Kapitel 69
Vertrauen und Freundschaft
Severus beobachtete wie sich das Feuer im Kamin durch den goldenen Bourbon im Schwenker in seiner Hand verzerrte und die Flammen in ausser Kontrolle geratene Monster verwandelte, die wie Hände ertrinkender vergeblich versuchten dem Griff von dem zu entrinnen, von welchem es kein Entrinnen gab .
Kein Entrinnen. Niemals. Das war auch sein Los.
Die Tatsache, so unweigerlich und unumstösslich, fasste sein Herz und drückte es zusammen. Für einen Moment schien das Feuer des Kamins auf ihn überzugehen und ihm den Atem zu rauben. Severus' Herz begann wild zu pochen und Frustration, so stark, dass er sie beinahe fassen konnte, ergriff ihn. Mit einem wütenden Aufschrei sprang er von seinem Sessel hoch und schleuderte das Glas mitsamt dem Inhalt gegen den Kaminrand.
Doch zuzusehen wie das feine Kristallglas in Tausende Scherben zersprang und die klebrige Flüssigkeit träge den Stein herunterlief, brachte ihm keine Erleichterung. Er musste weg. Musste irgendwas tun. Irgendwas.
Er war sicher schon fünfmal im Zimmer auf- und abgegangen, bis es ihm endlich bewusst wurde was er da machte. Severus hielt an, wo er gerade stand und zwang sich tief ein- und auszuatmen. Aber die innerliche Unruhe, dieser Drang etwas zu tun, liess nicht nach. Da war etwas in seiner Brust gefangen, wie ein Monster, das aus einem Käfig ausbrechen wollte, es aber nicht konnte. Dieses Ding, das ihm den Schlaf raubte und es fast unmöglich machte nicht jeden möglichen Moment wieder in die Vergangenheit zu stürzen.
Es gab kein Entrinnen...
Mit einem frustrierten Schluchzer sank er zu Boden. Der Perserteppich unter seinem Körper war weich und flauschig, aber dennoch hatte Severus das Gefühl, dass die Kälte der Mauern um ihn zu ihm hin und tief in seine Knochen drang.
Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Er fror und er war so unendlich müde. Am liebsten würde er den Rest seines Lebens einfach nur noch schlafen, doch das war auch nicht möglich. Ohne einen starken Schlaftrunk würde er wohl keine Stunde Ruhe bekommen. Diese Nervosität tief in ihm liess das nicht zu. Sobald er im Bett lag und versuchte sich zu entspannen und ihr zu entrinnen, hatten die Erinnerungen freie Bahn und stürzten über ihn herein.
War es das? Würde das alles sein, was ihm vom Rest seines Lebens blieb?
Er senkte die Hände und sein Blick fiel auf die Finger, die sich unwillkürlich unter seinem Körper in die Fasern des Teppichs gekrallt hatten, versteckt unter dem schwarzen Leder der Reithandschuhen, die ihn nun zu verhöhnen schienen. Er setzte sich zurück und hob die Hände vor sein Gesicht. Mit einem wütenden Geräusch klaubt er sie sich von den Fingern und starrte kalt auf die Narben auf seiner Handinnenfläche. Nutzlose Klauen, das war alles, was sie noch waren. Hässlich und nichts als Hohn, der die schlimmen Dämonen seiner Erinnerungen zurückrief. Zwar hatte Poppy ihm gesagt, dass sie wieder all ihr Gefühl zurück bekämen, aber die Narben würden nie verschwinden. Die Narben würden ihn immer an sein Versagen erinnern. Sie oder die Handschuhe, die er ihretwegen trug. Egal mit was er sie zu verdecken versuchte, seine Tarnung würde nur noch auffälliger sein als die Narbe selber.
Hätte ihn Black damals nur nicht gefunden. Gewiss, Selbstmord war feige und passte bestenfalls zu einem überemotionalen Hufflepuff oder einem Gryffindor, der noch nicht einmal ohne einen melodramatischen Abschied draufgehen konnte, aber er? Noch vor einem Jahr hatte er nur angewidert die Lippen verzogen, wenn er darüber gelesen hatte oder die Lehrer der anderen Häuser von gefährdeten Schülern redeten. In seinem Haus war es nie ein Thema gewesen. Slytherins brachten sich nicht um, egal was ihnen widerfuhr. Sie suchten sich den leichtesten Weg es zu überstehen und archivierten die Geschehnisse tief in ihrem Herzen um irgendwann, irgendwie zurück zu schlagen.
Er war genau so gewesen. Nie hatte ihm seine schlimme Kindheit den Stolz genommen.
Bis Voldemort.
Bis Malfoy.
Nein, er wollte keinen gloriosen Abtritt und wenn er übermässig emotional war..... Genau das war das Problem. Er wollte Ruhe. Die Rastlosigkeit, die Scham, die ihn bei jedem Gedanken an die Geschehnisse ins Herz stach und die sich mit völliger Apathie und einer Depression abwechselte, die einen schalen Nachgeschmack auf seiner Zunge hinterliess, waren nicht auszuhalten. Sie trieben ihn langsam in den Wahnsinn.
Das konnte und wollte er nicht. Severus blickte zum Feuer zurück und sein Blick glitt zu der steinernen Umrandung, auf der die Holzschachtel noch immer lag, in der sein momentaner Ersatzzauberstab lag. Er war bei weitem nicht perfekt und Albus hatte ihm erst gestern mitgeteilt, dass er ihn bald zu Olivander begleiten würde um einen richtigen zu holen. Severus mochte es sich nicht zugeben, aber er hatte an seinem alten Zauberstab gehangen. Es war sein erster gewesen, gekauft von seinen Eltern, und wenn es ihn auch nicht an ein glückliches Elternhaus erinnerte, so doch an das was es hätte sein können.
Vieles hätte sein können, doch nichts war.
Er hätte ein besseres Heim haben können, ohne die allgegenwärtige Anspannung und die Sorgen über so unwichtige, alltägliche Dinge, die zwischenmenschliche Beziehungen im Hause Snape zu anstrengend gemacht hätten, als dass noch genügend Energie dafür übrig gewesen wäre. Er hätte in ein anderes Haus kommen können, wenn er es sich nur stark genug gewünscht hätte. Natürlich mochte er Slytherin. Es war sein Haus, mehr seine Familie als die Leute, die einmal in Spinners End gewohnt hatten, aber sein Leben wäre in einem anderen Haus einfacher gewesen. Kein Versteckspiel seiner Herkunft, kein sich immer beweisen müssen. Die Möglichkeit von Freunden. Und vor allem kein so starker Einfluss zu einem Anhänger Voldemorts zu werden. Mit einem bitteren Verziehen der Lippen dachte er, dass Albus argumentieren würde, dass er dann nicht mit seiner Spionage so viele Leben hätte retten können, doch Tatsache war, dass durch ihn auch viele Leute gestorben waren, unter anderem auch Lily. Nicht dass ihn dieser Grund auch sonst noch irgendwie interessierte. Diese Zeit war vorbei, es zählte allein, dass er nicht gefoltert worden wäre. Er hätte noch immer seinen Stolz. Und seinen Frieden, den er in diesem Leben nie hatte und auch nicht bekommen würde. So vieles hätte er anders machen können. Hätte er einen besseren Moment für seinen Freitod gewählt... Black hätte ihn nicht gefunden, ihn nicht stoppen können.
Was hinderte ihn eigentlich daran, sich einen besseren Zeitpunkt auszusuchen? Black konnte ja nicht immer rechtzeitig auftauchen.
Black. Ein tiefes humorloses Lachen bildete sich in Severus' Kehle. Sein Erzfeind von jeher. Schlimmer als Potter und nun? Ironie sei gegrüsst. Da war kein Hass mehr. Schlagartig war das Lachen weg. Nein, kein Hass. Sein Erzfeind war zu seinem einzigen Freund geworden. Dem einzigen Freund, hiess das, der sich nicht als Gegenleistung etwas von ihm versprach. Was bedeutete, sein einzig richtiger Freund. Black würde es nicht gefallen, wenn er sich nun umbrachte und mit Erstaunen realisierte Severus, dass es wahrscheinlich nicht darum war, weil er Blacks Arbeit und Mühe ihn hoch zu päppeln zunichte machte. Auch wenn dieser das sicher behaupten würde. Aber nach Askaban, den Dementoren und der Tatsache von allen Freunden verlassen zu sein, war Black wahrscheinlich der Einzige, der seine Entscheidung auch verstehen würde.
Der anfänglich flüchtige Gedanke nahm immer mehr Substanz an. Blacks Freundschaft - trotz allem war der Satz, selbst gedacht, noch immer schwer zu formulieren - aber selbst diese Freundschaft war nicht genug um wieder leben zu wollen. Seine Seele war schon tot, was bedeutet dann schon der Körper.
Er kämpfte sich auf die Füsse, liess sich in den Sessel fallen und starrte in das Feuer. Die Aussicht auf Ruhe und Frieden war verlockend. Sehr verlockend. Nun musste er sich nur noch über das wie und wann klar werden.
Er wollte keinen grossen Aufstand. Es ging ihm nur um das Resultat und nicht um einen pompösen Abgang. Seine Finger waren wieder beweglich genug um einen Zauberstab zu halten. Das Messer stand ausser Frage. Gab eine zu grosse Sauerei. Der Gedanke, wie Hauselfen im Kerker sein getrocknetes Blut wegschrubbten, erfüllte ihn nur mit Abscheu. In Malfoys Labor war es die einzige Möglichkeit gewesen und er hatte ja auch nicht damit gerechnet je dort gefunden zu werden. Die sauberste Methode wäre, sich einfach in eine der dicken Wände zu apparieren. Weg, verschwunden... mussten nur noch seine persönlichen Sachen durchsucht werden um zu sehen, was noch brauchbar war. Sein Blick wanderte wieder über den Kamin. Mit diesem ungewohnten Zauberstab würde er wahrscheinlich nicht genau genug zielen können. Mit Bitterkeit stellte er fest, dass ihn noch nicht einmal die Vorstellung erheiterte, wie die Schüler reagieren würden, wenn sie am Morgen in ihr Schulzimmer kamen und ein Bein oder ein Arm seiner Leiche aus der Wand ragte.
Und dann die Elfen.... Nein, diese Vorstellung brauchte er auch nicht wirklich. Wieder merkte er es mit Verspätung, dass er sich erneut aus seinem Sessel hochgestossen und im Zimmer auf und ab zu gehen angefangen hatte. Doch anstatt anzuhalten trugen ihn seine Füsse zu seinem Vorratsschrank. Er blieb davor stehen. Die meisten seiner Zutaten und auch Tränke standen in dem Zimmer neben dem Klassenraum, doch früher, als er noch selber unterrichtet hatte, hatte er die gefährlichen Gifte gut verschlossen. Waren sie noch immer da, oder hatte jemand daran gedacht sie zu entfernen? Sie wurden nur für sehr komplexe Zaubertränke verwendet und noch nicht einmal jedem Siebtklässler, der es in seinen Kurs schaffte, wurde es erlaubt damit zu arbeiten. Gifte wurden in seinem Klassenraum meistens aus Versehen oder Nichtkönnen erschaffen.
Ein sich vergiftender Tränkemeister. Noch klischeehafter ging wohl kaum noch. Aber wie gesagt, das Resultat war alles, was wichtig war und es wäre sauber, schnell und relativ schmerzlos.
Die anderen waren jetzt sicher noch alle bei der Ehrung.
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Sirius stand schon seit Minuten vor dem steinernen Wasserspeier, der den Zugang zu Albus' Büro bewachte, und konnte sich einfach nicht entscheiden, ob er den Direktor aufsuchen sollte. Er war in einer Zwickmühle. Snape hatte absolut Recht gehabt. Alle waren in der Zeremonie geehrt worden, doch der Werwolf und der ehemalige Todesser hatten ausser einer kurzen Erwähnung keinerlei Annerkennung erhalten. Bei Remus war dies kein sehr grosses Problem. Er war nicht jemand, der es genoss im Rampenlicht zu stehen und durch die Tatsache, dass seine Rolle im Endkampf allgemein bekannt war, würde er wohl kaum mehr Probleme haben eine Arbeit zu finden. Das würde ihm schon Geschenk genug sein. Endlich konnte er darauf hoffen, ein einigermassen normales Leben zu bestreiten. Selbst wenn es noch ein weiter Weg war, dass die Vorurteile gegen Werwölfe verschwanden; Remus als Individuum war nun berühmt genug, dass man es nicht mehr wagen würde ihn, bloss aufgrund eines Zustandes, der einfach unter Kontrolle gehalten werden konnte, nicht anzustellen. Tatsächlich hatte Remus bereits ein Angebot des Ministeriums erhalten, als Vorsteher der Abteilung für die Registrierung, Kontrolle und Beratung von Werwölfen zu arbeiten. Mit den Möglichkeiten die der relativ neue Wolfsbanntrank eröffnete, standen die Chancen gut, dass sich endlich die öffentliche Meinung gegenüber den Werwölfen ändern würde.
Remus gefiel diese Herausforderung und obwohl er wusste, dass es eine langwierige und wenig erfolgsversprechende Arbeit war, war die Aussicht etwas für seine Schicksalsgenossen zu tun doch sehr verlockend und er dachte ernsthaft darüber nach, das Angebot anzunehmen.
Bei Snape sah die Sache schon anders aus. Obwohl er das Ganze scheinbar erwartet hatte, wusste Sirius, wie wichtig die öffentliche Anerkennung für Snape gewesen wäre. Seine zerbrochene Seele hätte es kaum geheilt, aber es hätte ihm wahrscheinlich etwas seines Selbstwertgefühls zurückgegeben, wenn er den Orden erhalten hätte. Nun war all sein Gerede von damals in dem Keller nichts mehr als heisse Luft. Es gab nichts mehr, was Snapes Tortur rechtfertigte. Nichts, was es ihm erleichtern würde das Geschehene zu akzeptieren. Damit, dass er bei der Zeremonie von der Seite, für die er all das getan hatte, ignoriert worden war, hatte er erneut verloren.
Sirius hatte einen Snape gesehen, der weinend an einem Halsband vor Malfoy und Voldemort gekauert hatte. Und genau wie dieses Bild den Slytherin in seinen Augen damals erstmals zu einem menschlichen Wesen werden liess, genauso stark war Sirius über das Ministerium und dessen Arroganz wütend. Snape brauchte eine Annerkennung. Worte würden nicht genügen. Man musste es ihm beweisen, dass er etwas erreicht hatte, obwohl er gescheitert war, aber man hatte ihm nur erneut bewiesen, dass er nichts wert war. Zuerst von der dunklen Seite und nun auch noch von der sogenannten guten.
Und genau dort lag Sirius' Problem. Er hätte seine Gefühle Snape gegenüber bis vor kurzem nie als freundschaftlich eingestuft, aber seit er erfahren hatte, was in seiner zweiwöchigen Gefangenschaft mit dem Mann gemacht worden war, und seit er damals den Selbstmord verhindert und Snapes intimste Erinnerungen gesehen hatte, fühlte er sich irgendwie für den Slytherin verantwortlich. Leider war die einzige Person, die etwas wegen eines Ordens unternehmen konnte, auch wenn die Chancen sicher nicht allzu gut standen, Albus Dumbledore. Was wiederum aber bedeutete, dass ihm Sirius erzählen musste, was er von Snapes Gefangenschaft wusste. Leider hatte er aber dem Tränkemeister versprochen, dass er nichts davon jemals verraten würde. Wenn er nun dieses Versprechen und somit Snapes Vertrauen brach, dann würde es den Slytherin über die Kante stossen und diesmal würden sie ihn garantiert verlieren. Aber wenn es so blieb wie jetzt, dann gab es für ihn auch keine Möglichkeit das Vergangene zu akzeptieren und zu verarbeiten. So oder so war es riskant. Snape war eine wandelnde Zeitbombe. Irgendwann würde er erneut zusammenbrechen und sich das Leben nehmen.
Mit einem Seufzen, fasste Sirius seinen Entschluss, sagte das Passwort: "Zitronensorbet", und betrat die Treppe, als der Wasserspeier zur Seite sprang.
Zu seiner Überraschung, fand er die Tür einen Spalt offen und mit nur einem sekundenlangen letzten Zögern trat er ein.
Seit der Zeit vor Voldemorts Fall war Sirius nicht mehr in dem kreisrunden Büro gewesen, hinter dem er für einige Monate in verborgenen Räumen gelebt hatte, doch hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Nichts erinnerte daran, dass sie vor kurzem die grösste Bedrohung der Zaubererwelt beseitigt hatten. Hier in diesem Raum mit all dem verschiedenen tickenden, sich bewegenden und grösstenteils komplett nutzlos aussehenden Krimskrams, den Portraits der meist schlafenden oder sich schlafend stellenden früheren Schulleitern und dem Phönix, der jeden Besucher mit einem sanften Trillern zu empfangen schien, hatte man sich nie wirklich bedroht gefühlt. Hier war Dumbledores Reich und seine beschützende Aura war in jeder Ecke und in jedem letzten vermeintlichen Krempel zu fühlen.
Er trat zu dem Vogel hin und das Tier begann sofort spielerisch an seinem Haar zu zupfen. "Lass das sein, Fawkes", sagte Sirius mit wenig Nachdruck und einem Grinsen.
"Er hat dich wohl vermisst, mein Junge."
Sirius schnellte herum. Wie er es hasste, wenn sich der Direktor so unbemerkt anschlich. "Direktor", grüsste er mit einem Kopfnicken, ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen.
"Aber nicht doch, Sirius. Sei nicht so steif", antwortete Dumbledore mit einem Zwinkern.
Sirius unterdrückte gerade noch ein entnervtes Stöhnen. Manchmal machte er sich wirklich etwas Sorgen um die Zurechnungsfähigkeit des alten Mannes.
Mit einem Kopfschütteln verwarf er diese Gedanken. "Ich muss mit dir sprechen, Albus."
"Das habe ich mir schon gedacht, als ich dich hier sah. Aber komm, setz dich erst mal. Bonbon?"
Sirius verzog das Gesicht und hob ablehnend die Hand, während er sich Dumbledores Schreibtisch gegenübersetzte. Sein Bedarf an Süssigkeiten war in den Monaten, in denen er hier gelebt hatte, mehr als genug gedeckt worden.
Er wartete bis sich der alte Zauberer einfach auf die Kante seines Schreibtisches setzte, den Stuhl dahinter ignorierend, und ihn erwartungsvoll über seine Brille hinweg ansah.
Sirius räusperte sich kurz und biss sich dann in einem letzten Anfall von Unentschlossenheit auf die Unterlippe. Er war vielleicht nicht immer sehr korrekt allen anderen gegenüber gewesen, doch er hatte es immer sehr ernst genommen, ein Geheimnis, das ihm anvertraut worden war, nicht zu verraten. So fiel es ihm nicht leicht, mit der Sprache herauszurücken. "Sie müssen etwas tun, damit Snape den Orden des Merlin erhält", sagte er schlussendlich in einem Zug, bevor er sich selber stoppen konnte.
Die buschigen Augenbrauen des Direktors schnellten erstaunt und etwas amüsiert in die Höhe. "Du meinst wohl Remus sollte den Orden erhalten, nicht?"
Sirius schüttelte andeutungsweise den Kopf. "Nein. Remus ist es nicht wichtig, dass er den Orden nicht bekommen hat, aber natürlich... wenn du da auch was machen könntest..." Er zwang sich, beim Thema zu bleiben. Leicht war es sowieso nicht. "Snape wird sich umbringen." So, nun war es raus. Sirius atmete einmal tief durch, während er die eventuelle Reaktion des Direktors beobachtete. Der alte Zauberer sah etwas erstaunt und vielleicht sogar verwirrt aus.
"Wie kommst du denn darauf, Sirius?"
Ein anderer tiefer Atemzug. "Weil er es schon einmal versucht hat."
Diesmal erbleichte der Direktor sichtlich und er liess sich von seinem Pult gleiten. "Es war direkt nach Voldemorts, Peters und Malfoys Tod. Er ist in ein Labor im Manor verschwunden. Ich bin ihm gefolgt und habe ihn mit aufgeschlitzten Pulsadern gefunden. Der einzige Grund, warum er überhaupt noch gelebt hat, war, weil er die Phiole mit dem Gift mit seinen Händen nicht öffnen konnte."
Als er dies sagte, erbleichte der Direktor nur noch mehr. Er drehte sich um, ging wortlos zu dem Fenster und sah hinaus, Sirius den Rücken zudrehend, doch der Animagus glaubte zu erkennen, wie die Hände des alten Mannes leicht zu zittern angefangen hatten. "Das kann doch nicht... Du musst dich irren." Seine Haltung versteifte sich auf einmal und er drehte sich zu Sirius zurück, jede Spur eines Zwinkerns aus seinen Augen verschwunden. "Das kann nicht sein. Severus ist nicht der Typ, der sich umbringt. Du hast keine Ahnung von seiner Vergangenheit. Er wurde fast sein ganzes Leben auf die eine oder andere Art misshandelt, wenn er auch im Gegensatz zu der letzten Geschichte keine körperlichen Wunden davongetragen hat. Die seelischen wiegen immer schlimmer im Leben eines Menschen. Es hat ihn damals auch nicht so weit getrieben. Severus ist ein Slyther..."
Albus verstummte. Seine Augen weiteten sich und er erbleichte, als wäre er selber über seine Worte erschrocken.
Sirius hatte keine Ahnung wieso, aber das plötzliche Zweifeln und die Bestürzung in den Augen des alten Zauberers trafen Sirius wie ein Blitz. Dies hier war nicht der allwissende, weise Albus, den er immer in dem Direktor gesehen hatte, sondern ein Mann mit all seinen Fehlern und zum ersten Mal erkannte Sirius wirklich, wie festgefahren in seinem Glauben sogar Albus Dumbledore war. Damals hatte er die Zuneigung, die der alte Mann seinem Haus und den Schalk, den sie oft verbreiteten, immer für sich auszunutzen gewusst. Er hatte sich darüber amüsiert, dass man hinter den Slytherins erst einmal das Böse erwartete, bis sie das Gegenteil bewiesen, doch nun machte diese vorgefasste Meinung ihn nur krank. Kein Wunder, dass Snape den Spiess umgedreht hatte und seine Slytherins bevorzugte.
Das Haus der Schlange musste zusammenhalten, weil sie sich nur geschlossen gegen die Vorurteile und das Misstrauen wehren konnten. Jemand Kluges hatte einmal gesagt, dass man Vertrauen nur bekam, wenn man es zuerst schenkte. Nur hätte Sirius Black nie gedacht, dass auch Dumbledore davon nicht gefeilt war. Insgeheim hatte auch er noch Vorurteile.
"Verdammt noch mal Albus. Du hast mir mal gesagt, dass ich Snape nicht mit Gryffindor-Maßstäben messen soll, aber vielleicht solltest du aufhören, ihn ewig mit Slytherin Maßstäben zu messen. Snape ist ein menschliches Wesen und obwohl er ein abscheulicher Mistkerl sein kann, hat er Gefühle und kann verletzt werden, auch wenn er es immer hinter seinem arroganten Getue verbirgt!"
Totenstille senkte sich über das Zimmer und bloss das Zirpen und Klicken einiger Geräte im Büro war zu hören. Selbst die Portraits waren totenstill und schienen fast den Atem anzuhalten, während Dumbledore mit hängenden Schultern zu seinem Stuhl schlurfte und sich hineinfallen liess. Er vergrub sein Gesicht in den Händen und ein Schaudern durchlief seinen Körper.
"Vor noch nicht einmal einer halben Stunde habe ich jemandem gesagt, dass ein wirklich starker Mann seine Fehler erkennt und daraus lernt und nun muss ich feststellen, dass ich nicht besser bin." Er blickte verzweifelt zu Sirius. "Du hast vollkommen Recht. Severus ist ein Slytherin, aber das ist ein vernichtend kleiner Teil von ihm. Ich war blind. Severus hat versucht sich umzubringen... Er hat sich beinahe..." Seine Stimme war voll Zweifel, Trauer und Enttäuschung.
"Ich habe ihn noch rechtzeitig gefunden", beruhigte Sirius. "Und bisher hat er keinen weiteren Versuch gestartet, aber nun wird er es garantiert tun."
Dumbledore sah ihn an und Sirius glaubte Tränen in den Augen des alten Mannes zu erkennen. "Aber warum?"
Sirius lächelte grimmig. "Weil ich Recht gehabt habe." Er war erstaunt, wie freudlos und enttäuscht seine eigene Stimme bei der Einsicht klang. "Snape konnte mit dem, was während seiner Gefangenschaft passiert ist, nicht umgehen. Ich habe ihn damals im Labor dazu überredet, mir seine Erinnerungen zu zeigen und er hat eingewilligt mir einen Teil zu zeigen. Leider hat sich das Ganze verselbstständigt und ich habe jedes einzelne hässliche Detail gesehen. Du hast damals in der Hütte gesagt, dass sie versucht hatten, Snape zu brechen aber was du nicht weißt ist, dass sie es geschafft haben. Sie haben ihn soweit gebracht, dass er an einem Hundehalsband weinend vor Voldemort gekauert und ihn angefleht hatte. Sie wollten, dass er überlebt, Albus. Dass die Magie zurückkam war nicht wichtig, weil sie genau wussten, dass ein so stolzer Mann wie Severus nie darüber hinwegkommen würde, dass er gebrochen worden war. Dieser letzte Fluch war dazu da, ihm zu zeigen, dass sie ihn komplett in der Hand hatten. Albus. Snape hat nicht angreifen können, als er Malfoy und Voldemort gegenüberstand. Er konnte es nicht. Sie hatten ihn vollkommen unter Kontrolle. Voldemort wollte sein Talent zurück. Er plante ihn zu benutzen, sobald er den Krieg gewonnen hatte. Snape hätte sich seinem Willen nicht widersetzen können."
Die Tränen hatten sich nun endgültig aus Albus' Augen gelöst und eine einzelne lief seine Wangen hinunter in seinen Bart.
"Er hatte sich geschworen gegen sie zu siegen und stattdessen haben die ihn fast komplett vernichtet. Snape muss in diesem Kampf einen persönlichen Sieg davontragen, oder er wird nicht darüber hinwegkommen. Ihm muss bewiesen werden, dass es sich für ihn lohnt, weiterzuleben. Dass er etwas erreicht hat und dass Malfoy und Voldemort ihm nicht alles genommen haben."
Albus senkte traurig den Kopf. "Ich war solch ein Narr. Schon wieder habe ich nicht erkannt, dass der Junge Hilfe braucht. Warum passiert mir das immer mit ihm?"
"Weil er ein sturer Bastard ist, der nie seine Gefühle zeigt?" fragte Sirius hilfreich.
Doch wenn er gehofft hatte, dem Direktor ein Lächeln zu entlocken, dann wurde er enttäuscht. Albus seufzte nur tief, nahm seine Brille ab und rieb sich mit Daumen und Zeigfinger den Nasenrücken zwischen den Augen. "Vielleicht hätte ich ihm auch mehr zeigen müssen, was er mir bedeutet, damit er sich mit seinem Problem an mich wendet, anstatt zu versuchen sich umzubringen."
"Vielleicht", wandte Sirius kleinlaut ein. Es war sehr unangenehm zu sehen, dass scheinbar sogar Dumbledore nicht mehr als ein einfacher Mensch mit all seinen Schwächen war. "Aber das ist vorbei. Wir hätten alle immer anders handeln können im Nachhinein. Darüber habe ich über zwölf Jahre wahrlich genug nachgedacht. Aber was machen wir nun? Kannst du mit dem Ministerium noch einmal reden, wegen des Ordens?"
Albus schüttelte bedauernd den Kopf. "Denkst du nicht, dass ich das nicht schon versucht habe? Dass Remus und Severus bei der Ehrung übergangen wurden, habe ich im Vorhinein nicht gewusst und habe danach auch gleich Cornelius zur Rede gestellt. Er hat mir nur gesagt, dass ich froh sein sollte, dass die Beiden zumindest erwähnt worden wären und dass die Öffentlichkeit es nicht verstehen würde, wenn ein Werwolf und ein ehemaliger Todesser den Orden des Merlins erhalten würden. Leider sind wohl auch einige andere hohe Tiere im Ministerium dieser Ansicht und mein Einfluss wird wohl kaum reichen, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Auf jeden Fall, solange Fudge im Amt ist."
"Dieser dämliche Hurensohn", rief Sirius aus. "Der ist doch nur um seine Wiederwahl besorgt und wütend darüber, dass man ihn und seine Justiz für unseren Plan missbraucht hatte."
"Trotzdem. Irgendetwas muss ich tun. Ich lass Severus nicht noch einmal alleine."
Sirius beobachtete, wie sich Dumbledore umdrehte und tief in Gedanken zum Fenster hinausstarrte.
"Wir könnten Fudge unter Imperio setzen?" schlug Sirius nach einer Weile vor.
Albus setzte sich etwas gerader hin und sah ihn streng an. "Ich werde mich nicht auf Voldemorts Niveau begeben und dunkle Magie anwenden, Sirius."
Sirius zuckte mit den Schultern. "Dann bringst sich Snape halt wieder um."
Dumbledore erhob sich und ging zu seinem Kamin. Für eine Weile stand er mit dem Rücken gegen Sirius einfach bewegungslos vor dem Feuer.
Sirius wartete ohne ihn anzusprechen. Wenn er ehrlich war, dann hatte er überhaupt keine Ahnung, was er sagen könnte. Er war mit seiner Weisheit am Ende und konnte nur hoffen, dass der alte, weise Zauberer wundersamerweise mit einer ganz einfachen und wirksamen Lösung für das ganze Schlamassel hervorkommen würde.
Schlussendlich straffte Dumbledore seine Schultern und drehte sich wieder um. Für einen Moment hielt er Sirius' Blick und startete dann in Richtung Tür. "Das lass ich nicht zu. Komm mit mir, Sirius."
"Wohin", fragte Sirius mit einem flauen Gefühl im Bauch. Der Direktor wollte doch nicht..."
"Wir gehen zu Severus. Ich muss mit ihm reden."
Er wollte doch... Aber Sirius konnte das nicht zulassen, oder es würde nur noch mehr kaputt machen.
"Warte Albus...bitte!"
Sein fast schon panischer Ausruf liess den Direktor inne halten und ihn überrascht ansehen.
"Es gibt da ein Problem", begann Sirius. "Ich habe ihm mein Wort gegeben, dass ich niemandem davon erzählen werde. Er würde..."
"...es als Vertauensbruch ansehen", beendete Dumbledore den Satz murmelnd. "Ich verstehe."
"Das bedeutet, dass du ihm nicht verraten kannst, dass ich dir alles erzählt habe. Das wäre zuviel für ihn, nach all dem was passiert ist."
"Ich fürchte, dass wir keine grosse Wahl haben, Junge. Wenn das alles stimmt, was du mir erzählt hast. Aber keine Angst, ich werde ihn nicht gleich mit allem konfrontieren. Ich will erst mal einfach mit ihm reden und mit etwas Glück schaffe ich es, dass er von sich aus zu erzählen beginnt."
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