Kapitel 51: Harrys Geständnis
‚Drei Käferbeine, und dann sieben mal gegen den Uhrzeigersinn rühren’, dachte Snape, als er angestrengt gegen die, im Morgenlicht immer heller werdende, Zimmerdecke sah. ‚Dabei ist es wichtig, dass es die linken Beine des Hirschkäfers sind, sonst hat der Trank eine entgegengesetzte Wirkung.’
Severus war schon vor Stunden erwacht. Das hieß, er war aus einem wirren und für seinen Geschmack etwas zu realistischen Alptraum hochgefahren, der aus einer kalten Zelle in Azkaban bestanden hatte, wo er an den, hinter dem Rücken gefesselten Armen, aufgehängt gewesen war, ein Meer aus glühenden Kohlen nur Zentimeter unter seinen frei baumelnden Füssen.
Black war einige Zeit nach seinem Erwachen abermals mit einem Teller gekommen.
Das war mitten in der Nacht gewesen und Severus fragte sich noch immer, wie ihn Black hatte erwachen hören können, da der verfluchte Gryffindor eigentlich so spät hätte schlafen sollen. Aber dieses Mal hatte sich Snape ohne Widerstand füttern lassen. Es hatte ja doch keinen Sinn, dass er sich wehrte. Der Animagus war recht mürrisch, zerzaust und in einen Pyjama gekleidet gewesen, doch hatte ihm brummig und ohne viele Worte eine Suppe eingelöffelt, ihm mit einem Glas Wasser geholfen und ihn in eine anderen Position gelagert, bevor er wieder verschwunden war, irgendetwas von ‚verpasstem Schlaf’ und ‚sicher Absicht’ in seinen Bart murmelnd.
Severus war froh gewesen, dass Black wieder ging. Er fühlte sich immer miserabler, da er sich so unterordnen musste. Seine Schultern und die Wunden schmerzten und im Dunkel und der Stille des Zimmers schienen die Erinnerungen an die Folter nur noch präsenter als am Tage. Er war nun schon recht lange wach. Länger jedenfalls, als jemals zuvor und er hatte herausgefunden, dass es schrecklich war, wenn er nicht im dunklen Vergessens des Schlafes untertauchen konnte. So schlimm, dass er sich nach einiger Zeit schon fast Black zurückgewünscht hatte, nur um sich von den Erinnerungen abzulenken.
Irgendwann hatte er angefangen, Tränke in Gedanken zu brauen, in einem verzweifelten Versuch, die immer wiederkehrenden Erinnerungen und Gefühle zu verdrängen und wie auch so oft zuvor, verrieten ihn seine Zaubertränke auch diesmal nicht. Zumindest solange, wie seine Konzentration nicht von Schmerzattacken gestört wurden. Jede kleinste Bewegung verursachte ihm Qualen und er versuchte so still wie möglich dazuliegen. Dennoch durchfuhr ihn von Zeit zu Zeit ein Krampf, der seine Muskeln unter Feuer zu setzen schien und ihn sehr an besonders heftige Nachwirkungen des Cruciatus erinnerten.
Erst am späten Morgen, als es schon taghell war, schlief Severus wieder ein, inzwischen bei einem sehr komplizierten Unsichtbarkeitstrank angekommen.
***
Minerva McGonagall hatte erhebliche Mühe, sich auf die Schülerarbeit zu konzentrieren, die sie eigentlich hätte korrigieren sollen. In knapp zehn Minuten würden die Sechstklässler kommen und sie wären sicher froh, wenn sie ihre Arbeit endlich korrigiert zurück bekämen. Minerva brauchte auch sonst dafür nie länger als zwei, drei Tage, aber die Ereignisse der letzten Tage und die Hilfe, die Dumbledore von ihr beansprucht hatte, wann immer er im Ministerium, bei Snape oder am Bücher durchstöbern war, hatten sie weit zurückgeworfen.
Es fehlte ihr nur noch eine Schülerarbeit, aber sie hatte immer mehr das Gefühl, dass sie es nicht bis zum Stundenbeginn schaffen würde. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu Remus Lupin zurück, der vor einer knappen halben Stunde bei ihr gewesen war und ihr erzählt hatte, was er in der Hütte angetroffen hatte.
Remus war etwas beunruhigt gewesen. Er hatte zwar nicht genau erzählt was vorgefallen war, aber er hatte ihr berichtet, dass es ein Wunder war, wenn Sirius Snape wirklich bei der Heilung helfen könnte. Minerva hatte schon so etwas befürchtet. Sie verstand zwar, dass Albus nicht wirklich viele Möglichkeiten gehabt hatte, aber Sirius Black mit Severus Snape alleine an den selben Ort zu stecken war ein provoziertes Desaster.
Seit sie Severus gefunden hatten, war Minerva laufend unterrichtet worden, was sich in Remus’ Hütte zutrug und da Albus noch immer im Ministerium verblieb und letzte Nacht nicht einmal heimgekommen war, unterlag es ihr, alles im Auge zu behalten. Sie hatte Albus versprochen heute Abend nach Severus zu sehen, wenn er selber bis dahin nicht zurück war.
Minerva war sehr unruhig darüber. Sie wollte nach ihrem Kollegen sehen, sichergehen, dass er wirklich lebte, aber sie fürchtete sich auch davor, das aufzufinden, wovon man ihr erzählt hatte.
Sie kannte den jungen Slytherin nun schon seit er ein Kind war. Dass sie ihn damals als Schüler gemocht hätte, wäre eine weit übertriebene Behauptung gewesen. Kaum einer hatte den Jungen gemocht. Daran hatte sich nicht viel geändert, als er erwachsen wurde. Severus Snape hatte ein seltenes Talent dafür unausstehlich zu sein. Dennoch hatte sich über die Jahre ein tiefer Respekt für den Mann in Minerva aufgebaut. Er hatte Fehler gemacht, doch er tat viel um diese Fehler wieder gutzumachen und hatte dabei einen Mut bewiesen, den die meisten ihrer Gryffindors nie aufbringen würden. Außerdem, und obwohl man es ihm nicht ansah, konnte man sich im Ernstfall auf Severus Snape verlassen wie auf keinen anderen.
Er hatte damit nicht nur ihren Respekt, sondern auch den der meisten anderen Mitglieder des Ordens. Vor allem Albus bedeutete er viel. Nachdem Severus vor zwei Abenden fast gestorben war, war der Direktor sehr aufgelöst gewesen. Zumindest hatte Poppy entschieden, dass das Risiko des Zaubertrankes zu hoch sei für die bloße Vermutung eines Schadens, und sie es bei der schon gegebenen Ration belassen würden, hoffend, dass es genug war, oder dass er es gar nicht brauchte.
Minerva seufzte und legte den Federkiel zur Seite. Es hatte keinen Sinn, sie konnte sich nicht genug konzentrieren und wenn Seamus Finnigan seine Arbeit halt erst nächste Stunde bekam, dann mussten wohl alle warten.
„Professor McGonagall?“
Minerva sah erstaunt auf. Sie hatte gar nicht gehört, wie sich die Tür geöffnet hatte, doch nun standen Harry Potter, Ron Weasley und Hermine Granger im Türrahmen und sahen sie fragend an.
„Ihr seit zu früh“, bemerkte Minerva streng.
„Ich weiß“, begann Harry etwas nervös. „Wir suchen den Direktor, aber finden ihn nirgends.“
„Stehen Sie nicht so in der Tür. Kommen Sie rein, wenn Sie mich etwas fragen wollen“, sagte Minerva ermahnend. „Professor Dumbledore ist noch immer im Ministerium. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
Potter und seine Freunde kamen in das Klassenzimmer und blieben vor ihrem Pult stehen.
„Wir wollten nur fragen, wie es um Professor Snape steht. Professor Dumbledore sagte uns, dass es ihm gestern nicht so gut ging“, sagte Miss Granger.
Minerva musterte die schuldbewussten Gesichter der drei Schüler. „Er ist stabil, aber es wird schon noch ein Weilchen dauern, bis er wieder auf den Beinen ist. Aber es geht ihm mit jedem Tag etwas besser.“
Ron und Harry wechselten einen besorgten Blick und diesmal war es der Weasleyjunge, der sprach. „Wie hat er reagiert, als er erfahren hat, wer ihn verraten hat.“
Die drei sahen sogar noch schuldiger aus, als zuvor.
„Wir haben es bis jetzt noch nicht erwähnt. Professor Snapes Zustand war bisher noch nicht so gut und solange er selber nicht danach gefragt hatte, schien es uns unnötig, ihn noch mehr aufzuregen.“
Miss Granger verzog den Mund und die beiden Jungen sahen betreten zu Boden. Severus wurde zwar selten wirklich laut - meistens reichte seine scharfe Zunge und sein überheblicher Sarkasmus um seine Mitmenschen zu beeindrucken - aber wenn er einmal die Kontrolle verlor, dann war ein tobender Severus Snape kein schöner Anblick und wurde von jedem gefürchtet, der jemals so etwas miterlebt hatte. Die drei hatten einmal ein solches Vergnügen gehabt, wie ihr Remus Lupin erzählt hatte. Also war es kein Wunder, dass die Aussicht auf einen weiteren Wutausbruch Snapes – wenn er von dem Brief erfuhr - für die drei kein erfreulicher Gedanke war. Umso überraschter war Minerva, als sich Harry räusperte und sagte: „Wir würden ihn gerne besuchen gehen und es ihm selber sagen, wenn er sich soweit erholt hatte.“
Minervas Überraschung wandelte sich in Stolz auf ihre Gryffindor, die auch dann genug Mut bewiesen, wenn es darum ging, ihre eigenen Fehler einzusehen und die Konsequenzen zu tragen. „Ich werde heute nach dem Abendessen zu ihm gehen. Ihr könnt mitkommen, wenn ihr wollt. Ob ihr ihn aber dann wirklich sehen könnt, das werde ich entscheiden, wenn ich Professor Snape gesehen und beurteilt habe ob er es schon ertragen kann.“
Die drei nickten, erleichtert und gleichzeitig sehr unbehaglich aussehend.
***
Als Minerva dann, einige Stunden später, in Severus’ Zimmer trat und zum ersten Mal einen Blick auf den Mann warf, formte sich sofort der Gedanke in ihrem Kopf, dass sie die drei Gryffindors um nichts in der Welt zu ihm lassen würde.
Der Mann, der da bewegungslos im Bett lag und an die Decke starrte, war kaum noch als der Zaubertränkemeister zu erkennen. Seine Gesichtszüge schnitten sich stark von hervortretenden Knochen ab, und ließen seine Nase noch größer als gewöhnlich aussehen. Die Augen lagen tief in den Höhlen und ein dunkler Bart hatte angefangen, sein Kinn zu bedecken. Da der Fluch Voldemorts all seine Magie geraubt hatte, hatte auch der Zauber, den die meisten männlichen Zauberer gebrauchten um rasiert zu bleiben, seine Wirkung verloren. Minerva hatte Severus allerdings nie unrasiert erlebt. Es erschien einfach vollkommen... falsch. Damit, zusammen mit dem kurzen Haar, schien alles was je typisch für den Slytherin gewesen war, verschwunden zu sein.
Etwas zog sich in Minerva zusammen. Severus Snape war nicht jemand, mit dem man Mitleid hatte, doch dieser Anblick ließ die Verwandlungslehrerin nicht unberührt.
„Hallo Severus“, begrüßte sie ihn leise.
Der Mann in dem Bett bewegte den Kopf und sah sie aus ausdruckslosen Augen an, bevor er den Mund verzog und wieder grußlos den Kopf drehte, um erneut gegen die Decke zu starren.
Minerva atmete tief durch. Sie hätte nichts anderes erwarten sollen, als dass der junge Lehrer schmollte. Severus war nicht jemand, der gut mit Krankheit umging. Von anderen abhängig zu sein, war nicht einfach für den Slytherin und nun war er komplett abhängig; selbst für die elementarsten körperlichen Bedürfnisse musste er die Kontrolle an andere abgeben.
Sie fühlte einerseits Mitleid mit ihm, für das was ihm passiert war, aber andererseits dachte sie auch, dass er etwas erwachsener reagieren könnte. Für einen Menschen, der immer das getan hatte, was nötig war um gegen Voldemort zu kämpfen, selbst sein Leben zu riskieren, schien er es schwer zu haben, das vielleicht nicht sehr angenehme, aber doch notwendige Übel der momentanen Situation zu einzusehen.
Dieser dumme Slytherinstolz.
„Wie geht es dir, Severus?“ fragte sie, als sie zu seinem Bett kam und daneben stehen blieb.
Severus antwortete nicht, aber ein resignierter Ausdruck trat für eine kurze Zeit in seinen Blick, so schnell, dass sie nicht sicher war, ob sie es sich nicht eingebildet hatte. „Entschuldige. Eine dumme Frage“, versuchte sie zu beschwichtigen. So wie Severus aussah, zusammen mit den Verbänden, die Minerva daran erinnerten, was für Wunden er trug, war ihre Frage wohl wirklich nicht sehr gut gewählt.
„Wo ist Albus?“ lenkte Severus das Gespräch mit rauchiger Stimme in eine andere Richtung.
„Er ist noch immer im Ministerium. Versucht die Auroren von Hogwarts wegzubekommen. Wenn er es schafft, dann können wir dich nach Hause holen.“ Minerva war selber überrascht, wie fürsorglich sie klang, aber Hogwarts war einfach nicht das selbe, ohne den missmutigen, mürrischen Hauslehrer der Slytherins. Sie vermisste die scharfen Wortgefechte und das Wetteifern mit dem Mann, mehr als sie es je zugeben würde.
Severus schnaubte jedoch nur. „Ich dachte ich kann nicht an einen Ort, der magisch geschützt ist?“
„Das ist im Moment so, Severus. Wir werden einen Gegenfluch finden. Du könntest uns helfen, wenn du uns sagen kannst, welcher Fluch auf dich angewandt worden ist?“
Minerva war eigentlich nicht jemand, der falsche Hoffnungen weckte, immerhin war es sehr wahrscheinlich, dass Voldemort nicht einen Fluch gebraucht hatte, dessen Wirkung einfach aufzuheben war, doch sie hatte das Gefühl, dass Severus im Moment nicht sehr angetan von der Wahrheit wäre.
Snape schien einen Moment zu überlegen, doch dann verhärtete sich sein Gesichtsausdruck. „Ich weiß es nicht mehr!“ zischte er.
Minerva nahm sich zusammen, nicht streng auf seinen Ausbruch, und die Tatsache, dass er es noch nicht einmal richtig versuchte, zu reagieren. Immerhin war er auch unter normalen Umständen, in denen er die Kontrolle behielt, kein freundlicher oder geduldiger Zeitgenosse. Er würde etwas Einfühlungsvermögen brauchen. „Bist du sicher? Wenn du dich nur etwas konzentrierst...“
“ICH HABE GESAGT, DASS ICH ES NICHT WEISS!“
Dieser sture Slytherin. Minerva hatte selten jemanden kennen gelernt der so unsozial war. Nun gut, wenn er sich nicht helfen lassen wollte... Auf jeden Fall schien er doch besser in Form zu sein, wenn er schon wieder so toben konnte.
„Nun, gut. Dann lassen wir das halt. Falls du Interesse daran hast, dass wir den Fluch brechen und du jemals wieder Magie benutzen kannst, dann kannst du uns ja Bescheid sagen. In der Zwischenzeit - Mr. Potter, Mr. Weasley und Miss Granger sind unten. Sie möchten dir gerne etwas sagen.“
Sie wartete nicht seine Reaktion ab, ob dieser Eröffnung und verließ hastig das Zimmer. Sollte er sich bloß erst einmal selber abreagieren, bevor sie die Kinder hochbrachte. Falls die drei sich ihm in dieser Stimmung überhaupt aussetzen wollten. Nett und ruhig würde er wohl kaum bleiben, wenn sie ihm das Geständnis überbrachten. Scheinbar sah er schlimmer aus, als er sich fühlte. Sein Temperament hatten seine Wunden scheinbar nicht gedämpft.
***
Severus kam sich langsam wie ein seltenes Tier in einem Muggelzoo vor, um das zu sehen die Leute Schlange standen. Die lokale Attraktion, bitte anmelden, um bei der Fütterung zusehen zu dürfen. Ja, wirklich. Als Star einer Kuriosenshow, dazu war er noch gut und dann fragte McGonagall auch noch, ob er sich an den Fluch Voldemorts erinnerte.
Schemenhafte Worte, die Voldemort ausgesprochen hatte, waren bei ihrer Frage in seinem Gedächtnis aufgeflackert, doch als er sich daran erinnern wollte, wurden seine Gedanken gleich dazu gerissen wie er an einer Leine kauernd und weinend am Boden gelegen hatte und sich mental vor Voldemort prostituiert hatte.
Er hoffte nur, dass Minerva die Schamesröte nicht gesehen hatte, die ihm in die Wangen geschossen sein musste.
„Ich weiß es nicht mehr!“ hatte er sie wütend angefahren und sich in Gedanken gezwungen die Zubereitung des Wolfsbanntranks durchzugehen, um sich von der Erinnerung abzulenken.
Aber Minerva ließ ihn einfach nicht in Ruhe. Er wollte sich verdammt noch mal nicht erinnern, ging das denn nicht in ihren dicken Gryffindorschädel hinein?
Das zweite Mal machte er seine Absicht in einer Lautstärke klar, die selbst Minerva verstehen würde, und er hatte diesmal auch Erfolg. Die Lehrerin hatte alle aufgesetzte Freundlichkeit verloren und ihn nur streng und vielleicht etwas enttäuscht angesehen und ihm dann eröffnet, dass das Trio der Hölle ihn sehen wollte. Sein Leben wurde zunehmend unerträglicher.
Als dann die drei Schüler tatsächlich in das Zimmer traten und sie ihn einen Moment respektlos, mit offenem Mund anstarrten, feixte Severus sie so gehässig wie nur irgend möglich an. Sie sollten nicht hier sein. Er war ihr Lehrer und sie sollten Respekt vor ihm haben, aber schließlich war ja Harry James' Sohn und auch er würde jeden Wunsch von den Lehrern und dem Direktor erfüllt bekommen, ohne sich an Regeln halten zu müssen.
Black und Lupin hatten schon ihren Teil davon gehabt, ihn wehrlos zu sehen. James Potter war tot, so musste es wohl sein, dass sein Sohn kam um den Moment zu genießen. Es war nicht fair, dass sie ihn so sahen. Er war immer der Lehrer gewesen, mit der Macht, Punkte abzuziehen. Indem er Potter Junior hatte unterdrücken können, hatte er einen Teil der Rache über dessen Vater ausüben können. Diesmal war er derjenige gewesen, der Potter hatte traktieren können, ohne dass der andere eine echte Chance auf Gegenwehr hatte. Für einmal war er am längeren Hebel gewesen und das hatte ihm sehr gefallen und für viele Jahre entschädigt, in denen er das Opfer gewesen war, doch nun würde diese Macht für immer gebrochen sein.
‚Potter hat sich von der Folter des dunklen Lords nicht unterkriegen lassen’, flüsterte eine gemeine Stimme in seinem Kopf. Dass Potters Gefangenschaft nur einen kurzen Moment gedauert hatte, spielte keine Rolle. Wieder hatte ein Potter etwas geschafft, wobei er versagt hatte.
„Was wollt ihr Gören hier?“ zischte er sie an.
„Wir wollten sehen, wie es Ihnen geht“, stammelte Granger unbeholfen.
Sie wirkten unangenehm berührt, doch der unheilerwartende Ausdruck in ihren Augen, den normalerweise jeder Schüler hatte, wenn er auf der empfangenden Seite seines Zorns war, blieb aus. Kein Wunder. Wer ließ sich schon von einem Mann beeindrucken, der im Bett lag und nicht einmal selber essen konnte?
Aus den Augenwinkeln sah Severus, wie McGonagall und Black hinter den Kindern in das Zimmer kamen und er hörte das entrüstete Einatmen der Gryffindorlehrerin, als er die Kinder anfuhr, doch er beachtete sie nicht.
„Tut nicht so, als ob euch mein Wohlbefinden im geringsten interessieren würde. Warum seit ihr hier?“
„Es geht um den...na, ja...“ Weasleys Stimme schien sich irgendwo in seinem Hals verfangen zu haben und war nur noch etwas mehr als ein Quieken, als er sich unterbrach.
Die drei sahen mit jeder Sekunde nervöser aus und das kratzte ganz gewaltig an Severus’ Nerven. „Hören Sie auf, unverständliches Zeugs zu stammeln, Weasley. Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann tun Sie das und verschwinden dann.“
Zu Severus’ Genugtuung, zuckten Weasley und Granger unmerklich zurück, nur der verdammte Potter reckte leicht die Schultern und nahm einen tiefen Atemzug, bevor er ihm sogar gerade in die Augen blickte. Verfluchter Gryffindors.
„Es geht um den Brief, den Voldemort abgefangen hat, Professor.“
Es sah so aus, als wollte Potter noch mehr sagen, doch nun verließ auch ihn der Mut und er senkte schuldbewusst den Kopf. „Nun, der Brief... Ich hatte eine Vision als Sie die McGregors...“
Snape fühlte sein Blut aus seinem Gesicht weichen, als er verstand. Er hatte sich gefragt, woher der Verfasser des Briefes von den McGregors gewusst hatte. An Potters Visionen hatte er damals nicht gedacht. „Ihr wart das“, stellte er fest.
Potter nickte betreten und auch seine beiden Schatten sahen schuldbewusst zu Boden. „Es tut uns leid“, flüsterte Granger fast unhörbar.
„Wir wussten nichts davon, dass Sirius noch lebte und dass Sie noch auf unserer Seite waren. Wir wollten nur...“ Potter verstummte, als würden die Worte in seinem Hals stecken bleiben.
Es waren Potter und seine Gang, die verantwortlich waren? Das war so erniedrigend, dass die Scham sogar fast die Wut überdeckte, die in Severus hochstieg. Drei Schüler, halbe Kinder hatten den Plan zerstört und ihn Malfoy und Voldemort ausgeliefert. Und dann hatte Potter auch noch beobachtet, wie er gezwungen gewesen war Molly und Charles umzubringen, um seine Tarnung nicht zu gefährden und den Beiden schlimmeres zu ersparen. Diese Seiten seiner Spionagetätigkeit hatten ihn schon vor Jahren fast fertig gemacht und niemand sollte das je mit ansehen. Er fühlte das Bedürfnis die drei anzuschreien oder auf sie loszugehen. Hätte er nur einen Zauberstab, könnte er für nichts garantieren. Aber dazu müsste er das Ding erst einmal halten können, ermahnte ihn wieder die leise Stimme in seinem Kopf. Und die Kinder anschreien? Die nahmen ihn ja jetzt schon nicht mehr ernst, wo sie ihn so hilflos gesehen hatten. Aber niemanden schien das zu kümmern. Malfoy hatte recht gehabt. Er war armselig. Ein Hund der bellte, aber nicht mehr beißen konnte. Über den man sich hinter seinem Rücken lustig machte. Wie einem Hund an einer Kette tanzten ihm die Schüler knapp außerhalb seiner Reichweite auf der Nase herum.
Er wollte ausrufen, die Schüler verjagen aber irgendwie fehlte ihm plötzlich die Kraft dazu.
„Du wolltest wohl die Arbeit deines Vaters und seiner Gang beenden“, sagte er stattdessen mit einer fast flüsternden Stimme. Er gab sich alle Mühe kränkend zu klingen, und mit einem kleinen Hauch Genugtuung, der viel größer hätte sein sollen, registrierte er den verletzten Ausdruck in Potters Gesicht. Er hatte voll ins Ziel geschossen. Warum nur blieb dann das übliche überlegene Gefühl aus?
James’ Sohn sah ihn aus tränengefüllten Augen einen Moment an, bevor er ein: „Es tut mir leid“, hervorwürgte und mit einem Schluchzer aus dem Zimmer verschwand. Granger und Weasley brachten beide auch knappe Entschuldigungen heraus, wenn auch ihre verletzten und fast wütenden Blicke auf ihn eine andere Geschichte erzählten. Dann eilten sie ihrem Freund hinterher.
„Wirklich, Severus“, rief nun Minerva aus. „Kannst du deine giftige Zunge nicht einmal zügeln, wenn sich jemand bei dir entschuldigt. Sie haben einen Fehler gemacht, aber sie haben in einem guten Willen gehandelt. Das solltest du zuallererst verstehen. Du bist unmöglich. Schrei ihn doch an, wenn du dich so kindisch benehmen willst, aber du hast kein Recht, Harry so zu verletzen!“
Snape starrte entschlossen an die Decke über ihm. Und schon wieder wurde ein Potter in Schutz genommen. Er hatte natürlich kein Recht, Harry zu verletzen. Aber was der Balg ihm angetan hat war ja nicht so schlimm. Es spielte keine Rolle, dass es sein ganzes Leben zerstört hatte. Eine Entschuldigung, und alles war vergessen. Genau wie damals mit der Heulenden Hütte....“
Er starrte entschlossen an die Decke und hielt die heiß stechenden Tränen zurück, die in seinen Augen brannten, bis Minerva und ein unerwartet ruhig gebliebener Black aus dem Zimmer geeilt waren, sicher um Potter zu trösten und zu ermutigen. Erst dann ließ er zu, dass eine einzelne Träne sich aus seinem Augenwinkel löste und in einer nasse Spur im Haar an seiner Schläfe verschwand.
***
T.B.C.
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