"Was war das für ein Ding?" frage Ron, als der Zaubertranklehrer weitergegangen war. "Worüber habt ihr geredet?"
"Offensichtlich ist Professor Snape übergetreten zu ... Er ist zu einem orthodoxen Christen geworden. Wow", antwortete Hermine.
"Ein ... Christ? Was ist das?" sagte Ron. "Warte! Ist das nicht so ein komisches Muggel-Zeugs?"
"Es ist nicht komisch. Es ist eine Religion. Ich meine, Millionen Muggels glauben daran -" Hermine schüttelte den Kopf. "Ehrlich gesagt, die Zaubererwelt sollte sich wirklich die Mühe machen, etwas mehr über die nicht-magischen Menschen zu lernen."
"Entschuldigung. Wir hatten nur in letzter Zeit alle Hände voll zu tun mit dem Versuch, die Welt vor Du-weißt-schon-wem zu schützen", grummelte Ron. "Ich schätze, manche von uns können nicht alles wissen so wie du."
"Ich habe nicht gesagt -"
"Hört auf, ihr Zwei", unterbrach sie Harry. "Neville hat Probleme mit seinem Zaubertrank."
Es war tatsächlich unübersehbar, dass Neville damit kämpfte, seinen Kessel weder explodieren noch schmelzen zu lassen. Ein unheilvolles, blubberndes Geräusch drang daraus hervor und Nevilles Gesicht begann sich der Farbe des rasch ansteigenden Gebräus anzugleichen, das einen ungesunden Grünton hatte anstelle des erwarteten Blassgelbs.
Das Flüstern, das sich von einer Ecke der Klasse in die andere ausbreitete, schien ihren Zaubertrankmeister von der bevorstehenden Katastrophe zu alarmieren; er blickte über die Schulter, murmelte etwas zu sich selbst und schoss dann direkt in das Hintere des Raumes, um Nevilles Kessel vom Feuer hochzureißen - und in genau diesem Moment entledigte sich dieser heftig seines Inhalts.
Die Schüler erstarrten.
Ein dicker, grünlicher Matsch tröpfelte vom Gesicht ihres Professors auf dessen Robe. Seine Augen waren geschlossen, und sein Mund stand offen. Nach etwas, das wie eine Ewigkeit schien, griff er nach oben und wischte etwas von dem Zeug von seinen Augen. Dann fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. Er blies den Atem aus.
"Mister Longbottom, das Rezept erfordert Morgentau,nicht Froschspeichel." Severus stellte den Kessel langsam zurück auf Nevilles Tisch. Er machte einen Wink mit der Hand, und die Überreste des vermasselten Zaubertranks verschwanden. "Anstelle des Heiltranks haben Sie eine wirkungsvolle Anti-Falten-Creme kreiert."
"Ich - ich ... es t-tut mir Leid, Sir", stammelte Neville, der am ganzen Körper zitterte.
"Mister Longbottom, steht das Wort 'Froschspeichel' irgendwo an der Tafel?"
"N-nein, Sir."
"Und warum haben Sie ihn dann in Ihren Zaubertrank gegeben?"
Ich m-muss die f-falsche Phiole erwischt haben, P-Professor Snape."
Severus seufzte. Neville sah ihn an als erwarte er, die nächsten vierzehn Tage knietief in Krötengedärmen zu verbringen.
Herr Jesus Christus, hab Erbarmen mit mir, Herr Jesus Christus, hab Erbarmen mit mir...
"Mister Longbottom", sagte er und senkte die Stimme, "gehen Sie zurück zum Zutatenschrank und ich werde Ihnen helfen, Ihren Zaubertrank ordentlich zu brauen."
"S-sir?"
"Komm mit mir. Komm", sagte Severus.
Neville war so dermaßen geschockt, dass er tat, wie ihm geheißen.
"Viele dieser Phiolen sehen beinahe identisch aus", erklärte Severus Neville, als sie den Zutatenschrank erreicht hatten. "Alles was du tun musst ist, dir Zeit zu nehmen und sicherzugehen, dass du die richtigen Zutaten hast. Nach einer Weile wird das zur Selbstverständlichkeit. Oder zumindest weniger verwirrend. Macht das Sinn?"
Neville schluckte und sagte: "Ja, Professor Snape."
Die Slytherins und Gryffindors hatten über den Zwischenfall ihre eigenen Arbeiten vergessen und starrten entgeistert auf das außergewöhnliche Schauspiel, das sich ihnen bot. Also sagte Snape; "Kinder, sofern das, was ich Mister Longbottom erkläre, euch nicht von Nutzen ist würde ich vorschlagen, ihr konzentriert euch wieder auf eure Aufgaben."
Das Schweigen wurde ersetzt durch hastige Geschäftigkeit, doch auch weiterhin schielten alle in Severus´ und Nevilles Richtung.
Der Einzige, der den angewiderten Ausdruck auf Dracos Gesicht bemerkte, war Harry.
***
Am Ende des Tages fühlte Severus sich ziemlich ausgebrannt. Er hatte es geschafft, sein Temperament zu zügeln, was sehr viel einfacher gewesen war, solange er sich innerhalb der Mauern des Klosters befunden hatte, weit entfernt von misslungenen Zaubertränken und den Schatten seiner Vergangenheit.
Er konnte es kaum erwarten, sich nach dem Abendessen in seine Kerker zurückzuziehen und einen erholsamen, ruhigen Abend dort zu verbringen. Doch kaum hatte er sich behaglich in seinem Fauteuil am Feuer zurückgelehnt kam der Ruf, sich zu einer dringenden Besprechung im Büro des Direktors einzufinden. Severus machte sich auf eine lange Nacht gefasst und ging, ohne zu murren.
Zumindest, bis er Dumbledores Büro betreten hatte und ihn Lupin und Black anblickten, die vor dem Tisch des Direktors saßen.
Oh Herr, nicht die. Nicht jetzt. Nicht heut Nacht ...
"Und inwiefern betreffen sie Lupin und Black?" gab Severus zurück.
"Aber, aber, Schniefelus", sagte Black. "Ist das eine Art, alte Freunde zu begrüßen?"
"Sirius, halt dich zurück", sagte Dumbledore, ehe Severus den Mund aufmachen konnte. "Jetzt ist nicht die Zeit für so etwas. Noch war sie es jemals."
Black biss die Zähne zusammen und bedachte Severus mit einem herausfordernden Blick, doch dieser nahm den Köder nicht an. Er setzte sich in den leeren Sessel neben dem Tisch und sagte: "Direktor, wenn wir diese Besprechung schnell zu einem Abschluss bringen könnten, wäre ich Ihnen sehr verbunden. Es war ein langer Tag."
"Severus, nach Ihrer Doppelstunde Zaubertränke heute Nachmittag kamen Harry, Ron und Hermine zu mir, um mich von einer unangenehmen Debatte zu informieren, die sie auf dem Weg zum Abendessen zufällig mitangehört haben."
"So."
"Sie sagten mir, dass Draco Malfoy seine Meinung über Ihre ... geistlichen Verpflichtungen ziemlich laut kundgetan hat."
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass das günstig war", sagte Severus.
"Er sagte etwas in der Art, dass dies eine Schande für die Rasse der Zauberer wäre und er seinen Vater darüber informieren wird."
Severus zuckte müde die Achseln. "Ich sehe den Ernst der Sache nicht. Lucius Malfoy ist nur einer von vielen, die mich bei der erstbesten Gelegenheit erledigen wollen."
"Wir machen uns Sorgen, Severus", ergriff Lupin das Wort. "Wenn die Schwarzmagier herausfinden, dass du dich ausgerechnet einer Muggel-Religion angeschlossen hast ... noch dazu einer, die für Mitgefühl und Selbsterniedrigung wirbt ..."
"Wir fürchten, sie werden vor nichts zurückschrecken Sie gefangenzunehmen und ein Exempel an Ihnen zu statuieren", sagte Dumbledore, "und sie werden sich rächen wollen. Ich bezweifle, dass es Voldemort und seine Handlanger kümmert, dass Sie ein ehemaliger Todesser sind; Sie sind das, was sie als reinblütigen Zauberer bezeichnen, und sie werden Ihre Handlungen als höchste Beleidigung ihrer 'Rasse' ansehen."
"Kaum eine Überraschung", sagte Severus und rieb sich die Augen.
"Und deshalb habe ich Sirius und Remus gebeten, auf Sie aufzupassen", sagte Dumbledore.
Severus´ Kopf schoss hoch. "Das ist nicht nötig."
"Nur eine Vorsichtsmaßnahme. Ich habe auf Ihre Mitarbeit gezählt, Severus. Es würde einem alten Mann die Angst nehmen." Dumbledore sah ihn an.
"Ich habe nicht die Absicht, das Schulgelände zu verlassen. Ich werde absolut sicher sein ohne Blacks und Lupins -"
"Tun Sie es für mich", bat Dumbledore
Severus stützte seine Stirn in den Händen auf. "Wie Sie wünschen."
"Wir werden dir nicht in die Quere kommen, Severus, wir halten nur unsere Augen offen nach Problemen", beschwichtigte Lupin.
"Spar dir deine Worte, Remus. Ich bin sicher, er zerfließt vor Dankbarkeit", ätzte Black.
"Wenn meine Anwesenheit nicht länger benötigt wird, würde ich mich gerne in die Kerker zurückziehen, Albus", sagte Severus, während er sich erhob.
Dumbledore nickte kurz. "Gute Nacht, Severus."
***
Severus setzte sich an den Lehrertisch zum Frühstücken. Er bestrich ein Stück Toast mit Butter, als Draco Malfoy und seine Kumpel die Große Halle betraten und sich auf ihre angestammten Plätze begaben.
Der blonde Junge starrte seinen Hauslehrer an und grinste süffisant.
Severus erwiderte den Blick und fragte sich, wie Lucius Malfoy wohl auf den Brief seines Sohnes reagiert hatte. Im Gegensatz zu den meisten Zauberern war Malfoy sehr bewandert auf dem Gebiet der Muggelkunde; bezogen auf Dracos Reaktion, war Severus ziemlich sicher dass Lucius ganz genau wusste, was ein orthodoxer Christ war. Natürlich hatte sein Interesse an solchen Themen nur eine einzige Motivation: Wissen bedeutete Macht. Wie konnte man einen Feind besser besiegen, als seinen Glauben, seine Bräuche und seine Schwächen zu kennen?
Severus schreckte innerlich zurück vor der grausamen Erinnerung an seine früheren Taten, vor den unerträglichen Gedanken, die er wahrscheinlich nie aus seinem Gedächtnis würde löschen können ...
Vergib mir meine früheren Sünden, und sprich mich davon los, Du, der Du begnadigst und alle Menschen liebst.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, bekreuzigte sich Severus, seufzte und griff nach seinem Kaffee.
"Ein bisschen neue Magie gelernt, Severus?" riss Lupins Stimme den Zaubertrankmeister aus seinen düsteren Gedanken. "Das, was du da eben gemacht hast."
"Was? Oh, das ... Nein, das ist keine Magie, Lupin - Remus. Es ist ... ein Zeichen der Liebe, wie du es nennen würdest, nehme ich an."
"Ah. Interessant."
"Du bist also schon wieder eine Weile zurück in Hogwarts?"
Lupin lächelte. "Seit letztem Frühling. Ich glaube, ich bin der beliebteste Vertretungslehrer, den es hier je gab. Natürlich habe ich nicht Zaubertränke unterrichtet, meine Fähigkeiten in diesem Bereich kommen nicht einmal annähernd an deine heran."
"Ich hab dich nicht bei meiner kleinen Willkommensfeier gesehen."
"Ich hatte mit meinem monatlichen Problem zu kämpfen", sagte Lupin. "Du bist leider nicht rechtzeitig genug gekommen, um mir meinen Trank zu brauen."
"Das tut mir Leid, Remus. Niemand hat mir etwas gesagt."
"Kein Problem. Du warst gerade erst angekommen nach ... nun, deiner Erholung und all dem. Ich hätte nicht gewollte, dass du, kaum, dass du Hogwarts betreten hast, gleich an die Arbeit geschickt worden wärst."
Severus schüttelte den Kopf. "Das wäre keine Arbeit gewesen. Ich werde dafür sorgen, dass der Wolfsbanntrank das nächste Mal zubereitet ist."
"Ich muss sagen, du wirkst ... entspannter in diesen Tagen, Severus."
"Weniger wie ein mürrisches Miststück, wolltest du sagen."
Lupin entkam ein kleines Lachen. "So würde ich es nicht sagen. Du hattest deine Gründe, unglücklich zu sein."
"Glück ist vergänglich", antwortete Severus, während er Lupins Teetasse füllte. "Es kann nicht der Ursprung jemandes Verhaltens sein."