"Ich schätze, damit hast du Recht. Und ich bin froh, dass du zurück bist, Severus."
"Danke. Es ist gut, hier zu sein."
In diesem Moment kam ein großer schwarzer Hund auf den Lehrertisch zu und setzte sich neben Lupin.
"Schnuffel, wo warst du?" fragte dieser.
Der Hund knurrte Severus an.
"Benimm dich", sagte Lupin. "Hier, ein bisschen Speck."
Der Hund leckte sich die Lefzen und fing an zu fressen, ohne den Zaubertrankmeister noch eines Blickes zu würdigen.
"Denk dir nichts", sagte Lupin zu Severus. "Er ist immer schlecht gelaunt am Morgen."
"Sind wir das nicht alle", antwortete Severus. Er ließ seinen Blick durch die Halle schweifen, die nun gefüllt war mit halbwachen Schülern.
"Du siehst aber gut aus", sagte Lupin.
"Ich hab gut geschlafen. Ich habe nicht mehr ... so viele Albträume wie früher."
"Bereit dann, es mit den kleinen Biestern aufzunehmen?"
Severus lachte leise. "Dafür bräuchte ich eigentlich noch ein paar Stunden Erholung. Aber ich fürchte, ich muss das Beste daraus machen."
Er wollte einen weiteren Schluck Kaffee nehmen, als Schnuffel sich umdrehte und Snapes Am mit seiner Schnauze traf und diesen so erschreckte, dass er sich den heißen Kaffee auf den Umhang schüttete.
"Schnuffel!" schimpfte Lupin und versetzte dem Hund einen Schlag.
Alle Augen in der Halle blickten plötzlich wachsam; die Schüler starrten mit unverhohlener Neugierde auf den Lehrertisch.
Lupin sprach einen Kühlzauber aus und fragte Severus: "Hast du dich verbrannt? Bist du-"
"Mir geht's gut, schimpf nicht mit ihm", sagte Severus, während er seinen Umhang glattstrich. Er entfernte die Flecken mit einem gemurmelten Spruch. "Es war nur - ein Unfall."
Lupin funkelte den Hund an und zeigte auf die Tür. "Geh zurück in meine Räume und bleib dort, bis ich dich rufe."
Aber Severus legte seine Hand auf Lupins Arm und sagte: "Das ist nicht notwendig, Remus. Ich bin sicher ... Schnuffel wird es nicht noch mal machen." Er blickte auf den zusammengekauerten Hund hinab. "Nicht wahr?"
Schnuffel fletschte die Zähne und lief aus der Großen Halle.
Lupin schüttelte den Kopf. "Tut mir Leid, Severus."
"Mach dir nichts draus. Manche Dinge erledigen sich nicht über Nacht."
Der Direktor lehnte sich hinüber zu Severus und reichte ihm eine neue Tasse Kaffee. "Hier, Severus. Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht verletzt haben? Der Kaffee ist ziemlich heiß."
"Mein Umhang ist dick genug", sagte Severus. "Ich schätze Ihre Fürsorge, Direktor, aber ich versichere Ihnen, sie ist ungerechtfertigt."
McGonagall und Dumbledore tauschten einen überraschten Blick.
"Severus, was um alles in der Welt ist mit Ihrem Temperament passiert?" platzte McGonagall heraus.
"Ein Narr macht seinem Ärger Luft, aber ein weiser Mann hält sich unter Kontrolle", antwortere Severus.
"Ahja", machte McGonagall. "In der Tat, ein vernünftiger Ansatz."
"Ich muss gestehen, ich bin noch lange nicht perfekt", sagte Severus mit einem selbstironischen Lächeln.
Lupin, Dumbledore und McGonagall lachten.
Der Direktor bemerkte, dass die meisten Studenten miteinander flüsterten und den Zaubertrankmeister anglotzten.
"Ich wage zu vermuten, es wird reichlich Möglichkeiten geben, dies zu üben", sagte Dumbledore.
***
Die Aussage des Direktors sollte sich sehr schnell als wahr herausstellen. Draco Malfoy und einige seiner Kumpanen schienen fest entschlossen, die Grenzen ihres veränderten Lehrers auszuloten. Severus jedoch hatte etliche Beschützer, denen er sich nicht bewusst war; allen voran Harry, Ron und Hermine, und eine Anzahl anderer Schüler aus allen vier Häusern. Die Nachricht von der radikalen Veränderung ihres Lehrers hatte sich wie ein Lauffeuer in der Schule verbreitet. Doch trotz ihrer besten Absichten konnten auch sie nicht alles abwehren, das ihm widerfuhr.
Ein besonderes Vorkommnis sollte noch Jahre später in aller Munde sein.
Als Hermine sich zum Abendessen zu Harry und Ron setzte, flüsterte sie: "Hört mal ... Ich glaube, Malfoy führt irgendetwas Schlechtes im Schilde."
"Der führt den ganzen Tag nur Schlechtes im Schilde", antwortete Harry. Nicht dass sie die Möglichkeit gehabt hätten, ihm irgendetwas nachzuweisen: Von der dünnen Eisschicht, die plötzlich auf dem Weg ihres Zaubertranklehrers erschienen war und ihn, als er aus einem Klassenzimmer schritt, hart auf dem Steinboden aufschlagen ließ zu den lebenden Kakerlaken, die während ihrer eigenen Zaubertrankstunde aus seiner Ledertasche strömten: Malfoy hatte dafür gesorgt, dass er nicht damit in Zusammenhang gebracht werden konnte.
Ihr Professor, auf der anderen Seite, hatte oft genug den Eindruck gemacht, als wäre er gewillt, jedem von ihnen einen Monat Strafarbeit aufzuhalsen, aber er erstickte diesen Impuls jedes Mal mit reiner Willenskraft im Keim. Das war immer dann, wenn seine Schultern sich langsam wieder senkten und seine Stimme sanft wurde. Und dies bestärkte sie in dem Beschluss, ihn vor weiteren Attacken zu bewahren.
"Ich habe ihn dabei belauscht, wie er sagte, Muggels seien manchmal nützlich; sie seien kreativ", sagte Hermine.
"Malfoy hat das gesagt?" Ron starrte sie an.
"Und dann meinte er, Professor Snape müsse daran erinnert werden, was er in Wirklichkeit ist."
"Mir gefällt das nicht. Vielleicht sollten wir den Direktor jetzt warnen", meinte Harry.
In diesem Moment betrat der Zaubertranklehrer die Große Halle. Er hatte das Gesicht verzogen und rieb sich eine Schläfe, doch als er Schüler sah, die ihm zulächelten, lächelte er zurück.
Harry schielte hinüber zum Tisch der Slytherins. Malfoy und seine Spießgesellen betrachteten interessiert ihr Essen und benahmen sich, als würde ihr Hauslehrer nicht existieren.
"Vielleicht hat sich Malfoy nur mal wieder selber zum Trottel gemacht", meinte Ron.
"Trotzdem sollten wir bald mit dem Direktor reden", sagte Harry.
Es war beinahe zu spät.
Severus hatte kaum einen Fuß auf die Treppe hinauf zum Lehrertisch gesetzt, als ein grauenhafter Gestank den Raum erfüllte, und die Fackeln an den Wänden flackerten; dann erschien eine schwarze, wirbelnde Wolke über dem Kopf des Zaubertranklehrers. Bevor irgendjemand Zeit hatte zu blinzeln oder schreien, leerte sich die Wolke über dem Professor aus und durchtränkte ihn mit etwas das aussah wie etliche Eimer voller Öl.
Einige Sekunden vergingen; niemand bewegte sich. Alle bemerkten gleichzeitig, dass das, was da von der zitternden Gestalt des Lehrers tropfte und sich zu seinen Füßen sammelte, kein Öl war.
Es war Blut.
Kreischen und Schreien drang durch den Raum; Dumbledore, McGonagall, Lupin und einige andere Lehrer eilten auf Severus zu, der zitternd dastand und auf seine blutbeschmierten Hände starrte.
Der Direktor murmelte einen Reinigungszauber, doch das Blut verschwand nicht.
"Albus!" rief McGonagall mit zitternder Stimme.
"Minerva, schaffen Sie die Schüler hier raus, schnell!"
Sie nickte, ihr Gesicht weiß, und lief davon, um die Vertrauensschüler zu alarmieren.
"Severus", sagte Dumbledore, "komm. Es ist alles in Ordnung, alles in Ordnung."
Doch Severus schien ihn nicht zu hören. Lange Haarsträhnen fielen ihm ins blutüberströmte Gesicht, und er konnte den Blick nicht von seinen Händen losreißen. "N-n-nein-nein -"
Dunkles Gelage, es ist ein Dunkles Gelage, Voldemort, kann nicht kämpfen, oh mein Gott hilf mir-
"Wir müssen es sofort von ihm runterkriegen!" rief Lupin.
"Accio Tasse", sagte Dumbledore, und verwandelte sie in eine Wanne. Ein weiterer Spruch, und sie war gefüllt mit dampfend heißem Wasser.
"Alle raus hier, alle, außer Remus", befahl Dumbledore den versammelten Lehrern, die mit den restlichen Schülern aus der Halle strömten.
Dann verschloss der Direktor die Tore mit einer Handbewegung.
"K-k-kein T-Todesser mehr-", stammelte Severus, während sich gequälte Atemstöße seinem Brustkorb entrangen.
"Nein, das bist du nicht, und wir werden dich jetzt wieder saubermachen", beruhigte Dumbledore ihn.
Severus sank auf die Knie, sich seiner Umgebung nicht bewusst.
Plötzlich krachte es laut an der Tür. Severus warf sich nach vorne und schlang die Arme um seinen Rumpf, und Dumbledore zückte den Zauberstab, doch dann vernahm er McGonagalls gedämpften Ruf: "Albus! Ich habe Poppy bei mir!"
Die Tore schwangen auf um die beiden Hexen einzulassen, dann schlossen sie sich krachend wieder.
Die Medihexe erbleichte, als sie das Blut sah, das Severus von Kopf bis Fuß durchtränkte und seinen Umhang an ihn klebte wie Flügel voller Teer. Sie rannte auf ihn zu und rutschte beinahe auf dem Blut, das ihn umgab, aus, als sie vor ihm stehenblieb. McGonagall hatte ihr gesagt, dass es nicht sein Blut wäre, aber Pomfrey fand das im Moment beinahe unmöglich zu glauben.
Sie untersuchte ihn mit ihrem Zauberstab. "Severus? Severus!"
Er wimmerte.
"Er befindet sich in einem Schock", erklärte sie Dumbledore. "Warum ist er noch immer -"
"Ich habe versucht, das Blut mit einem Zauberspruch zu entfernen, aber es hat nicht funktioniert."
"Es hat nicht funktioniert?"
"Lasst ihn uns von seinen Kleidern befreien", sagte Lupin.
Wiederum murmelte der Direktor einen Spruch, und wiederum passierte nichts.
"Es muss etwas mit dem Blut zu tun haben", sagte Dumbledore. "Ich habe noch nie zuvor solch dunkle Magie gesehen."
"Komm, Severus, wir ziehen dir diese Kleider aus", sagte Lupin und versuchte, ihn vom Boden hochzuziehen.
Severus hob den Kopf, der dicke, rote Schlamm tropfte von seinem Gesicht. "Mörder, ich bin ... ein Mörder ..."
"Dreht ihn auf den Rücken", befahl Pomfrey, und gleich darauf kämpften sie alle damit, die blutverklebten Knöpfe seiner Robe zu öffnen, die ihn gefangenhielt.
"Verdammt noch mal!" fluchte Lupin und begann, den Stoff zu zerreißen.
McGonagall riss dem Zaubertrankmeister die Schuhe von den Füßen, und Pomfrey zog ihm die Hose aus. Die drei Professoren und die Medihexe waren außer Atem und rasend; Severus hatte das Bewusstsein verloren.
Dann bemerkte der Direktor etwas.
Die blutbefleckte Ecke eines Stücks Papier ragte aus einer von Severus´ Taschen. Dumbledore zog es heraus und entfaltete es, dann flüsterte er: "Was in Merlins Namen ..."
Lupin, McGonagall und Pomfrey hielten inne und ihre Augen trafen die des Direktors.
"Albus?" sagte McGonagall.
Der Direktor zeigte ihnen, was auf dem Papier stand, und sie schnappten nach Luft.
Es war eine seltsame Art von Pentagramm, ausgefüllt mit Symbolen, die ihnen Angst machten; in der Mitte war die Karikatur einer gehörnten Ziege. Die Worte Severus Snape waren mit krummer Schrift oben auf das Papier gekritzelt.
Lupin wollte etwas sagen, als das Papier in Flammen aufging und sich auflöste.