Ich setzte mich in einen der Sessel am Kamin. In der Bibliothek war ich bisher noch nie gewesen. Erstaunlich und faszinierend waren die hohen Regale voller Wissen. Nur schwer konnte ich mich zurück halten, um nicht sofort auf sie zu stürzen.
Dann forderte jedoch Oma wieder meine ganze Aufmerksamkeit.
„Accio Familienalbum.“
Erstaunt sah ich, wie sie mit einem Wink ihrer beringten Hand ein schweres ledergebundenes Buch zu sich rief.
Was für ein Trick! Damit könnte sie leicht auf jeder Party Begeisterungsstürme auslösen. Und das sagte ich ihr auch.
Sie jedoch lächelte nur nachsichtig und trat auf mich zu.
„Hier, in diesem Buch, findest du all unsere Ahnen. Bis zum Anbeginn aller Zeiten.“
Sie reichte es mir und ich schlug es gehorsam auf.
„Oh mein Gott! Das ist einfach cool!“
Die Bilder bewegten sich, sahen mich an. Einiger der edel gekleideten Männer winkten mir freundlich zu, oder zupften ihre Kleidung zurecht um sich in Pose zu schmeißen. Die wunderschönen Damen in ihren aufwendigen Kleidern kicherten hinter vorgehaltener Hand und warfen mir liebevolle Blicke zu. Ich konnte sehen, wie sie sich leise miteinander unterhielten. Es war einfach unglaublich!
„Oma, wie funktioniert das? Ich wusste nicht, dass die Technik schon so weit ist! Ist ein eingebauter Datenträger darin? Oder wird es über Minibildschirme geregelt?...“
Sie setzte sich auf die Lehne meines Sessels und strich mir liebevoll ein paar Strähnen aus der Stirn.
„Ach Kleines. Ich verstehe nichts von der Technik, und das ist es auch nicht. Das ist Zauberei... Magie, wenn du so willst.“
Und dann begann sie zu erzählen. Alles ergab plötzlich einen Sinn. Ganz so, als hätte ich endlich das letzte Teilchen des Puzzles erhalten und könnte nun das ganze Bild klar vor mir sehen. Gut, im ersten Augenblick machte ich mir Sorgen, dass sie vielleicht ein kleines bisschen verrückt oder senil sein könnte. Doch das war sie nicht.
„Unsere Familie ist uralt. Seit jeher waren wir Hexen und Zauberer. Mächtig waren wir und angesehen. Wir bildeten die Elite, jene Magier, die ihre ganze Welt formten und prägten. Nur wenige Familien waren uns ebenbürtig.
Die hinterlistigen Malfoys, nahe Verwandte, angeheiratet versteht sich. Von sehr altem Adel und unerhört reich, doch vor allen Dingen sehr anmutig. Die schönsten Ahnen unseres Clans entstammten einer solchen Verbindung.
Die ehrlichen Weasleys, ebenfalls mit uns verwandt. Obwohl sie weder besonders mächtig oder reich waren, mischte sich unser Familienzweig in den Anfängen des 13. Jahrhunderts des öfteren mit diesen freundlichen Geschöpfen.
Und die dunklen Snapes. Die Gelegenheit einer Verbindung mit ihnen war nie gegeben. Sie blieben meist unter sich oder starben früh. Äußerst mächtige Wesen, reich und unglaublich talentiert. Doch sie sind mindestens genauso gefährlich, wie sie stark sind.
Und eben wir Xanthreos. Äußerst mächtig, wie die Snapes, ehrlich wie die Weasleys und reich wie die Malfoys, hatten wir lange die Spitze der Macht gebildet. Doch unsere Zeit geht zu Ende. Über die Jahrhunderte hinweg haben immer weniger Nachkommen das Licht der Welt erblickt. Bis im letzten Jahrhundert schließlich immer nur Mädchen geboren wurden.
Das wäre kein Problem, wenn wir in der Vergangenheit nicht allzu oft unser Blut mit den Malfoys gemischt hätten. Nun standen sie uns zu nahe und kamen letztlich für kaum eine Verbindung in Frage.
Eine Verbindung mit den Snapes wäre in jeder Hinsicht wünschenswert gewesen. Vor allem, da dieser Clan ebenso wie wir, mit einem drastischen Geburtenrückgang zu kämpfen hatte und überwiegend Knaben zur Welt kamen. Wir hätten uns perfekt ergänzen können... Aber sie waren nicht langlebig genug, wahrscheinlich, weil sie sehr anfällig für das Dunkle und Böse waren. Es scheute uns, die Paarung in Betracht zu ziehen.
Unsere erste Wahl wären jedoch die Weasleys geworden. Aber ihr mangelnder Reichtum und ihr geringes Ansehen verhinderten dies. Dennoch gebar so manche verheiratete oder verwitwete Frau unserer Familie ein rothaariges Kind... Ja, die Weasleys waren fruchtbar und ihre Männer stolz und stark. Die Frauen von einer natürlichen Herzlichkeit. Sie sind unsere liebsten Verwandten - aber das dürfen wir niemanden wissen lassen.
So musste nun stets geprüft werden, inwieweit wir uns mit einer der genannten Familien verbinden konnten. Doch je mehr Generationen kamen, desto geringer wurde die Auswahl. Während die Malfoys einen regen Inzest betrieben und Cousine und Cousin miteinander vermählten, heirateten die Weasleys einfach in jüngere Familien ein. Wie es die Snapes regelten, wissen wir nicht. Nur eines: Schon bald war es uns kaum mehr möglich, in unserer elitären Kaste einen geeigneten Ehemann zu finden.
So blieb uns eigentlich nur mehr die Möglichkeit, eine Verbindung mit den Snapes in Erwägung zu ziehen. Deine Mutter jedoch wies vor zwanzig Jahren den letzten Nachkommen dieses stolzen Geschlechts zurück und heiratete einen Muggel - deinen Vater. Es gab einen fürchterlichen Skandal. Nie zuvor hatten wir uns mit Nichtmagischen gepaart, niemals diese Möglichkeit auch nur in Betracht gezogen. Aber die Zeiten waren schlecht und wir mussten überleben. Das Blut durfte nicht durch Inzest gänzlich zerstört werden. Ich hieß die Wahl meiner Tochter gut, und wenn ich dich ansehe, werde ich darin nur bestätigt.
Es hatte damals niemand ahnen können, dass du keinerlei Macht in Händen halten würdest. Man hatte gehofft, dass das reine Blut unserer Familie mehr Gewicht haben würde. Aber das hatte es nicht. Du bist ein Muggel, etwa so magisch wie ein Fischbrötchen.“
Sie lächelte mich entschuldigend an und sprach weiter:
„Nun, da meine einzige Tochter keine Kinder mehr gebären kann und du nichtmagisch bist, wird unsere Familie wohl mit dir aussterben. Denn selbst wenn du Kinder bekommen solltest, wären sie ebenfalls Muggel und unsere Ära der Macht vorbei. Kein Magier von Rang und Namen würde sich jemals mit dir verheiraten. Und jedes andere Blut verdünnt das unsrige noch mehr. Wir sind verdammt. Denn um uns zu retten, bräuchten wir einen Nachkommen von reinstem Blut... Doch dies bedeutet, dass dein Partner aus unsrer stolzen Kaste kommen müsste. Und sie alle wissen von dem Skandal, auch wenn sie nicht wissen, dass du nicht zaubern kannst.
Erschwerend kommt hinzu, dass du nicht das Aussehen deiner Mutter geerbt hast. Du siehst eher deinem Vater ähnlich. Wäre dies anders, hätten wir vielleicht doch noch die Chance gehabt, dich als Geliebte in einen der uralten Clans einzubringen. Und dann würden deine Kinder wieder Magie im Blut haben. Wir haben nicht mehr die Möglichkeit uns gegen eine solche Chance zu wehren. Wir müssen annehmen, was wir bekommen. So schwach wie wir zur Zeit sind, kann es nicht mehr lange dauern, und ein anderer aus unserer weitverzweigten Familie wird unseren Namen und Reichtum für sich in Anspruch nehmen.
Die Malfoys besitzen zwei Söhne, die in etwa deinem Alter entsprechen, die Weasleys sogar sechs junge Männer. Lediglich die Snapes haben keinen jungen Nachkommen. Nur noch den einen Junggesellen, aber der ist zu alt, zu stolz und peinlicher Weise eben jener Mann, den deine Mutter verschmäht hatte. Also sind wir hier in einer denkbar schlechten Position. Es gibt jedoch noch ein paar jüngere Familien, welche sich durchaus als würdig erwiesen haben. Vielleicht werden wir hier fündig werden.“
Ich verstand zwar die Notlage, in der wir waren. Verstand den Schmerz meiner Mutter und den Stolz unserer Familie. Was ich aber nicht begriff, war, was man nun von mir erwartete. Ich war erst achtzehn Jahre alt und keine Ware, die man meistbietend an dem Mann bringen konnte. Und das sagte ich auch ehrlich. Grandma sah mich nur traurig an und erzählte weiter:
„Wir sind verloren, Amalys! Es liegt ganz alleine an dir, ob unsere Familie weiter bestehen wird. Wenn du dich nicht fügen willst, ist es vorbei. Es wird nur noch wenige Monate dauern, und dann wird alles was uns gehört, alles was wir repräsentiert haben, jemand anderem gehören.“
Ich fühlte mich wie in einer Falle. Egal wie ich mich entscheiden würde, verlieren würde vor allen Dingen ich. Es widerstrebte mir zutiefst, zu verstehen, was von mir verlangt wurde. Aber die Worte meiner Mutter und die Liebe in Omas Augen, nahmen mir jede Wahl. Ich würde mich fügen müssen.
Grandma war erleichtert, als ich schließlich zögernd nickte. Scheinbar hatte sie bis zum Schluss ihre Zweifel gehabt. Wussten sie wirklich, was sie von mir verlangten? Ich glaube es nicht.
„Wir werden demnächst mehrere Bälle geben und alles von Rang und Namen einladen. Auch ein paar der jüngeren Familien. Wir sollten nicht allzu wählerisch sein! Zu erst sollten wir versuchen, eine Ehe in die Wege zu leiten... und falls dies nicht klappen sollte, müssen wir eben einen reinblütigen Liebhaber finden, der unserem Clan neues Leben schenkt. Das ist zwar weniger ehrenhaft, aber...“
Mir schwirrte der Kopf von ihren Ideen. Alles in mir drängte mich zur Flucht, doch ich blieb stocksteif sitzen und hörte ihren Worten zu. In Gedanken war ich weit weg, die Idylle der letzten Wochen war zerplatzt und ich musste nun meinen Platz in der Familie einnehmen.
„... Er sollte nur jung und reinblütig sein. Geld und Ansehen ist egal. Hauptsache willig und potent!...“
Ich wollte protestieren - aufschreien. 'Hallo? Klingt das nur für mich total pervers?' Ich bin doch keine Zuchtstute auf der Suche nach einem Hengst. Oder doch?