Die Schwarze Rose 2

 

 

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Kapitel 3: Bohrende Blicke und bohrende Fragen

 




Der Weg zum Büro des Schulleiters schien endlos zu sein, Stunden zu dauern. Allein einen bleiernen Fuß vor den anderen zu setzen war eine schreckliche Anstrengung. Zur gleichen Zeit war Severus nicht darauf vorbereitet, sich tatsächlich vor dem steinernen Wasserspeier wiederzufinden, der den Eingang zu Dumbledores Reich bewachte. Was zum Teufel sollte er dem Mann sagen? Würde er ihm überhaupt zuhören? Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Schon sprach McGonagall das Paßwort:

"Ingwerhappen."

Der Wasserspeier wurde lebendig, sprang zur Seite, und die Wand dahinter teilte sich, um den Blick auf eine sich drehende Wendeltreppe freizugeben, die sich gleichmäßig wie ein Fahrstuhl nach oben bewegte.

"Folgen Sie mir." Professor McGonagall trat auf die nach oben steigende Treppe. Beim bloßen Anblick der sich spiralförmig bewegenden Stufen wurde Severus wieder schwindelig. Er schloß die Augen und folgte der Professorin zögerlich. Ihm war so übel. Aber er konnte schlecht hierher kommen, nur um sich vor Dumbledore zu übergeben. Oder auf seiner Türschwelle umzukippen.

Endlich betraten sie wieder festen Boden.

"Sie warten hier, und fassen Sie ja nichts an." Während sie Severus kritisch betrachtete, klopfte McGonagall mit dem Türklopfer aus Messing, der die Form eines Greifs hatte, an der Eichentür. 'Der Junge sieht wirklich krank aus. Fiebrig, wenn nicht sogar Schlimmeres', dachte sie bei sich, als sich die Tür lautlos öffnete. Mit einem besorgten Stirnrunzeln betrat Minerva das Büro ihres Vorgesetzten und flüsterte ein paar warnende Worte in Albus' Ohren. Das Gesicht des Direktors war ungewöhnlich ernst, als er Severus herein rief.

"Sie können uns jetzt alleine lassen, Minerva. Und vielen Dank."

"Sind Sie sicher, Albus?"

"Ich denke doch, daß ich mit einem so jungen Mann zurecht komme, zumal er nicht einmal einen Zauberstab hat, meinen Sie nicht auch?" Ein kleines Lächeln umspielte die Mundwinkel des Direktors, aber es erreichte nicht seine Augen. Ein kurzer Blick auf Severus in seinem durchnäßten, blutbefleckten schwarzen Umhang hatte ihn davon überzeugt, daß dies keine gemütliche Tee-und-Kekse-Unterhaltung werden würde. Der junge Zauberer wirkte nervös und ängstlich. Und Albus glaubte deutlich einen starken Unterton von Schuld und Verzweiflung, gemischt mit Haß, spüren zu können.

"Bitte setzen Sie sich, Mr. Snape." Doch der junge Mann schien seine Worte gar nicht wahrzunehmen. Langsam hob er seine Augen dem forschenden Blick des alten Zauberers entgegen und flüsterte:

"Ich bin gekommen, um mich zu stellen."

"Dich stellen?" Dumbledore hielt den Blick, so als ob er tief in die Seele seines ehemaligen Schülers sehen und seine innersten Gedanken und Gefühle entziffern, alle dunklen Geheimnisse enthüllen und sein ganzes Leben aufdecken wollte. Severus erschauerte und wandte seinen Blick ab.

"Welcher Verbrechen bist du schuldig?" fragte Dumbledore in einem bemüht neutralen Ton.

"Ich bin ein Todesser."

Und jetzt begann ein schmerzhaftes Verhör. Es schien Stunden zu dauern. Severus hatte schließlich doch auf dem Stuhl Platz genommen, den Dumbledore an seine Seite gezaubert hatte. Er fühlte sich heiß und benommen und mußte sich schwer konzentrieren, um der Flut von Fragen folgen zu können. Aber er würde sie so ehrlich beantworten wie er nur konnte. So viele Informationen über Voldemort und seine Todesser preisgeben wie möglich. Der anderen Seite einen entscheidenden Vorteil bieten, damit sie das Monster eines Tages besiegen konnten. Als ein Mitglied des Inneren Zirkels wußte Severus eine Menge, so viel wie man überhaupt wissen konnte, wenn man die Tatsache in Betracht zog, daß Voldemort niemandem außer sich selbst vertraute.

Nachdem Severus sich den Todessern angeschlossen hatte, war er bald in den Inneren Zirkel der Organisation aufgestiegen, obwohl er noch so jung war. Keiner seiner Klassenkameraden hatte so schnell so viel erreicht, nicht einmal Lucius Malfoy. Leistung zählte unter den Todessern mehr als Name und Status, und der Dunkle Lord war der erste und einzige in seinem Leben gewesen, der Severus' brillanten Verstand, sein Talent und seinen Wissensdurst anerkannt hatte und bereit war, seinen brennenden Wunsch, nicht mehr derjenige zu sein der einstecken mußte, sondern der, der die Macht über andere hatte, zu erfüllen. Jetzt aber hatte er herausfinden müssen, daß all dies Täuschungen gewesen waren, so wie sein ganzes Leben eine einzige Lüge war. Er war nichts als ein williges Werkzeug des Schreckens. Hatte gefoltert und getötet. Vielleicht nicht mit dem kranken Vergnügen, das so viele seiner Komplizen während eines Überfalls an den Tag legten. Aber mit kalter Berechnung. Er hatte an die Sache geglaubt, an ihren Führer. Hatte die Doktrin der Überlegenheit der Reinblütler von frühster Kindheit an eingesogen. Hatte Halbblüter, Schlammblüter und Muggel aus ganzem Herzen verachtet. Und jetzt war mit einem Mal all dies zunichte gemacht, sein gesamtes Weltbild zusammengebrochen. Er war selbst nur ein Halbblut. Und er war ein Massenmörder.

In Dumbledores Zügen spiegelte sich unterdrückter Ärger und Müdigkeit. Was er hörte, machte ihn krank. Wie konnte dieser Junge, der noch kaum ein Mann war, so einfach dort sitzen und mit ruhiger, völlig emotionsloser Stimme die schlimmsten Gräueltaten gestehen? Er hätte ihm rechts und links eins um die Ohren hauen können. Und warum nur war er überhaupt hierher gekommen, zu ihm? Todesser kamen nicht einfach hier vorbei spaziert und schütteten ihm ihr Herz aus - vorausgesetzt sie hatten eins - ohne handeln zu wollen. Es war immer dasselbe, Informationen gegen Straferlaß, gegen eine neue Identität, ein neues Leben in den Vereinigten Staaten. Wie er diesen Abschaum haßte, der ohne Strafe und ohne wirklich Reue zu zeigen davonkam. Und meistens waren die Informationen, die sie bekamen, nicht viel wert. Aber dieser Junge war anders. Er lieferte nicht nur Detailwissen und sehr wichtige Hinweise darüber, wie die Terrororganisation funktionierte, wie Voldemorts Gedankengänge funktionierten, sondern hatte noch mit keinem Wort einen Handel erwähnt, nicht ein einziges Mal.

"Nun, Mr. Snape, warum erzählen Sie mir dies alles?"

"Er hat meine Familie umgebracht."

"Ich dachte, Ihre Mutter sei vor vielen Jahren an Herzschwäche gestorben. Und Ihr Vater ist doch sicher noch am Leben und bei bester Gesundheit?"

"Nein, er ist tot. Aber sie waren sowieso nicht meine Eltern." War es wirklich erst gestern gewesen, daß er das Gespräch im Wohnzimmer belauscht hatte? Es kam ihm vor wie viele Jahre. Weit, weit weg. Alles schien zunehmend weiter weg zu sein, entfernt und verschwommen. Sogar der Direktor, der nicht einmal einen Meter von ihm entfernt hinter seinem Schreibtisch saß. Dumbledores Stimme wurde leiser, dann wieder lauter und floß und plätscherte dahin wie Wellen an einem fernen, felsigen Ufer. Das leise Brummen in seinem Hinterkopf wurde zu einer wahnsinnig machenden Kakophonie von Geräuschen, und gleißende Lichtblitze begannen vor seiner Netzhaut zu flimmern. Er glitt ab ...

"Severus?" Dumbledore eilte zu seinem ehemaligen Schüler und fing ihn auf, als er vom Stuhl sackte und auf dem Boden zusammenbrach.

"Severus?" Der junge Zauberer in seinen Armen reagierte nicht. Er fühlte sich heiß an und war augenscheinlich im Delirium. Mit einem tiefen Seufzer verwandelte der alternde Professor den Stuhl in ein Sofa und legte ihn behutsam darauf. Ein kranker Todesser, um den er sich Gedanken machen mußte, das war genau, was ihm zusätzlich zu seinen vielen Sorgen und seiner Arbeit noch fehlte. Er könnte das Ministerium kontaktieren und ihn ausliefern, er war trotz allem ein Mörder und verdiente es nicht besser. Aber etwas hielt Albus davon ab, dies zu tun, ein vages Gefühl, daß es noch Hoffnung für den Jungen gab, daß er nicht durch und durch böse war. Daß er vielleicht eine zweite Chance verdiente. Langsam formte sich ein Plan im Geiste des Schulleiters.

"Nur keine übereilten Entscheidungen treffen", murmelte Albus vor sich hin. Der Junge war wohl kaum in einem Zustand, in dem er so bald davonlaufen oder schwerwiegende Probleme schaffen konnte. Besser alles noch mal überschlafen. Immerhin gab es noch eine ganze Menge Fragen, die noch nicht beantwortet waren. Aber auch sie mußten warten. Er warf etwas Pulver in den Kamin.

"Poppy, würden Sie bitte für einen Augenblick in mein Büro kommen?" bat der Schulleiter, als Madame Pomfreys Kopf in den Flammen erschien.

"Was immer Sie wünschen, Albus." Und nur wenige Minuten später klopfte die Medihexe an der Tür zum Büro.

"Kommen Sie bitte herein. Ich weiß, Sie sind momentan sehr beschäftigt mit einer ganzen Reihe von grippekranken Schülern. Aber ich fürchte, ich habe dringende Arbeit für Sie, Poppy." Er lächelte entschuldigend und wies auf die dunkle Form auf dem Sofa.

"Was ist passiert, Albus?"

"Er ist während einer ausgedehnten Befragung plötzlich zusammengebrochen." Ein kurzer Blick auf den Patienten war genug, um den Zorn der Medihexe zu erwecken.

"Albus, wie konnten Sie den Jungen verhören? Sogar ein Blinder hätte bemerkt, daß er hohes Fieber hat. Und schauen Sie sich seine Kleider an, sie sind von Regen und Blut nur so durchweicht! Sie hätten mich sofort rufen müssen!" Dumbledore schaute sie leicht schuldbewußt an.

"Tut mir leid, aber es gab sehr wichtige Dinge zu diskutieren. Nun, was fehlt dem Jungen?"

Noch immer vor Entrüstung ein finsteres Gesicht machend richtete Madame Pomfrey ihren Zauberstab auf Severus und bewegte ihn langsam entlang seines Körpers auf und ab. Sein bleiches Gesicht war schweißbedeckt, und sein ganzer Körper zitterte.

"Sieht aus wie eine Lungenentzündung mit hohem Fieber und Schüttelfrost", verkündete sie das Resultat ihrer Untersuchung. "Und er hat eine ganze Menge Blut verloren. Sein Blutdruck ist viel zu niedrig, was seine Ohnmacht erklärt."

"Dann ist es sein eigenes Blut auf dem Umhang? Ich dachte ..."

"Sie dachten, Albus?"

"Ja, tatsächlich denke ich gelegentlich, Poppy." Albus kicherte. "Aber ich bin wirklich froh, daß ich diesmal falsch gelegen habe."

Mit einer schnellen Bewegung ihres Zauberstabs entfernte Madame Pomfrey Severus' Umhang und äußere Kleidung. Der linke Ärmel seines Hemds war blutdurchtränkt.

"Albus! Schauen Sie!" Die Medihexe schnappte nach Luft, als sie die tiefen, noch leicht blutenden Schnittwunden und Kratz- und Bißspuren auf seinem Unterarm sah. "Glauben Sie, er wollte sich umbringen?"

"Ich weiß es nicht, Poppy. Es ist nicht auszuschließen. Er schien mir ziemlich durcheinander, um ehrlich zu sein." Die Sorge auf Madame Pomfreys Gesicht wurde noch deutlicher.

"Der arme Junge, wir bringen ihn besser gleich in den Krankenflügel, damit ich mich ordentlich um seine Verletzungen und sein Fieber kümmern kann."

"Nein, Poppy. Das geht nicht. Er ist ein Todesser." Pomfreys Augen weiteten sich vor Schreck. "Niemand darf erfahren, daß er hier ist. Um des Jungen eigene Sicherheit willen. Ich habe noch nicht herausfinden können, warum genau er nach Hogwarts gekommen ist, und weiß bisher auch nicht, was ich in der Angelegenheit unternehmen werde, aber seine Anwesenheit hier muß auf alle Fälle erst einmal geheim gehalten werden", sagte Dumbledore mit Nachdruck.

"Er ist ein ehemaliger Schüler, nicht wahr?" fragte Madame Pomfrey nachdenklich.

"Ja, Severus Snape, Slytherin."

Snape. Natürlich. Warum hatte sie den jungen Zauberer nicht gleich erkannt? Während seiner Zeit in Hogwarts hatte er sie gewiß ein paar graue Haare gekostet. Nie würde sie die Tage und Nächte vergesse, die sie am Bett eines tödlich bleichen, gerade zwölfjährigen Slytherins namens Severus Snape gewacht und um sein Leben gefürchtet hatte. Es war gleich nach dem Willkommensfest passiert. Als einer der letzten, der die Große Halle verließ, war der magere Slytherin plötzlich leise stöhnend und seinen Bauch haltend auf dem Fußboden zusammengebrochen. Akuter Blindarm war das erste, das ihr damals durch den Kopf schoß, oder vielleicht ein mieser Scherz. Aber es war schlimmer. Als sie bei dem Jungen ankam, war er bereits bewußtlos und mußte mit akutem Leberversagen umgehend in den Krankenflügel gebracht werden. Sie war in einer schlimmen Zwickmühle gewesen, da die starken Heiltränke, die sie ihm geben mußte, um sein Leben zu retten, wiederum einen negativen Effekt auf seine angegriffene Leber haben würden. Deshalb mußte sie sehr vorsichtig mit den Medikamenten sein. Er war schließlich gesund geworden, aber es war knapp gewesen. Und eine leichte Leberinsuffizienz war zurückgeblieben.

Die Medihexe hatte die schlimmsten Vermutungen darüber gehegt, was die gefährliche Verletzung und die vielen blauen Flecke und Blutergüsse, die den Körper des dunkelhaarigen Jungen bedeckten, verursacht hatte, aber er hatte hartnäckig darauf bestanden, er sei die Treppe herunter gefallen. Seine Eltern waren nicht gekommen, um ihren schwerkranken Sohn zu besuchen, nicht ein einziges Mal. Sie hatten überhaupt nicht auf die dringende Hogwarts-Eule reagiert. Keine Geschenke, keine Karte mit Wünschen für eine rasche Genesung. Als ob es ihnen völlig egal wäre. Es kamen auch keine Freunde, um Schokoladenfrösche oder Bonbons zu bringen. Die Einsamkeit des Jungen hatte dem mitfühlenden Herz der Medihexe einen Stich versetzt, und sie hatte sich vorgenommen, ein freundliches Auge auf ihn zu haben. Aber nachdem er aus dem Krankenflügel entlassen worden war, hatte die vielbeschäftigte Hexe ihren guten Vorsatz schnell vergessen. Und Severus war nach diesem Zwischenfall nie wieder ernsthaft krank gewesen.

"Albus", kam Pomfrey wieder aus ihren Gedanken in die Gegenwart zurück. "Ich fürchte, das hier wird komplizierter als ich zuerst angenommen hatte. Normalerweise könnte ich diese Symptome in zwei, höchstens drei Tagen kurieren, aber in diesem Fall ... Wegen der schwachen Leber des Jungen kann ich keine starken, hochdosierten Heiltränke verwenden."

"Aber Sie können ihn doch heilen, oder?"

"Ich denke schon, aber es wird mehr Zeit und Pflege beanspruchen als gewöhnlich."

"Nun, Poppy, wie kann ich Ihnen helfen?"


 

 

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