Kapitel 5
Müde setzte er sich auf seinen Stuhl und war an die Stunde von Freitag erinnert, als ihn der heftige Kopfschmerz besinnungslos machte. Durch den wenigen Schlaf fühlte er sich erneut unwohl und gereizt und wieder hatten einige Schüler darunter leiden müssen. Es tat ihm um die verschreckten Gesichter nicht leid, aber sein Zustand begann ihn doch ernsthaft zu beunruhigen.
„Professor?“ Die zittrige Stimme der kleinen Maryane Carlfield ließ ihn hochfahren. Er war abwesend, in Gedanken versunken, das passierte ihm während des Unterrichtes doch nie. Er war berühmt, dass kein Fehler seiner Schüler, kein falsches Wort oder Geste unentdeckt blieben.
„Was gibt es denn, Miss Carlfield?“ fuhr er sie barsch an. 'Ruhig Blut, Severus', sagte er zu sich selbst. Er hasste es, wenn er die Kontrolle verlor.
„Ich... ich.... denke, ich...“
„Nun schon raus mit der Sprache!“
„Ich glaube, ich habe zuviel Ahornsamen in den Trank getan.“
Severus verdrehte in seiner üblichen missbilligenden Art die Augen. „Glauben Sie oder haben Sie tatsächlich zuviel hinein getan.“
„Ich habe zuviel hinein getan und ich weiß nicht ob ich jetzt weitermachen soll. Sie sagten doch, dass zu viele Ahornsamen mit den Stümpfsockeln eine giftige Säure gibt. Die kann ich doch so nicht wegschütten.“
„Wenn Sie sich korrekt vorbereitet hätten, wüssten Sie wie Sie die Säure neutralisieren können.“ Er wandte sich wieder den Korrekturen auf seinem Schreibtisch zu. Er hatte gerade einmal fünf Hausarbeiten korrigiert. Er war wirklich zu müde.
Erst eine Minute später fiel ihm auf, dass er das Mädchen weder zusammengestaucht noch ihr Punkte abgezogen hatte. Er schaute wieder auf. Maryane blätterte wild in ihren Aufzeichnungen, um die richtigen Informationen zu finden. Sie würde die Antwort nicht finden. Die Antwort hätte sie in der Bibliothek nachschlagen müssen und offensichtlich hatte sich das Mädchen nur auf ihr Tränkebuch beschränkt.
Er erhob sich und ging langsam auf den Tisch der Schülerin zu. Einige ihrer Klassenkameradinnen begannen sich zu ducken. Zufrieden nahm er diese Angst vor ihm zur Kenntnis.
„Nun, Miss Carlfield, wie lange wollen Sie Ihre Mitschüler noch mit den Dämpfen der Säure vergiften?“
Erschrocken wichen ihre umliegenden Nachbarn zur Seite.
Maryane schwitzte. Ihre Hände zitterten vor Panik und sie blätterte unkoordiniert weiter.
Severus sah ihr mehr oder weniger gelassen zu.
Er wusste, dass es gefährlich war, den Topf weiterköcheln zu lassen, aber zur Not würde er die giftigen Gase mit dem Zauberstab vertreiben. Sein häufigst verwendeter Zauber im Unterricht. Und er wusste genau, wie weit er gehen durfte. Im Moment machte er dem Mädchen nur Panik. Mit ein paar Blaublutblättern wäre das Problem bereits gelöst. Ob sie darauf kam?
„Ich...!“
„Ja, Miss Carlfield?“ Seine Stimme war kälter als Eis und wieder zuckten die Schüler im Kerkerlabor zusammen.
„Ich finde es nicht. Aber ich hab es irgendwo... Ich...“
„Sie haben doch das Kapitel gelesen, Miss Carlfield?“ fragte er gelassen weiter. Es war so leicht mit ihrer Angst zu spielen.
Nun, war das Mädchen kurz davor in Tränen auszubrechen.
„Ja, Professor Snape, ganz ehrlich. Ich habe alles gelesen. Das ganze Kapitel...“
Severus fühlte den Ärger in sich hochsteigen. „Mag sein“, begann er eisig. „Mag sein, dass Sie in der Lage waren Ihrem Kapitel Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Doch anscheinend haben es Gryffindors nicht nötig in der hiesigen Bibliothek Erkundigungen einzuholen.“
Erschrocken erstarrte das Mädchen mit ihren Notizen, die ihr nun nichts mehr brachten, in den Händen.
„Ich... hatte keine Zeit. Wir hatten so viele Hausaufgaben und...“
„Ausreden!“ brüllte er das Mädchen an, nun den letzten Rest seiner Selbstkontrolle verloren.
„Seit der ersten Stunde predige ich euch Nichtsnutzen sich über die Gefahren der Inhaltsstoffe und ihre Reaktionen mit Anderen Informationen einzuholen. Aber stattdessen kommt ihr unvorbereitet in den Unterricht, schüttet wahllos die Zutaten in den Trank. Es grenzt an ein Wunder, dass sich noch keiner umgebracht hat.“
Er schaute sich die Drittklässler näher an. Eigentlich hatten sich alle fast unter ihren Tischen verborgen.
„Hat sich auch nur einer über die Folgen dieser Zusammensetzung informiert??“
Ein paar Mutige schüttelten den Kopf.
„Das reicht!“ Severus stapfte wieder nach vorne.
„Miss Carlfield, löschen Sie zunächst das Feuer. Übrigens eine der ersten Regeln, die wir im ersten Schuljahr durch genommen hatten. Wenn sich auch nur einer daran erinnern kann. Aber trösten Sie sich. Die anderen Jahrgänge sind nicht besser als ihr.“
Er zog ein Kraut aus dem Vorratsschrank und begutachtete die Blaublutblätter, nahm drei Stück davon, zerrieb sie in einem Mörser und gab sie in den brodelnden Kessel der jungen, mittlerweile völlig aufgelösten Gryffindor.
Das Gemisch beruhigte sich sofort.
„Beenden Sie sofort Ihre Tränke. Die Fertigen bekommen eine Note, der Rest kommt morgen nach der letzten Unterrichtsstunde mit einem fertigen Aufsatz über den Trank mit möglichen Fehlerquellen, Gefahren und Neutralisationsmethoden ins Labor und darf den Versuch wiederholen. Des weiteren darf sich die ganze Schule bei Ihnen bedanken, dass ich ab sofort jeden Monat einen Test über die Sicherheit im Umgang mit Zaubertrankzutaten schreiben werde. Ebenso möchte ich jede Stunde eine kurze Zusammenfassung über die Gefahren des neuen Trankes auf jedem Tisch vorliegen sehen.
Sollte sich einer diese Mühe nicht machen, wird er von dem Versuch ausgeschlossen, darf ihn entweder nachholen oder sich ein Ungenügend einschreiben lassen.“
Einige Schüler in der letzten Reihe stöhnten auf.
Nun riss Severus jegliche Geduld.
„Glauben Sie etwa, das ist nicht nötig? Vielleicht ist Ihnen Ihr Leben und Ihre Gesundheit nichts wert, aber ich denke doch, dass Ihnen da einige Schüler widersprechen werden. 20 Punkte Abzug für Gryffindor für das Geringschätzen einer offensichtlichen Gefahrenquelle! Weitere 15 Punkte Abzug für Gryffindor für Miss Carlfields Faulheit, die Bibliothek nicht zu besuchen.“
Die Gryffindors blieben nun stumm.
Die andere Gruppe, aus Hufflepuff, hatte gleich begriffen, dass man Snape nun nicht mehr reizen durfte.
„Teilen Sie den anderen Schülern die neuen Unterrichtsmethoden mit. Auch Ravenclaw und Slytherin bitte ich nicht zu vergessen! Ich werde morgen mit einem Test anfangen! Beenden Sie nun Ihre Versuche und dann...“
Snape wollte sich gerade umdrehen, als Max Draffs Zaubertrank überzukochen schien und schon leichte Rauchschwaden eine baldige Explosion ankündigte. Merlin, was hatte der Junge da rein getan? Severus zog seinen Zauberstab und wollte die Explosion aufhalten. Die Schüler hatten sich schon vor dem Kessel geschützt.
„Clarantis Tiamsin.“
Der Kessel explodierte und der hellgrüne Trank verteilte sich im ganzen Raum. Severus ging von dem Rückstoß zu Boden und schlug hart mit dem Steißbein auf.
Schmerzverzehrt verzog er das Gesicht.
Die Schüler schrieen erschrocken.
„Raus hier!“ ächzte Severus. Die Schüler drängten zur Tür. Severus stand mit Mühe auf.
Fast augenblicklich als er sich erhoben hatte, stürmte Professor Flitwick durch die Tür. „Was ist passiert?“ rief er mit seiner piepsigen Stimme.
„Kessel explodiert. War zu langsam!“ Severus schob sich an dem kleinen Professor vorbei. Ein paar mal Luft holen und er würde wieder in Ordnung sein.
„Ist alles in Ordnung, Severus?“ fragte Flitwick besorgt. Snape nickte. Er brauchte ein paar Minuten um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Dieses Zeug hatte ein verdammte Wirkung, den Geist zu vernebeln.
Er schaute zu den Schülern, die ihn verängstigt anblickten, besonders Max hatte sich hinter allen versteckt.
„Hatte ich die 20 Punkte Abzug für Hufflepuff vergessen?“ kommentierte Snape die Explosion, die gerade vonstatten gegangen war.
Flitwick machte sich daran, den Rauch zu vertreiben und die Feuer zu löschen.
„Sollen wir jetzt aufräumen?“ fragte eine kleine blonde Hufflepuff ängstlich.
„Nein!“ fauchte der Zaubertränkelehrer zurück. „Bloß nicht! Verschwinden Sie!“
Das ließen sich die Schüler nicht zweimal sagen.
Flitwick sah ihn schmunzelnd an. „Haben Sie die Tinkturen gegen den Fleck?“
Ein eiskalter Blick beeindruckte ihn nicht und so zog sich Severus, immer noch tief nach Luft ringend, in das Labor zurück. Sein verlängerter Rücken schmerzte und er setzte sich erstmal nur sehr vorsichtig hin, um das Erlebte erstmal zu verdauen. Natürlich waren schon viele Kessel in seinem Unterricht explodiert, aber selten hatte er so nahe daneben gestanden. Zudem war ihm noch immer etwas schwindlig.
Freundlicherweise half ihm der kleine Zauberer das Chaos im Tränkelabor zu beseitigen. Hin und wieder warf er Severus einen mitleidigen Blick zu. Wieder kam dieser nicht umhin eine Veränderung zu bemerken. Wann hatte Flitwick aufgehört vor ihm Angst zu haben?
Hatte er schon mal vor ihm Angst gehabt? Zumindest war der kleine Kerl noch nie so freundlich zu ihm gewesen.
Ihm sollte es recht sein, wenn der Zauberkunstlehrer nichts besseres zu tun hatte, als sein Labor aufzuräumen, dann konnte er sich weiter mit den Korrekturen beschäftigen. Obwohl, eigentlich reichte es die rote Tinte darüber auszukippen und ungenügend anzufügen.
Fragend blickte er zu dem Zwerg, der gerade die Kessel mit einem Wink säuberte. Dann wunderte er sich aber dennoch.
„Warum tun Sie das?“
„Sie schienen mir am Frühstückstisch ausgelaugt und müde zu sein.“
„Dumbledore hat Ihnen gesagt, Sie sollen mich bemuttern!“ vermutete er daraufhin sarkastisch.
Flitwick grinste ihn an. „Aber nicht doch, Severus!“ Severus war nicht der Einzige der einen ironischen Tonfall beherrschte. „Er sagte nur, wir sollten etwas netter zu Ihnen sein. Sie wären ein wenig bedrückt.“
„Bedrückt!“ Entrüstet sprang er auf. Nun zuckte der kleine Mann doch ein wenig zusammen.
„Ich bin nicht bedrückt!“
„Dann vielleicht traurig?“ vermutete Flitwick weiter
„Schon gar nicht traurig!!!!!“ brüllte er lautstark. „Was fällt Dumbledore eigentlich ein, das Lehrerkollegium auf mich zu hetzen?!“
„Er hat uns doch nicht auf Sie gehetzt.“
„Ach nein? Wie nennen Sie das denn sonst, wenn Sie hier scheinheilig als Retter meines Labors erscheinen und mir mit freundschaftlichen Gesten auf die Nerven gehen?“
„Severus!“ Flitwick kam gelassen auf den viel größeren Mann zu und zum ersten Mal erkannte Snape, dass Flitwick keineswegs mit seiner Körpergröße zu vergleichen war. „Hätte er uns auf Sie angesetzt, würde das ganz anders aussehen“, zischte ihm der Mann an.
Severus konnte es kaum glauben. Flitwick wirkte tatsächlich gefährlich.
„Ich kann Ihre launische, arrogante und sarkastische Art absolut nicht leiden. Wie so ziemlich jeder Ihrer Kollegen, und von den Schülern spreche ich erst nicht. Doch Dumbledore vertraut Ihnen, warum auch immer. Ich verlasse mich hier nur auf das Wort des Direktors. Wenn er meint, dass Sie erträglicher wären, wenn wir uns um Ihre Freundschaft bemühen, dann versuche ich das und gebe Ihnen eine Chance. Aber auch mein guter Wille ist irgendwann zu Ende. Also entweder Sie nehmen mein Angebot an, uns freundlich unterhalten zu können, oder Sie werden wirklich spüren, dass man Sie nicht leiden kann. Ich kann mit den gleichen Waffen austeilen, die Sie sie tagtäglich versprühen. Denken Sie darüber nach! Sie haben die Bosheit noch lange nicht gepachtet, mein Junge!“
Die quiekende Stimme war verschwunden und eiskalte Blitze schienen aus dem Mund des Zwerges zu kommen.
Severus verzog das Gesicht. „Wagen Sie es nicht mich als Jungen zu bezeichnen!“
„Oh, doch. Denn für mich sind Sie noch ein junger Mann, kaum am Anfang Ihres Lebens. Und Ihr Verhalten bestätigt das. Sie verhalten sich wie ein Kind, dessen Schokofrosch die Beine weggegessen wurden.“
„Was erlauben Sie sich?“ zischte Snape ungehalten. Die spitze Zunge, deren er sich üblicherweise bediente, schien wie weggeblasen. Noch nie hatte er darüber nachgedacht, dass Flitwick so mit ihm reden würde. Hatte er ihn wirklich so unterschätzt? Natürlich musste der quirlige, sonst so freundliche Zauberkunstlehrer Autorität besitzen. Er war ja auch Lehrer. Und zum ersten Mal hatte er sie dem Hauslehrer von Slytherin gezeigt. Severus hatte sich sowieso gefragt, warum aus seinem Unterricht die wenigsten Beschwerden über Slytherin kamen. Flitwick hatte ihn überrascht. Aber gründlich. Und sein schlechter körperlicher Zustand vollführte sein Werk zusätzlich, so dass Severus keine passende Antwort fand.
„Ich erlaube mir meine Meinung kundzutun. Ich will Sie warnen, Severus!“
„Sie drohen mir?“ fragte er verblüfft nach. Ein stechender Schmerz machte sich wieder in seinem Kopf breit.
„Nein, ich warne Sie, vor sich selbst, Junge. Die Lehrer haben Ihren Launen lange genug zugesehen. Ich weiß, von Ihrem schwierigen Leben, aber das gibt Ihnen keinen Freibrief sich alles zu erlauben. Sie haben hier ein Zuhause. Lehrer und Schüler sind hier wie eine Familie. Wir sind gerne bereit Ihnen den Schutz und die Umarmung einer Familie zu geben. Wir sind immer für Sie da, wenn Sie Hilfe brauchen. Sie haben verdammt noch mal Glück gehabt, diese Chance von Dumbledore zu bekommen. Ein wenig Dankbarkeit zu zeigen würde Ihrem Stolz nicht abträglich sein.“
Severus schnaubte abfällig. Als würde ihm dieser Ort so gut gefallen. Schüler, die ihn nerven. Lehrer, die sich endlos beschweren und zwei Jobs, die ihn körperlich und seelisch auslaugten. Was wusste dieser Zwerg schon davon?
„Überlegen Sie sich, wo Sie ohne Dumbledores Hilfe heute wären. Und Albus hat Sie nicht aus praktischen Gründen zu sich geholt. Er hat Sie immer gemocht. Schon als Sie ein Kind waren. Bemühen Sie sich. Schon wegen ihm, aber vor allem für sich selbst!“
„Verschwinden Sie aus meinen Räumen, Flitwick!“
„Wie Sie wünschen, Severus!“ Der Hauslehrer von Ravenclaw drehte sich um und ging aus dem Kerker heraus. Severus atmete auf. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Ihn in seinen eigenen Räumen so anzugreifen. Hatte er denn keinen Ort mehr, an dem er sich wohlfühlen konnte?
Ein brennender Schmerz zog durch seinen Unterarm und Severus schnappte einige Momente nach Luft. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Voldemort rief immer, wenn er sich nicht im Geringsten dafür bereit fühlte. Allerdings, wann war er das auch schon.
So schnell ihn seine Beine trugen, rannte er mit Deatheaterumhang und Maske bis kurz hinter den Waldrand von Hogwarts.
Er apparierte.
Severus schloss die Augen und wartete auf das leichte Schwindelgefühl, wenn er aus der Welt verschwand, um kurze Zeit später auf dem Treffpunkt der Deatheater zu erscheinen.
Das Schwindelgefühl blieb aus.
-to be continued-
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