~Eine kalte Stille legt sich auf uns
wir sehen aneinander vorbei
Schwärze schleicht langsam voran
Die Wahrheit ist so dünn
Wie ein Lufthauch
Sie ist nicht zu fassen
Und geht durch uns hindurch
Als wäre es nichts~
Das Ministerium hatte erstaunlich schnell gehandelt. Für Solon und seine Geschwister wurde schnell ein Veritaserum aufgetrieben und ihnen eingeflößt. Die Leute vom Ministerium und die Auroren stellten viele Fragen, doch aus den Antworten hörten sie heraus, dass sie den dunklen Lord verabscheuten und gegen ihn kämpfen wollten. Nun Terra antwortete nur, dass sie Angst vor ihm hatte und nannte ihn einen bösen Menschen. Die Ministeriumsmitarbeiter waren geschockt, dass der dunkle Lord nicht einmal vor so kleinen Mädchen Halt machte.
Trotz dem man bei Solon kein Mal fand, wurde er auch verhört. Bei ihm sowie bei Salena konnte man deutlich heraushören, dass sie nicht nur den dunklen Lord sondern auch alle Menschen verabscheuten. Doch niemand verübelte es ihnen. Sie wurden nicht in dunkle Zellen gesteckt, wie man es vielleicht bei Todessern erwartet hätte. Sie wurden auch nicht geschlagen. Sie wurden zum ersten Mal in ihrem Leben wie normale Menschen behandelt. Und das tat gut. Doch es vertrieb nicht das Dunkle in ihren Augen.
Auch wenn es hier auch Leute gab, die ihnen mit vollem Misstrauen entgegensahen. Der Minister, Cornelius Fudge, schien heftig mit sich selbst zu ringen, als man verkündete, dass sie frei waren.
Nach dem Prozess bekamen Solon, Salena und Terra ein Zimmer zugewiesen, wo sie sich umziehen und waschen konnten. Solon hätte nie gedacht, dass es im Ministerium solche Zimmer gab. Und noch überraschter waren sie, als sie drei große Koffer dort drin vorfanden – Koffer mit ihren Habseligkeiten aus dem Haus. Es war nicht viel – doch immerhin etwas zum Anziehen und zum Lesen – denn Bücher waren die einzigen Geschenke, die sie jemals bekommen hatten. Und auch nur, damit sie sich weiterbilden konnten. Solon vermisste seine Bücher über die dunklen Künste. Aber er konnte sich schon denken, dass das Ministerium nicht zuließ, dass er noch mal da ran kam. Es verbitterte ihn ein wenig.
Nachdem sie sich alle frisch gemacht hatten, zog Salena sie zur Seite.
„Ich werde von jetzt an für euch sorgen müssen“, sagte sie. Solon und Terra nickten. „Nur haben ich und Terra das Problem mit dem dunklen Mal. Ich weiß nicht, was wir tun müssen, wenn der dunkle Lord uns ruft.“ Sie rieb sich den rechten Arm mit angeekeltem Gesicht.
„Gar nicht hingehen!“, schlug Terra vor.
„Dann würden sie uns finden und töten“, sagte Salena ernst. „Terra, das ist kein Spiel. Ich glaube, dass wir den Schutz des Ministeriums brauchen.“
„Da mache ich nicht mit“, verkündete Solon trotzig. „Du weißt doch, dass ich ich sein will. Und nicht unter irgendjemandem stehen will!“ Salena seufzte resignierend.
„Ja, ich weiß – leider. Du bist ja auch nicht in Gefahr – doch du bist auch erst siebzehn und du musst deine Schulausbildung beenden. Ich kann sie nicht finanzieren...“ Solon sagte nichts. Auf diese elende Schule, auf die er ging, wollte er eh nicht mehr. Dort hatten ihn alle verspottet und gehänselt – bis eben gestern, wo er sich Respekt verschaffen musste. Er hatte genau das Gleiche getan, wie er es bei seinem Ziehvater gesehen hatte. Doch nun – nun schämte er sich irgendwie dafür. Er wollte nicht wie er sein – auf keinen Fall.
Doch seine Schwester hatte Recht – ohne Schulausbildung kam er nicht weit. Doch die Halbtagsschule, in die er ging, war bestimmt nicht mehr offen für ihn.
Salena seufzte erneut.
„Wir stecken in einer aussichtslosen Situation“, sagte sie seufzend. „Wenn ich unter dem Schutz des Ministeriums stehe, dann kann ich nicht arbeiten – glaube ich zumindest. Und wenn ich nicht unter ihrem Schutz stehe, dann findet der Lord uns. Es sei denn...“ Ihre Augen bekamen plötzlich einen merkwürdigen Glanz. Solon kannte den.
„Oh nein! Du willst doch nicht etwa...?“
„Oh doch, das will ich. Ich kann ein Spion werden.“
Solon schüttelte mit dem Kopf. „Das ist doch erniedrigend“, sagte er. Terra sah die beiden aufmerksam an. Für ihre drei Jahre war sie überdurchschnittlich intelligent. Doch noch nicht so, dass sie bei solchen Themen mitreden konnte. Aber sie ahnte, dass es um nichts Gutes ging.
„Ich weiß, Solon...“ Salena senkte den Kopf. Für sie gab es nichts schlimmeres, als der dunkle Lord. „Aber ich muss...“
„Nein. Du kannst gegen ihn kämpfen, aber doch nicht so.“ Solon sah seine Schwester ernst an. „Du hast eine gute Ausbildung. Werd Aurorin und...“ Er wurde von einem sachten Klopfen unterbrochen. Terra sprang ohne zu überlegen auf und hopste zur Tür. Sie war glücklich endlich etwas tun zu können. Ihre Geschwister sahen ihr sorgenvoll hinterher – sie würde die meisten Probleme haben. Terra konnte sich nicht wehren.
Das kleine Mädchen öffnete jedoch sorglos die Tür. „Guten Tag“, rief sie fröhlich. „Sie wünschen?“
„Ich würde gerne mit deinen Geschwistern reden, meine Kleine“, wehte eine sehr freundliche Stimme in das Zimmer.
„Ja“, antwortete Terra eifrig. „Sie sind da. Kommen Sie nur herein.“ Sie zog die Tür weiter auf und ließ einen alten, langbärtigen, weißhaarigen Mann herein. Sein Gesicht war voller Freundlichkeit, doch gleichzeitig von Sorgenfalten gezeichnet.
Er lächelte, als er die beiden anderen Geschwister erblickten, die sich gegenübersaßen und ihn eher misstrauisch musterten.
„Um mich gleich vorzustellen“, begann der alte Mann. „Mein Name ist Albus Dumbledore. Ich bin der Direktor der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei.“ Salena stand auf und reichte dem Direktor die Hand.
„Freut mich Sie kennen zu lernen“, sagte sie freundlich. Solon nickte Albus Dumbledore nur kurz zu.
„Mein Name ist Salena Tatred. Und das ist mein Bruder Solon.“ Während sie auf ihn deutete, wanderte ein durchdringender Blick von dem Direktor zu Solon.
„Gute Güte“, gab der alte Mann von sich. Solon hob die Brauen. „Was meinen Sie?“
Albus Dumbledore sah ihn noch für einige Sekunden lang unverwandt an – dann musste er schmunzeln.
„Nun, Sie sehen jemandem auffallend ähnlich“, sagte er nur. Solon klappte der Mund auf und er wollte schon fragen, wem er denn so ähnlich sah, doch Dumbledore wandte sich einfach von ihm ab und musterte Terra mit einem genauso durchdringenden Blick.
„Und wen haben wir hier?“, fragte er wie ein freundlicher Großvater – so sah er auch aus.
„Terra“, rief die Kleine quietschvergnügt. Solon wunderte sich noch immer, woher sie die Lebensfreude nahm. Man hatte sie doch genauso mies behandelt. Wahrscheinlich war ihre kleine Seele gar nicht so zerbrechlich, wie die von ihm...
„Freut mich dich kennen zu lernen, meine Kleine“, sagte Dumbledore ehrlich. Dann wandte er sich wieder an Salena. „Sie fragen sich sicherlich, warum ich hier bin.“
Salena nickte. Der Direktor einer Schule war schon ein höchst ungewöhnlicher Besuch.
„Nun, ich habe von euren sehr unpassenden Umständen gehört“, begann er. „Ihr beide“ – er deutete auf Solons Schwestern – „tragt eine schwere Bürde, die man nicht einfach vergessen kann. Und der Verursacher dieser Bürde wird sicherlich nach euch suchen.“
Salena nickte. „Eigentlich wollte ich mich als Spionin anbieten...“
Dumbledore schüttelte mit dem Kopf. „Ich denke nicht, dass das gut ist. Sie tragen nun die Verantwortung für zwei junge Menschen und das ist schon schwer genug. Was soll aus den Beiden werden, wenn Voldemort Sie als Spionin erkennt.“ Solon sah Salena nachdenklich an. Sie schien keine Miene zu verziehen und doch spürte er etwas wie Reue. Manchmal war seine Schwester schon recht geheimnisvoll – das einzige Mal, wo ihre ganze Maske fiel, war an dem Tag gewesen, wo sie ihren Arm zerkratzt hatte. Doch seit dem war sie noch verschlossener geworden.
„Natürlich – aber ich sehe leider keine andere Möglichkeit.“
„Ich schon“, sagte Dumbledore. „Ein Gerichtsvollzieher hat mit mir über Ihr Problem besprochen. Wenn das Ministerium Probleme hat, wendet es sich immer an mich – zumindest wollen sie die ganze Sache nicht veröffentlichen, wissen aber auch nicht, was sie mit euch anstellen sollen. Euch im Ministerium zu behalten, wäre zu riskant für sie – kurz, sie haben Angst.“
„Oh nein“, sagte Salena. Solon biss sich auf die Lippen. Das klang nicht gut... „Das heißt, Sie sind wirklich hier, um uns rauszuschmeißen?“ Dumbledore schüttelte mit dem Kopf.
„Nein – ich bin mit dem Ministerium in Übereinstimmung gekommen, Sie erst einmal mit nach Hogwarts zu nehmen.“ Die Augen der beiden Tatreds leuchteten auf, während Terra hellhörig wurde. Alle drei kannten diese Schule sehr wohl. Der alte Tatred hatte sich oft genug über sie beschwert.
„Hogwarts gilt als der sicherste Ort in England. Offiziell werden Sie, Miss Tatred, dort die Stelle als Vertretungslehrerin von Professor Lupin antreten, während Mr. Solon seine Schulausbildung beendet.“ Solon blinzelte. Man kümmerte sich um ihren Verbleib, bot ihnen Schutz an – ihnen, den dunklen Magiern? Das klang so... unwirklich.
„Warum?“, fragte Salena und man sah deutlich Zweifel in ihren Augen. „Sie kennen uns kaum, wir sind Todesser... Was ist, wenn wir das Varitaserum manipuliert haben? Was ist, wenn wir nur darauf warten, dass Sie uns nach Hogwarts einladen, wo wir jederzeit den dunklen Lord zu uns holen könnten?“ Solon starrte sie mit einer hochgezogenen Brau an. Das würde sie niemals machen. Doch Dumbledore nickte.
„Genau die gleichen Fragen haben mir die Ministeriumsmitarbeiter auch gestellt und sie sind durchaus berechtigt. Deswegen stellte ich auch die nötigen Sicherheitsvorkehrungen, um sie zu beruhigen. Ich hingegen“, – seine Augen blitzten kurz auf –, „vertraue Ihnen und den Kindern. Ich war bei dem Verhör dabei gewesen.“
Noch immer sah Salena zweifelnd aus. „Was ist, wenn wir nicht wollen?“, fragte sie leise.
„Dann wird das Ministerium Sie zu Ihrem eigenen Schutz in ein Gefängnis speziell für untreu gewordene Todesser sperren – doch selbst sie wollen das den Kindern nicht antun. Sie sind ein spezieller Fall, bei dem einmal eine Ausnahme gemacht wird.“ Salena starrte auf das Bett. Dann seufzte sie.
„Also gut“, sagte sie ergeben. „Solon bekommt eine abschließende Schulausbildung?“
Dumbledore lächelte, während Solons Augen größer wurden. Schulausbildung auf Hogwarts? Der Traum eines jeden Schülers, der auf eine normale Halbtagszaubererschule ging. Sein Herz machte einen Hüpfer. Vielleicht wurde aus seinem Leben ja doch noch etwas.
Dumbledore bestätigte das sofort. „Mit allem drum und dran! Mit dem Lohn, den ich Ihnen zahlen werde, wenn Sie einwilligen, können Sie dann Ihre kleine Familie zusammenhalten.“
Salena öffnete den Mund. „Sie können mich doch nicht bezahlen, dafür, dass ich bei Ihnen Schutz erhalte!“, empörte sie sich. Doch Dumbledore brachte sie zum Schweigen. „Und wie wollen Sie die beiden ernähren? Sie sind auf Hogwarts offiziell Lehrerin und das ist eine harte Arbeit. Natürlich werde ich Sie bezahlen.“
Salena senkte peinlich berührt den Kopf und sagte nichts.
„Terra kann natürlich mit nach Hogwarts kommen und wird dort bestimmt viele Freunde finden“, setzte er noch hinzu und zwinkerte Terra zu, die sofort Feuer und Flamme war. „Ja!“, rief sie. „Ich will nach Hogwarts!“ Sie klatschte in die Hände und sprang auf. „Hogwarts! Hogwarts! Hogwarts!“
Dumbledore schmunzelte. Terra sprang aufgeregt um ihn herum. „Wann geht es los? Wann fahren wir hin? Womit fahren wir?“ Das sprach sie alles in eine atemberaubenden Geschwindigkeit aus.
„Morgen um acht Uhr mit dem Hogwartsexpress“, antwortete Dumbledore.
„Zug fahren!“, rief Terra. „Ich hab noch nie einen Zug gesehen!“ Sie hüpfte auf das Bett und sprang unter lauten Jubelschreien auf und ab. Solon folgte ihr grimmig mit den Augen. Den Ernst der Lage hatte sie wohl noch nicht erkannt. Sie gingen nur nach Hogwarts, um Schutz zu erhalten – nicht, um Spaß zu haben. Dumbledore wendete sich etwas lauter – um Terra zu übertönen - an Salena: „Professor Severus Snape wird Sie morgen um sieben Uhr abholen. Da er nicht gerne im Ministerium gesehen wird, wäre es besser, wenn Sie draußen auf ihn warten.“
Salena nickte.
„Sie kennen ihn ja bereits – er ist derjenige, der euch gefunden hat. Er wird auch der einzige mit mir sein, der über Ihre wahre Herkunft Bescheid weiß.“
Solon riss die Augen auf. Nicht der... er stellte sich die große schwarze Gestalt jetzt schon vor – total unfreundlich und mit einer Aura beseelt, die sogar ihn verrückt machte.
Er sagte jedoch nichts. Er brachte einfach keinen Ton mehr hervor. Gerade hatte sich ihr Leben um hundertachtzig Grad gewendet.
Terra hörte auf zu hüpfen und ließ sich quietschend auf ihr Bett fallen.
„In Hogwarts erzählen Sie besser nichts von Ihrer Herkunft. Sie kommen offiziell aus Amerika und haben Ihr Studium gerade erst beendet. Deswegen werden Sie erst jetzt bei uns erscheinen.“
„Ja, ich denke das kann ich mir merken“, sagte Salena lächelnd.
„Sie werden am besten dem Wildhüter noch zur Seite stehen, denn manch einer könnte misstrauisch werden, wenn sie nur einmal im Monat unterrichten.“
Salena nickte abermals, während Solon die Brauen hob. Einmal im Monat? Was hatte das denn zu bedeuten? „Sie, Solon, hatten eine schwere Krankheit – falls sie jemand danach fragt, warum Sie ihre Ausbildung nicht in Amerika bei ihren Verwandten beenden. Sie haben dort erst gar nicht das Schuljahr angefangen.“ Solon nickte wie seine Schwester. Mit Lügen hatte er keine Probleme.
„Und Terra?“, wandte sich Dumbledore an das lächelnde Mädchen. „Du kommst aus Amerika, hab ich Recht?“ Sie grinste breit.
„Recht haben Sie!“, rief sie. „Meine Schwester ist mit dem Studium gerade erst fertig geworden und Solon war krank gewesen – deswegen ist er mit uns gekommen, da die Schule in Amerika ihn schon nicht mehr will – aber Hogwarts hat uns aufgenommen!“ Dumbledore sah zufrieden aus - Solon eher verblüfft. Sie war sehr intelligent – für eine Dreijährige. „Und warum komm ich mit?“, setzte das kesse Mädchen noch hinzu.
„Weil du meine Tochter bist“, fuhr Salena dazwischen, bevor der Schulleiter etwas sagen konnte. „Und ich dich nicht alleine lassen will.“
Terra war begeistert. „Okay, Mama“, rief sie, sprang erneut auf und warf sich in Salenas Arme.
„Solon bleibt Ihr Bruder“, sagte Dumbledore überlegend. „Ja, ich denke, dass dies ganz plausible Erklärungen sind. Den Rest können wir ja morgen klären.“
„Was ist mit den Namen?“, fragte nun Solon. „Unser Nachname wird bekannt sein.“
„Das ist war – wie wäre es mit Solores?“
„Ja – das klingt Tausendmal besser, als Tatred“, sagte Salena. „Also sind wir ab jetzt die Solorens!“
„Nun, ich muss jetzt gehen“, wechselte der Schulleiter das Thema. „In Hogwarts wartet noch so allerlei auf mich. Wir sehen uns ja morgen.“ Er reichte Salena die Hand und verabschiedete sich von ihr. Dann wandte er sich ab und wollte aus dem Zimmer verschwinden.
„Ich danke Ihnen“, rief Salena ihm noch hinterher. „Sie... Sie haben unsere Leben gerettet.“
Dumbledore drehte sich noch einmal um. „Sie brauchen mir nicht zu danken. Ich habe nur das getan, was ich für das Beste hielt.“
Damit verschwand er. Salena, Solon und selbst Terra starrten ihm nachdenklich hinterher.
***
Albus Dumbledore war wahrlich der einzige, der ihn als Freund betrachtete. Doch manchmal hatte er wirklich exzentrische Ideen. „Ich habe beschlossen die Tatreds hier her zu holen“, hatte er gesagt und ihn dabei vielsagend gemustert. Er war bei ihnen gewesen und er hatte auch ganz bestimmt den Jungen – Solon – gesehen. Da er der einzige Mensch war, der wusste, dass Severus einen Sohn hatte, musste er bestimmt einige Schlüsse aus der Ähnlichkeit des Jungen mit Severus gezogen haben.
Klar, er hatte ihm die Umstände erklärt und um größte Diskretion gebeten, was die Herkunft der drei anging. Auch hatte er gesagt, dass sie von zwei Auroren bewacht wurden.
Doch Severus war regelrecht wütend geworden, als Dumbledore verkündete, dass er die drei abholen und sicher nach Hogwarts bringen sollte. Denn irgendetwas in seinem Inneren wehrte sich gegen die Vergangenheit und somit auch gegen seinen Sohn, der diese in Massen in sich tragen würde. Er erinnerte ihn an Anna und das könnte zu einem drastischen Problem werden. Was dachte sich Dumbledore überhaupt dabei? Für wen hielt er sich überhaupt? Messias? Der die Familie wieder zusammenbringen konnte? ‚Nein, Albus, so einfach ist das nicht’, dachte er. Severus war kein Familienmensch mehr. Damals hatte er sich auf einen Sohn gefreut, doch jetzt... Er war zu einem einsamen Schatten mutiert – und nun sollte er sich um einen Sohn kümmern? Das ging einfach nicht! Am besten war es, wenn er sich einfach so verhielt, als wäre überhaupt nichts mit Solon, nein, Mr. Tatred. Irgendetwas schmerzte, als er an dessen Nachnamen dachte. Doch er verdrängte das Gefühl sofort. Er würde schon irgendwann eine Lösung finden und Annas Versprechen einlösen...
Nun machte er sich auf den Weg zum Ministerium. Er saß in einer dunklen Pferdekutsche, die Dumbledore zur Verfügung gestellt hatte, da dieser wusste, wie sehr Severus Muggelautos verabscheute. Sie waren einfach zu klein für ihn. Die Vorhänge hatte er zugezogen. Er wollte seine Ruhe haben und nicht auch noch die Muggel betrachten müssen, die die Kutsche bestimmt mit großen Augen musterten.
Mit verschränkten Armen saß er in der dunkelsten Ecke und ein Zuschauer hätte nur sein blasses Gesicht gesehen. Er bot einen recht unheimlichen Anblick. Und so sollte es auch sein. Die drei würden schon noch Respekt vor ihm bekommen.
Irgendwann hielt die Kutsche an und der Fahrer verkündete, dass sie beim Ministerium angekommen seien.
Severus erhob sich, strich seinen Umhang glatt und stieg aus. Ein kühler Wind fuhr durch seinen Umhang und brachte ihn zum Wehen. Bald würde der Winter beginnen.
Der Zaubertrankmeister sah sich um und registrierte, dass noch niemand anwesend war. ‚Unpünktliches Pack’, dachte er. Er verschränkte die Arme und starrte auf das rote kastenähnliche mit Fenster versehene ... Ding, wie hieß es doch gleich noch mal... Relletonzelle – was für ein schwachsinniger Name! Was man sich alles einfallen ließ, um ein gesamtes Ministerium, wo die größten Hohlköpfe aller Zauberer und Hexen arbeiteten, zu verbergen. Eine Relletonzelle! Von den Muggel abgekupfert! Wirklich... schwachsinnig.
Als ihm diese Gedanken durch den Kopf rasten, regte sich etwas in der ‚Relletonzelle und bald erschienen drei Gestalten. Die Kleinste hüpfte zuerst heraus und wollte gerade froh jauchzend auf die Kutsche zuspringen, als sie Severus entdeckte. Sie blieb wie von einem Beinklammerfluch erfasst stehen und starrte ihn an. Severus hob missbilligend die Braue. Was erlaubte sich diese Göre überhaupt? War er denn ein Ausstellungsstück, das man die ganze Zeit staunend umkreisen konnte. Die junge Miss Tatred drehte sich abrupt um und rannte auf die ältere Miss Tatred zu, die anscheinend noch ganz in Gedanken versunken war.
„Salena!“, rief das Mädchen. „Salena. Der Mann da! Er sieht aus wie Solon!“
Severus wünschte sich am liebsten einen Knebel für das kleine Balg her. Miss Tatred sah auf und entdeckte Severus, der ungehalten auf sie zukam. Sie zuckte nur kurz zusammen, verzog jedoch keine Miene.
„Wo bleiben Sie denn?“, rief Severus barsch. „Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass ich nicht den ganzen Tag Zeit habe. Können Sie Ihre Brut nicht beisammen halten?“
Miss Tatred maß ihn mit einem langen Blick. „Das Ministerium ist reichlich groß“, sagte sie. „Und wir waren noch nie hier. Ich dachte, dass sie dafür Verständnis haben, Professor Snape.“
„Dann wären Sie eher los gegangen“, entgegnete Severus. Er wollte noch mehr sagen, doch in diesem Moment trat Solon – Mr. Tatred - aus der ‚Relletonzelle’. Er machte den Mund auf, anscheinend, um zu seiner Schwester etwas zu sagen, doch sein Blick blieb an Severus hängen. Sein Mund ging noch eine Nuance weiter auf.
„Was starren Sie mich so an, Mr. Tatred? Habe ich heute irgendetwas merkwürdiges an mir? Nun machen Sie endlich den Mund zu und kommen Sie!“ Snape wirbelte mit wehendem Umhang herum und ging wieder auf die Kutsche zu. Er konnte deutlich die Blicke der Tatreds in seinem Nacken spüren, doch er drehte sich nicht um, um sie aufzuklären. Er war der einsame Kämpfer – er brauchte keinen Sohn.
***
Solon starrte Severus Snape immer noch mit offenem Munde hinterher. Jetzt wusste er, was ihm so merkwürdig an ihm vorgekommen war: er sah ihm ähnlich! Und zwar gewaltig ähnlich! Augen, Haare, blasse Haut – ja selbst die Nase! Solon schloss den Mund wieder.
„Jetzt weiß ich wieder, an wen er mich erinnert“, sagte Salena hinter ihm. Solon hörte, wie sie die Koffer über den Boden schleifte, doch er half ihr nicht. „Er erinnert mich an dich.“ Sie hatte es tonlos und ohne Gefühl ausgesprochen.
Solon drehte sich zu ihr um. „An mich? Er erinnert dich also an mich? Dieser gefühlskalte Professor erinnert dich also an mich? Jetzt werde ich dir mal was sagen: Er ist kein bisschen wie ich!“
Salena sah ihn nur mit nichtssagendem Blick an, während der Kutscher ihr das Gepäck abnahm und es oben verstaute.
„Ist das jetzt dein Vater, Solon?“, fragte Terra.
„Nein!“, zischte Solon giftig und Terra zuckte zusammen. „Dann hätte er mich nicht so angesprochen.“ Er wirbelte mit gleicher wehender Robe wie dieser Professor Snape herum und ging auf den Wagen zu. Er bereute es jedoch sogleich, als er alleine einstieg. Er sah ihn nicht gleich, doch ganz leicht konnte man das blasse Gesicht des Lehrers in einer dunklen Ecke ausmachen. Er setzte sich ihm diagonal gegenüber und schwieg verbissen. Snape würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. Seine Augen konnte man eh nicht erkennen, doch er hatte sich nicht bewegt. Dieser Mann da sah ihm ähnlich, na und? Was sagte das schon aus? Er verspürte auch ein merkwürdiges Gefühl, wenn er in seiner Nähe stand, doch das konnte auch bloße Einbildung sein. Tatred hatte ihm nie etwas von seinen Eltern erzählt und er hatte vermutete, dass diese vom dunklen Lord umgebracht worden waren. Und das stimmte natürlich. ‚Du willst nur nicht, dass dein richtiger Vater dich verleugnet’, zischte seine innere Stimme und er zuckte zusammen. ‚Schwachsinn’, dachte er. ‚Dieser Mann sieht so aus wie ich – vielleicht sind wir verwandt – aber wenn er mein Vater wäre, dann hätte er schon längst etwas gesagt.’ Oder er war dazu nicht fähig, weil sein Herz zu Eis gefroren war.
Die beiden schwiegen weiterhin und sagten keinen Ton. Letztendlich kamen auch Terra und Salena hinzu und er war nicht mehr allein mit diesem unheimlichen Mann.
Salena musste sich neben den Professor setzen, was dieser wohl nicht so begrüßte. Salena verzog wie immer keine Miene und ermahnte Terra nur sich ordentlich hinzusetzen, da sie im Begriff war den Vorhang an ihrer Seite weg zu schieben, um nach draußen sehen zu können.
„Ich will aber Muggel sehen“, nörgelte sie.
„Setz dich hin!“
„Muggel sind uninteressant“, sagte Solon zu ihr, um sie wieder zu versöhnen. Sie hatte sich mit verschränkten Armen Snape gegenüber gesetzt und schmollte nun. „Sie langweilen dich bestimmt nur – mich langweilen sie auch mit ihren komischen Erfindungen wie diese... Relletonzelle, der ins Ministerium führt.“ Snape regte sich kurz, sagte aber nichts.
„Das ist eine Telefonzelle, Solon“, klärte ihn Salena auf. Unbewusst löste sie damit bei Snape allgemeine Verwirrung aus. „Damit können sich die Muggel über weite Entfernungen unterhalten.“
„Ja, ja“, sagte Solon abwinkend. „Wirklich interessant.“ Er murmelte noch etwas von ‚Muggel sind doch abnormal’ und verschränkte dann die Arme. Er ließ sie jedoch gleich wieder locker baumeln, als er feststellte, dass Snape sie ebenso verschränkt hatte.
Die Fahrt verlief ohne weitere Ereignisse. Sie schwiegen die meiste Zeit und selbst von Terra kam kein Ton, da diese schmollte.
Dann endlich erreichten sie den Bahnhof Kings Cross. Der Kutscher half ihnen beim Abladen und verabschiedete sich dann freundlich von ihnen. Snape hatte die ganze Zeit aus weiter Entfernung zugesehen und nicht einen Finger gerührt. Wenn dieser anscheinend wegschaute, musterte Solon ihn unauffällig, doch kaum warf er einen seiner buchstäblich stechenden Blicke auf den Lehrer, wandte der sich wieder um und sah ihm eiskalt in die Augen. Und Solon dachte, dass er kalte Augen besaß. Schnell wandte er seinen Blick wieder ab und half seinen Schwestern beim Aufladen auf den Gepäckträger. Aus den Augenwinkeln maß er Snape mit einem kritischen Blick, denn der vertrieb sich, anstatt zu helfen, die Zeit damit jeden Muggel böse anzustarren, der an ihm vorbei ging.
Als sie endlich die drei schweren Koffer verstaut hatten, gab Snape ein entnervtes „Folgen Sie mir“ von sich und eilte voraus immer noch auf seine Rolle bedacht die Muggel ‚niederzustarren’. Solon hob die Brauen über dieses Verhalten. Nicht einmal er, der die Muggel ebenfalls nicht richtig ausstehen konnte, maß sie mit giftigen Blicken. Er konnte sie nicht leiden, weil diese nicht zaubern konnten – nein, im Gegenteil. Er bewunderte sogar ihre Art ohne Zauberei umzugehen – Sie bauten Geräte, mit denen sie sich das Leben einfacher gestalteten, schufen leuchtende Fenster, die ganz ohne Zauberei funktionierten und sprachen über weite Entfernungen ganz ohne einen Kamin! Doch Solon mochte sie trotzdem nicht – die Geräte und die Gebäude, aus denen dunkle Rauschwaden aufstiegen, die sie schufen, zerstörten die Umwelt. Die Flüsse, Bäume und die Wiesen waren längst nicht mehr das, was sie mal waren (obwohl Solon eh nicht viel davon zu sehen bekommen hatte). Und noch dazu entwickelten diese Muggel auch immer hochentwickeltere metallische Gegenstände, mit denen sie sich selbst gegenseitig umbrachten. Reine Idiotie! Wo hatten diese Menschen nur ihr Hirn gelassen?
Aber ‚niederstarren’ tat er sie nie – denn nicht alle konnten etwas dafür. Doch als sie vor der Absperrung zwischen Gleis neun und zehn ankamen, von der Solon schon viel gelesen hatte, bemerkte er, dass gar keine Muggel mehr in der Nähe waren – des weiteren fiel ich auf, dass sie alle, bis auf Salena, die, wie er jetzt erst mitbekam, vorbildliche Muggelkleidung trug, in auffälligen Umhängen herumliefen. Und zu seinem Entsetzen stellte er auch noch fest, dass er genau das gleiche trug, wie dieser Snape!
Aber darüber konnte er später nachdenken. Die Hauptsache war, dass durch Snapes Starrerei keine Muggel mehr da waren, die sie beobachten konnte, wie sie plötzlich in einer Mauer verschwanden (AN.: Okay, ich weiß, übertrieben – doch was würdet ihr machen, wenn ein großer schwarz angezogener todgleicher Mann euch anstarrt, als würde er euch jeden Moment fressen – na?).
Die scharlachrote Dampflok stand majestätisch da und erwartete sie schnaufend. Solons älteres Ebenbild lief zielstrebig auf einen Waggon zu und verschwand ohne ein weiteres Wort darin.
„Hat der Kerl eigentlich schon mal etwas von helfen gehört?“, fragte Solon sehr laut, in der Hoffnung der Lehrer würde es hören.
Salena seufzte an seiner Seite. „Er ist ein noch komplexerer Fall als du“, sagte sie. Sie starrte mit ausdruckslosen Augen auf die Tür, wo der Mann verschwunden war.
Solon ging sofort in Drohhaltung. „Was soll das heißen?“, zischte er. Salena sah ihn nur kurz an – mit Augen, hinter denen man nie die Wahrheit erkennen konnte – es sei denn, sie war verzweifelt. Doch jedes Mal, wenn sie ihn so ansah, gruselte es ihn unwillkürlich. Er würde es nie zugeben, doch sogar er schaffte es kaum ihrem Blick standzuhalten.
„Oh, ist das nicht offensichtlich, Solon?“, sagte sie und warf die Hände in die Luft.
„Ich sehe gar nichts“, kam es kalt zurück.
Salena zuckte mit den Schultern und wandte sich dem Gepäck zu. „Ich sehe nur, dass du dich verleugnest“, flüsterte sie und es klang – traurig? Solon zog die Brauen hoch, doch er konnte einfach nichts entgegensetzen. So beschloss er seinen Schwestern mit dem Gepäck zu helfen.
***
Severus, der wieder am Fenster saß, hatte ihre Auseinandersetzung deutlich gehört. ‚Ich sehe nur, dass du dich verleugnest.’ Diese Worte gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Anscheinend schien dieser junge Mann auch so ein Sturkopf wie er zu sein. Severus lächelte zynisch. Das würde ein Spaß werden – wenn der Junge auf die Schule ging, dann konnte er ihm gehörig den Kopf waschen und Punkte nur wegen ihm abziehen. Wegen übertriebener Ähnlichkeit mit dem Zaubertrankprofessor... ‚Ach nein, jetzt gibst du es zu’, zischte die Stimme in seinem Inneren.
„Halt die Klappe“, sagte er laut. Er hatte keine Lust sich wieder Selbstzweifel anhören zu müssen. Er wusste nur eins: Der Junge war ein Tatred, er mochte ihn genauso wenig wie seine anderen Schüler und er würde ihn auch wie seine anderen Schüler behandeln – sobald er einer war. Gleichzeitig kam ihm jedoch die Frage auf, in welches Haus Mr. Tatred wohl kommen würde. Wahrscheinlich Gryffindor, schloss er bitter. Der dunkle Lord hatte ihn ja als Todesser verweigert. Er mochte seine Gründe haben, auch wenn er verrückt war.
Die Tür zum Abteil ging auf und die kleine Nervensäge von einer Tatred kam fröhlich hereingehüpft. Severus unterdrückte den Wunsch lauthals aufzustöhnen. Hatte er denn nirgends seine Ruhe?
Sie sah ihn mit großen braunen Kulleraugen an. „Onkel?“, piepste sie.
Severus riss die Augen auf. Was erlaubte sich die Göre eigentlich? „Was?“, zischte er mit soviel Boshaftigkeit, dass selbst Voldemort erst einmal zusammengezuckt wäre. Doch dieses verdammte Gör ließ sich einfach nicht beeindrucken.
„Warum schaust du so grimmig?“ Jetzt duzte diese Tatred ihn auch noch! Er öffnete wütend den Mund, um etwas entgegen zu setzen, als eine andere Stimme in das Abteil hereinwehte.
„Terra, dass heißt 'Sie' und 'Professor Snape'!“ Eindeutig Miss Tatred. Er hatte gar nicht gedacht, dass diese Frau so kalt sein konnte – denn so klang sie eindeutig. Sie erschien mit einem Koffer im Abteil. Ein Lichtstrahl der Sonne fiel auf ihr Haar und ließ es feurig aufleuchten – doch die Strahlen der Sonne verloren sich in den schwarzen Augen, als ob sie einfach von ihnen aufgesaugt wurden. „Und außerdem fragt man so etwas nicht. Das ist die persönliche Angelegenheit von Professor Snape.“
Die kleine Miss Tatred zog einen Schmollmund und murmelte etwas von ‚gemein’, doch unter dem ruhigen kalten Blick ihrer Schwester vermochte sie nichts zu sagen. Sie wartete, bis das Mädchen sich hingesetzt hatte und wandte sich dann an Severus, der Mühe hatte seine Dankbarkeit nicht auf sein Gesicht zu zaubern. „Entschuldigen Sie meine Schwester“, sagte sie förmlich. Diese Frau hatte wenigstens gleich Respekt vor ihm – doch nicht aus Angst, wie die anderen. „Ihre Mutter starb zu früh, um ihr Benehmen beizubringen und ich war stetig am Studieren.“
„Und Ihr Bruder besitzt ebenso keine, und konnte es ihr deswegen nicht beibringen“, setzte Severus den Satz mit zynischem Unterton fort.
Zu seiner Überraschung antwortete Miss Tatred: „So kann man meinen, ja.“ Sie zog ihren Zauberstab aus der Tasche, als wäre nichts geschehen und betrachtete ihn kurz. „Warum mir das nicht früher eingefallen ist“, murmelte sie und richtete dann den Stab auf den Koffer. „Wingardium Leviosa!“ Der Koffer erhob sich in die Lüfte und wurde von Miss Tatred zu der Gepäckablage über dem Fenster gelenkt. In dem Moment kam ihr Bruder mit den restlichen Koffern herein. Er schaute aus, als ob man ihm gerade einen Schlag ins Gesicht verpasst hatte und sah seine Schwester schief an.
„Ich habe also kein Benehmen“, flüsterte er mit bedrohlichem Unterton, bei dem Severus sich Mühe gab nicht zusammenzuzucken. Klang sonst nicht immer er so?
„Durchaus“, antwortete Miss Tatred schulterzuckend. Severus fand diese Frau von Mal zu Mal sympathischer. Sie richtete den Zauberstab auf die anderen beiden Koffer und ließ sie ebenfalls auf die Gepäckablage schweben.
Der junge Mr. Tatred sah sie zornfunkelnd an. Severus kannte diese Haltung. Er stand kurz vor einem Wutausbruch.
„Weißt du“, begann der Junge, „manchmal könnte ich wegen deiner Art, wie du mit mir umgehst...“ Er verstummte, als ihn nicht nur Salena mit dunklen, schwarzen, ausdruckslosen Augen ansah, sondern auch Snape.
„Ja?“, fragte Salena. Mr. Tatred sah jedoch an ihr vorbei und blickte in Severus' Augen. Er öffnete den Mund, während Severus dem Drang noch gerade rechtzeitig widerstand – die Augen des Jungen waren wirklich wie die seinen und das einzige, was er mit seiner Schwester gemein hatte. Nur beherrschte er den Blick noch nicht so Recht, da er ihn schnell wieder von Severus abwandte.
„Sei nicht gleich beleidigt“, sagte Salena versöhnlicher. „Ich mein es nicht so. Aber es stimmt irgendwie. Du hast keinen Respekt vor anderen.“ Tatred machte den Mund erneut auf, um etwas zu entgegnen, doch er schien es sich wohl anders zu überlegen und schloss ihn gleich wieder.
„Vielleicht hast du ja Recht, aber ich finde es besser, als mich bei jedem einzuschleimen.“ Die Mundwinkel von Miss Tatred huschten kurz nach oben, was wohl ein Lächeln darstellen sollte, doch es verblasste wieder viel zu schnell.
„Nun setz dich hin und tu nicht so“, sagte sie. „Du kennst mich.“
„Manchmal glaube ich das eher nicht“, murmelte der Junge, sich schräg gegenüber von Severus niederlassend, und darauf bedachte, ihn nicht anzusehen.
Die ersten Stunden der Fahrt gingen ruhig voran. Dann und wann spürte Severus die Blicke von Tatred auf sich, doch dieser sah nicht lange hin. Schon wenn Severus sich regte, spürte man förmlich, wie der Junge zusammenzuckte und wieder wegsah. Das Mädchen sagte keinen Ton, denn es war zu sehr beschäftigt die vorbeirauschenden Bäume zu beobachten. Vielleicht lag es auch an der Erziehung des alten Tatred.
Es passierte nichts Ereignisreiches. Dann und wann unterhielten sich Miss Tatred und ihr Bruder und auch die kleine Göre konnte manchmal mitmischen. Severus jedoch war darauf bedacht, dass er keinen Ton sagte, nur manchmal einen bissigen Kommentar hinzufügte und sich dadurch noch unbeliebter bei seinem Ebenbild machte. Die Individuen des weiblichen Geschlechtes schienen verdammt immun gegen seine Sticheleien zu sein. Sie würden ihn noch kennen lernen! Obwohl er gar nicht mehr so sicher war, ob er wirklich Miss Tatred vergraulen wollte.
***
Solon hatte sich das Büro Dumbledores genug angesehen. Das Klicken und Surren aus allen Ecken und Enden lenkte seine kleine Schwester mehr ab, als ihn. Sie war schon seit der Ankunft in Hogwarts zapplig geworden, hatte jedem – wirklich jedem – Gegenstand erstaunte Blicke zugeworfen und war stehen geblieben, um es ausgiebig betrachten und sogar zu betasten. Als sich einer dieser Gegenstände jedoch als Professor Flitwick, der Lehrer für Zauberkünste, herausgestellt hatte, ließ sie lieber die Finger davon. Der arme kleine Mann hatte mit nachdenklicher Miene vor einem schief hängenden Bild gestanden, wo ein verhutzelter Zauberer verzweifelt versuchte sich an der malerischen Wiese festzuklammern, um nicht abzurutschen. Vor dem Bild hatte Flitwick mehr denn je einer Statue geglichen und durch sein Aussehen war Terra natürlich neugierig geworden. Zum Glück war der Professor nicht wie Snape, der Terra wahrscheinlich sofort im wahrsten Sinne des Wortes verflucht hätte. Dieser befand sich immer noch bei ihnen. Er saß mit grimmiger Miene auf einem der Sessel, die Dumbledore für sie alle herbeigezaubert hatte. Er tat so, als ob ihn das alles nichts anginge. Soron riss angestrengt den Blick von dem Professor los. Er musste aufhören immer noch nach Ähnlichkeiten zu suchen. Wenn dieser Mann sein Vater wäre, dann hätte er es ihm schon längst gesagt.
Dumbledore besprach gerade mit Salena ihre Stelle als ‚Lehrerin’. Der Lehrer für Verteidigung hatte die dumme Eigenschaft ein Werwolf zu sein und einmal im Monat für ein paar Tage auszufallen, wo Salena für ihn übernehmen sollte. Außerdem durfte sie ihm assistieren, wenn er Hilfe benötigte. Es war ihm ein Rätsel, warum Dumbledore so jemanden überhaupt einstellte.
Als Dumbledore und Salena auch die Sache mit den Räumen geklärt hatten (Salena und Terra bekamen eine Wohnung in den Kerkern zugesprochen, da leider nur noch dort Räume frei waren – Snape hatte dabei geschaut, als ob gerade die Welt über ihm zusammengebrochen wäre), fragte nun Solon, wo er denn nun hin solle.
„Nun, das“, begann Dumbledore und rückte seine Halbmondbrille zurecht, „wird der Sprechende Hut klären.“
Solon riss die Augen auf. „Der was?“, fragte er tonlos. Er meinte das entnervte Augenverdrehen seines zukünftigen Tränkeprofessors, wie er vorhin erfahren hatte, zu sehen.
Dumbledore stand auf und ging zu einem Regal, in dem noch mehr komische Geräte, ein Haufen Bücher und ein alter zerschlissener Hut lagen. Terra, die sowieso nicht mehr aus dem Staunen heraus kam, betrachtete den Hut mit Telleraugen, als ihn Dumbledore herunterholte, und der begann, etwas über Häuser von Slytherin, Gryffindor, Ravenclaw und Hufflepuff zu erzählen. Nach dem er fertig war, verlangte Terra Zugabe, während Solon wieder in ein lässige Haltung verfallen war.
„Ich denke, es ist das beste, Sie in eine der Abschlussklassen zu stecken – in welche, überlassen wir dem Hut.“ Mit diesen Worten setzte Dumbledore Solon den Hut auf, der ihm sofort über die Augen rutschte. ‚Hm, sehr viel Wissen hier drin’‚Ich könnte dich nach Ravenclaw stecken, doch sehe ich da auch Verschlagenheit, einen Drang sich durchzusetzen, List und Tücke – Slytherin wäre hier angemessen. Hm, schwierig – sehr schwierig.’ Solon war es egal, wo er hin kam. Er wollte es nur ziemlich schnell hinter sich bringen. Das gab dem Hut den Anstoß. ‚Nun, wenn das so ist, dann stecke ich dich nach SLYTHERIN!’ Nicht nur er zuckte zusammen, als der Hut die Worte laut ausrief. Solon wurde der Hut wieder abgenommen und er sah, wie Terra zum Direktor hinlief und den Hut unbedingt ausprobieren wollte. Doch er hatte auch Snape beobachtet, seinen Hauslehrer (Dumbledore hatte die Tatreds freundlicherweise aufgeklärt), dessen Gesicht um einige Nuancen blasser als sonst geworden waren. Er hatte mit ihm wohl doch einiges gemein, wie er sich schmerzhaft eingestand. Vielleicht sollte er ihn darauf ansprechen, doch dazu war noch viel Zeit.
„GRYFFINDOR!“ Solon wirbelte herum. Terra streifte sich grinsend den Hut ab, den der alte Schuldirektor lächelnd entgegennahm.
„Gryffindor, Gryffindor“, rief Terra. „Ich bin eine Gryffindor. Ätsch, Slytherin!“ Solon hob eine Braue. War sie nicht noch etwas zu jung für den Unterricht?
Dumbledore legte eine Hand auf Terras Schulter. „Ich denke, es ist egal, in welches Haus dein Bruder geht, nicht?“, sagte er und Terra nickte sofort gehorsam. „Leider werden wirklich die Rivalitäten zwischen Gryffindor und Slytherin großgeschrieben“, – ein kurzes Funkeln in Snapes Richtung –, „aber vielleicht gibt sich das irgendwann.“
„Warum haben Sie Terra in ein Haus eingeteilt?“, fragte Salena nun.
„Nun, ich habe mir gedacht, dass sich die Kleine langweilen wird. Wenn sie Lust hat, kann sie ruhig dem Unterricht der Erstklässler in Gryffindor beiwohnen.“
Ein kaltes „Was“ schoss durch den Raum. Niemand, auch diejenigen, die ihn noch nicht lange kannten, brauchte hinzusehen, um zu wissen, dass es von Snape kam.
Solon sah, dass das Gesicht seines Zaubertränkelehrers wutverzerrt war.
„Direktor, sie ist drei!“ Er sah Dumbledore an wie einen Verrückten.
Der schmunzelte nur.
„Sie wird die anderen nur im Unterricht stören! In meinen Unterricht dulde ich...“
„Das denke ich nicht, Severus“, sagte Dumbledore immer noch lächelnd. „Sie soll ja nur beiwohnen – nicht mitmachen.“ Er wandte sich an Terra. „Der Unterricht ist leider nur etwas für Elfjährige. Wenn du dich benimmst, kannst du ja bei den Gryffindors reinschnuppern. Aber nur, wenn du keinen Mucks von dir gibst und die anderen nicht störst.“
Terra sah überglücklich aus. „Danke, Großvater!“, rief sie.
„Terra!“, rief Salena, doch als sie sah, wie Dumbledore regelrecht gerührt war, unterließ sie jeglichen weiteren Kommentar. Hauptsache, sie nannte ihn nicht Weihnachtsmann.
„Severus“, sagte Dumbledore. „Begleite die drei bitte in ihre Räume und erklär dem Jungen alles.“ Snape erhob sich schwungvoll. Er schien mit dieser Aufgabe nicht zufrieden zu sein.
Terra folgte ihm fröhlich hüpfend, während Solon sich Zeit ließ – als Snape außer Reichweite war, drehte er sich um.
„Professor Dumbledore“, begann er. „Bitte entschuldigen Sie meine dreiste Frage, aber wer ist dieser Mensch?“ Dumbledores Blick wurde Ernst.
„Ihre Frage ist nicht dreist und in meinen Augen – so wie ich Sie mir ansehe – durchaus berechtigt. Doch können Sie das nicht von mir erfahren, sondern nur von Professor Snape persönlich.“
Solon schluckte. Ihm wurde schon ganz flau im Magen, wenn er nur daran dachte. Dann nickte er. „Ich denke auch, dass ich besser ihn fragen sollte...“ Mit der Gewissheit, dass Dumbledore anscheinend mehr wusste, als er, drehte er sich und folgte Terra, die anscheinend nicht Snape alleine ausgeliefert sein wollte. Salena murmelte noch einmal ein leises "Danke" und "die finden sich", womit sie kundtat, dass sie ebenfalls mehr wusste, als er wissen wollte.
Die Kerker waren dunkel und feucht. Ganz wie in alten Zeiten. Solon sah sich bissig um. Nur Fackeln beleuchteten den dunklen Gang. Ihre Schritte hallten an den Wänden wider und vermischten sich mit den Tropfgeräuschen. Terra war schweigsam geworden – nicht erstaunt schweigsam, sondern betrübt schweigsam. Es erinnerte sie alles an ihr ehemaliges Zuhause.
Snape blieb vor einer Holztür stehen, die ausnahmsweise kunstvoll verziert war und gar nicht in die ordentlich dunklen Gänge der Kerker hineinpasste.
„Das ist Ihr Zimmer“, knirschte Snape zu Salena. Die nickte nur. „Das Passwort ist ‚Schlangenfreund’.“ Kaum sprach er es aus, da sprang auch schon die Tür auf und gab den Blick in einen hell beleuchteten Raum frei. Überall hingen Kerzen, die das Triste des Kerkers überdeckten.
„Wo wohnen Sie?“, fragte Salena, als wäre es etwas ganz Belangloses. Snape sah aus, als wollte er etwas Giftiges entgegnen, doch dann besann er sich und deutete mit dem Zeigefinger den Gang entlang.
„Letzte Tür“, knurrte er und in seiner Stimme lag unmissverständlich etwas, das Solon sagte, dass seine Schwester den Zaubertrankmeister besser nicht aufsuchen sollte.
Salena nickte abermals – ungerührt. Sie sah Snape noch einmal mit dunklen Augen an – sein Gesicht hatte einen verbiesterten Ausdruck angenommen – und sagte dann zu Solon: „Du kannst mich jederzeit aufsuchen – ich bin schließlich deine Schwester.“
„Geht klar“, sagte Solon nur. Er wollte noch etwas sagen, um den Augenblick, in dem er mit Snape allein sein würde, hinauszögern, doch Salena verschwand schon in ihrem Zimmer und schloss die Tür. Eine Minute starrte er sie an. Ein Räuspern riss ihn aus seiner Starre.
„Ich beiße nicht“, flüsterte Snape gefährlich – es klang eher, als würde er sich selbst widersprechen. „Sie brauchen sich nicht an den Rockzipfel Ihrer Schwester zu hängen.“
„Tu ich nicht!“, kam es eiskalt zurück und diesmal musterte Solon ihn mit dem gleichen Blick, wie Snape es tat. „Ich kann auf mich selbst aufpassen.“
Snape hob die Brauen, was unmissverständlich bedeutete: ‚Das denkst auch nur du!’ Solon sah ihn jedoch nur grimmig an.
Snape wandte sich von ihm ab.
„Folgen Sie mir“, sagte er gefährlich ruhig. Solon trottet ihm hinterher und überlegte fieberhaft, was er sagen sollte. Snape würde bestimmt nicht fragen. Immer weniger wünschte er sich, dass dieser Mensch sein Vater war.
Kurz vor einer feuchten Steinwand blieben sie stehen. Anscheinend der Eingang. Snape holte Luft, um das Passwort auszusprechen, doch Solon unterbrach ihn.
„Äh, Professor Snape, Sir?“, fragte er und verfluchte seine Unsicherheit. Sonst war er doch nicht so.
„Was?“, giftete sein Gegenüber, welches die Augenbrauen bedrohlich gesenkt hatte.
„Ich... äh... wollte... wollte Sie fragen...“
„Nun führen Sie sich nicht auf wie ein Teenager, der eine Liebeserklärung abgeben will! Das ist doch lächerlich!“
Solon verzog trotzig den Mund.
„Also?“, fragte Snape.
„Vergessen Sie's“, brach es kalt aus Solon hervor und er wandte sich ab. Snape sagte glücklicherweise nichts darauf und nannte das Passwort (Dunkelheit). Die Wand glitt auf und gab den Blick auf den Slytheringemeinschaftsraum frei.