Kapitel 20: Dumbledores Geheimnis?
So leise und hastig er konnte schlüpfte Harry unter der Decke hervor und zog die Schuhe an. Er war sich sicher, dass dies kein normaler Traum gewesen war. Viel zu deutlich war die Szene gewesen. Die Bosheit von Voldemort und Malfoy war förmlich greifbar gewesen und Snape hatte zu krank und verrückt ausgesehen, als dass es nur ein Traum gewesen sein konnte. Zumal es ja nicht das erste Mal war, dass Harry Visionen von Voldemort hatte, und das letzte Mal war es die Wahrheit gewesen, davon war er überzeugt. Genau wie diesmal. Und die Konsequenzen, die sich aus der Vision erschlossen, machten Harry Angst. Wenn Snape wieder zu Voldemort überlief und dieser den Zaubertränkemeister manipulierte, wie er es plante, dann würde nicht die kleinste Information geheim bleiben, die Snape besaß. Nein, Dumbledore musste Bescheid wissen.
"Was'n los, Harry?" murmelte Ron schlaftrunken.
"Nichts, schlaf nur weiter", flüsterte Harry.
Ron ließ sich dies nicht zweimal sagen und drehte sich mit einem grunzenden Geräusch auf die andere Seite, um sofort wieder weiterzuschlafen.
Harry warf noch einen Blick auf die fluoreszierenden Ziffern seiner Uhr. Halb fünf Uhr morgens. Egal. Er musste Dumbledore informieren. Der Direktor hatte ihm ja selber gesagt, dass er zu ihm kommen sollte, wenn er erneute Visionen hatte.
So erhob er sich und warf sich schnell seinen Umhang über, bevor er sich aus dem Schlafsaal und dem Gemeinschaftsraum in Richtung Dumbledores Büro aufmachte.
"Pfefferminzbonbon", flüsterte er nervös. Sofort sprang der Wasserspeier zur Seite und Harry stellte sich auf die rotierende Treppe, die ihn bis vor Dumbledores Tür brachte. Er hob die Hand und klopfte erst zögernd, doch als sich darauf für einige Minuten nichts regte, nahm er seinen Mut zusammen und polterte laut gegen das dicke Holz.
Es vergingen diesmal keine zwei Minuten, bis ein verschlafen aussehender Dumbledore in einem grauen Nachthemd und zerwuselten Haaren und Bart die Tür öffnete. "Harry? Was machst du denn hier zu dieser Stunde?" fragte er überrascht.
"Ich muss mit Ihnen reden Direktor. Ich hatte wieder einen Traum."
Mit einem Schlag wich alle Verschlafenheit aus Dumbledores Gesicht und er winkte Harry energisch herein. "Komm herein, mein Junge."
"Möchtest du etwas trinken?" frage er höflich, wenn auch sein Gesicht einen ungeduldigen Ausdruck angenommen hatte, den Harry nur selten an dem Mann gesehen hatte. Er schüttelte den Kopf.
"Ich hatte eine Vision von Voldemort, Sir."
"Voldemort? Was hat er getan? War er allein?"
Harry schüttelte den Kopf. "Nein. Lucius Malfoy war bei ihm... und Snape."
Zu Harrys Erstaunen erblasste der alte Mann ein wenig und seine Augen wurden weit. "Severus? Wie ging es ihm?"
Harry wusste nicht so recht, was er aus Dumbledores Reaktion machen sollte. Was für eine Verbindung war zwischen den beiden, dass der alte Schuldirektor den mürrischen Ex-Lehrer so sehr mochte, dass er sich selbst jetzt, wo er verurteilt, geflohen und wahrscheinlich wieder auf Voldemorts Seite war, noch so um ihn sorgte. Es war nicht fair, dass Dumbledore noch immer an Snape hing, obwohl dieser Sirius umgebracht hatte. Ein Teil von Harry sagte ihm, dass Dumbledore sich all seinen Schützlingen gegenüber verantwortlich fühlte, fast wie ein Vater, und deshalb wohl keines seiner Kinder hassen könnte, nur weil es einem anderen wehgetan hatte und nur das der Grund war, aber ein anderer Teil von ihm, ein Teil, der langsam wütend wurde, sagte ihm, dass Dumbledore aus irgend einem undefinierbaren Grund Snape wichtiger war, als es Sirius jemals gewesen war. Aus irgend einem Geheimnis heraus hatte Dumbledore eine so starke Bindung zu dem Zaubertränkemeister, dass er ihn, obwohl er ihn hatte bestrafen lassen, doch vor dem Kuss der Dementoren hatte bewahren wollen. Er benahm sich mit seiner ganzen Art viel loyaler Snape gegenüber, als Crouch es jemals seinem eigenen Sohn gewesen war.
Eine verrückte Idee begann sich bei diesem Gedanken plötzlich in Harrys Hirn einzunisten und er besah sich Dumbledore genauer. Die Hackennase und die Körpergröße stimmte, auch wenn Haut und Augenfarbe komplett verschieden war. Aber konnte es trotzdem sein, dass Snape und Dumbledore auf irgend eine Weise verwandt...? Nein, das war unmöglich. Dumbledore würde so etwas wohl kaum geheim halten. Oder vielleicht doch?
"Harry?" riss ihn Dumbledore aus den Gedanken.
Harry schüttelte den verrückten Gedanken ab und besann sich wieder auf den Traum. "Snape schien krank zu sein, Sir", begann er, und erzählte dann die Vision so genau wie möglich, bis zu dem Befehl von Voldemort an Malfoy.
Dumbledore fuhr sich nachdenklich über den Bart und in seinen Augen lag ein befremdendes Glitzern, das Harry wieder ein wenig wütend machte, denn er interpretierte den Gesichtsausdruck als klare Erleichterung.
"Sie scheinen diese Nachricht nicht als besorgniserregend anzusehen. Snape hat Informationen über den Orden und er wird diese auch ausplaudern. Voldemort ist kein Idiot und er wird wissen, wie er Snape wieder auf seine Seite ziehen wird. Was wollen wir nun machen?"
Dumbledore klopfte ihm zerstreut auf die Schultern. "Ich weiß, dass du das nicht verstehen wirst, Harry, aber fürs Erste bin ich froh, dass Severus lebt. Egal was auch passiert ist und welche Strafe er erhalten hat, ich wollte ihn nie tot sehen. Was die Informationen angeht, so wissen wir schon, dass dieses Risiko besteht, seit er aus Askaban geholt wurde. Damit sind alle Informationen, die er Voldemort nennen kann, irrelevant. Wir haben bloß einige Daten und in manchen Fällen Wohnorte und Treffpunkte geändert. Er kann keinen wirklichen Schaden anrichten."
"Aber Sir", protestierte Harry.
"Nun, nun Harry. Es kommt schon alles irgendwie wieder in Ordnung. Du gehst jetzt besser zurück in dein Bett und versuchst noch ein wenig Schlaf zu bekommen." Mit diesen Worten und einem Lächeln schob der Direktor Harry aus seinem Büro und auf die erste Stufe der Treppe. "Und denke daran mir zu sagen, wenn du weitere Träume hast."
Die Tür schlug hinter ihm zu und ließ einen verdutzten Harry allein auf der Treppe. Solch ein brüskes Verhalten war er sich von dem Direktor nicht gewohnt und ungewollt rückte sein Gedanke von vorhin wieder nach vorne. Dumbledore zeigte eine Sorge um Snapes Leben, die er nur einem Vater zutrauen würde. Aber wenn das Unglaubliche wirklich wahr wäre, warum hatte ihn Dumbledore dann überhaupt ausgeliefert? Doch dies war absolut nicht verwunderlich, schalt er sich gleich darauf. Dumbledore hatte eine Verpflichtung allen Schülern und dem Orden gegenüber und Harry glaubte ihn genug zu kennen um zu wissen, dass Dumbledore jedes Opfer bringen würde um der Gerechtigkeit und der Seite des Lichtes zu helfen, ohne jedoch das Leben desjenigen zu gefährden, den er aus dem Weg schaffen würde. Vielleicht hatte er Snape am Ende sogar nur ausgeliefert um ihn zu schützen, da er klar angefangen hatte verrückt zu werden. Obwohl diese Gedanken absurd schienen, würden sich mit einer solchen Möglichkeit die Reaktionen des Direktors erklären.
Nachdenklich machte er sich zurück zum Schlafsaal, ohne in die Illusion zu verfallen, dass er auch nur eine Minute Schlaf finden würde.
***
"Das glaubst du doch selber nicht, Harry." Ron war, um es gelinde auszudrücken, jenseits von skeptisch. An diesem ersten Schultag, hatte Harry so gut wie nichts von dem Unterricht mitbekommen und hatte weder beim Frühstück, noch beim Mittagessen etwas heruntergebracht. Seine beiden Freunde hatten dies natürlich auch bemerkt, doch Harry hatte sie vertröstet, bis sie eine Chance hatten, allein zu sein.
Sobald jedoch die letzte Stunde vorbei war, hatten die drei sich zum See abgesetzt und im Schutz eines Busches hatte Harry ihnen von dem Traum, Dumbledores Reaktion und seiner Vermutung erzählt.
"Snape ist niemals Dumbledores Sohn", protestierte Ron.
"Das kann ich mir auch nicht vorstellen", warf Hermine ein. "Die sind komplett verschieden."
Plötzlich blitzte es triumphierend in Rons Augen. "Der kann gar nicht sein Sohn sein. Die habe nicht den selben Nachnamen."
"Mann, Ron, bist du eigentlich wirklich solch ein Idiot oder benimmst du dich nur so? In welchem Jahrhundert lebst du denn?" stöhnte Hermine
Harry ging schnell dazwischen, bevor Ron einen weiteren Streit mit Hermine anfangen konnte. "Ich habe nie behauptet, dass Snape sein Sohn ist. Vielleicht aber irgend ein anderer Verwandter. Dumbledores Benehmen spricht jedenfalls dafür."
"Ich weiß nicht. Ich meine es ist ja bekannt, dass Dumbledore Snape mag. Ich denke deine Theorie ist sehr weit hergeholt."
"Und warum vertraut er ihm? Der Mistkerl war ein Todesser und hat Leute umgebracht. Niemand ohne tiefere Beweggründe würde ihm so viel Menschlichkeit entgegenbringen."
"Du vergisst, dass er Snape selber ausgeliefert hat. Hast du dafür auch eine Erklärung?" argumentierte Hermine weiter, entschlossen nicht so einfach klein bei zu geben
"Verdammt, wer weiß das schon... Vielleicht wollte er ihn nur vor Voldemort schützen, um ihn später aus Askaban zu holen und in eine geschlossene Anstalt zu verfrachten."
"Na, da hatte der Direktor nicht viel Erfolg mit", schnaubte Ron. "Du-weißt-schon-wer hat Snape trotzdem.
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