Von Mördern und Verrätern

 

 

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Kapitel 58: Weihnachten



Poppy drehte sich zu den beiden Zauberern hinter ihr zurück und nickte ihnen zu. Dumbledore und Lupins Gesichter waren dermaßen ernst, dass es Severus das Gefühl gab, als ob sie soeben dazu aufgefordert worden wären, bei seiner Exekution zu assistieren.

Vielleicht waren sie das ja auch.

Lupin stellte sich neben Pomfrey und zog seinen Zauberstab, während Molly zum Bett ging und ein kleines silbernes Tablett holte, welches die Medi-Hexe bereitgestellt hatte.

Albus hingegen ging um den Rollstuhl herum, bis er direkt dahinter stand. Er legte seine beiden Hände auf Severus' Schultern und drückte kurz ermutigend zu, während er den Oberkörper des jüngeren Zauberers mit sanfter Kraft nach hinten zog. Severus war es bis dahin gar nicht aufgefallen, wie verkrampft er dasaß, seit die drei in das Zimmer gekommen waren.

"Entspanne dich, Severus", flüsterte Albus hinter ihm und begann sachte seine Schultern zu massieren. "Am besten lehnst du dich gegen mich und versuchst locker zu bleiben. Es wird wahrscheinlich nicht sehr angenehm werden."

Severus zögerte noch eine Sekunde, gab dann jedoch nach und ließ sich gegen den warmen Körper des Direktors fallen, wobei er nur in letzter Sekunde ein erleichtertes Seufzen unterdrückte. Als eine der Hände seine Schulter verließ, sich auf seine Stirne legte und auch seinen Kopf nach hinten gegen Albus' Brustkasten drückte, schloss er die Augen und ließ es geschehen. Der Körper hinter ihm und die beruhigenden Hände auf seiner Schulter und seiner Stirn strahlten eine behagliche Wärme aus, die sich durch seinen ganzen Körper auszubreiten schien. Und zum ersten Mal seit langer Zeit, schien diese Wärme auch wenigstens andeutungsweise seine Seele zu erreichen.

In diesem Moment konnte er sich fast einreden, dass dieses wohlige Gefühl echt war. Dass es nicht nur sein Wert im Kampf gegen Voldemort war, der Albus etwas bedeutete.

Er hörte wie Lupin anfing etwas so leise zu murmeln, dass er die Worte nicht verstehen konnte. Dann begannen die ersten Anzeichen starker Magie, wie elektrisches Knistern den Raum zu füllen.

Ein Zauberstab, wahrscheinlich Poppys, berührte kaum merklich seine Finger und dann begann die Hand sanft zu kribbeln. Er merkte, wie sich Muskeln darin versteiften und überdehnten. Alles in allem war es nicht einmal so schlimm und Severus ließ seine Augen geschlossen und versuchte die Nervosität, die immer mehr in ihm hochgekrochen war, beiseite zu schieben und sich auf Albus' Nähe und beruhigenden Halt zu konzentrieren.

Nun, dies funktionierte auch für einige wenige Minuten, bis Pomfrey unterdrückt fluchte und Lupins Gemurmel einen drängenden Ton annahm und zu einem Schwall lateinischer Worte anwuchs. Das Knistern in der Luft verstärkte sich so sehr, dass es eine Gänsehaut in Severus hervortrieb und das Kribbeln in seiner Hand zu einem schmerzenden Brennen wurde.

Severus unterdrückte ein Stöhnen und seine Hand wollte sich instinktiv verkrampfen und sich dem Schmerz entziehen. Jedoch schien Pomfrey dies erwartet zu haben, denn augenblicklich krallte sich ihre eigene Hand wie ein schmerzender Schraubstock um seine Finger und hielt sie fest unten auf dem Tisch.

Ob der unerwarteten Gegenwehr öffnete Severus die Augen und richtete seinen Blick instinktiv auf die schmerzende Hand. Doch bereute er dies sofort, denn der Anblick, der sich ihm bot, ließ sich seinen Magen krampfhaft zusammenziehen. Er bemerkte kaum Lupin und Pomfrey, die beide um den kleinen Tisch standen, ihre Zauberstäbe auf seine Hand gerichtet. Sein Blick hing ganz alleine auf dem Ding auf dem Tisch. Auf der zerstörten Hand, in deren Mitte noch immer das große Loch klaffte, durch das er die Mittelfingerknochen wie dünne Zweige sah, angeordnet in einem makaberen Raster, welches die Finger noch mit der restlichen Hand verband und über dem sich eine erste Schicht gelblicher Sehnen gebildet hatte. Jedoch waren diese, wie auch das umliegende Muskelgewebe, mit einem krankhaft aussehenden, rotzgrünen Schimmer überzogen, welcher versuchte die Heilungserfolge von Poppys Magie wieder zu zerstören und die sich bildenden Sehnen immer wieder wie Säure zerfraß.

Gleichzeitig verstärkte sich das Brennen und es erschien ihm, als hätte die ganze Hand Feuer gefangen. Severus biss krampfhaft die Zähne zusammen und versuchte den Schmerz zu unterdrücken, doch als er die Ausmaße dessen erreicht hatte, was er fühlte, als ihm Malfoy das Loch gebrannt hatte, konnte sich Severus nicht mehr zurück halten und schrie aus voller Kehle.

***



Sirius sprang instinktiv von seinem Sessel hoch, als der schon fast unmenschliche Schrei durch das Haus hallte, bevor er sich erinnerte, dass er ja nicht mehr für Snapes Pflege verantwortlich war und ihm bei seinen Alpträumen helfen musste. Nein, eigentlich sollten just in diesem Moment Albus, Pomfrey, Molly und Remus dabei sein seine Hände in Ordnung zu bringen. Nun, dieser Schrei hörte sich alles andere als ‚in Ordnung' an. Was zur Hölle machten die mit Snape?

Er sah kurz auf den gemütlichen Sessel vor dem Kamin hinunter und dann zur Tür. Es ging ihn nichts mehr an. Konnten sie Snape doch abschlachten....

Mit einem unterdrückten Fluch warf er das Buch, in dem er gerade gelesen hatte, achtlos auf den Sessel und ging aus dem Zimmer in Richtung von Snapes Raum.

Scheinbar war er nicht der einzige, der von Snapes Schrei aufgeschreckt worden war, denn als er in den ersten Stock kam, sah er, dass Harry und Ron ebenfalls mit verdatterten Gesichtern aus ihrem Zimmer gekommen waren, ganz klar in der Absicht, ebenfalls in Richtung des Schreis zu gehen.

"Bleibt lieber in eurem Zimmer", ermahnte Sirius noch während er zu ihnen aufschloss. Die beiden Teenager wirbelten herum.

"War das Snape?" fragte Ron.

Sirius nickte.

"Was ist mit ihm?" fragte Harry.

"Sie versuchen seine Hände zu heilen."

"Scheint nicht besonders gut zu klappen, so wie es sich anhört", sagte Ron kleinlaut.

"Scheint fast so", antwortete Sirius, während die drei nun gemeinsam zu Snapes Zimmer gingen.

Vor der Tür erschienen gerade Ginny, Hermine und die Weasleyzwillinge, ihre Gesichter teils sorgen-, teils erwartungsvoll.

"Sie heilen seine Hände?" fragte ihn George mit einem Grinsen, als er Sirius sah. Hermine blickte den Rotschopf böse an.

"Bleibt außerhalb des Zimmers", befahl Sirius so streng wie er konnte und das Grinsen verschwand von Georges Gesicht.

"Warum?"

"Ja", ergänzte Fred. "Wir wollen sehen wie zur Abwechslung einmal Snape der Traktierte ist. Normalerweise sieht man ihn immer nur von der anderen Seite."

"Das ist wohl kaum mit dem hier zu vergleichen", fuhr ihn Hermine zischend an.

Die Zwillinge wollten gerade etwas erwidern, doch zu Sirius' Überraschung fiel ihnen Ron ins Wort. "Sie hat recht, Jungs. Snape mag zwar ein Ekel sein, aber diesmal hat's ihn echt übel erwischt. Wir sollten auf Sirius hören."

Sirius blickte erstaunt auf den jüngeren Weasley, der ebenfalls von Harry angestarrt wurde, als sei ihm soeben ein zweiter Kopf gewachsen. Es war tatsächlich schwer zu begreifen, dass Ron Weasley Mitgefühl mit Snape zeigen würde. Vielleicht hatten ihn die letzten Wochen und die Dinge, die er gehört und gesehen hatte, doch etwas sensibilisiert, dachte Sirius, bis er wieder in Richtung der anderen vier blickte und feststellte, dass Hermine Ron mit einem zufriedenen Lächeln betrachtete. Oder aber, Ron hatte nur sie beeindrucken wollen, ergänzte er in Gedanken.

Egal, Hauptsache sie hörten auf ihn. Er ging zur Tür, doch bevor er sie öffnete, drehte er sich noch einmal zu den Teenagern um. "Ihr könnt von mir aus horchen, aber sorgt dafür, dass ihr nicht von Snape gesehen werdet." Er zögerte. "Und auch nicht von Molly oder Poppy. Sonst seid ihr echt im Schlamassel. Die drehen euch den Hals um."

Dann öffnete er die Tür und betrat das Zimmer.

Sofort stieg ihm ein bitterer Geschmack in den Mund und seine Nackenhaare sträubten sich, als ob hier etwas sehr dunkles, gefährliches auf ihn lauern würde.

In der Mitte des Zimmers saß Snape in seinem Rollstuhl. Er hatte die Kiefer so fest zusammengepresst, dass Sirius fürchtete, er würde sich bald selbst die Zähne zermalmen, wenn er noch lange so weiter machte. Die Augen der Zaubertränkemeisters waren ebenfalls fest zusammengepresst und seine Nasenflügel blähten sich unter seinem stoßweisen, heftigen atmen. Dumbledore stand seitwärts hinter ihm, die eine Hand krampfhaft auf Snapes linken Oberarm und die andere um sein Handgelenk. Selbst von seiner Position aus konnte Sirius sehen, dass der alte Magier alle Kraft zu brauchen schien, um den stark zitternden Arm ruhig zu halten, während Remus und Poppy, ihre Zauberstäbe mit schwach, weiß und blau leuchtenden Spitzen auf die Hand auf dem Tischchen gerichtet, mit schweißnassen Gesichtern vor dem Rollstuhl standen. Poppy erschien zutiefst konzentriert, während Remus ununterbrochen vor sich hinmurmelte.

Molly stand etwas hilflos daneben, eine Spritze in den erhobenen Händen. Ihr Blick schweifte zwischen Snape und der Heilerin hin und her, so als würde sie gespannt auf einen Befehl der Medi-Hexe warten.

"Wir haben es bald, Albus. Halte ihn noch eine Minute stabil", stieß Poppy zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

"Madame", sprach Molly mit einem Stirnrunzeln und ihre Stimme hatte eine fast schon flehende Note angenommen. "Er hält das nicht mehr lange durch. Sein Puls rast förmlich. Die Schmerzen..."

"Noch nicht!" erwiderte die Medi-Hexe scharf ohne ihre Aufmerksamkeit von der Hand, die sie weiter behandelte, abzuwenden. "Komm schon, verdammt...", fluchte sie unterdrückt, während Remus seine Litanei von Worten nicht unterbrach.

"Poppy", flehte Molly wieder, doch bevor sie noch mehr sagen konnte, schwoll plötzlich Remus' Stimme in Lautstärke an und das erdrückende Gefühl im Raum verstärkte sich, bevor sich der Zauberstab des Werwolfs, zusammen mit dem von Poppy, ganz auf die Hand senkte und ein dunkelgrüner Rauch mit einem zischenden Geräusch von der Hand emporstieg und in eine dunkle Ecke wehte, wo er von dem Gemäuer sofort aufgenommen wurde. Schwarze Magie war hier in diesen Mauern so lange Zuhause gewesen, dass sie es so gierig aufsogen wie ein Schwamm das Wasser.

Snape ließ einen leisen, keuchenden Schrei hören und sackte im Stuhl in sich zusammen. Nur Albus' Halt, als der alte Zauberer ihn hastig um die Brust packte, hielt ihn davon ab, vom Stuhl zu rutschen.

Remus' Gemurmel hatte aufgehört und er trat erschöpft einen Schritt zurück, während Albus Severus gegen seinen Körper zog, ihm eine Strähne Haar aus dem Gesicht wischte und ihm beruhigend über die Stirn strich. Sirius trat zu Remus hin, und legte ihm eine Hand auf die Schulter, was der Werwolf mit einem leichten Lächeln quittierte. Poppy, obwohl scheinbar auch sehr erschöpft, kniete sich sofort vor den halb bewusstlosen Zauberer und hielt ihm zwei Finger gegen die Halsschlagader, während sie ihren Zauberstab über seinen Körper wandern ließ.

"Es ist alles gut, Severus. Du hast es überstanden", beruhigte sie. Doch der jüngere Zauberer antwortete nicht und hatte noch immer die Augen vor Schmerzen zusammengepresst.

"Poppy?" Molly hatte die Spritze bedeutungsvoll an den Zugang der Infusion platziert und als die Heilerin ihr zunickte, entleerte sie den Inhalt in den Schlauch. Nach etwa einer Minute tat das Medikament seine Wirkung und Snapes Gesichtsausdruck entspannte sich, als er einschlief.

"Er braucht jetzt vor allem Ruhe um wieder zu Kräften zu kommen", sagte Pomfrey mit einem müden Lächeln.

"Wie ist seine Hand?" fragte Dumbledore, der noch immer seinen Griff um den Zaubertränkemeister hatte.

Poppy erhob sich und erst jetzt schien sie Sirius zu bemerken. Sie runzelte die Stirne unwillig, doch Sirius zuckte nur mit den Schultern. "Er war so laut, dass man ihn sicher bis nach Hogsmeade gehört hat", sagte er als Entschuldigung.

Poppy schien es nicht wert zu sein, über seine Anwesenheit hier Energie zu verschwenden und winkte stattdessen nur in Richtung des Bettes. "Schlagen Sie bitte die Decken zurück, Mister Black."

Mit einem weiteren Schulterzucken tat er wie geheißen und versuchte im Vorbeigehen um Poppys Körper herum einen Blick auf Snapes Hand zu erhaschen, welche gerade vom Direktor mit einem ernsten Gesicht betrachtet wurde.

"Seine Hand ist nicht geheilt", stellte der alte Zauberer fest und Sirius kam ebenfalls näher. Das klaffende Loch war zwar nicht mehr da, dafür aber war Snapes gesamter Handballen ein einziges Narbengewebe, unter welchem der Verlauf der Knochen sichtbar war.

Pomfrey seufzte tief, doch bevor sie antwortete, stöpselte sie die Muggelinfusion oberhalb der Nadel in Snapes Arm ab, hob den bewusstlosen Magier mit Hilfe ihres Zauberstabes vom Stuhl und ließ ihn auf das Bett schweben, wo Remus schon wartete, um ihn zuzudecken.

"Mehr konnten wir leider nicht tun", antwortete sie traurig.

"Die dunkle Magie hat sich tief ins Gewebe gefressen und in Anbetracht der schieren Menge von Voldemorts Fluch war es ein Glück, dass wir die größte Konzentration um seine Hand herum aus ihm herausbringen konnten", sagte Remus. "Zumindest hatte er keinen Rückfall aufgrund der magischen Überladung. Wir können nach wie vor mit Magie weitermachen."

"Dann hätte ich ihm ja auch einen Zaubertrank geben können, statt dieses Muggelzeugs", fiel Molly ein. Poppy nickte. "Ja, aber die Spritze war schon bereit. Severus brauchte die Flüssigkeit so nicht zu schlucken, außerdem genügt diese Muggeldroge unseren Ansprüchen vollkommen."

"Wird die zweite Hand auch so schlimm werden?" fragte Molly.

Poppy nickte. "Das ist anzunehmen, aber wir warten damit ein paar Tage, damit Severus Zeit hat, sich zu erholen." Sie blickte mit einem schwachen Lächeln zu Remus. "Und wir auch."

Sie drehte sich zu Albus um, der seinen Blick noch immer auf Severus' vernarbter Hand hielt. "Ich denke, dass er sie wieder brauchen können wird. Mit viel Zeit und Therapie." Sie begegnete mit Bedauern Dumbledores Blick. "Aber die Narben werden bleiben, fürchte ich."




 

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