zitronendrops und gleich geht's dir besser. Mein Geheimrezept, ja nicht weitersagen." Der Direktor zwinkerte verschwörerisch.

Nach ausgiebigem Schnäuzen, einer Handvoll Zitronendrops und einer weiteren Tasse Kräutertee fühlte sich Severus tatsächlich viel besser, fast entspannt. Wie der nun ruhige Ozean auf dem Gemälde über dem Bett.

"Professor Dumbledore, dieses Bild ... Ich weiß, es klingt verrückt, aber irgendwie war es in meinem Traum, oder ich war in dem Bild, ich kann es nicht genau sagen, und plötzlich änderte sich das Wetter ..." Die Erinnerung ließ ihn erschauern.

"Oh ja, dieses Gemälde verändert sich ziemlich oft. Und manchmal frage ich mich, ob es nicht mit der Stimmung der Menschen hier im Zimmer zusammenhängt. Falls dies zutrifft, so scheinst du dich im Moment besser zu fühlen." Severus nickte, während er noch immer das Gemälde betrachtete. Als er wieder sprach, erschien eine dunkle Wolke über dem Horizont.

"Ich habe seine Stimme gehört. Sie sagte, daß ich ihm nicht entkommen könne, nie ..."

"Wessen Stimme, die deines Vaters - oder Voldemorts?" Als Dumbledore den gefürchteten Namen aussprach, zuckte Severus zusammen. Dann drehte er sich zu ihm herum und sah dem Direktor in die Augen.

"Der Dunkle Lord ist mein Vater", sagte er mit kaum verhülltem Abscheu und Selbsthaß in der Stimme. Dumbledore viel die Kinnlade herunter.

"Bist du sicher?"

Ein kurzes Nicken.

"Aber wie ist das möglich? Ich meine ... - Also hatte Tom Riddle eine Affäre mit deiner Mutter, nehme ich an?"

"Sylvia Snape war nicht meine Mutter."

"Nein? Aber wer ...?"

"Ihr Name war Helena Evans, eine muggelgeborene Gryffindor." Bei diesen Worten lag nur noch Trauer und Sehnsucht in Severus' Stimme.

Helena Evans. Professor Dumbledore erinnerte sich nur zu gut an die Familientragödie, die es vor mehr als zwanzig Jahren bis auf die erste Seite des Tagespropheten und sogar in die Schlagzeilen der Muggelpresse geschafft hatte. Damals hatte das Dunkle Mal zum allerersten Mal am Nachthimmel von London geleuchtet. Es gab vier Opfer, Andrew und Achillea Evans, ihre Tochter Helena und deren kleiner Sohn Perseus. Fast simultan kam ihm die Erinnerung an eine leichenblasse Helena in einem der Zimmer des Krankenflügels in den Sinn. Sie hatte einen Abtreibungs-Zaubertrank genommen, der sie und ihr ungeborenes Kind beinahe getötet hätte, aber Mutter und Kind hatten in letzter Minute gerettet werden können. Und das Bild eines wunderhübschen jungen Mädchens mit glänzenden, roten Locken, die glücklich in den Armen eines dunkelhaarigen, schwarzäugigen Jungen namens Tom Riddle Walzer getanzt hatte. Der Weihnachtsball. Es mußte nach dem Weihnachtsball passiert sein. Auf einmal ergab alles einen Sinn. Weshalb Helena so verzweifelt gewesen war, weshalb die Familie Evans umgebracht worden war. Tom Riddle hatte Helena geschwängert, hatte sie möglicherweise vergewaltigt, und war dann gekommen, um seinen Sohn einzufordern. Die Leiche des Jungen war nie gefunden worden ...


"Woher weißt du das alles?" fragte Dumbledore, während er den jungen Zauberer ungläubig anstarrte. ‚Es ist wahr, er hat die gleichen tiefschwarzen Augen ...'

"Ich habe vor ein paar Tagen ein Gespräch zwischen Scelestus Snape und Caligula Malfoy mitgehört." Severus begann zu erzählen, was er in jener schicksalsschweren Nacht erfahren hatte. Dumbledore unterbrach die zögerlich vorgebrachte Geschichte nicht, nickte nur dann und wann. Und langsam begriff der alternde Schulleiter, warum Severus nach Hogwarts gekommen war, verstand den grenzenlosen Haß, den er gegenüber seinem Meister und seinem vermeintlichen Vater, Scelestus Snape, empfunden haben mußte, nachdem ihm - unfreiwillig - das dunkle Geheimnis offenbart worden war, verstand den Tumult der Gefühlen, der ihn völlig aus der Bahn geworfen hatte, nachdem er erkannte, daß sein ganzes Leben nichts als eine Lüge war, daß der, den er bewundert und gefürchtet hatte, für den er alles getan, sein Leben gewagt hätte, ihn verraten hatte ...

Nachdem Severus seine Geschichte beendet hatte, stand Dumbledore auf und ging wortlos in sein Büro. Nach ein paar Minuten kam er mit einigen Zeitungen und einem Jahrbuch von Hogwarts in den Händen zurück. Noch immer wortlos reichte er dem jungen Mann im Krankenbett eine der Zeitungen. Auf der Titelseite prangte das Bild eines brennenden Hauses, die Flammen schossen hoch in den Himmel hinauf. Die Überschrift lautete: "Zwei Zauberer bei Laborunfall getötet? Caligula Malfoy, Vorstand der angesehenen Familie Malfoy, jetzt als eines der Opfer identifiziert."

"Es war kein Unfall, nicht wahr?"

"Nein", antwortete Severus mit Nachdruck. "Ich habe es getan, und ich bedaure nicht im geringsten, diese Bastarde getötet zu haben, wenngleich ich immer noch nicht begreife, wie es passiert ist." Er berichtete Dumbledore von dem Duell und wie plötzlich die Zimmerdecke eingestürzt und alles in Flammen aufgegangen war.

"Bist du dir eigentlich bewußt, daß das, was du in jener Nacht auf dem Gebiet der stablosen Magie zustande gebracht hast, ziemlich außergewöhnlich ist?" Der Schulleiter sah ihn fragend an. "Du bist ein sehr mächtiger Zauberer, Severus. Ich bin froh, daß du nicht länger ein Feind bist." Dumbledore lächelte den perplex dreinschauenden jungen Mann an. Er hatte offensichtlich eine ganz andere Reaktion des Direktors erwartet.

"Hast du noch andere ungewöhnlichen Fähigkeiten, mein Junge?"

"Ich bin ziemlich gut mit Zaubertränken." Er schaute hinunter auf seine Hände und senkte dann seine Stimme fast zu einem Flüstern ab. "Und ich kann mit Schlangen sprechen ..."

"Ein Parselmund ... Wenn man bedenkt, daß du väterlicherseits ein direkter Nachfahre Salazar Slytherins bist, ist das wohl kaum eine Überraschung, würde ich sagen."

"Es heißt, es ist ein schlechtes Zeichen. Ein Zeichen des Bösen ..."

"Nein, Severus. Ein Parselmund zu sein ist nicht automatisch etwas schlechtes. Es ist eine seltene Gabe. Und es liegt allein in der Hand des Zauberers, wie er diese Gabe nutzt." Dumbledore schaute Severus eindringlich in die Augen. "Verabscheue dich nicht wegen deiner Herkunft. Du bist nicht durch dein Blut dazu verdammt, böse zu sein. Und selbst wenn es so etwas wie angeborene Verderbtheit gäbe - was ich aufs stärkste bezweifle - kannst du dagegen ankämpfen. Vergiß nicht, daß deine Mutter eine Gryffindor war. Du trägst auch ihre Gene." Der alte Zauberer öffnete das Jahrbuch. Die Absolventen des Jahres 1960. Unter dem Bild eines wunderschönen, aber bleichen Mädchens mit traurigen Augen und rotem, lockigem Haar konnte Severus den Namen Helena Evans in Gryffindor-rot und -Gold lesen. Sie lächelte ihm zu, wandte dann ihr Gesicht ab und brach in stille Tränen aus.

"Mutter?" Severus' Stimme war heiser vor Emotionen. Aber sie drehte sich nicht um.

Im Buch fanden sich noch mehr Bilder von ihr. Eines mit einer glücklich lächelnden Helena in roten und goldenen Roben, die stolz den Quidditch-Pokal hielt. Ein anderes, das sie in der Mitte einer Gruppe Schüler zeigte, die alle stolz ihre Vertrauensschüler-Abzeichen trugen. Und eines vom Weihnachtsball, Helena in den Armen eines schwarzhaarigen Jungen ... Severus' Magen drehte sich um, als er erkannte, wer der Tanzpartner seiner Mutter war. Das jüngere Selbst des Dunklen Lords - seines Vaters.

Er knallte das Buch zu. Dieses Bild war zu viel. Sie hatte so glücklich ausgesehen, so unschuldig, hatte nicht die leiseste Ahnung davon gehabt, was bald mit ihr geschehen würde, daß der selbe dunkle Junge, den sie verliebt angelächelt hatte, sie und ihre Eltern kaltblütig ermorden würde. Wie er dieses Monster haßte!

Dumbledore reichte ihm eine andere Zeitung. Wieder war da ein brennendes Haus, aber die Flammen bewegten sich nicht. Eine Muggelzeitung. Dennoch war es ein erschreckender Anblick. Das Haus seiner Großeltern. Der Tagesprophet desselben Tages zeigte ein Familienbild. Ein Muggel-Ehepaar Anfang fünfzig mit Tochter und Sohn, beide rothaarig wie ihr Vater, eine Schwiegertochter mit einem ebenfalls rothaarigen Kleinkind in den Armen, und ein friedlich schlafendes, schwarzhaariges Baby auf dem Schoß seiner Großmutter. Severus' Hände fingen zu zittern an und sein Hals schnürte sich zusammen, als er in die lächelnden Gesichter blickte. Alle tot. Wegen ihm. Aber waren sie alle tot? Unfähig auch nur ein Wort herauszubringen, sah er den Schulleiter fragend an und zeigte auf die Personen, die er als seinen Onkel, seine Tante und seine Cousine identifiziert hatte.

"Orestes und Rose sind vor ein paar Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, fürchte ich, aber das kleine Mädchen lebt noch. Natürlich ist sie inzwischen erwachsen, wie du auch. Du kennst sie sogar. Sie war eine Hogwartsschülerin."

Eine Hexe. Mit dem Familienname Evans. Rote Haare und ein paar Monate älter als er, muggelgeboren - es konnte nur Lily sein. Lily Evans war seine Cousine. Das wunderhübsche Mädchen mit den sprühenden grünen Augen, die einmal versucht hatte ihm zu helfen, als ihm Potter und seine Gang einen ganz besonders demütigenden Streich spielten. Und er hatte sie in seiner überschäumenden Wut ‚Schlammblut' genannt ... Und jetzt war seine einzige noch lebende Verwandte ausgerechnet mit diesem selben James Potter verheiratet, seinen Kindheitsfeind. Er stöhnte verzweifelt auf.

"Lily Evans als Cousine zu haben kann doch nicht so schlimm sein, denke ich." Dumbledore lächelte, seine blauen Augen blitzten schalkhaft.

"Nein, es ist nur ... Potter wird begeistert sein, wenn er hört, daß wir irgendwie verwandt sind", schnaubte Severus und rollte mit den Augen.

"Genauso begeistert wie du." Der Direktor konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Dann wurde er wieder ernst. "Vielleicht ist es besser, wenn wir dies für uns behalten - bis nach dem Krieg. Um deiner Sicherheit willen."

"Oh, ich denke, ich werde in Askaban ziemlich sicher sein." Er versuchte es beiläufig klingen zu lassen, aber schaffte es nicht ganz.

"Du wirst nicht nach Askaban gehen, Severus. Ich habe andere Pläne mit dir." Dumbledore klang sehr zuversichtlich, zuversichtlicher als er sich tatsächlich fühlte. Was, wenn er Severus falsch eingeschätzt hatte? Wenn der Junge nicht zu dieser gefährlichen Mission bereit war? Konnte er, Dumbledore, ihn dann dem Ministerium ausliefern, nach all den langen Tagen und Nächten, die er besorgt am Krankenbett des jungen Zauberers verbracht hatte? Er konnte es nicht leugnen, irgendwie hatte er eine gewisse Zuneigung zu dem Jungen gefaßt, trotz allem, was er getan hatte, was er war ...

"Habe ich dir nicht versprochen, daß ich dir helfen werde?" fuhr Dumbledore fort. "Doch wir brauchen auch deine Hilfe. Wir brauchen einen Spion in Voldemorts Innerem Zirkel. Dringend. Und ich möchte, daß du dieser Spion bist." Severus wurde bleich. Eine Selbstmord-Mission. Das war es, was sie von ihm wollten. Sie konnten ihn ebensogut gleich den Dementoren vorwerfen, der Kuß würde ihm wenigstens einen schnellen Tod garantieren, während der Tod eines Verräters ... Er erschauerte. Er hatte mehrere solcher Exekutionen mit angesehen, und die Erinnerung daran ließ ihm noch immer das Blut in den Adern gefrieren. Und diese Opfer waren nicht einmal Spione gewesen, sie hatten nur gehen wollen, die Todesser verlassen wollen, wie dieser Dummkopf Regulus Black.

"Ich weiß, es wird sehr schwierig und gefährlich werden, extrem gefährlich. Aber ich würde dich nicht darum bitten, wenn ich nicht glauben würde, daß du es schaffen kannst. Wie ich schon sagte, du bist ein sehr mächtiger Zauberer, Severus, auch wenn es dir noch nicht bewußt ist. Vertrau in deine Fähigkeiten." Dumbledore machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. "Du mußt dich nicht jetzt sofort entscheiden. Nimm dir Zeit. Poppy wird dich ohnehin nicht so bald gehen lassen. Nicht bevor du dich nicht vollständig erholt hast." Er lächelte dem jungen Mann aufmunternd zu, dann verließ er den Raum, die Türe leise hinter sich ins Schloß fallen lassend.

In Severus' Kopf begannen die Gedanken sich nur so zu drehen. Dumbledore vertraute in seine Fähigkeiten. Er vertraute ihm. Aber verdiente er das Vertrauen des Direktors? Was, wenn er versagte? Er traute sich selbst nicht, nicht im geringsten. Aber gab es eine Alternative? Wahrscheinlich nicht. In Askaban langsam zu verrotten war nicht gerade eine verlockende Aussicht. Als Spion könnte er sich wenigstens rächen, vielleicht sogar ein wenig seiner Schuld wiedergutmachen. Zweifellos ein tödliches Spiel. Aber vielleicht einen Versuch wert ...

"Ich tu's!" Nachdem er seinen Entschluß gefaßt hatte, schloß er die Augen und schlief endlich ein.


 

 

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