Muggel

 

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Kapitel 9

 



Dumbledore brachte Severus zum Krankenflügel. Seinem kurzfristigen Wutanfall war wieder die Verzweiflung gewichen. Er spürte, wie ihm das Blut in den Adern rauschte. Er hatte Angst. Verdammt, er hatte noch nie eine solche Angst verspürt. Dem Tod ins Antlitz zu starren war erschreckend, aber nichts besonderes. Sich vor jemandem zu blamieren war der Horror schlechthin, aber zu überwinden, doch eine solche Behinderung und das war es wirklich, das konnte er nicht ertragen. Nicht mehr zaubern können... das war... wie plötzlich einen Arm zu verlieren, oder nicht mehr sehen können. Es verursachte eine schiere Panik, die er kaum überwinden konnte.

Er suchte Dumbledores Blick. Wie erwartet zeigte dieser die gutmütige Besorgnis und die Beruhigung, die der Tränkemeister nun brauchte. Aber wie lange noch? Was würde Albus mit ihm in der Zukunft anstellen?

Er war doch ohne magischen Kräfte nutzlos. Dumbledore konnte ihn dann nicht mehr brauchen. Was wenn Poppy wirklich sagte, dass Severus nie wieder magisch begabt wäre? Seine Hände zitterten unkontrolliert, ebenso fühlten sich seine Knie weich an, nicht länger bereit ihn herumzutragen, und er hielt sich in einer ungewohnten Art an Dumbledores Robe fest. Wie sehr wünschte er sich nun einen Menschen, der für ihn da war. Der ihn beruhigend in den Arm nahm und ihm Trost spendete. Er hätte es nie zugegeben, aber er wünschte sich, dass Dumbledore es tun würde. Er nannte ihn doch immer Junge, und seinen Freund, warum hatte er ihn noch nicht umarmt?

'Ganz einfach, Severus, weil du ihm nichts bedeutest', sagte seine böse Stimme im Hinterkopf, die ihn immer misstrauisch anstachelte. 'Außerdem hast du ihn nicht gelassen. Du wolltest doch keine Berührungen oder?', sagte eine andere, die verzweifelt versuchte, Severus zu einem Menschen zu machen. 'Er hat Angst seinen Spion zu verlieren. Deswegen bringt er dich zu Poppy', sagte wieder das Misstrauen. Leider überwiegte dieser Teil in seinem Inneren.

Würde Poppy so nett sein? Wahrscheinlich auch nicht. Er hatte auch ihr immer wieder zu verstehen gegeben, dass er körperliche Berührungen verabscheute. Dumbledore war also nicht minder überrascht, die Hände des Tränkemeister in seine Robe gekrallt zu wissen. Er fühlte sich so verloren. Wie lange hatte er gebraucht, um endlich unabhängig für sich selbst sorgen zu können? Wie viel Demütigung hatte er erfahren, bis er nicht mehr auf die Hilfe anderer angewiesen war? Er hatte seine Kindheit gehasst, die Schulzeit verachtet. Sollte diese Zeit nun zurückkehren? Und das mit Voldemort im Nacken? Er hatte keine Ahnung wie Muggel zurecht kamen. Er hatte ihre Welt niemals kennen gelernt. Weder ihre Gepflogenheiten, noch ihre Gesetze. All die kleinen Hilfen, die sie hatten, um ohne Magie auszukommen.

Er würde hoffnungslos untergehen. Und als Squib leben? Wie der Hausmeister? Filch war ebenso vom Leben enttäuscht und verbittert wie er selbst. Konnte er sich selbst noch mehr hassen? Wie sollte er sich in Zukunft wehren können? Als Squib hatte man unter Zauberern doch keinerlei Chancen. Sobald diese ihren Zauberstab in der Hand hatten, waren sie einfach überlegen. Das konnte man drehen und wenden wie man wollte. Er brauchte nur einen falschen Satz zu sagen, nur einen Blick zur falschen Person zu wenden oder einen Schritt in die falsche Richtung einzuschlagen, und Severus hatte sich bei weitem nicht wenig Feinde in seinem Leben gemacht. Abgesehen von einer Menge Schüler, die sich nur gerne an dem hilflosen Professor rächen würden, den Auroren, denen er noch immer ein Dorn im Auge war, gab es immer noch eine Menge Deatheater, die aus Machtgier seinen Tod begrüßen würden.

"Ich bin so gut wie tot", flüsterte er leise zu sich selbst.

"Severus, egal was geschieht. Du bist hier in Sicherheit."

"Sicher..." Mehr als ein ironisches Murmeln konnte er nicht erwidern.

Poppy zog den Zaubertränkelehrer sofort in einen Nebenraum, als Dumbledore mit ihm im Schlepptau den Krankenflügel erreichte.

Vier Schüler, die wegen Husten und Erkältung in ihren Betten lagen, sahen neugierig hinterher. Oh, wie er diese Blicke hasste. Aber der fiese gemeine Lehrer musste ein erbärmliches Bild abgeben, mit den Händen noch immer Dumbledores Zauberumhang umklammernd. Aber loslassen konnte er nicht.

"Leg dich hin", forderte ihn Madam Pomfrey auf.

"Wir glauben zu wissen, wann dieses Phänomen ausgelöst wurde", teilte ihr der Direktor mit, der sich neben das Bett stellte. Severus hatte sich indes hingelegt. Sein ganzer Körper zitterte und seine Bewegungen waren fahrig und ängstlich. Er versuchte der Krankenschwester zu erzählen, was ihm passiert war, allerdings verstand sie nicht wirklich was geschehen war. Poppy schaute ihn nun mehr als besorgt an. Severus war noch nie so nervös, geradezu panisch schauend gewesen. Mittlerweile hatte ihn die völlige Unruhe ergriffen und er wusste gar nicht, wie er es ihr mitteilen sollte.

"Cruciatus-Nachwirkungen? Am Freitag? Aber wie kann das möglich sein, nach so langer Zeit." Noch immer verwirrt sah sie zu Dumbledore.

"Severus arbeitet wieder als Spion", fügte dieser hinzu und die Krankenschwester wurde bleich.

"Das ist nicht Ihr Ernst! Das haben Sie nicht von ihm verlangt, Albus!" brachte sie wütend hervor.

"Ich fürchte schon."

"Wie konnte Sie ihm das antun? ER wird ihn zerstören. Haben Sie vergessen, wie es ihm damals ging? Severus hätte sich fast umgebracht und nun zwingen Sie den Jungen sein Leben schon wieder zu riskieren und sich diesem Monster auszusetzen."

"Poppy, ich weiß genau, was ich von ihm verlange. Merlin, ich wünschte, er hätte sich geweigert. Aber wir wissen beide, dass wir kaum eine andere Chance haben, gegen Voldemort vorzugehen. Mit Severus' Hilfe, konnten wir schon so viele Leben retten."

"Aber Sie opfern ihn!"

"Dessen bin ich mir allzu sehr bewusst und es belastet mich jeden Tag mehr."

"Ich kann Sie nicht verstehen!"

Severus sah ihre Verärgerung und wunderte sich, warum sie nicht Dumbledores Meinung war. Eigentlich hatte er gedacht, sie wäre immer so wütend gewesen, weil sie ihn andauernd zusammenflicken musste. Aber er hatte sie doch nicht mehr behelligt und sie hatte diesmal keine Arbeit mit ihm gehabt.
Warum regte sie sich also auf?

"Und wie lange macht er das wieder?"

"Seit der Wiederauferstehung vor eineinhalb Jahren", gab ihr Severus zu verstehen.
Nun wechselte die Gesichtsfarbe der Krankenschwester zu rot.

"Jetzt sag mir bloss noch, dass du die ganzen Verletzungen selbst geheilt hast! Denn du kannst mir nicht erzählen, dass es diesmal anders verläuft als früher."

Severus schwieg.
Was sollte er ihr auch antworten? Sie konnte sich die Antwort selbst denken.

"Das glaube ich nicht. Darf ich dich daran erinnern, dass ich dich nicht nur einmal ins Leben zurückholen musste. Severus, dieser Job ist schon absoluter Wahnsinn, aber dass du es nicht mal für nötig hältst mich zu informieren, wenn es dir schlecht geht, das tut richtig weh! Du wärst lieber gestorben, als über deinen Schatten zu springen und um Hilfe zu bitten."

"Das ist es nicht. Ich wollte dir keine Arbeit machen."
"Du bist wahrlich ein Idiot! Die Schüler haben ganz recht, wenn sie dich als gefühlloses Monster bezeichnen! Es interessiert dich ja nicht, wenn sich jemand Sorgen um dich macht!"

Severus zuckte ein wenig zusammen. Er hatte nicht vorgehabt, ihre Gefühle zu verletzen. Eigentlich glaubte er, dass er das Richtige getan hatte. Er versuchte doch nur, wieder gut zu machen, was er den Menschen als Deatheater angetan hatte. Dass ihn jemand ernsthaft mochte, konnte er sich nicht vorstellen.

"Poppy!" Dumbledore versuchte die aufgebrachte Krankenschwester zu beruhigen.

"Nichts Poppy!!!! Ich bin wütend! Auf euch beide!"

"Und damit liegen Sie völlig im Recht. Aber wir bitten jetzt um Ihre Hilfe. Severus' Unfähigkeit zu zaubern ist möglicherweise eine Folge der Folter."

Sie atmete tief durch. Noch immer war ihr Gesicht gerötet, aber sie schien nicht mehr vor Wut zu platzen.

"Was ist jetzt nun genau geschehen?"

"Ich hatte Kopfschmerzen. Nur wenig geschlafen. Am Freitag wurde der Schmerz immer schlimmer, ich wollte ein Schmerzmittel nehmen, aber vorher wurde mir schwindlig und ich wachte ein paar Minuten später auf dem Boden auf."

"Du bist davon ohnmächtig geworden. So etwas Leichtsinniges, das vor mir geheim zu halten. Du willst leiden, oder? Du legst es ja geradezu darauf an."

Severus zuckte nur mit den Schultern. In Gegenwart der Krankenschwester fühlte er sich noch immer wie einer der Schüler. Ihre Autorität überstieg die des Direktors bei Weitem.
Sie nahm ihren Zauberstab aus der Tasche und murmelte währenddessen weiter wütend vor sich hin.

"Wahrscheinlich hast du in den letzten eineinhalb Jahren kaum geschlafen und deine Müdigkeit und die Kopfschmerzen mit Tränken unterdrückt."

Severus wich ihrem Blick aus.

"Hab ich es mir doch gedacht. Kein Wunder, dass sich dein Körper rächt. Dieser Anfall war mit Sicherheit nicht nur eine Folge des Cruciatus. Es ist ein Anzeichen dafür, dass dir deine Gesundheit vollkommen egal ist. Wahrscheinlich ernährst du dich auch nicht ausgewogen, oder?" Wieder wich er aus.

"Deine Zaubertränke mögen dir zwar vorgaukeln, dass du gesund bist, aber sie beseitigen nur die Schmerzen, nicht das Problem an sich."

"Ich weiß."

"Einen gesunden Schlaf, oder einen Tag Entspannung ist für den Körper genauso notwendig wie der Schluck Wasser für einen Verdurstenden."

Sie ließ den Zauberstab über seinen ganzen Körper wandern. Die allgemeine Untersuchung schloss sie wirklich gleich an.

Hin und wieder verzog sich ihr Gesicht ungehalten, wenn sie etwas entdeckte, was sie lieber früher gesehen hätte.

"Ein starker Kopfschmerz, sagtest du?"

"Ja, es war unerträglich."

Sie ließ den Zauberstab weiter über seinem Kopf kreisen. "Hast du jetzt noch Schmerzen?"

"Ja, sie sind eigentlich ständig da."

"Wie lange schon?"

"Haben sie je aufgehört?"

Poppy zog eine Augenbraue hoch. Schließlich legte sie den Stab beiseite und sah ihn ernst an. Severus setzte sich auf. Die Schwäche lag noch immer in seinen Knien, aber die Taubheit war weg und der Schmerztrank hatte seine volle Wirkung erreicht.

"Ich würde vermuten, ich kann es wirklich nicht mit Bestimmtheit sagen, dass es wirklich an dem Anfall vor ein paar Tagen liegt."

"Inwiefern?"

"Severus, etwas ist in deinem Kopf geschehen. Eine Art Überbelastung, die einen kompletten Blackout zur Folge hatte. Teile deines Gehirns wurden dadurch verletzt, inaktiv. Ich behaupte sogar, dass du Glück hattest, dass nicht noch mehr geschädigt wurde. Es hätte ebenso gut deine Sehkraft, dein Gehör, dein Gedächtnis, deine Motorik oder gar das kognitive Denken beschädigt werden können. Bei Zauberern kommt das sehr sehr selten vor. Soweit mir bekannt ist, bei Muggeln aber häufiger. Zauberer haben eine andere Art das Gehirn zu verwenden. Viel weiträumiger. Wir haben dadurch den Zugang Magie zu beeinflussen, während Muggel ihr Hirn sehr ineffektiv nur zu einem sehr geringen Teil verwenden und dabei die Gefahr einer Überbelastung der aktiven Teile viel größer ist."

"Kannst du ihm helfen?" Dumbledore sah Severus besorgt an. "Oder wird die Schädigung wieder heilen?"

Madam Pomfrey wandte sich kurz ab und schien angestrengt nachzudenken. "Es gibt Muggelmethoden die geschädigten Teile des Gehirns zu umgehen und die verlorenen Fähigkeiten durch hartes Training wieder zu erwerben. So kann jemand, dessen Sprachzentrum beschädigt ist, innerhalb weniger Jahre wieder völlig normal sprechen lernen."

"Jahre?" Snape starrte die Krankenschwester entsetzt an. Als er auf Heilung hoffte, hatte er dabei nicht an jahrelange Genesung gedacht.

"Allerdings ist das keine Garantie. Manche erholen sich niemals wieder. Ich habe noch nie von einem Fall gehört, der das magische Talent betraf. Und nein, ich kann dir nicht helfen. Es tut mir leid!"

-to be continued-



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