Kapitel 1: Schmerzen
Umgeben von dichten Laubwäldern und langgestreckten Gärten lag das uralte Familienanwesen. Der helle Stein, teils überwuchert von Efeuranken und umsäumt von hellstrahlenden Rosenbüschen, erschien mir wie ein Bildnis aus vergangenen Träumen. Die warme Sonne brach sich in den unzähligen Fenstern und alles wirkte sehr gepflegt.
Ich war schlicht überwältigt von der Idylle und Schönheit.
Auch die Räume waren riesig und gemütlich eingerichtet. Hell und freundlich. Es war herrlich hier zu wohnen, stets liebevoll umsorgt zu sein und sich um nichts kümmern zu müssen. Mein Zimmer war in verschiedenen Grüntönen gehalten. Ich besaß mehrere Bücherregale, einen riesigen begehbaren Kleiderschrank, das Himmelbett war weich und bequem. Oma las mir jeden Wunsch von den Augen ab. Egal welches Buch ich mir auch wünschte, ich erhielt es. Selbst Mutter schien sich zu erholen und war weniger abweisend zu mir. Ich genoss diese Zeit.
Wenn ich nicht las oder ausritt, ging ich in den Gärten spazieren. Dies war die schönste Zeit in meinem Leben. Ich bin 18 Jahre alt und wirklich sehr glücklich.
Aber nichts ist wirklich von Dauer, nicht wahr?
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Es war kein besonderer Tag. Nichts war anders als an den Tagen zuvor. Ich stand auf, frühstückte meine Cornflakes mit viel Milch und ging anschließend spazieren. Als ich gegen Mittag zurück ins Haus kam, erwartete man mich bereits. Mutter sah mich wieder mit diesem berechnenden Blick an und ich fühlte mich wie immer unzulänglich unter ihren Augen. Oma lächelte mich zärtlich an, aber ich spürte, dass irgendetwas geschehen war.
„Kleines, wo warst du denn so lange?“ Kein Vorwurf klang in ihrer Stimme, nur eine leise Sorge.
„Grandma ich war nur spazieren. Ist etwas passiert?“
Unsicher sah ich von ihr zu Mutter und wieder zurück. Die Stimmung machte mir eine Gänsehaut und ich fragte mich, was ich wohl angestellt haben mochte.
„Deine Mutter und ich würden uns gerne mal mit dir unterhalten. Kommst du bitte mit ins Wohnzimmer?“
Ich nickte mechanisch und folgte ihnen. Oma zog mich zu sich auf eines der Sofas und legte liebevoll den Arm um mich. Mutter jedoch ging unruhig im Raum auf und ab. Von Zeit zu Zeit sah sie mich verbittert an, schwieg aber.
„Was ist denn?“
Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme piepsig und unsicher klang. Ihre Blicke schienen mich fast zu sezieren. Dann endlich begann Grandma zu sprechen.
„Amalys, deine Mutter war heute bei einem Arzt. Sie hat erfahren...“
„... Ich kann keine Kinder mehr bekommen! Diese verdammten Muggelärzte haben mich verschandelt!“
Mutter klang hoch und schrill und sie starrte mich wütend an. Ich verstand irgendwie nur Bahnhof. Sie war ja auch schon 38 Jahre alt, warum sollte sie jetzt noch ein Kind wollen? Vater war ja nicht mehr da, und ich hatte bisher auch keinen anderen Mann an ihrer Seite gesehen.
„Das tut mir sehr leid. Wolltest du denn noch ein Kind?“
Fast wäre sie auf mich los gegangen. Ihre Augen blitzen auf voller Hass und nur Oma hielt sie im letzten Augenblick zurück.
„Nachdem du so eine Enttäuschung bist? Natürlich wollte ich noch ein Kind! Ein Kind von meinem Blut! Begabt und keine verdammte Schande für unsere Familie!“
Sie spie mich fast an. Obwohl ich ihre Meinung über mich schon seid langer Zeit ahnte, tat es unglaublich weh, sie dies sagen zu hören. Ich hatte stets versucht, ihre Wünsche zu erfüllen, mich als ihre Tochter würdig zu erweisen. Doch sie war immer nur enttäuscht von mir.
„Selene es reicht!“
„Mutter es ist Zeit! Nun da ich uns nicht mehr retten kann, muss sie es tun! Sie soll wiedergutmachen, was sie zerstört hat.“
Ich verstand gar nichts. Die zwei Frauen warfen sich wütende Blicke zu und gifteten sich an. Meine Gedanken kreisten immer wieder um die Sätze, welche man mir um die Ohren geworfen hatte. Sie ergaben für mich einfach keinen Sinn.
„Wir reden hier über deine Tochter! Hast du denn überhaupt kein Herz?“
„Herz? Um diese Entscheidung zu treffen, brauche ich es nicht. Sie gehört mir, und es liegt in meiner Verantwortung!“
„Aber nicht so! Amalys ist alt genug um zu verstehen. Lass sie selbst entscheiden.“
„Oh ja“, höhnte meine Mutter, „ damit sie ebenso falsch entscheidet wie ich?“
„Du hast ihn doch geliebt! Deine Wahl war richtig.“
„Das ist nicht wahr! Unsere Familie stirbt mit diesem Wechselbalg aus - und es ist alleine meine Schuld! Ist dir das überhaupt klar?“
Ma klang hysterisch. So hatte ich sie noch nie zuvor erlebt. Obwohl sie über mich redeten, nahmen sie keinerlei Notiz von mir. Ich wollte mich schon davon schleichen, damit ich dies alles nicht mehr hören musste, als Grandma aufseufzte und sich an Mutter wand.
„Selene, Liebes! Beruhige dich doch. Sie wird es verstehen. Vertraue auf sie, Amalys ist doch von unserem Blut.“
Meine Mutter beruhigte sich langsam wieder, zwar weinte sie leise vor sich hin, aber als sie sich zum Gehen wandte, lächelte sie mich zum ersten Mal seid Jahren wieder zärtlich an.
„Weißt du, meine kleine Sweet? Als du geboren wurdest, war das der glücklichste Tag meines Lebens. Bitte glaube mir, dass ich dich wirklich sehr liebe.“
Alles hatte ich erwartet, nur dies nicht. Sie liebte mich?! Tat es wirklich, obwohl ich es schon lange nicht mehr geglaubt hatte. Und gerade diese Erkenntnis machte es mir unmöglich, ihr nicht jeden Wunsch zu erfüllen.
„Amalys?“
„Ja, Grandma?“
„Komm mit mein Engel, wir werden viel zu bereden haben.“
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