phoenixfedern

 

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Kapitel 17


Zwei Stunden später verließ ich mein Haus. Den Kampf mit meinen Haaren hatte ich kurzerhand damit beendet, das ich sie gründlichst gewaschen hatte - somit waren selbst die letzten verfilzten Strähnen aufgelöst. Trotzdem ärgerte ich mich immer noch über meinen vorhergegangen Wutanfall. Wie bereits vor einigen Tagen der Vorfall mit den Gardinen, führte auch das mir wieder deutlichst vor Augen, dass mit Hogwarts noch einiges mehr in meinem Leben in Trümmer gestürzt war. Selbst meine Beherrschtheit schien durchlöchert, angegriffen. Unsicher. Am liebsten hätte ich mich in meinem Haus verkrochen, und den Tag damit verbracht, mich durch die Bibliothek meines Vaters zu wühlen, auszusortieren, vielleicht einiges zu lesen... aber ich hatte etwas nachzuholen, einen Ehrengang hinter mich zu bringen.
Länger konnte ich mich nicht drücken, und obwohl ich es eigentlich wollte, tat ich das nicht. Ich schämte mich dafür. Dafür, dass ich es noch nicht einmal fertig brachte, das Grab meines Mentors zu besuchen. Dafür, dass ich wieder einmal vollkommen unfähig war. Sobald ich mein Grundstück, das schon seit Jahrhunderten mit Anti-Apparationszaubern geschützt war, die denen von Hogwarts nicht unähnlich waren (was darauf zurückzuführen war, dass mein Urgroßvater sowohl misstrauisch als auch magisch hochbegabt war), verlassen hatte, apparierte ich zum Friedhof. Direkt auf dem Gelände zu apparieren war - aus verständlichen Gründen - verboten, und so stand ich Sekunden später vor dem Haupteingang des gigantischen Friedhofes. Es war der größte und berühmteste Friedhof in England und es war selbstverständlich, dass sie ihn hier begraben hatten. Ein wenig nagte es an mir, zu wissen, dass er hier ruhte, und nicht in seiner Heimat, irgendwo in der Region, die er so geliebt hatte... Aber sie hatten ihn hier begraben, mit allen Ehren, die ihm zustanden. Sicherlich war der Friedhof dabei überfüllt gewesen, voller Zauberer, die ihm die letzte Ehre erweisen wollten. Ich war nicht dabei gewesen. Auch dafür müsste ich mich schämen, obwohl ich tief in meinem Herzen dankbar dafür war. Ich hätte es nicht ertragen. Das große, schmiedeeiserne Tor war reich verziert, in vollkommener Perfektion. Schwarzes Eisen, das sich in Ranken wand, kleine Blätter, fast fragil wirkende Blumen... kurz strich ich über eine besonders schön gearbeitete Rose, dann zog ich meine Handschuhe an und betrat den Friedhof.

Es war klirrend kalt. Schnee war gefallen, und der Friedhof war mit einer weißen Schneeschicht bedeckt. Die Grabsteine, die Blumen, die Wege... alles wirkte friedlich. Als ob es Frieden wirklich geben könnte. Wenn es ihn gab, dann wohl hier. Am Ende. Am Anfang.

Ich wusste nicht genau, wo das Grab war, nur, dass es irgendwo hier sein musste. Also lief ich alle Wege ab, ließ mir Zeit. Ich hatte sie. Auf mich würde niemand warten. Nirgendwo. Warum bedrückte es mich? Ich war es doch eigentlich gewöhnt. Niemals hatte jemand auf mich gewartet. Selbst ich hätte nicht auf mich selbst gewartet. Seltsam.

Irgendwann stand ich vor einem großen, noch frischen Grab. Ein schöner Grabstein, schlicht und doch prunkvoll, und Blumen, so viele Blumen... ein Meer aus ihnen. Ihre Köpfe ragten aus dem Schnee hervor, die Stiele waren von ihm bedeckt. Konnten Blumen frieren? Können Tote frieren?

Es war kalt. Auf Friedhöfen ist es immer kalt. Egal, ob es Sommer oder Winter ist. Vielleicht weil man dem Leben die Wärme nachsagt, und dem Tod die Kälte. Vielleicht deswegen. Ich stand lange vor dem Grab, so lange, dass ich heute keinen Zeitraum mehr angeben könnte. Außer mir war niemand da, es war unter der Woche, Werktag. Alle arbeiteten. Keiner hatte Zeit für einen Friedhofsbesuch. Trotzdem war das Grab wohl viel besucht, viele Blumen waren frisch. Eine Pilgerstätte der Zaubererwelt. Hätte er das gewollt?

Tausende Bilder rasten mir durch den Kopf, Bildsequenzen, Gerüche, Klänge, Stimmen, Erzählungen, Diskussionen, Wörter, der Duft von warmem Tee, von den verfluchten Zitronenbonbons, Ausblicke, Einblicke, alles... Alles, was ich mit Albus Dumbledore verbunden hatte. Für einen kurzen Moment erschien es mir, als schlügen große Wogen über mir zusammen. Als müsste ich ertrinken.

Dann war ich wieder an der Oberfläche. Nach Luft ringend, aber lebendig. Tränennass, aber noch rational denkend.

"Oh mein Gott..."

Meine Stimme klang seltsam in dieser Stille. Auf Friedhöfen ist es immer still, denn auf Friedhöfen hat es still zu sein. Dabei hat er Stille nie gemocht. Gelächter war ihm lieber, viel lieber. Warum hatten sie ihn hier begraben?

"Verstand und Herz sind zwei Stärken, die nicht mit einander auskommen. Der Verstand ist rational, logisch und kühl. Der Verstand ist es, der uns Menschen davor bewahrt, falsche Schritte zu tun, uns in Paradoxien zu verstricken und all zu tief im Chaos zu versinken. Das Herz ist emotional, voller Tränen und Gelächter. Das Herz ist es, das uns Menschen davor bewahrt, in unserer eigenen Kälte verloren zu gehen, das uns lieben und hassen lässt, das uns das Leben farbig sehen lässt. Beide sind universelle Größen, nicht trennbar. Siamesische Zwillinge. Sie hassen einander. Sie können nicht ohne den anderen leben. Warum versuchst du so verzweifelt, sie zu trennen?"

Was war mit mir los? Warum hörte ich immer wieder diese Worte, die ich so oft gehört hatte, die ich wahrscheinlich niemals ganz begriffen hatten, warum hörte ich sie jetzt? Warum fielen mir hier, vor dem Grab meines Lehrers, keine anderen Worte von ihm ein? Warum diese? Mir fiel kein Grund ein.

Die Kälte kroch mir unter die Robe, langsam, und ließ mich zittern. Irgendwann bückte ich mich, wischte etwas Schnee vom Grabstein und legte eine Hand drauf.

"Danke."

Dann stand ich auf, wand mich ab und verließ den Friedhof. Ich lief schnell, zwang mich dazu, nicht zu rennen. Sobald ich das Tor verlassen hatte, disapparierte ich. Die Tränen auf meinem Gesicht waren fast zu Eis gefroren.

Kapitel 16

Kapitel 18

 

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